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Saint-MauriceGemeinde

Vogelschauplan von Saint-Maurice. Ausschnitt aus einer Tafel in der Topographia Helvetiae, Rhaetiae et Valesiae (1642) von Matthaeus Merian (Universitätsbibliothek Bern, Sammlung Ryhiner).
Vogelschauplan von Saint-Maurice. Ausschnitt aus einer Tafel in der Topographia Helvetiae, Rhaetiae et Valesiae (1642) von Matthaeus Merian (Universitätsbibliothek Bern, Sammlung Ryhiner). […]

Politische Gemeinde des Kantons Wallis, Bezirk Saint-Maurice, am Fuss eines Felsens und vor einer Talenge am linken Ufer der Rhone, an der Route über die Walliser Alpenpässe nach Italien. Die Gemeinde umfasst die Stadt Saint-Maurice, die Weiler Epinassey und Les Cases sowie seit 2013 Mex (VS). Bis 1822 gehörten auch Evionnaz und Vérossaz zu Saint-Maurice. Um 200 Acaun[ensis] [quadragesimae] Gal[liarum]. Zu Ehren des heiligen Mauritius nahm Acaunum (französisch Agaune) im 11. Jahrhundert den Namen Saint-Maurice an, der 1003 erstmals erwähnt wird. 1798 830 Einwohner; 1850 1224; 1900 2162; 1950 2728; 2000 3596.

Am Fuss des Felsens wurden Spuren aus der Bronzezeit gefunden. Die ebendort entdeckte Quellfassung stammt vermutlich aus römischer Zeit. Über die römische Ortschaft selbst ist wenig bekannt. Acaunum war ein Zollposten, an dem die quadragesima Galliarum, ein Ein- und Ausfuhrzoll in der Höhe von 2,5%, erhoben wurde. Wahrscheinlich verfügte es über ein den Nymphen geweihtes Wasserheiligtum. Nach der Überlieferung starben der heilige Mauritius und seine Gefährten (Thebäische Legion) während der Herrschaft von Kaiser Maximianus (286-310) in Acaunum den Märtyrertod. 360-370 liess Theodul, der erste Bischof des Wallis, zu ihren Ehren dort eine Basilika errichten, die sich zu einem beliebten Wallfahrtsort entwickelte. 515 gründete der spätere Burgunderkönig Sigismund die Abtei, die er mit Ländereien reich ausstattete.

Ansicht der Brücke und der Burg von Saint-Maurice. Öl auf Leinwand des Genfer Malers Pierre-Louis De la Rive, 1812 (Musée cantonal des Beaux-Arts de Lausanne; Fotografie Jean-Claude Ducret).
Ansicht der Brücke und der Burg von Saint-Maurice. Öl auf Leinwand des Genfer Malers Pierre-Louis De la Rive, 1812 (Musée cantonal des Beaux-Arts de Lausanne; Fotografie Jean-Claude Ducret). […]

523 fielen die Franken, 574 die Lombarden und Mitte des 10. Jahrhunderts die Sarazenen in Saint-Maurice ein. 888 wurde der Welfe Rudolf in der Abtei zum König von Hochburgund gekrönt (Rudolf I.). 1034 ging das Chablais in savoyischen Besitz über, und Saint-Maurice bildete mit Monthey eine Kastlanei. Um 1300 zog der Kastlan von Monthey nach Saint-Maurice um. Der Abt übte die Herrschaft über den Abteibereich der Stadt aus. Die um 1170 erstmals erwähnten Bürger von Saint-Maurice wählten spätestens ab 1275 zwei Bürgermeister. Vom 13. Jahrhundert an war die Stadt von Mauern umgeben. 1317 bestätigte Graf Amadeus V. von Savoyen die Freibriefe der Stadt, die damals zwischen 1400 und 1800 Einwohner zählte. 1475 gelangte das Unterwallis unter die Herrschaft der sieben Zenden. Bis 1798 war Saint-Maurice Hauptort des gleichnamigen Gouvernements. Da Saint-Maurice ab 1476 in der Talenge an bernisches Territorium stiess, wurde zum Schutz der Grenze eine Burg gebaut. Sie wurde 1646 mit der Erweiterung der Wohngebäude vollendet, jedoch 1693 bei einem verheerenden Stadtbrand, der auf das Pulverlager der Burg übergriff, teilweise zerstört. In der Helvetischen Republik war Saint-Maurice Bezirks-, 1802-1804 Zendenhauptort und 1810-1814 eine Unterpräfektur des französischen Departements Simplon. 1822 trennten sich Vérossaz und Evionnaz mit der Bewilligung des Staatsrats von der Gemeinde Saint-Maurice. 2008 wurden sechs Mitglieder der CVP, vier Freisinnige und ein Vertreter der Alliance de gauche in den elfköpfigen Gemeinderat gewählt. Der dreissigköpfige Conseil général zählte 15 Mitglieder der CVP, 11 der FDP und vier der Alliance de gauche. Die von einem Burgerrat mit sechs Mitgliedern verwaltete Burgergemeinde verfügte auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch über ausgedehnten Grundbesitz, so den Campingplatz Bois-Noir, Alpweiden und Wald.

Die wichtigste geistliche Institution war die Abtei. Daneben liessen sich verschiedene Gemeinschaften in Saint-Maurice nieder: ab 1611 die Kapuziner, 1865 die Schwestern von Saint-Maurice, 1906 die Augustinerschwestern und 1996 die Bruderschaft Eucharistein in Epinassey. Die Kirche Saint-Sigismond, die spätestens seit Mitte des 12. Jahrhunderts Pfarrkirche war, wurde am Standort einer älteren, dem heiligen Johannes geweihten Begräbniskirche aus dem 6. oder 7. Jahrhundert erbaut. Die heutige Kirche stammt von 1715. Bis zur Reformation 1529 gehörte Morcles zur Pfarrei Saint-Maurice und die Kirche Notre-Dame Sous-le-Bourg war Pfarrkirche von Lavey. 1693 fiel auch sie dem Feuer zum Opfer. 1721 waren nur noch Mauerreste vorhanden. Die 1178 bezeugte Kapelle Saint-Laurent wurde im 19. Jahrhundert aufgegeben. Das Hospiz Saint-Jacques aus dem 10. Jahrhundert besteht noch, ebenso die aus dem 18. Jahrhundert stammende Kirche Notre-Dame-du-Scex. Überreste aus dem 8. Jahrhundert deuten auf einen Vorgängerbau hin. Das Kapuzinerkloster mit Kapelle wurde 1640 gebaut, die Kapelle des Franziskanerheims 1940 vollendet. Die Märtyrerkapelle in Vérolliez erhielt ihre heutige Gestalt im 18. Jahrhundert. Die Kapelle in Epinassey wurde 1923 errichtet. Das mit der Abtei verbundene Kollegium, das seit dem Mittelalter bezeugt ist, wurde 1806 durch ein Abkommen vom Kanton als gemeinnützige Institution anerkannt.

Die Lage an einem Engpass erleichterte Saint-Maurice sowohl die Handelskontrolle als auch die Verteidigung. Die ab dem 12. Jahrhundert belegte Brücke über die Rhone war flussaufwärts die erste nach dem Genfersee. 1831, 1848, 1859 und 1892 wurde die Befestigung schrittweise ausgebaut. Saint-Maurice war im Zweiten Weltkrieg einer der drei Hauptpfeiler des Réduit. 1995 wurden die Befestigungsanlagen aufgegeben und als touristische Sehenswürdigkeit erschlossen. Auf dem ehemaligen Waffenplatz der Gebirgsinfanterie von Saint-Maurice-Lavey wird seit den Armeereformen (Armee 95 und XXI) die Militärpolizei ausgebildet. Mit dem Bau der Eisenbahn 1860 entstand in Saint-Maurice ein grosser Rangierbahnhof. 1898-1940 versorgte das Kraftwerk Bois-Noir die Stadt Lausanne mit Strom. Die Industrialisierung setzte spät ein: Von den 1950er Jahren bis 1986 war eine Zementfabrik in Betrieb, ausserdem siedelten sich mehrere Formdrehereien an. 1934 wurde die Druckerei Saint-Augustin eröffnet. Der 1903 in Saint-Maurice gegründete "Nouvelliste valaisan" wurde 1968 zum "Nouvelliste et Feuille d'Avis du Valais". Die ab 1899 publizierten "Echos de Saint-Maurice" gingen ab 2000 in die "Nouvelles de l'Abbaye" über, die 1927-1969 erschienene "La Patrie Valaisanne" wurde 1969-1997 als CVP-Organ unter dem Titel "Valais Demain" weitergeführt. Die Abtei mit ihrem Klosterschatz sowie die 1863 eröffnete Feengrotte ziehen Wallfahrer und Touristen an. Die 1901 gegründete Klinik Saint-Amé wurde 1996 zum Unterwalliser Geriatriezentrum umgebaut. Die Stadt beherbergt eine Filiale der Mediathek Wallis (1974-1999 Unterwalliser Zweigstelle der Kantonsbibliothek) und die Pädagogische Hochschule Wallis (2001 PH-VS).

Quellen und Literatur

  • G. Coutaz, «La ville de Saint-Maurice d'Agaune avant la Grande Peste», in Vallesia 34, 1979, 175-278
  • Das Wallis vor der Gesch., Ausstellungskat. Sitten, 1986, 194 f.
  • Vallis poenina: das Wallis in röm. Zeit, Ausstellungskat. Sitten, 1998, 162-164
  • J.-P. Coutaz, Saint-Sigismond … à chœur ouvert, 535-2001, 2002
Weblinks
Normdateien
GND

Zitiervorschlag

Gaëlle Bourguinet Eggs: "Saint-Maurice (Gemeinde)", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 23.12.2016, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/002774/2016-12-23/, konsultiert am 25.04.2024.