Der Name Russland (Rossija) geht auf die Kiewer Rus zurück, den ersten ostslawischen Staat, der im 9. Jahrhundert zwischen der Ostsee, dem oberen Don und den Karpaten entstanden war. Nach der Mongolenherrschaft (ca. 1240-1480) geriet ein grosser Teil dieses Gebiets unter die Herrschaft des Grossfürstentums Moskau. 1547 wurde der Moskauer Grossfürst Iwan IV. zum Zaren gekrönt. Durch verschiedene Eroberungen (Sibirien, Estland, Livland, nördliche Schwarzmeerküste, östliches Polen, Finnland, Bessarabien, Transkaukasien, Mittelasien, Fernost) entwickelte sich Russland in der Folge zu einem Vielvölkerstaat. Zar Peter der Grosse formte sein Reich ab dem Ende des 17. Jahrhunderts zu einer diplomatisch, wirtschaftlich und kulturell mit Europa verflochtenen Grossmacht. In der Februarrevolution von 1917 (Russische Revolution) kollabierte die Zarenherrschaft. Nach der bolschewistischen Oktoberrevolution 1917 und dem Bürgerkrieg 1918-1920 konsolidierte die kommunistische Führung Anfang der 1920er Jahre ihre Macht. Die im Dezember 1922 ausgerufene Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) umfasste neben der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik unter anderem die heutigen Staaten Zentralasiens sowie Weissrussland und die Ukraine, womit sie das grösste zusammenhängende Staatsgebiet der Erde bildete (Aserbaidschan, Armenien, Estland, Georgien, Kasachstan, Kirgisistan, Lettland, Litauen, Moldawien, Tadschikistan, Turkmenistan, Usbekistan). Mit dem Zerfall des Ostblocks, der das Ende des Kalten Kriegs brachte, wurde die UdSSR am 8. Dezember 1991 aufgelöst. Ihre Rechtsnachfolge trat die Russische Föderation an. Ende 1991 wurde die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten gegründet, der mit Ausnahme der baltischen Staaten alle ehemaligen Sowjetrepubliken beitraten.
Die Zeit des Zarenreichs
Wanderungsbewegungen
Vom Ende des 17. Jahrhunderts bis 1917 wanderten über 20'000 berufstätige Schweizer vorübergehend oder für immer ins Zarenreich aus. Die Ursachen dieser regen Migrationsbewegung liegen einerseits in den in Russland gebotenen Aufstiegschancen begründet, andererseits beruhen sie auf dem in der Schweiz herrschenden Existenzdruck. Schlechte Berufsaussichten in der Heimat förderten beispielsweise die Auswanderung von ledigen Frauen aus mittleren und unteren Schichten, Militärpersonen aus Untertanengebieten oder Käsern, die im 19. Jahrhundert unter der Krise der alpinen Milchwirtschaft litten. Das Zarenreich seinerseits wies mit seinen an Westeuropa orientierten Modernisierungsbestrebungen einen hohen Bedarf an qualifizierten Fachleuten aus. Die Schweizer Auswanderung nach Russland war denn auch stärker als jene nach Amerika eine Spezialistenmigration, die ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts von Offizieren und Hofbeamten, etwas später von Wissenschaftlern, Ärzten, Architekten, Theologen und Zuckerbäckern getragen wurde. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dominierten zunehmend Käser (v.a. aus dem Berner Oberland), Erzieher und Gouvernanten (häufig aus der französischen Schweiz) sowie Kaufleute und Industrielle. In der Frühphase wanderten teilweise prominente Persönlichkeiten der Mittel- oder Oberschicht aus, zum Beispiel der Genfer François Le Fort, der in russischen Diensten eine glänzende Militärkarriere durchlief, oder der Waadtländer Frédéric-César de La Harpe, der als Erzieher des späteren Zaren Alexander I. den Hof für die Belange der Schweiz zu sensibilisieren vermochte. Mit der Eisenbahn erfuhr die Auswanderung der Unterschichten nach 1850 einen Aufschwung.
In den grösseren Städten des Zarenreichs entstanden prosperierende Schweizer Kolonien mit eigenen sozialen Strukturen (Vereine, Hilfsgesellschaften). Im Zuge der russischen Anwerbung und Privilegierung ausländischer bäuerlicher Siedler wurden zu Beginn des 19. Jahrhunderts auch die Schweizer Kolonien Chabag (Schabo in Bessarabien) und Zürichtal (auf der Krim) gegründet. Die Schweizer Russlandwanderer beschrieben die Russen in der Regel als warmherzig und gastfreundlich, sich selbst betrachteten sie als kulturell überlegen, fleissiger und sauberer.
Die vor 1917 in der Schweiz lebenden Russen lassen sich in drei Hauptgruppen unterteilen: erstens adlige Touristen, Kurgäste und Wahlschweizer, zweitens politische Emigranten und Revolutionäre sowie drittens Studierende. Die alpine Landschaft begeisterte russische Reisende, und Tausende von Erholungsuchenden, oft an Tuberkulose leidenden Untertanen des Zaren bevölkerten vor dem Ersten Weltkrieg die Gaststätten und Sanatorien der Schweizer Berggemeinden. Mit Blick auf die zahlreichen Kurgäste errichtete die russische Regierung 1911 eine konsularische Vertretung in Davos. Die touristische Attraktivität der Schweiz wurde mit dem Erstarken der russischen revolutionären Bewegung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von der politischen Anziehungskraft des Landes überlagert. Die bekannte Schweizer Asyltradition und der damit verbundene Schutz vor politischer Verfolgung, die Entfaltungsmöglichkeiten in einem freiheitlich organisierten, mitten in Europa gelegenen Staat sowie die Bildungschancen waren derart attraktiv, dass von den 1860er Jahren an Russen in grosser Zahl in die Schweiz strömten. Es entstand eine politisierte Kolonie, die ihre Zentren vor allem in Zürich und Genf hatte und gemäss Volkszählung von 1910 knapp 8500 Personen umfasste. Frühe prominente Exponenten der russischen politischen Dissidenz in der Schweiz waren die Schriftsteller und Publizisten Alexander Iwanowitsch Herzen (ab 1851 Bürger von Burg bei Murten) und Michail Bakunin. Diesen von Russland weitgehend isolierten oppositionellen Vordenkern folgten nach dem polnischen Aufstand von 1863-1864 jüngere Aktivisten des mittlerweile im Zarenreich entstandenen revolutionären Untergrunds. In der Schweiz lebten und wirkten unter anderen der ehemalige Kommunarde Pjotr Lawrowitsch Lawrow, der Anarchist Pjotr Kropotkin, der gemässigte Wegbereiter der russischen Sozialdemokratie Georgi Walentinowitsch Plechanow, der Theoretiker der menschewistischen Fraktion der Russischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, Pawel Borissowitsch Axelrod, und schliesslich Lenin, der Protagonist der Bolschewiki, der hier sein politisches Denken entscheidend weiterentwickelte.
Die russische Kolonie in der Schweiz verfügte vor dem Ersten Weltkrieg über eigene Kirchen und eine vielfältige, oft nach politischen Parteiungen differenzierte Infrastruktur (Bibliotheken, karitative Einrichtungen). Zentren der revolutionären Emigration bildeten namentlich die meist in Genf angesiedelten russischen Druckereien, in denen antizaristische Publikationen produziert wurden. Ein interessantes Publikum und Rekrutierungsbecken für die politische Dissidenz stellten die russischen Studierenden dar. Von den im Sommersemester 1914 rund 7500 an Schweizer Universitäten immatrikulierten Studierenden waren mehr als ein Viertel russische Untertanen. Besondere Bedeutung kommt den Frauen zu, die im Zarenreich nicht zum universitären Studium zugelassen waren. Die russische Medizinstudentin Nadeschda Suslowa wurde 1867 als erste Frau an der Universität Zürich promoviert. In der Folge machten die Russinnen bis zu vier Fünftel aller Studentinnen in der Schweiz aus.
Das russische Schweizbild war traditionellerweise vom Alpenmythos geprägt. In der direkten Begegnung beschrieben die russischen Emigranten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts die Eidgenossen als ordentlich, sauber und fleissig, aber auch als kalt, geldgierig und geistig limitiert. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs strömten nochmals zahlreiche Exilrussen aus Deutschland und Österreich in die neutrale Eidgenossenschaft. Die wirtschaftliche Not der Kolonie löste eine Repatriierungswelle aus, die nach dem Sturz des Zarenregimes infolge der Heimkehr der politischen Emigranten noch an Stärke gewann. Die Volkszählung von 1920 ermittelte noch knapp 5000 Personen, die der russischen Kolonie in der Schweiz angehörten.
Regierungskontakte
Nach den Koalitionskriegen, die 1799 zu einer militärischen Begegnung zwischen französischen und russischen Truppen in der Schweiz und zur berühmten Alpenüberquerung General Alexander Suworows geführt hatten, setzte sich Zar Alexander I. massgeblich für den Fortbestand einer unabhängigen Schweiz ein. Nach dem Wiener Kongress garantierte Russland im November 1815 gemeinsam mit Österreich, Frankreich, Grossbritannien, Preussen und Portugal die immerwährende Neutralität und die territoriale Integrität der Eidgenossenschaft. In St. Petersburg, dem Sitz des Zaren, wurde die Schweiz im 19. Jahrhundert primär als strategisch bedeutsames Element der europäischen Staatenordnung betrachtet, als stabilisierender Puffer zwischen den Mächten. 1817 konnte die Schweiz durch Russland zum Beitritt zur Heiligen Allianz bewegt werden. Von Interesse war die Eidgenossenschaft auch als zentral gelegener, krisenunabhängiger Beobachtungsposten der russischen Diplomatie im Westen. Umgekehrt war die schweizerische Russlandpolitik hauptsächlich von wirtschaftlichen Interessen geprägt. Das Zarenreich stellte vor dem Ersten Weltkrieg nicht nur ein bedeutendes Auswanderungsziel, sondern auch einen wichtigen Absatzmarkt für Schweizer Produkte dar.
Die unterschiedlichen Zielsetzungen der beiden Staaten spiegelten sich in den offiziellen Vertretungen: Der Zar liess sich in der Eidgenossenschaft ab 1814 durch bevollmächtigte Diplomaten repräsentieren, welche die politische Entwicklung ihres Gastlandes und jene der umliegenden Mächte beobachten sollten. Erster russischer Gesandter in der Schweiz war Ioannes Antonios Kapodistrias. Im Gegensatz dazu begnügte sich die Schweiz im Russischen Reich bis ins 20. Jahrhundert hinein mit ehrenamtlichen konsularischen Vertretungen, die sich um die örtlichen Schweizer Kolonien und den Handel und weniger um Regierungskontakte kümmerten. Ende 1816 wurde ein erster Konsul für St. Petersburg ernannt, 1837 erfolgte die Erhebung des dortigen Postens zum Generalkonsulat; weitere Konsulate entstanden bis zum Ende der Zarenherrschaft in Odessa (1820), Moskau (1828), Riga (1868), Warschau (1875), Tiflis (1883), Kiew (1902) und im finnischen Turku (1914). Erst 1906 wurde in St. Petersburg eine diplomatische Gesandtschaft der Schweiz errichtet.
Während Zar Alexander I. der Schweiz mit Sympathie begegnet war, trübten im Verlauf des 19. und 20. Jahrhunderts vor dem Hintergrund gegensätzlicher Staatskonzepte und konträrer politischer Kulturen vielfältige Spannungen die bilateralen, offiziell meist als ausgezeichnet bezeichneten Beziehungen. Seit jeher galt die russische Autokratie den Schweizern als negativer, despotischer Gegenpol zum eigenen freiheitlichen Staatsverständnis. Mit der Errichtung des liberalen Bundesstaats 1848 wurde der latente ideologische Gegensatz offiziell. St. Petersburg interpretierte die eigenmächtige Umgestaltung der Eidgenossenschaft als Akt politischer Dekadenz und als Verstoss gegen die Beschlüsse des Wiener Kongresses. Streitpunkt war namentlich die eingeschränkte Souveränität der Kantone. Das Zarenregime fror den diplomatischen Kontakt ein, suspendierte im Januar 1848 seine Neutralitätsgarantie und anerkannte die Schweiz in ihrer neuen Form erst 1855. Mit dem Aufflammen der revolutionären Bewegung in Russland rückten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die in der Schweiz lebenden russischen Dissidenten und die liberale schweizerische Asylpolitik ins Zentrum der wechselseitigen Beziehungen. Bereits 1823 hatte Russland zusammen mit den anderen konservativen Mächten die Tagsatzung unter Druck gesetzt und erreicht, dass das Asylrecht und die Pressefreiheit durch das Presse- und Fremdenkonklusum vorübergehend eingeschränkt wurden. Nun versuchte das autoritäre Zarenregime, seine emigrierten Untertanen mittels eines Netzes von Geheimagenten zu kontrollieren und an der Entfaltung einer schlagkräftigen Exilopposition zu hindern. Die russische Regierung verlangte von den Schweizer Behörden strengere Ausländerkontrollen, polizeiliche Kooperation und die prompte Auslieferung russischer Delinquenten. Der Bundesrat, den Russland von Anfang an verdächtigt hatte, die revolutionären Bestrebungen zu begünstigen, hielt nicht zuletzt unter dem Druck einer liberal gesinnten schweizerischen Öffentlichkeit an den auch Ausländern zugestandenen Freiheitsrechten und an der traditionellen Nichtauslieferung politisch Verfolgter fest.
Zwischen den verhärteten Fronten der offiziellen Positionen entwickelten die beiden Regierungen eine rege pragmatische Kooperation, die informelle politische Kompromisse ebenso einschloss wie den Ausbau der administrativen Zusammenarbeit. Im Asylbereich boten die Schweizer Behörden beispielsweise Hand dazu, den 1872 in Zürich verhafteten Revolutionär Sergei Gennadjewitsch Netschajew nicht als politisch Verfolgten, sondern als gewöhnlichen Kriminellen zu betrachten und an Russland auszuliefern. 1873 unterzeichneten die beiden Staaten einen auf russische Initiative hin ausgehandelten Vertrag, der unter expliziter Ausklammerung der politischen Fälle die wechselseitige Auslieferung von Verbrechern regelte; 1908 folgte ein Zusatz zur Auslieferung von Sprengstoffdelinquenten. 1904 verpflichtete sich der Bundesrat, die administrativen Bestimmungen eines in St. Petersburg unterzeichneten multilateralen Geheimabkommens gegen den Anarchismus zu übernehmen.
Rechtsgrundlage der Schweizer Wirtschaftsinteressen im Zarenreich wurde der 1872 abgeschlossene Handels- und Niederlassungsvertrag, der den Angehörigen des einen Staates auf dem Territorium des jeweils anderen die Handels-, Gewerbe- und Niederlassungsfreiheit, den freien Grundstückerwerb und -verkauf, die Befreiung vom obligatorischen Militärdienst, die Gleichstellung vor dem Gesetz und die Meistbegünstigung in allen Fragen der Besteuerung, des Handels und der Niederlassung zusicherte. Von Anfang an durch zahlreiche russische Sonderbestimmungen unterminiert, wurde der Vertrag 1917 von der Provisorischen Regierung in Petrograd (1914-1924 Name für St. Petersburg) aufgekündigt und vom späteren Sowjetregime nicht mehr erneuert. Weitere Vereinbarungen zwischen der Schweiz und dem Zarenreich betrafen die Erleichterungen im Personenverkehr (1830, 1864), die Etablierung direkter Postverbindungen (1872), den Markenschutz (1899) und die rechtliche Stellung von Aktien- und anderen Handels-, Industrie- und Finanzgesellschaften (1903). Die beiden Regierungen waren ferner durch verschiedene, nicht selten unter schweizerischer Verwaltung stehende internationale Institutionen oder Organisationen miteinander verbunden (u.a. Genfer Konvention, Rotes Kreuz, Weltpostverein).
Wirtschaftlicher und kultureller Austausch
Bis 1917 wurden im Zarenreich rund 300 Schweizer Industriebetriebe gegründet, namentlich in der Maschinen-, Lebensmittel- und Textilindustrie. Zentren schweizerischer Produktion waren die Regionen Moskau und St. Petersburg sowie die Ukraine. 1917 belief sich das im Zarenreich investierte schweizerische Kapital auf über 300 Mio. Franken. Schweizer Unternehmer erbrachten verschiedene wirtschaftliche Pionierleistungen, etwa mit der Einführung der Walzendruckerei oder der mechanischen Teppichweberei sowie mit der Gründung der ersten Uhren- und der ersten Glühlampenfabrik. Fachleute aus der Schweiz, etwa Käser aus dem Kanton Bern, trugen zur Modernisierung der russischen Produktion bei.
Der schweizerische Technologietransfer nach Russland kommt auch in den Handelsgütern zum Ausdruck: Während die Schweiz aus dem Zarenreich vorwiegend Rohstoffe (Getreide, Öle, Metalle, Leinen, Hanf) importierte, war Russland einer der bedeutendsten Abnehmer schweizerischer Fertigprodukte (Uhren, Käse, Textilien, Maschinen, Fahrzeuge, Präzisionsinstrumente, Chemikalien). In den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg wuchs das absolute Handelsvolumen markant, und auch der relative Stellenwert des russischen Marktes für die schweizerische Exportwirtschaft erhöhte sich. 1913 beliefen sich die Schweizer Importe aus Russland auf 71,5 Mio. Franken, die Exporte nach Russland auf 58,7 Mio. Franken. Mit dem Ersten Weltkrieg und den Russischen Revolutionen brach der Handel ein.
Der kulturelle Austausch gründete einerseits auf der wechselseitigen Rezeption literarischer und wissenschaftlicher Werke, andererseits war er eng mit den Migrationsbewegungen verbunden. Unter dem Eindruck der "Briefe eines reisenden Russen" von Nikolai Michailowitsch Karamzin, aber auch der Schriften Albrecht von Hallers, Salomon Gessners und Jean-Jacques Rousseaus entwickelte die russische Bildungselite im 18. Jahrhundert ein (bis heute nachwirkendes) Schweizbild, das die Eidgenossen als glückliche Bewohner einer idyllischen Alpenwelt verklärt. Zahlreiche russische Schriftsteller und Künstler befassten sich in ihren Werken mit der Schweiz, so der Dichter Wassili Andrejewitsch Schukowski, der Maler Iwan Iwanowitsch Schischkin oder Fjodor Michailowitsch Dostojewski. Schweizer Hauslehrer, Erzieher und Gouvernanten trugen westeuropäisches Gedankengut in die russischen Adelshäuser. Schweizer Pastoren betreuten evangelische Kirchgemeinden in St. Petersburg, Moskau, Südrussland und an der Wolga. Die Tessiner Baumeister (Maestranze) Domenico Trezzini und Domenico Gilardi prägten als Hofarchitekten des Zaren die Stadtbilder St. Petersburgs (1703 gegründet) und Moskaus (1812 durch einen Brand zerstört). Gelehrte aus Basel wirkten früh an der Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg, so die Mathematiker Daniel Bernoulli, Leonhard Euler und Niklaus Fuss. Umgekehrt beeinflusste die Anwesenheit russischer Künstler, Schriftsteller und Publizisten das Geistesleben der Schweiz. Die politischen Druckschriften der Emigranten aus dem Zarenreich blieben in Genf und Zürich nicht ohne Resonanz. Unbestritten ist der ideelle Einfluss, den die russische Dissidenz auf die schweizerische Arbeiterschaft ausübte. Eine organisatorische Verstrickung der sowjetischen Emissäre in den Landesstreik von 1918 konnte hingegen nie nachgewiesen werden. Im Bereich der bildenden Künste findet sich das russische Malerpaar Marianne von Werefkin und Alexej von Jawlensky unter den Protagonisten des Zürcher Dadaismus.
Die UdSSR (1918-1991)
Zwischenstaatliche Beziehungen
Als sich im Februar 1918 die Meldungen über materielle Schädigungen von Schweizern in Russland häuften, erwog der Bundesrat die Konfiszierung russischer Vermögen in der Schweiz, sah dann jedoch von dieser Massnahme ab. Zudem befürchteten Schweizer Banken, dass in der Folge auch das Kapital aus anderen Ländern, in denen eine sozialistische Machtübernahme bevorzustehen schien, abwandern könnte. Die unsichere Haltung der Schweizer Regierung gegenüber dem neuen russischen Regime zeigte sich erneut nach der Ernennung Jonas Salkinds im Januar 1918 zum bevollmächtigten Vertreter der Sowjetregierung in der Schweiz. Um die Russlandschweizer nicht noch stärker zu gefährden, wurde dieser akkreditiert, was faktisch der Aufnahme von Beziehungen gleichkam. Ab Herbst 1918 stand die Schweizer Regierung unter innerem und äusserem Druck. Wegen vermuteter Verstrickungen in den Landesstreik und in revolutionäre Unruhen brach sie die Beziehungen zu den Sowjetbehörden im November 1918 ab. Jan Antonovic Berzin, der Salkind nach wenigen Monaten abgelöst hatte, wurde des Landes verwiesen.
Die Sowjetregierung reagierte harsch und verweigerte fortan zahlreichen Schweizern die Ausreise. Am 19. November 1918 wurde in Petrograd ein Schweizer Depot ausgeraubt, in dem das Vermögen von Russlandschweizern und die Gesandtschaftsakten aufbewahrt gewesen waren. Die Tat wurde als mutmassliche Reaktion auf die Ausweisung Berzins gedeutet. Die Schweizer Vertretung legte Protest ein und verliess das Land. Daraufhin drohte Sowjetrussland der Schweiz, bot ihr aber gleichzeitig an, die gestohlenen Millionen zurückzuerstatten. Der Bundesrat blieb unter dem innenpolitischen Druck und demjenigen der Entente hart, ohne sich an der alliierten Blockade gegen Sowjetrussland zu beteiligen. 1922, nachdem alle Ententemächte die Sowjetregierung de facto anerkannt hatten, machte sich hauptsächlich aus wirtschaftlichen Gründen auch in der Schweiz eine Mehrheit für eine Wiederbelebung der Beziehungen stark.
Die Conradi-Affäre machte diese Bestrebungen zunichte: Am 10. Mai 1923 erschoss der exilierte Russlandschweizer Moritz Conradi in Lausanne an der Meerengen-Konferenz den sowjetischen Diplomaten Vaclav Worowsky. Der Bundesrat verzichtete darauf, der Sowjetregierung zu kondolieren, da er deren Anerkennung verweigert hatte. Die UdSSR brach darauf jeglichen Kontakt mit der Schweiz ab, erliess einen Handelsboykott und erteilte nur noch Proletariern eine Einreiseerlaubnis. Als Conradi vom Lausanner Geschworenengericht freigesprochen wurde, gab die Sowjetunion bekannt, in Zukunft aus Sicherheitsgründen keine Gesandten mehr an internationale Konferenzen in die Schweiz zu schicken. Davon war vor allem die Konferenzstadt Genf betroffen, da in der Folge Konferenzen ins Ausland verlegt werden mussten.
Sowohl die politische Linke wie auch Unternehmerkreise setzten sich wiederholt für eine Wiederherstellung der Beziehungen zur UdSSR ein. Diesbezügliche Versuche scheiterten jedoch regelmässig am Widerstand antikommunistischer Kreise (Antikommunismus). Erst 1927 unterschrieben die beiden Staaten eine Note zur Aufhebung der gegenseitigen Blockademassnahmen. Fortan schickte die UdSSR wieder Delegationen an Genfer Konferenzen. Einen weiteren Tiefpunkt erreichte das Verhältnis zu Russland, als Moskau 1934 den Völkerbund um Aufnahme ersuchte. Die Schweizer Delegation stimmte zusammen mit den polnischen und den niederländischen Vertretern gegen den Beitritt der Sowjetunion. Bundesrat Giuseppe Motta rechtfertigte das Schweizer Nein in einer flammenden Rede gegen den Kommunismus und die Sowjetunion. Damit war der Elan jener, die sich für eine Normalisierung der Beziehungen einsetzten, gebrochen.
Einziges Bindeglied zwischen den beiden Staaten bildete das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK). Der IKRK-Delegierte in Moskau kümmerte sich um die konsularischen Angelegenheiten der Russlandschweizer und vermittelte diesen in Zusammenarbeit mit dem Schweizer Konsulat in Riga Lebensmittelpakete. Mitte der 1930er Jahre verwendete der damalige IKRK-Delegierte in Moskau, Woldemar Wehrlin, fast zwei Drittel seiner Zeit für die Unterstützung und Heimschaffung von Russlandschweizern. 1937 hob das IKRK seine Vertretung in Moskau schliesslich auf, weil die Schweiz eine Subventionserhöhung verweigert hatte. Die UdSSR hatte diese Vertretung einerseits gebilligt, weil Wehrlin vorsichtig aufgetreten war, andererseits war mit Sergius Bagocki bis 1937 ein Vertreter des russischen Roten Kreuzes in der Schweiz geduldet worden.
Nach dem Hitler-Stalin-Pakt vom August 1939 und dem Ausbruch des sowjetisch-finnischen Winterkriegs im November 1939 stand eine Anerkennung der UdSSR für die Schweiz ausser Frage. Auch die SP rückte nun von der Sowjetunion ab, deren imperialistische Politik sie verurteilte. Im November 1940 wurden sämtliche kommunistischen Organe verboten, neben der Kommunistischen Partei der Schweiz (KPS) auch der Bund der Freunde der Sowjetunion und verschiedene Vereine. Trotzdem wurden wegen der gegenseitigen wirtschaftlichen Interessen Anfang 1941 in Moskau direkte Verhandlungen geführt und es kam zum Abschluss eines Vertrags über den kompensatorischen Warenverkehr zwischen der Schweiz und der UdSSR. Obwohl die Öffentlichkeit darüber nicht informiert wurde, bedeutete der Vertrag de facto die Wiederherstellung der Beziehungen. Die mit dem Abkommen gehegten beidseitigen Hoffnungen wurden jedoch mit dem Angriff Deutschlands auf die UdSSR im Juni 1941 zerschlagen. Zudem erregte die vorsorgliche Zahlungssperre und Blockierung sowjetischer Vermögenswerte zur Sicherung der schweizerischen Forderungen das Missfallen der Sowjetregierung. In der Folge lehnte die UdSSR schweizerische Gesprächsangebote mit der Begründung ab, die Schweiz solle zuerst ihre Bande zu Deutschland lösen. Zudem sei die Sowjetunion nur an echten Beziehungen interessiert, nicht an geheimen wirtschaftlichen Arrangements, von denen Deutschland nichts wissen dürfe. Mit den militärischen Erfolgen der UdSSR traten die ideologischen Vorbehalte in den Hintergrund. Aber noch 1944 konnte sich die Schweiz nicht zu direkten Verhandlungen mit der UdSSR durchringen. Als der Schweizer Gesandte in London, Paul Ruegger, Ende 1944 in einem sogenannten Aide mémoire die militärischen Erfolge der UdSSR nicht erwähnte, antwortete diese indirekt, indem Radio Moskau am 4. November 1944 feststellte, die Schweiz habe sich für ihre antisowjetische Politik der vergangenen Jahre nicht entschuldigt und die Verdienste der UdSSR im Kampf gegen den Nationalsozialismus nicht anerkannt. Deshalb lehne Moskau den Vorschlag ab, die diplomatischen Beziehungen wiederherzustellen. Daraufhin verlor der umstrittene freisinnige Bundesrat Marcel Pilet-Golaz auch in seiner eigenen Partei zunehmend an Unterstützung und trat im Dezember 1944 zurück.
Im Frühjahr 1945 häuften sich die Klagen über die schlechte Behandlung der beinahe 10'000 sowjetischen Internierten, die aus deutschen Gefangenenlagern in die Schweiz geflohen waren. Im Herbst 1945 wurden diese teilweise zurückgeführt. 1946 verlangte die UdSSR die Heimschaffung auch jener ehemaligen sowjetischen Internierten in der Schweiz, die nicht in die UdSSR zurückkehren wollten, was die Schweiz jedoch ablehnte. Im März 1946 schliesslich nahmen die beiden Länder in Belgrad offizielle Beziehungen auf, nachdem die Schweiz ihr Bedauern über ihre Haltung während der vergangenen Jahre ausgedrückt hatte. Die Kontakte entwickelten sich korrekt, vertieften sich jedoch nicht. 1956 wertete die Sowjetunion ihre Gesandtschaft in Bern zu einer Botschaft auf, ein Jahr später tat der Bundesrat dasselbe mit der Schweizer Gesandtschaft in Moskau. Althergebrachte Probleme belasteten die Beziehung weiterhin: Die Sowjetregierung weigerte sich, über Entschädigungen für die Enteignungen von Schweizer Eigentum aus der Revolutionszeit zu verhandeln. Auch für Übergriffe der Roten Armee auf Schweizer Eigentum in anderen Ländern wollte Moskau nicht aufkommen.
Nachdem die Rote Armee im Herbst 1956 den Volksaufstand in Ungarn blutig niedergeschlagen hatte, kam es in Schweizer Städten zu Protestdemonstrationen gegen die UdSSR, die wochenlang andauerten und von allen grossen Parteien unterstützt wurden. Gleiches geschah im Sommer 1968, als Truppen des Warschauer Pakts auf Befehl der Sowjetunion die Tschechoslowakei besetzten. Die Schweiz nahm aus beiden Ländern je rund 12'000 Flüchtlinge auf.
Wanderungsbewegungen
Nach der Russischen Revolution von 1917 und den Enteignungsmassnahmen der Bolschewiki kehrten etwa 8000 oft mittellos gewordene Russlandschweizer in ihre alte Heimat zurück. Zu ihrer Unterstützung und zur Registrierung schweizerischer Ansprüche in Russland wurde im Oktober 1918 die halbstaatliche Schweizerische Hilfs- und Kreditorengenossenschaft für Russland (Secrusse) gegründet. Die Lage der in der UdSSR Verbliebenen verschlechterte sich zusehends: Requisitionen, Gerüchte um die Einführung einer Revolutionssteuer und die Versorgungskrise setzten der Kolonie zu. Die Lage spitzte sich zu, als die Sowjetunion dem diplomatischen Personal der Schweiz nach der Ausweisung Berzins die Ausreise aus Russland verweigerte. Die Schweiz zog nach und hielt einige sowjetische Staatsbürger – vor allem Frauen und Kinder von Funktionären – von der Ausreise ab. Erst im Februar 1919 erreichten die beiden Seiten eine Einigung. Ausreisewillige Russlandschweizer durften heimkehren und der Ausreise der Russen in der Schweiz stand nichts mehr im Weg. Prekär war zu dieser Zeit auch die Lage der Exilrussen in der Schweiz, die ihre Vermögen aufgebraucht hatten. 2000 von insgesamt 5000 Personen waren bereits 1920 unterstützungsbedürftig.
In den 1920er und den frühen 1930er Jahren emigrierten Schweizer Kommunarden (u.a. unter der Leitung von Fritz Platten) und Linksintellektuelle, darunter einige Architekten, in die UdSSR, um am Aufbau der kommunistischen Gesellschaft teilzunehmen. Eine Gruppe arbeitsloser Schweizer Uhrenarbeiter versuchte 1937 ihr Glück in der Sowjetunion. 1938 wurden alle Ausländer aus Russland ausgewiesen, einige gerieten in die Mühlen des stalinistischen Terrors. Nach dem Zweiten Weltkrieg befanden sich noch schätzungsweise knapp 1000 Schweizer Bürger in der UdSSR, beim Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 waren es noch rund 100.
Wirtschaftsbeziehungen
Wegen der fehlenden diplomatischen Beziehungen bewegte sich der wirtschaftliche Austausch mit der UdSSR bis nach dem Zweiten Weltkrieg auf tiefem Niveau. Der Wiederaufnahme der Beziehungen folgte ein Aufschwung, der bis kurz nach Abschluss des ersten Handelsvertrags vom 17. März 1948 andauerte. Danach entwickelten sich die Wirtschaftsbeziehungen bis zum Ende der Sowjetunion trotz vielfältiger Bemühungen enttäuschend. Die Ein- und Ausfuhren stagnierten über die gesamte Zeit bei einem bis zwei Prozent des schweizerischen Aussenhandels; nur in einzelnen Sektoren, etwa bei den Maschinen- und Chemieprodukten sowie bei den Brennstoffen, erreichten die gegenseitigen Lieferungen zeitweise beachtliche Ausmasse. Die Bildung der schweizerisch-sowjetischen Gemischten Kommission für wissenschaftlich-technische, industrielle und wirtschaftliche Zusammenarbeit im März 1973 förderte den Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen. Nach jahrzehntelanger Absenz wurden Schweizer Unternehmen wieder in der UdSSR aktiv. Ab der zweiten Hälfte der 1980er Jahre ermöglichte die Politik der Perestroika Joint Ventures schweizerischer und sowjetischer Unternehmen. Im August 1991 operierten in der Sowjetunion 36 Joint Ventures mit Schweizer Beteiligung, die in unterschiedlichen Bereichen tätig waren, etwa in der Pelzverarbeitung, der Produktion von Fahrzeugkränen oder von Trockenkonzentrat für Softeis. Viele dieser Joint Ventures bildeten nach dem Ende der Sowjetunion die Grundlage für weiterführende Engagements von Schweizer Unternehmen.
Kulturelle Bande und geistiger Austausch
Schweizer Literatur des 20. Jahrhunderts – etwa jene von Carl Spitteler, Robert Walser, Charles Ferdinand Ramuz, Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch – erfreute sich in der UdSSR grosser Aufmerksamkeit. Die Anthroposophie Rudolf Steiners übte zeitweise eine grosse Anziehungskraft auf die russischen Dichter Andrei Bely und Maximilian Woloschin aus. Im Leben des russischen Musikers und Komponisten Sergei Rachmaninow, der die Schweiz bereits in seiner Jugend kennengelernt hatte und sie mehrmals besuchte, spielte das Land eine bedeutende Rolle. Der Pianist und Komponist Sergei Prokofjew stand in regem Austausch mit dem Schweizer Ernest Ansermet. 1934 wurde die im selben Jahr in Leningrad und Moskau uraufgeführte Oper "Katerina Ismailowa" von Dimitri Schostakowitsch sehr zum Missfallen Stalins in Zürich gespielt.
Die kulturellen Beziehungen nach 1945 konzentrierten sich zunächst auf die Verbreitung des sowjetischen Films in der Schweiz bzw. des Schweizer Films in Russland. Ansonsten litt der kulturelle Austausch unter dem Kalten Krieg. Vielen Schweizer Kulturschaffenden war es untersagt, Einladungen aus der UdSSR anzunehmen. Andererseits standen Kulturschaffende aus der Sowjetunion unter dem Verdacht der Spionagetätigkeit. Erst in den 1960er Jahren wurden die kulturellen Beziehungen enger. Auf Russisch erschienen Bücher über Schweizer Architekten (u.a. Le Corbusier) und Maler (Ferdinand Hodler und Hans Erni) sowie über Schweizer Geschichte und Literatur. Der sowjetische Dissident Alexander Issajewitsch Solschenizyn traf nach seiner Ausbürgerung im Februar 1974 in der Schweiz ein. Er lebte zwei Jahre in Zürich, bevor er in die USA weiterreiste. Bereits 1961 hatte sich Vladimir Nabokov am Genfersee niedergelassen. Mitte der 1970er Jahre lebten somit mit Solschenizyn und Nabokov zwei der wichtigsten Gegenwartsautoren der russischen Literatur in der Schweiz.
Feindbilder und Illusionen
Sowohl die wirtschaftlichen als auch die politischen und kulturellen Beziehungen zwischen der Schweiz und der UdSSR standen unter dem Einfluss oftmals ideologisch eingefärbter Wahrnehmungen. Aus Sicht der Sowjetunion war die Schweiz stets Teil des kapitalistischen Westens. Während Lenin die schweizerische Neutralität noch als "bourgeoisen Betrug" und "Heuchelei" bezeichnet hatte, erkannte der Kreml nach dem Zweiten Weltkrieg in der Neutralität die Möglichkeit, Länder aus der unmittelbaren Einflusssphäre der USA herauszulösen und oktroyierte Österreich 1955 einen Neutralitätsstatus nach Schweizer Vorbild auf. Das Ansehen der schweizerischen Neutralität in der UdSSR sank allerdings rapide, als im Juli 1958 die Pläne des Bundesrats zur Beschaffung von Atomwaffen bekannt wurden. Trotzdem wurde die Schweiz als Verhandlungsort zwischen Ost und West akzeptiert.
In der Schweiz betätigten sich stets antikommunistische bzw. antisowjetische Bewegungen. So versuchte die seit 1924 bestehende Entente internationale contre la IIIe Internationale, die sogenannte Liga Aubert, von Genf aus gegen die UdSSR Stimmung zu machen. Wegen ihrer Zusammenarbeit mit nationalsozialistischen Kreisen verlor sie Ende der 1930er Jahre einen grossen Teil ihres Kredits. Auch nach dem Krieg bestand eine der Hauptaufgaben des Schweizerischen Aufklärungsdienstes darin, die Öffentlichkeit über die Diktatur in der UdSSR zu informieren und gegen die kommunistische Linke in der Schweiz Stimmung zu machen. Obwohl der politische Einfluss dieser Bewegungen beschränkt blieb, etablierte sich die kommunistische UdSSR als Feindbild. Im Zug der Geistigen Landesverteidigung löste die "rote Gefahr" aus dem Osten ab 1945 den Nationalsozialismus als Bedrohungsszenario ab. Kampagnen gegen den Osthandel, beispielsweise nach dem Ungarnaufstand von 1956, fügten den ohnehin labilen bilateralen Beziehungen zusätzlich Schaden zu. Offen prosowjetisch war nur die Partei der Arbeit (PdA), die 1944 als Nachfolgerin der im Krieg verbotenen Kommunistischen Partei der Schweiz (KPS) gegründet worden war. Unter dem Eindruck der Erfolge der Roten Armee hatte die PdA 1945 während kurzer Zeit fast 20'000 Mitglieder, mit dem Imageverlust der UdSSR verlor sie jedoch ab 1968 völlig an Bedeutung.
Russland nach 1991
Die Reaktion der Schweiz auf den Zusammenbruch der Sowjetunion bestand vor allem im Protest gegen das militärische Eingreifen der Roten Armee in den baltischen Staaten im Januar 1991. Anschliessend beteiligte sich die Schweizer Diplomatie daran, die Russische Föderation in die Staatenwelt einzubinden. 1996, als die Schweiz die OSZE präsidierte, bestanden enge Kontakte. Der von Russland angestrebte Beitritt zur WTO bildete regelmässig ein Thema der bilateralen Gespräche. Die Nationalräte Ernst Mühlemann und Andreas Gross versuchten als Berichterstatter des Europarats unter anderem zur Lösung des Konflikts in Tschetschenien beizutragen. Zur Unterstützung des Transformationsprozesses leistete die Schweiz zwischen 1994 und 2005 knapp 200 Mio. Franken an Finanzhilfe sowie technischer und humanitärer Hilfe. Der bilaterale Handel entwickelte sich stark. Russland exportierte chemische Produkte, Edelmetalle und Energieträger in die Schweiz und führte im Gegenzug pharmazeutische Produkte und Maschinen ein. 2008 beliefen sich die Exporte aus der Schweiz auf 3180 Mio. Franken, die Importe aus der Russischen Föderation auf 1053 Mio. Franken (davon 8% Energieträger). In Bezug auf Direktinvestitionen blieben Schweizer Unternehmen vor allem wegen rechtsstaatlicher Bedenken zurückhaltend. Ende 2007 beliefen sich die Direktinvestitionen dennoch auf 5639 Mio. Franken. In der Schweiz sind russische Investoren vor allem in den Handelszentren für Erdöl-, Erdgas- und Rohstoffhandel (Genf und Zug) präsent. Sie haben auch Anteile an Schweizer Firmen wie der Sulzer AG, Holcim AG oder der OC Oerlikon (Viktor Vekselberg) erworben. Mehrfach sorgten Verhaftungen russischer Staatsbürger für Misstöne zwischen der Schweiz und Russland. Seit den 1990er Jahren wurden Städtepartnerschaften eingegangen. Auch Krankenhäuser, Bildungseinrichtungen, Verwaltungseinheiten, Museen und Kirchgemeinden beider Länder pflegen Beziehungen. Ende des 20. Jahrhunderts wurde die Schweiz zum beliebten Ziel russischer Touristen und Geschäftsleute. 2008 lebten rund 800 Schweizer in Russland, 8500 Russen wohnten in der Schweiz. Aufgrund der intensiveren Beziehungen auf allen Ebenen wertete die Schweiz ihr Honorarkonsulat in St. Petersburg 2006 zum Generalkonsulat auf. 2009 verfasste die Schweizer Diplomatin Heidi Tagliavini als Leiterin einer von der EU einberufenen internationalen Untersuchungskommission einen Bericht zum Georgienkrieg.
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Variante(n) | Sowjetunion
UdSSR
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