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Wien

Wien, Hauptstadt Österreichs und seit 1921 auch österreichisches Bundesland (2013 1,75 Mio. Einwohner), war nach dem Sieg König Rudolfs I. über König Ottokar II. von Böhmen 1278 Residenzstadt der Habsburger. Mit der Wahl Herzog Albrechts V. zum deutschen König 1438 wurde die Stadt politischer Mittelpunkt des Heiligen Römischen Reichs und war von 1536 bis zum Ende des Alten Reichs 1806 permanenter Herrschaftssitz des Kaisers.

Das Verhältnis der eidgenössischen und der zugewandten Orte zu Wien war bis zum Wiener Kongress 1815 wegen des Interessengegensatzes zu Habsburg durch politische Spannungen belastet. Trotzdem setzte schon im letzten Viertel des 14. Jahrhunderts der Zustrom von Studenten aus der Deutschschweiz an die 1365 von Herzog Rudolf IV. gegründete Universität ein. Für Geistliche aus der Diözese Konstanz war die Wiener Hochschule 1431-1460 die wichtigste universitäre Ausbildungsstätte. Bis 1530 waren 181 Studenten aus Deutschschweizer Städten in Wien: 49 St. Galler, 46 Basler, 39 Zürcher, 22 Churer, 16 Schaffhauser, acht Berner und ein Luzerner. 1516-1517 wirkte Joachim von Watt (Vadian) als Rektor der Universität Wien. Durch ihn sowie seine Schüler und Freunde wurde die Wiener Hochschule zu einer Wiege des schweizerischen Humanismus, der die Reformation in der Deutschschweiz beeinflusste. In nachreformatorischer Zeit stammten die Studenten fast nur aus katholischen Regionen, zum Beispiel dem Wallis. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ist eine gegenläufige Migration von Wiener Medizin- und Rechtsstudenten an die Promotionsuniversität Basel festzustellen.

Auch die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Wien und einzelnen Orten der Eidgenossenschaft waren von Bedeutung, zum Beispiel der Leinwandhandel mit der Stadt St. Gallen. Während sich der Basler Peter Ochs (1729-1804) in Wien erfolgreich im Wechsel- und Kreditgeschäft betätigte, war die auf den Merkantilismus Josephs II. zurückgehende Ansiedlung einer Schweizer Uhrmacherkolonie in Wien ein Misserfolg.

Von 1750 bis in die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts verlor der Studienort Wien zwar an Attraktivität, doch setzten sich gelehrte Beziehungen fort, zum Beispiel mit Albrecht von Haller. Im späten 19. Jahrhundert nahm der Austausch in Kunst und Wissenschaft, begünstigt durch die neuen technischen und künstlerischen Fachhochschulen, einen Aufschwung. Ferdinand Hodler etablierte sich 1904 mit einer unter der Ägide der Wiener Sezession veranstalteten Ausstellung als international anerkannter Künstler. Die aus Wien stammenden späteren Nobelpreisträger Erwin Schrödinger und Wolfgang Pauli lehrten in Zürich, die Schweizer Dozenten Carl Stooss und Justus Dahinden an Wiener Hochschulen. Der aus Wien gebürtige Leopold Lindtberg prägte ab 1933 das Schweizer Theaterschaffen wesentlich und schuf bis 1953 herausragende Schweizer Spielfilme. Schon früh fand die Freud'sche Psychoanalyse Aufnahme in der Schweiz (Eugen Bleuler, Oskar Pfister); zwischen Sigmund Freud und dem Vertreter der analytischen Psychologie, dem Schweizer Carl Gustav Jung, kam es aber 1913 zum Bruch.

Seit 1802 gibt es in Wien eine Schweizer Gesandtschaft, die bis 1848 von Geschäftsträgern geleitet wurde. 1919 organisierte das Schweizerische Rote Kreuz eine Lebensmittellieferung für das vom Krieg betroffene Wien, und nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt die Stadt Hilfe von der Schweizer Spende an die Kriegsgeschädigten. In der Nachkriegszeit erlangte Wien, zeitweise in Konkurrenz zu Genf, als Sitz internationaler Organisationen (UN-Office, Internationale Atomenergie-Organisation, Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung, seit 1992 OSZE) vermehrt multilaterale Bedeutung für die schweizerische Aussenpolitik. Ende 2009 hatten mindestens 3660 hauptsächlich in Handel und Tourismus tätige Schweizer und Schweizerinnen ihren Wohnsitz in Wien. Auch dank verbesserter Verkehrsbedingungen nimmt die Stadt als Kulturmetropole sowie für den Tourismus aus und nach der Schweiz einen wichtigen Platz ein.

Quellen und Literatur

  • P. Staerkle, Beitr. zur spätma. Bildungsgesch. St. Gallens, 1939
  • R. Till, «Die Schweizer Uhrmacherkolonie in Wien», in ZSG 30, 1950, 46-70
  • C. Bonorand, «Die Bedeutung der Univ. Wien für Humanismus und Reformation, insbes. in der Ostschweiz», in Zwingliana 12, 1964-68, 162-180
  • F. Maissen, «Bündner Studenten in Wien 1386-1774», in Fs. Oskar Vasella, 1964, 119-141
  • F. Maissen, A. Gattlen, «Verz. der an der Univ. Wien immatrikulierten Walliser Studenten (1377-1794)», in Vallesia 22, 1967, 135-150
  • B. Immenhauser, Bildungswege – Lebenswege, 2007
Weblinks
Normdateien
GND

Zitiervorschlag

Hanspeter Marti: "Wien", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 29.10.2013. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/006609/2013-10-29/, konsultiert am 28.03.2024.