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Indien

Situationskarte Indien © 2004 HLS und Kohli Kartografie, Bern.
Situationskarte Indien © 2004 HLS und Kohli Kartografie, Bern.

Indien, das sich nach 1818 beinahe vollständig unter britischer Kontrolle befand (Ostindische Kompanie), wurde 1857 direkt der britischen Krone unterstellt. Dank dem Wirken charismatischer Persönlichkeiten wie Mahatma Gandhi und jahrelangen Kämpfen erlangte Indien 1947 die Unabhängigkeit. Im selben Jahr spalteten sich die Muslime ab, die im Indusbecken die Mehrheit bilden, und gründeten den Staat Pakistan. In zwei von drei Kriegen zwischen Indien und Pakistan ging es um die Vorherrschaft in der Kaschmirregion, die bis heute umstritten ist und Spannungen zwischen den beiden Atommächten erzeugt.

Der Jesuit Pietro Berno wirkte bereits im 16. Jahrhundert als Missionar in Indien. Ab 1746 beteiligten sich Schweizer Söldner in französischen oder englischen Diensten an der Kolonisation des Subkontinents. Der Orientalist Antoine Louis Henri Polier lebte 1758-1780 in Indien. Während einiger Zeit stand er im Dienst des Grossmoguls. In den 1750er Jahren hielten sich rund 300 Schweizer in Indien auf. Von 1795 bis 1806 trug das Regiment de Meuron, das zuvor in Ceylon stationiert gewesen war, zur Festigung der britischen Macht auf Kosten der Inder und der Franzosen bei. Ab dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts zog Indien Reisende, Gelehrte und Missionare an. 1854 liessen sich auch die Schweizer Jesuiten nieder und wirkten, zusammen mit deutschen Kollegen, in Bombay und im Einzugsgebiet des Ganges. Der Kapuziner Anastasius Hartmann wurde apostolischer Vikar von Bombay und Patna. Alois Maria Benziger war zunächst Weihbischof und ab 1900 Bischof von Quilon. Protestanten liessen sich oft im Süden des Landes nieder, wo die Basler Mission sich engagierte in den Bereichen Religion, Gesundheit, Bildung (1913 leitete sie 204 Schulen mit 19'000 Schülern) und Wirtschaft (1913 besass sie elf ab 1853 gegründete Betriebe, in denen 3614 Personen mit der Produktion von Textilien und Ziegeln beschäftigt waren). Ab 1906 arbeiteten zahlreiche Schweizerinnen, zuerst im Süden und später auch im Norden in Klöstern, Schulen, Spitälern, Leprosarien und Waisenhäusern für die Missionen. Das 1851 in Winterthur und Bombay gegründete Handelshaus Volkart baute zahlreiche Zweigstellen auf (1926 waren es 80), diversifizierte seine Tätigkeiten und wurde zum Rückgrat der wirtschaftlichen und konsularischen Präsenz der Schweiz in Indien. Ab 1866 exportierte die Firma Escher-Wyss Lokomotiven nach Indien und baute eine dauerhafte Zusammenarbeit im Eisenbahnsektor auf. Bis 1915 nahm der Handel zwischen Indien und der Schweiz zu: Der Ausfuhr von Baumwolle, Reis, Tee, Kaffee, Jute, Kautschuk, Gewürzen, Ölprodukten und Edelsteinen stand die Einfuhr von Uhren, Textilien, Kondensmilch und Maschinen gegenüber. Der Farbstoffhandel konzentrierte sich anfangs auf Indigo (manchmal von in Indien ansässigen Schweizer Pflanzern angebaut), später auf Produkte der Basler Industrie, die ab 1895 den Export chemischer und pharmazeutischer Erzeugnisse nach Indien steigerte.

Die Schweizer, die sich in Indien niederliessen (meist in Bombay und der gleichnamigen Provinz) waren vorwiegend deutschsprachig und stammten zumeist aus Zürich oder den Ostschweizer Industriekantonen. 1920 betrug ihre Zahl etwa 220, in den 1930er Jahren über 500, 1950 stieg sie auf 621 und 1956 auf 808. Bis 1978 war ein Rückgang auf 379 zu verzeichnen, bis 2004 eine erneute Zunahme auf 636 (darunter ein wachsender Prozentsatz zeitlich begrenzter Aufenthalte). Die meisten dieser Auswanderer waren Kaufleute, Ingenieure, Techniker oder Missionare (oft in der Mehrzahl Frauen); daneben lebten auch Hoteliers und Uhrmacher in Indien. Das 1915 in Bombay eröffnete Konsulat wurde 1921 in ein Generalkonsulat umgewandelt. In Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Zentrale für Handelsförderung (Osec), die seit 1939 eine Niederlassung in Bombay besitzt, wurde 1947 in New Delhi eine Handelsvertretung und 1948 eine Botschaft eröffnet. Konsulate bestanden 1921-1968 in Kalkutta und 1921-1933 in Madras.

Zu Beginn der 1920er Jahre beunruhigte Gandhis Wirken einige Schweizer Kaufleute, die Opfer des Ausländerboykotts geworden waren, erregte hingegen die Bewunderung von Schweizer Pazifistenkreisen, besonders von Edmond Privat und Pierre Cérésole. Letzterer hielt sich 1934-1937 mit anderen Angehörigen des Internationalen Zivildienstes in Indien auf, um Katastrophenopfern zu helfen.

Auf diplomatischer Ebene war die Schweiz in Indien recht aktiv. 1940-1945 vertrat sie dort die Interessen der Achsenmächte. 1947 anerkannte sie Indiens Unabhängigkeit und nahm 1948 diplomatische Beziehungen auf. 1971-1976 vertrat sie in einem der Konflikte zwischen Pakistan und Indien, der teilweise dank ihrer Guten Dienste beigelegt werden konnte, die Interessen beider Krieg führenden Parteien. Die Schweiz bezeugte ausserdem Sympathie für die Bewegung der Blockfreien, in der Indien eine führende Rolle spielte.

1948 wurden ein Auslieferungsvertrag (übernommen von einer bereits mit Grossbritannien bestehenden Vereinbarung), ein Luftverkehrsabkommen (1958 und 1971 vervollständigt) sowie ein Freundschafts- und Niederlassungsabkommen unterzeichnet. 1949 folgte ein bilaterales Handelsabkommen im Rahmen der Beziehungen der Schweiz zu den Ländern des Sterlingblocks; dies führte jedoch zu monetären Problemen, die ein zweites, 1950 unterzeichnetes Abkommen notwendig machten. Die indische Regierung suchte die Zusammenarbeit mit der Schweizer Industrie (Düngemittel, chemische Produkte, Aluminium, Telefonie, Rollmaterial, Werkzeugmaschinen). 1955 wurden zwei Fabriken eingeweiht, die zusammen mit der Waggonfabrik Schlieren und der Oerlikon-Bührle gebaut worden waren. Zwischen 1957 und 1982 hiess die indische Regierung über 380 Kooperationsverträge zwischen schweizerischen und indischen Unternehmen gut. Die Schweiz platzierte sich damit zwischen dem dritten und sechsten Rang der ausländischen Investoren. 1981 arbeiteten in Indien rund 14'170 Personen für sieben grosse Schweizer Unternehmen: BBC, Rieter, Rüti (1982 von Sulzer gekauft), Sandoz, Roche, Ciba-Geigy (über eine 1927 gegründete indische Gesellschaft) und Nestlé. Dieser Konzern, der seit Beginn des 20. Jahrhunderts auf dem indischen Markt präsent ist, eröffnete 1962 seine erste Fabrik in Indien, zu der bis 2002 weitere fünf hinzukamen.

Die Schweizer Landschaft als Kulisse für indische Kinofilme. Plakat für die Ausstellung Bollywood – Das indische Kino und die Schweiz im Museum für Gestaltung in Zürich 2002 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).
Die Schweizer Landschaft als Kulisse für indische Kinofilme. Plakat für die Ausstellung Bollywood – Das indische Kino und die Schweiz im Museum für Gestaltung in Zürich 2002 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste). […]

In der Entwicklungspolitik nimmt die Hilfe für Indien, die durch die zahlreichen wirtschaftlichen, religiösen, humanitären und politischen Beziehungen begünstigt wird, eine vorrangige Stellung ein. Ein bilaterales Abkommen von 1966 hat die technische und wissenschaftliche Zusammenarbeit in den Bereichen Landwirtschaft (Viehzucht, Futtermittelproduktion, Bewässerung, Nutzbarmachung neuen Landes, Steigerung der Milchproduktion, Seidenraupenzucht, Unterstützung ländlicher Banken) und Ausbildung (Industrietechnik, universitäre Kooperation) verstärkt. 1961-1974 finanzierten der Bund (41 Mio. Franken) und private Organisationen (13 Mio. Franken), wie die seit 1960 in Indien aktive Swissaid, 40 Projekte. In den 1980er Jahren flossen pro Jahr durchschnittlich 35 Mio. Franken nach Indien. Ausserdem konnte das Land zwischen 1960 und 1990 dank Krediten des Bundes und der Banken Ausrüstungsgüter kaufen. Diese Hilfe wurde auch kritisiert, vor allem als Indien 1974 seine erste Atombombe zündete. Die Schweiz fördert durch Bundesgarantien und Zollerleichterungen die Handelsbeziehungen mit Indien, das für die Schweizer Industrie nach wie vor ein attraktiver Markt ist, besonders im Bereich der Technologien. Auch der Kapitalfluss ist beträchtlich: 1989 wiesen die Bilanzen der Schweizer Banken 387 Mio. Franken Aktiven und 761 Mio. Franken Passiven in Indien auf; gemäss Angaben der Schweizerischen Nationalbank kamen dazu 101 Mio. Franken Aktiven und 1581 Mio. Franken Passiven auf Treuhandkonten. Vor allem ab 1987 wurden die Schweizer Banken beschuldigt, Fluchtgelder anzunehmen: Wegen einer Korruptionsaffäre in Indien blockierte der Bundesrat 1990 aufgrund eines 1989 vereinbarten Rechtshilfeverfahrens in der Schweiz liegende Vermögen.

In den 1980er Jahren intensivierten sich dank des Tourismus und der Tätigkeit von Pro Helvetia auch die kulturellen Beziehungen. Die Zahl der in der Schweiz wohnhaften Inder ist im Laufe der letzten Jahrzehnte ständig gestiegen (1990 3156, 2003 6241). Die bilateralen Beziehungen werden durch das Flüchtlingsproblem (tibetische und tamilische Flüchtlinge in Indien, Inder in der Schweiz) beeinträchtigt.

Quellen und Literatur

  • EDA, Dok.
  • A. Lätt, Der Anteil der Schweizer an der Eroberung Indiens, 1934
  • «L'Inde et la Suisse», in Revue économique et sociale, 1967 (Sondernr.)
  • R. Fischer, Die Basler Missionsindustrie in Indien, 1850-1913, 1978
  • Jb. Schweiz-Dritte Welt 8, 1989, 112, 157-166, 174, 214
  • SQ 19, 1993, 45-60, 103-105, 350, 402-418
Weblinks
Normdateien
GND

Zitiervorschlag

Marc Perrenoud: "Indien", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 06.05.2008, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/003407/2008-05-06/, konsultiert am 12.03.2024.