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Preussen

Das Herzogtum Preussen ging 1525 aus den vom Deutschen Orden beherrschten Territorien im späteren Ostpreussen hervor. 1618 gelangte es an die fränkische Linie der Hohenzollern, die 1415 die Mark Brandenburg und die Kurfürstenwürde erworben hatte. Die Kurfürsten von Brandenburg, seit 1701 auch Könige in Preussen, errichteten einen Territorialstaat, der im 18. Jahrhundert zur europäischen Grossmacht aufstieg. Nach Rückschlägen in der napoleonischen Zeit ging Preussen dank Gebietsgewinnen gestärkt aus dem Wiener Kongress hervor. Über den Deutschen Zollverein, den Deutschen Bund und den Norddeutschen Bund baute es seine Vorrangstellung in Deutschland aus und schuf 1871 unter seiner Führung das deutsche Kaiserreich; der preussische König stieg zum deutschen Kaiser auf. Auch in der Weimarer Republik und im Dritten Reich bewahrte Preussen eine Sonderstellung bis zu seiner Auflösung 1947 durch die Alliierten.

Modelldorfkirche für Schweizer Auswanderer. Lavierte Federzeichnung, 1703 (Staatsarchiv Zürich, B VIII 165, fol. 240r).
Modelldorfkirche für Schweizer Auswanderer. Lavierte Federzeichnung, 1703 (Staatsarchiv Zürich, B VIII 165, fol. 240r). […]

Im 16. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts gab es zwischen den eidgenössischen Orten und dem bis zum Frieden von Oliva 1660 unter polnischer Lehenshoheit stehenden Kurfürstentum Brandenburg-Preussen nur im Bildungsbereich nennenswerte Beziehungen. So besuchten Studenten aus den preussischen Herrschaftsgebieten, vor allem aus Königsberg, die Universität Basel. Erst etwa ab 1685 sowie unter Kurfürst Friedrich III., der von seinen Vorfahren das evangelische Bekenntnis übernommen hatte, wanderten Schweizer Landwirte, zunächst vor allem Berner und Zürcher, in Brandenburg ein. Weitere Schweizer waren in den von Hugenotten gegründeten Textilbetrieben, insbesondere in Berlin, oder in eigenen Unternehmen beschäftigt. In der Mark Brandenburg (u.a. Lindow, Eberswalde) entstanden von den reformierten Orten der Eidgenossenschaft unterstützte Schweizer Kolonien, in denen sich unter günstigen Bedingungen hauptsächlich Handwerker ansiedelten. Ein Militärabkommen, das Brandenburg-Preussen im Jahre 1696 ebenfalls mit reformierten Ständen abschloss, ermöglichte Friedrich III. die Bildung einer für Repräsentationszwecke bestimmten Schweizer Leibgarde der Hundertschweizer, die 1702 einen Gesamtbestand von 112 Mann aufwies, aber schon 1713 aufgehoben wurde. Ab 1712 kam es, wiederum aus wirtschaftlichen Gründen (Missernten und Hungersnöten), zu einer grösseren Auswanderung von Schweizer Bauern nach Ostpreussen und zur Gründung von Schweizer Kolonien, die eigene Schulen und Kirchen unterhielten und im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens unter Schweizer Inspektoren weitgehend selbstständig verwaltet wurden. Bis um 1730 stellten die Schweizer dort einen grossen Anteil ausländischer Einwanderer.

Die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts gegründeten preussischen Universitäten zogen auch reformierte Schweizer an. Von Duisburg aus (gegründet 1655) gewann der Cartesianismus, vor allem durch Johannes Clauberg, Einfluss auf Schweizer Hohe Schulen, von Halle aus (gegründet 1693/1694) der Pietismus und die Philosophie Christian Wolffs, die auch von Teilen der katholischen Bildungselite aufgenommen wurde. Im ganzen 18. Jahrhundert waren in der Schweiz, in der Regel von Neuenburg aus koordiniert, preussische Soldatenwerber, mehrheitlich in den reformierten Orten, im Einsatz. Ein wichtiger Rekrutierungsplatz war Schaffhausen, der bekannteste Werbeoffizier der in Preussen zum Generalleutnant aufgestiegene Berner Robert Scipio von Lentulus. Zeitweise wurden preussische Militärtechnik und Exerziermethoden von Schweizer Milizen übernommen. Nach dem Ende des Siebenjährigen Kriegs 1763 gingen die preussischen Werbegesuche an die eidgenössischen Orte, mit Ausnahme der Rekrutierungen in Neuenburg, zurück.

Ein Hundertschweizer mit Hellebarde. Illustration aus einem Sammelband des Zürcher Stadtschreibers David Holzhalb über die brandenburgisch-preussische Leibwache, um 1698 (Staatsarchiv Zürich, B I 322, eingeklebt nach fol. 248).
Ein Hundertschweizer mit Hellebarde. Illustration aus einem Sammelband des Zürcher Stadtschreibers David Holzhalb über die brandenburgisch-preussische Leibwache, um 1698 (Staatsarchiv Zürich, B I 322, eingeklebt nach fol. 248). […]

Den Höhepunkt an Vielfalt und Intensität erreichten die schweizerisch-preussischen Beziehungen in der Herrschaftszeit Friedrichs II. Trotz einiger kritischer Stimmen, die sich vor allem gegen den Solddienst und die Teilnahme an preussischen Kriegen richteten (Ulrich Bräker), genoss der Preussenkönig in der Schweiz über konfessionelle Schranken hinweg das Ansehen eines tüchtigen Feldherrn und vorbildlichen aufgeklärten Fürsten. Seine Werke erschienen in Schweizer Verlagen und finden sich zahlreich in den historischen Beständen von Schweizer Bibliotheken. Einige Schweizer wurden an den preussischen Hof berufen: Henri Alexandre de Catt war königlicher Vorleser in der Ära Friedrichs II., Johannes von Müller Hofhistoriograf unter seinem Nachfolger. Mit ganz unterschiedlichen künstlerischen Aufgaben in den königlichen Residenzen wurden die Bildhauer Emanuel Bardou und Johann Melchior Kambly betraut. Viele Schweizer Gelehrte wirkten an der Königlichen Akademie der Wissenschaften in Berlin, wo einige, zum Beispiel Nicolas von Béguelin von Lichterfelde, Johann Bernoulli (1744-1807), Leonhard Euler, Johann Bernhard Merian und Johann Georg Sulzer, Direktorenposten innehatten. Der Haupteinfluss der deutschen Aufklärung auf die schweizerische erfolgte über diese Gelehrten, die aufgrund ihrer Zweisprachigkeit und kosmopolitischen Gesinnung ihrerseits zu Mittlern der französischen Kultur in Preussen wurden. Die Kant'sche Philosophie war schon vor dem Ausbruch der Französischen Revolution in der Schweiz stark verbreitet. Die Humboldt'sche Bildungsidee wurde im 19. Jahrhundert von den Schweizer Hochschulen übernommen, während die pädagogischen Leitgedanken Johann Heinrich Pestalozzis, wenngleich nicht unumstritten, bei der Organisation des preussischen Volksschulwesens, vor allem für die Lehrerausbildung in Seminaren, in Preussen (u.a. in Berlin und Königsberg) wegweisend waren.

1707 wurde die Herrschaft über das früher den Orléans-Longueville gehörende Fürstentum Neuenburg dem König von Preussen übertragen und damit dem Einfluss Frankreichs entzogen. Nach der Aufnahme Neuenburgs in die Eidgenossenschaft 1814 geriet der neue souveräne Kanton, dem der König von Preussen weiterhin als Fürst vorstand, in eine zunehmend schwierige Doppelrolle. Während die konservative Neuenburger Regierung dem preussischen König treu ergeben war, strebte die Mehrheit der Bevölkerung eine vollständige politische Loslösung an. Nachdem sich die Neuenburger 1848 eine republikanische Verfassung gegeben hatten, eskalierte der Konflikt im Neuenburgerhandel; 1857 verzichtete der preussische König auf seine Herrschaftsansprüche über Neuenburg. Vor dem Jahre 1805 war Preussen mit keiner offiziellen Gesandtschaft in der Schweiz vertreten, und nach ihrer Installation hatten die zuständigen preussischen Diplomaten zumeist nicht einmal Wohnsitz in der Schweiz. Die Aussenpolitik wurde über Neuenburg und das mit ihm verbündete Bern abgewickelt. Zwischen 1859 und 1871 war ein bevollmächtigter Minister Preussens und des Norddeutschen Bunds in Bern akkreditiert, 1867-1871 hatte auch die Schweiz einen Gesandten für Preussen und den Norddeutschen Bund in Berlin.

In der Zeit der 1848er Revolution fanden Flüchtlinge aus Preussen Aufnahme in der Schweiz, die zuvor schon, zum Teil ebenfalls aus politischen Motiven, von preussischen Reisenden besucht worden war. Aus der Schweiz in die preussische Heimat zurückkehrende Handwerksgesellen wurden ab 1834 zeitweise polizeilich überwacht, weil die Regierung politische Umtriebe befürchtete. Akademische Kontakte kamen im 19. Jahrhundert durch die Schweizer Universitäten (v.a. Zürich) zustande, wo an verschiedenen Fakultäten preussische Lehrkräfte tätig waren. In den ersten Jahrzehnten des Bundesstaats nahmen die kulturellen Beziehungen zu Preussen einen weiteren Aufschwung, weniger ausgeprägt die wirtschaftlichen und politischen. Auch nach der Gründung des Kaiserreichs 1871 spielten die Verbindungen in allen Bereichen, vor allem in der Wirtschaft und in der Wissenschaft, zum nunmehr nicht mehr selbstständigen, aber innerhalb Deutschlands führenden Preussen und zur Hauptstadt Berlin eine nicht unbedeutende Rolle.

Quellen und Literatur

  • Hist.NE 2, 91-105
  • R. Hinz, Pestalozzi und Preussen, 1991
  • Schweizer im Berlin des 18. Jh., hg. von M. Fontius, H. Holzhey, 1996
  • R. Gugger, Preuss. Werbungen in der Eidgenossenschaft im 18. Jh., 1997
  • W. Stribrny, Die Könige von Preussen als Fürsten von Neuenburg-Neuchâtel (1707-1848), 1998
  • H.U. Pfister, Fremdes Brot in dt. Landen, 2001
  • L. Berwein, Ansiedlung von Schweizer Kolonisten im Rahmen der Repeuplierung Ostpreussens, 2003
  • U. Schmelz, «Schweizer Kolonisten in der Kurmark Brandenburg im 17./18. Jh.», in Fremde in Brandenburg, hg. von B. Kletzin, 2003, 48-69
Weblinks
Normdateien
GND

Zitiervorschlag

Hanspeter Marti: "Preussen", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 17.12.2013. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/006637/2013-12-17/, konsultiert am 28.03.2024.