Savoyen hiess ab 1160 die Grafschaft bzw. ab 1416 das Herzogtum des im 11. Jahrhundert entstandenen Hauses Savoyen. Der Name wurde auch später weiterverwendet: Nachdem Frankreich für seinen Beitrag zur italienischen Einigung das ehemalige Savoyen erhalten hatte, schuf es auf diesem Gebiet 1860 die zwei Departemente Savoyen und Hochsavoyen.
Vom Mittelalter bis 1536
Das Gebiet von Savoyen deckte sich nur teilweise mit der ab 443 burgundischen Sapaudia, obwohl sich sein Name davon ableitet. Die Sapaudia wurde 534 annektiert und als Saboia ins merowingische Königreich eingegliedert. Ab 751 gehörte sie zum Karolingerreich, ab 888 zum Zweiten Königreich Burgund und ab 1032 zum Heiligen Römischen Reich .
Von der Bildung der Grafschaft bis zur Errichtung des Herzogtums
Das Geschlecht und die Herrschaft der Savoyer wurde zu Beginn des 11. Jahrhunderts von Graf Humbert begründet. Als Vertrauter Rudolfs III. gereichte ihm die Anerkennung des Königtums der Rudolfinger durch die geistlichen und weltlichen Herren zum Vorteil. Das Territorium der Grafschaft entstand rund um die Ländereien der Familie, die vorwiegend im Bugey und im Grésivaudan lagen. Mitglieder von Humberts Familie und jener seiner Frau besetzten zahlreiche wichtige Ämter wie jene des Bischofs von Belley, des Erzbischofs von Vienne und Grafen des Viennois sowie des Bischofs und Grafen des Aostatals. Humbert selbst verwaltete das Bugey und Savoyen, später erhielt er noch die Grafschaften Aosta und Maurienne. Sein Sohn Aimo war Bischof und Graf des Wallis. Die Heirat eines weiteren Sohns, Odon, mit Adelheid, der Tochter des Markgrafen von Turin, brachte ihm das Susatal sowie das Piemont ein, wodurch sich das Haus Savoyen am südlichen Alpenhang festsetzte und sich die Herrschaft über die Alpenpässe (Mont-Cenis, Grosser St. Bernhard) sicherte. Die Dynastie erwarb das Chablais und im 12. Jahrhundert die Tarentaise. Thomas I. (1189-1233) begann, den savoyischen Machtbereich ins Waadtland auszudehnen und den Einfluss im Wallis zu verstärken. Peter II. (1263-1268) nahm diese Politik wieder auf. Bereits 1260 hatte er mit dem Vertrag von Conthey das gesamte Territorium bis zur Morge bei Conthey erhalten. Durch seine Heirat war er in den Besitz des Faucigny und damit einer Verbindung zwischen dem Chablais und der Tarentaise gelangt, verlor das Gebiet aber 1268 wieder. Er erwarb Rechte über das Pays de Gex und dehnte seinen Einfluss auf einen Teil des Genevois aus.
Philipp I. (1268-1285) konzentrierte sich ganz auf Italien, wo er das gesamte Erbe Adelheids zugesprochen bekam. Amadeus V. (1285-1323) erhielt durch seine Heirat die Bresse. Er gab jedoch dem Druck der jüngeren Zweige nach und trat ihnen das Waadtland und das Piemont als Apanage ab. Eduard (1323-1329) und seinem Nachfolger Aymon (1329-1343) gelang es, ihre Macht in der Maurienne und der Tarentaise zu stärken. Der Vertrag von Paris setzte 1355 dem Konflikt zwischen Amadeus VI. (1343-1383) und dem Dauphin du Viennois ein Ende. Amadeus VI. verzichtete auf die Dauphiné, erhielt dafür aber das Faucigny und das Pays de Gex. Zudem integrierte er 1359 das Waadtland wieder in den gräflichen Herrschaftsbereich. Im Wallis, wo er Bischof Witschard Tavel unterstützte, war seine Politik weniger erfolgreich. Er verwickelte sich in einen Krieg gegen die Zenden, aus dem diese 1392 gestärkt hervorgingen. Unter Amadeus VII. (1383-1391) erhielt das Haus Savoyen 1388 durch die Angliederung Nizzas einen Zugang zum Mittelmeer. Amadeus VIII. (1391-1439) erwarb 1401 das Genevois und holte 1418 das Piemont zurück.
1416 erhob der Kaiser Savoyen zum Herzogtum. Aufgrund der geografischen Lage der savoyischen Staaten und der Verschwägerung ihrer Fürsten mit mehreren europäischen Adelshäusern war Amadeus VIII. für die Rolle als Vermittler prädestiniert. Sein Ansehen stieg noch durch seine Wahl zum Papst (Felix V.).
Die Zersplitterung der savoyischen Territorien
Die Schwäche der Nachfolger von Amadeus VIII., die Intrigen, das Fehlen einer kohärenten Politik, die Streitigkeiten zwischen der savoyischen und der piemontesischen Partei, die feudale Anarchie und der französische Druck stürzten Savoyen in eine Krise. Während der Burgunderkriege stellte sich die Regentin Jolanda 1475 auf die Seite Karls des Kühnen. Darauf besetzten die Berner das Waadtland und die Walliser das savoyische Wallis. 1476 musste Jolanda im Vertrag von Freiburg das Gouvernement Aigle an Bern und das Unterwallis bis Massongex an die Zenden abtreten.
Jahrhundertelang verfolgte Savoyen den Plan, Genf unter seine Herrschaft zu bringen (Löffelbund). Die Belagerung Genfs im Oktober 1530 führte zur Intervention Berns und Freiburgs. Als Karl II. 1536 versuchte, Genf einzunehmen, reagierte Bern mit einem erneuten Einmarsch ins Waadtland sowie ins Pays de Gex und das Genevois. Die Walliser taten es ihnen gleich und eroberten im Chablais bis zum östlichen Ufer der Dranse alle übrigen Besitzungen Savoyens. Als der französische König noch eine dritte Front eröffnete, verlor das Herzogtum auch Savoyen und das Piemont. Im Frühjahr 1536 bestand das Herzogtum nur noch aus Nizza, Vercelli und dem Aostatal.
Organisation und Verwaltung
Der Erfolg und die Macht des Hauses Savoyen beruhten auf zwei Gründen: Zum einen verloren die übrigen Territorialherren ihre Autonomie, vor allem weil sie zahlreichen Städten Freiheiten gewährten. Zum anderen ging mit der territorialen Ausdehnung Savoyens eine immer komplexere Organisation von Politik und Verwaltung einher. Auf lokaler Ebene vertraten Meier, in bestimmten Gebieten Pröpste, den Grafen im Polizei-, Fiskal- und Militärwesen. Ab Ende des 12. Jahrhunderts nahmen Kastlane den Platz der Meier bzw. Pröpste ein, die nun ihrerseits den Kastlanen unterstellt waren. Zwar hatten die absetzbaren Kastlane in erster Linie eine militärische Funktion – sie inspizierten die Befestigungswerke und hoben die Truppen aus –, doch befassten sie sich auch mit Steuer-, Polizei- und Gerichtsangelegenheiten. In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstanden neu das Amt des Vogts, der für mehrere Kastlaneien zuständig war, namentlich in der Waadt, im Chablais und im Pays de Gex, sowie jenes des juge mage, der einem Gerichtsbezirk vorstand.
Der Graf war von einem Rat umgeben, der ihn auf seinen Reisen begleitete und ihm in Sachen Innen- und Aussenpolitik, Justiz und Finanzen zur Seite stand. In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts teilte sich der Rat auf in einen umherziehenden Rat (Conseil itinérant) und einen Rat mit festem Sitz in Chambéry (Conseil résident). 1330 entstand das Amt des Kanzlers von Savoyen. Der Herzog konsultierte auch die savoyischen Generalstände, die sich zwischen 1441 und 1449 mehrmals in Genf versammelten.
Zur Verwaltung gehörte auch das Schatzamt, in dem die Einnahmen zusammenkamen, und die Ende des 13. Jahrhunderts in Chambéry eingerichtete Rechnungskammer, welche die Buchführung der Kastlane überprüfte. Die erste erhaltene Abrechnung wurde in Chillon erstellt. Vier Auditoren waren mit den Kontrollaufgaben betraut, und acht Schreiber übernahmen die Abfassung der Rödel und den Archivdienst. Eine wechselnde Zahl von Lehenkommissaren prüfte den Zustand der gräflichen Gebäude und trieb die Abgaben ein. Zahlreiche Genfer oder Waadtländer Adlige und Bürger übten in der savoyischen Verwaltung ein Amt aus.
Wirtschaftliche Beziehungen
Der Genfersee spielte eine wichtige Rolle in der Politik des Hauses Savoyen. Ab der Mitte des 12. Jahrhunderts kontrollierten die Savoyer von ihrem Sitz Chillon aus den Handel über den Haut-Lac auf der Route von Italien in die Champagne. Thomas I. gründete 1214 Villeneuve (VD), eine wichtige Zollstation im europäischen Verkehrsnetz, und Ludwig I. von Savoyen-Waadt 1286 Morges. Die Orte am Südufer, Evian, Thonon, Le Bouveret, Meillerie, Nernier und Bellerive, waren weniger wichtig, die beiden Letztgenannten dienten als Umschlag- und Stapelplatz für die Güter aus dem Faucigny. Genf war das wirtschaftliche Zentrum Savoyens. Seine Waren- und Geldmessen erhielten Konkurrenz, als König Ludwig XI. ab 1462 die Lyoner Messen protegierte. Der Herzog versuchte vergebens, die Handelsfreiheit wieder herzustellen.
Im 14. und 15. Jahrhundert gewährten reiche Bürger und italienische Bankiers von Genf dem Grafen, dann dem Herzog Darlehen. 1511-1535 nahm Karl II. mit Freiburg, Bern und Solothurn als Bürgen mehr als 200'000 Kronen in der Eidgenossenschaft auf, namentlich in Basel und Luzern. Er setzte dafür mehrere Herrschaften und schliesslich 1530 das ganze Waadtland als Pfand ein, weshalb die Sieger von 1536 noch während Jahrzehnten herzogliche Schulden zurückzahlten. Die Untertanen des Herzogs, insbesondere die Adligen, liehen bis zum Ende des 16. Jahrhunderts ebenfalls Geld von den eidgenössischen Städten aus.
Von 1559 bis 1813
Karl II. erlebte die Wiederherstellung seiner Staaten nicht mehr. Erst 1559, in den Verträgen von Cateau-Cambrésis, erreichte sein Sohn Emmanuel Philibert die Rückgabe der von Frankreich eroberten Provinzen. Die Wiederherstellung Savoyens war notwendig für das europäische Gleichgewicht. Als Emanuel Philibert, der 1554 von Kaiser Karl V. wieder als Herzog eingesetzt worden war, 1563 auch das Piemont zurückerlangte, bestimmte er Turin zur Hauptstadt. Die Bindung an das Heilige Römische Reich lockerte sich allmählich. 1648 gehörte Savoyen nicht mehr dazu, auch wenn die Reichsmatrikel von 1755 das Herzogtum noch erwähnt.
Die Wiederherstellung der savoyischen Staaten
Durch den Lausanner Vertrag von 1564 und den Vertrag von Thonon von 1569 erhielt Emanuel Philibert das Südufer des Genfersees zurück, 1567 auch die bernischen und 1569 die Walliser Vogteien. Dafür trat er Bern das von diesem 1536 eroberte Waadtland und den Walliser Zenden das Vieux-Chablais ab. Der Rückzug Berns und des Wallis wurde durch das Defensivbündnis beschleunigt, das der Herzog 1560 mit den katholischen Orten unterzeichnet hatte. Es wurde 1577 und 1581 erneuert. Freiburg, das befürchtete, seine Eroberungen von 1536 ebenfalls zurückgeben zu müssen, trat dem Bündnis erst 1578 bei, nachdem der Herzog formell auf Romont verzichtet hatte.
Emanuel Philiberts Nachfolger Karl Emmanuel nutzte ab 1588 die Bürger- und Religionskriege in Frankreich zum Versuch, Genf und das Waadtland wieder an sich zu ziehen. Die Daux-Verschwörung flog zwar auf, doch schon 1589 sahen sich Bern und Genf gezwungen, der Expansionspolitik des Herzogs durch einen erneuten Einmarsch in Nordsavoyen Einhalt zu gebieten. Der Krieg zwischen Karl Emmanuel und Frankreich wurde 1601 mit dem Vertrag von Lyon beendet. Der Herzog verlor das Pays de Gex und besass nun nördlich der Alpen nur noch Savoyen. Die Escalade von 1602 rief eine Gegenreaktion Genfs und seiner Verbündeten hervor, die das Gebiet nördlich des Salève, das Chablais und das Bas-Faucigny überfielen. Im Frieden von Saint-Julien von 1603 anerkannte der Herzog schliesslich Genfs Unabhängigkeit. Der Vertrag von Utrecht von 1713 sprach dem Herzog die Krone Siziliens zu, die er 1720 gegen das Königreich Sardinien eintauschte, sodass Savoyen fortan zu den sardinischen Staaten gehörte.
Religiöse Spannungen
Nachdem der Bischof von Genf 1535 verjagt worden war, wurde der Bischofssitz nach Annecy verlegt. Dem Propst des Kapitels, Franz von Sales, gelang es zwischen 1594 und 1598 dank seiner Eloquenz und Ausstrahlung die ehemals bernischen Vogteien mit Hilfe der Kapuzinermissionen wieder zum katholischen Glauben zurückzuführen. Unter der Leitung pflichtbewusster Prälaten und mit kräftiger Unterstützung der herzoglichen Behörden festigte Savoyen seine Stellung als Bollwerk der Gegenreformation und der katholischen Reform.
Die calvinistischen Untertanen des Herzogs von Savoyen, die Waldenser, erhielten 1561 eine gewisse Religionsfreiheit und liessen ihre Pfarrer in Genf, Lausanne und Basel ausbilden. Ihre Freiheiten wurden jedoch immer wieder eingeschränkt, und die Waldenser mehrmals unterdrückt. 1686 verbot Viktor Amadeus II. ihnen die Religionsausübung, 1687 wurden sie vertrieben. Sie liessen sich in Genf und anderen reformierten Orten nieder. Nach diplomatischen Bemühungen der Letzteren und dem politischen Umschwung von 1690 – der Herzog verbündete sich mit England und den Vereinigten Niederlanden gegen Frankreich – wurden die Waldenser ab 1694 wieder geduldet.
Militärische Aspekte
Ein weiterer Grund zur Beunruhigung für die reformierten Orte stellten die zahlreichen spanischen Garnisonen dar, die im 16. Jahrhundert fast permanent in Nordsavoyen stationiert waren und die strategisch wichtige Route von Genua und Mailand nach Flandern sicherten. Als Savoyen 1601 das Bugey verlor, sahen die Spanier diese Verbindung bedroht. Sie schlossen ein Bündnis mit den katholischen Orten, das ihnen das Durchgangsrecht durch deren Territorium verschaffte (Camino de Suizos). Die Spannungen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bewogen Bern und Genf, bewaffnete Galeeren auf dem Genfersee bereitzustellen.
Im Österreichischen Erbfolgekrieg versetzte die vollständige Okkupation des Herzogtums durch die bourbonischen Truppen aus Madrid im September 1742 Genf in Alarm. Der Truppenchef, Infant Don Felipe, beruhigte die Lage, indem er den freien Handel zwischen Savoyen und Genf zuliess. Die Truppen zogen im Februar 1749 wieder ab. Schweizer Söldnereinheiten dienten sowohl in der spanischen Armee (Regimenter Bavois, Dunant, Reding, Schwaller) als auch in der Armee des Königs von Sardinien. Die ersten Kapitulationen zwischen Savoyen und den katholischen Orten waren 1582 unterzeichnet worden. Im 18. Jahrhundert traten auch Reformierte (Berner, Waadtländer) in die Dienste Sardiniens. Die 1579 in Turin geschaffene Garde der Hundertschweizer wurde erst 1832 aufgelöst.
Der Frieden von Aachen bestätigte 1748 den Vertrag von Worms, durch den der König von Sardinien 1743 das Val d'Ossola erhalten hatte und so Nachbar der italienischen Vogteien der Eidgenossen geworden war. Dagegen legte der Turiner Vertrag von 1754 eine neue, weiter vom Stadtrand entfernte Grenze zur Republik Genf fest und regelte die Konflikte, die im Zusammenhang mit der Gerichtsbarkeit in diesem Gebiet entstanden waren.
Wirtschaftliche Beziehungen
Zwischen Savoyen und Genf bestanden zahlreiche wirtschaftliche Verbindungen, zwischen Savoyen und der Waadt sowie dem Wallis dagegen nur wenige. Von Peccais (Languedoc) wurde Salz rhoneaufwärts bis nach Seyssel verschifft, gelangte von da auf dem Landweg nach Genf und erreichte dann wieder auf dem Wasserweg die Häfen am Nord- und Südufer des Genfersees. Der grösste Teil des Salzes war für das Wallis bestimmt.
Die wichtigste Handelsroute vom mediterranen Südfrankreich nach Genf verlief über Chambéry und Grenoble. Auf dieser Strecke sowie weiteren Nebenrouten gelangten im 17. Jahrhundert gebleichte Tuche aus der Dauphiné und dem Languedoc nach Genf, wo sie gefärbt und appretiert wurden. Nordsavoyen stellte weitgehend Genfs Versorgung mit Rindern und Schafen sicher, Getreide kam aus dem Faucigny, Wein aus dem Chablais und Käse vom Salève oder aus Thônes. In der Viehwirtschaft beschäftigten weltliche und geistliche Herren gerne Schweizer Hirten und Käser, darunter auch reformierte. Evian, später Carouge lieferten Lederwaren nach Genf, Annecy Messer und Klingen. Umgekehrt liessen reiche savoyische Familien und Geistliche hochwertige Stoffe, Luxuswaren oder Gewürze aus Genf kommen.
Neben Gütern passierten auch Menschen die Grenze in beide Richtungen: Genfer Säuglinge wurden zur Amme aufs Land gebracht, reiche Kurgäste besuchten die Thermalbäder von Amphion (bei Evian) und Aix-les-Bains, Trödler aus Genf oder Lausanne betrieben ihr Geschäft in den Dörfern und Marktflecken des Chablais, Hausierer aus Savoyen deckten sich teilweise in Genf mit Waren ein. Savoyische Kaminfeger, Scherenschleifer oder Maurer traf man im Waadtland und in der ganzen Schweiz an. Eine starke Abwanderung aus Savoyen in die Schweiz machte sich bemerkbar.
Genfer investierten ihr Kapital in sayovische Betriebe, zum Beispiel in Annecy zu Beginn des 17. Jahrhunderts in die Seidenzwirnerei oder Ende des 18. Jahrhunderts in die Zeugdruckerei. Die kleinen Uhrenateliers in der Umgebung von Cluses erstellten Halbfabrikate für Unternehmen in Genf, welche die Uhren zusammensetzten und verkauften. Um der wirtschaftlichen Übermacht Genfs etwas entgegenzusetzen, versuchte der König, aus der neuen, 1772 am linken Ufer der Arve gegründeten Stadt Carouge ein Handelszentrum zu machen, indem er ihr Freiheiten gewährte, das Marktrecht verlieh und die Niederlassung protestantischer Zuzüger gestattete. 1780 wurde Carouge Hauptort einer neuen Provinz und 1786 königliche Stadt.
Das Departement Léman (1792-1813)
Nach dem Einmarsch französischer Truppen in Savoyen wurde aus dem Gebiet im November 1792 das französische Departement Mont-Blanc. Es umfasste sieben Distrikte, darunter Thonon und Carouge. 1798 annektierte Frankreich auch Genf und vereinigte die Stadt mit ihrem Hinterland, womit es den alten Plan des Hauses Savoyen verwirklichte. Bis 1813 war Genf der Hauptort des neuen Departements Léman, zu dem das Pays de Gex, der Norden des Genevois, das Faucigny und das Chablais gehörten. Das Departement entsprach also weitgehend jener Region Savoyens, die mit Genf in wirtschaftlichem Austausch stand.
Von 1814 bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts
Zweimal (1814-1815, 1860) wurde im 19. Jahrhundert vergeblich versucht, Savoyen der Eidgenossenschaft anzugliedern. 1860 wurde Savoyen ein Teil Frankreichs.
Die Verträge von Paris und Turin
Nach der Niederlage der französischen Armee gab es auch das Departement Léman nicht mehr. Über das weitere Schicksal Savoyens wurde nach dem Ende der napoleonischen Herrschaft in den Verhandlungen in Wien (Wiener Kongress), Paris (Pariser Frieden) und Turin (Turiner Vertrag) entschieden.
Im Vorfeld des Ersten Pariser Friedens vom 30. Mai 1814 zeichnete sich eine Teilung Nordsavoyens ab: Chambéry, Annecy und Rumilly sollten Frankreich, der Rest Sardinien angegliedert werden. Gegen diesen Plan wehrten sich nahezu 600 savoyische Notabeln hauptsächlich aus dem Chablais, dem Faucigny und dem Genevois. In einem Manifest verlangten sie den Anschluss Nordsavoyens an die Eidgenossenschaft. Ausserdem sandten sie eine Abordnung an die Tagsatzung, um ihrer Bitte Nachdruck zu verleihen. Ein Teil der Kantone, angeführt von Zürich, stand dem Gesuch jedoch ablehnend gegenüber. Aus konfessionellen Gründen stellte sich auch in Genf eine Gruppierung dagegen.
Der Zweite Pariser Frieden vom 20. November 1815 teilte der Republik Genf die Stadt Carouge zu. Der Turiner Vertrag vom 16. März 1816 legte die Grenze zwischen Frankreich und der Eidgenossenschaft definitiv fest und sprach dem neuen Kanton Genf einige savoyische Landgemeinden zu, um auf der linken Rhoneseite die 1754 begonnene Verbindung zwischen der Stadt und ihren Exklaven durch die Schaffung eines geschlossenen Territoriums herzustellen (Communes réunies). Die zähen Verhandlungen über die Arrondierung des Genfer Territoriums kamen dank Viktor Emanuel I. zum Abschluss, der die Neutralität Savoyens vorschlug und damit eine alte Idee wieder aufnahm.
Die Neutralität Savoyens
Am Wiener Kongress handelten die Genfer Gesandten Charles Pictet-de Rochemont und François d'Ivernois die neuen Grenzen ihrer Heimat aus, und die europäischen Mächte beschlossen, die Provinzen Chablais, Faucigny sowie das ganze Territorium nördlich von Ugine in die Neutralität der Schweiz einzuschliessen. Dieser Entscheid wurde auch deshalb gut akzeptiert, weil die heftigen Kämpfe zwischen der österreichischen und der napoleonischen Armee im Juni und Juli 1815 im Genevois Savoyens militärische Verletzlichkeit aufzeigten. Im Zweiten Pariser Frieden wurde die Neutralität teilweise auf die Arrondissements Annecy und Chambéry ausgedehnt, die Frankreich dem König von Sardinien zurückgegeben hatte. Die Neutralität galt für das gesamte heutige Departement Hochsavoyen und rund 20% des Departements Savoyen. Die von den Alliierten auferlegte Neutralität stiess nicht überall auf Zustimmung. Die Tagsatzung war mit ihren neuen Verpflichtungen nicht einverstanden, und Turin hatte sich die Neutralität des gesamten ehemaligen Herzogtums gewünscht.
Neutralität hiess nicht Entmilitarisierung. Das Piemont unterhielt in Savoyen Garnisonen, deren Soldaten in die nationale Armee integriert waren. Im Fall von internationalen Spannungen war vorgesehen, dass sich die in Savoyen stationierten Truppen nötigenfalls über das Wallis ins Piemont zurückzogen. Keine Armee sollte in die neutralisierten Gebiete eindringen, sie durchqueren oder darin Truppen stationieren, nur die eidgenössischen Truppen durften sich auf Sardiniens Ersuchen hin darin aufhalten. Doch besetzte die Eidgenossenschaft Savoyen weder 1834, als Giuseppe Mazzinis republikanische Gruppen das Herzogtum von Genf aus aufzuwiegeln versuchten, noch 1848 beim Aufstand der voraces, der Lyoner Arbeiter savoyischer Herkunft, die nach Chambéry kamen, um die Republik auszurufen und den Anschluss an Frankreich zu propagieren.
Zwischen 1815 und 1860 vertrat Genf eine interventionistische, die Eidgenossenschaft eine abwartende Haltung. Im April 1859 schritt Bern nicht ein, als französische Truppen Savoyen von Culoz nach Modane durchquerten und so die Neutralität verletzten, auch wenn ihr Durchmarsch nur dazu diente, ihren Verbündeten im Piemont, den König von Sardinien, zu unterstützen. Gemäss einer geheimen Vereinbarung sollte Napoleon III. für seine Hilfe im italienischen Einigungskrieg mit der Abtretung Savoyens und Nizzas belohnt werden. Die savoyischen und schweizerischen Anhänger einer Angliederung Savoyens an die Eidgenossenschaft setzten sich im Savoyerhandel nicht durch. Savoyen wurde französisch.
Während des Deutsch-Französischen Kriegs befürchtete der Bundesrat im November 1870 eine Verletzung der savoyischen Neutralität durch einen preussischen Angriff Richtung Lyon und Südfrankreich und beorderte eidgenössische Truppen nach Genf. Die republikanisch-separatistischen Bewegungen in Hochsavoyen nutzten die Gelegenheit und bereiteten sich auf eine Invasion der eidgenössischen Truppen vor. Der Präfekt forderte die Schweiz vergeblich auf, von ihrem Besetzungsrecht Gebrauch zu machen. In diplomatischen Noten wurde vorgeschlagen, im Fall einer Annexion des Elsasses und Mülhausens durch Deutschland das Chablais, das Faucigny und einen Teil des Genevois an die Schweiz anzugliedern.
Die aus der Krise der Boulangismusbewegung 1887 entstandenen Spannungen in Europa bewogen Frankreich und die Eidgenossenschaft, das Statut der neutralen Zone zu überprüfen sowie das Gebiet und die Modalitäten einer eidgenössischen Besetzung genau zu umschreiben. Doch nichts änderte sich. Im Ersten Weltkrieg wandte sich Österreich, das den Transit von Verstärkungstruppen durch den Norden Savoyens befürchtete, beunruhigt an Bern. Der Bundesrat reagierte aber nicht. Mit Artikel 435 des Vertrags von Versailles wurde die neutralisierte Zone von Savoyen 1919 aufgehoben.
Im Zweiten Weltkrieg wurde Genf zum Zufluchtsort für einige Savoyer, die vor dem obligatorischen Arbeitsdienst flohen. Bis November 1942 gehörte Hochsavoyen zum unbesetzten Teil Frankreichs, der zone libre. Nach deren Einnahme war die Schweiz vollständig von den Achsenmächten umschlossen. Nachdem die Deutschen im September 1943 die Italiener als Besatzungsmacht abgelöst hatten, wurde es für die Flüchtlinge insbesondere in Saint-Gingolph beinahe unmöglich, die Grenze zu passieren.
Die Freizonen
Im Turiner Vertrag von 1816 wurden vierzehn savoyische Gemeinden ganz oder teilweise dem Kanton Genf angegliedert. Als Kompensation dafür und weil sie nun von ihrem traditionellen Wirtschaftsraum abgeschnitten waren, wurde ihnen eine Zollbefreiung gewährt. Die Schaffung der Freizonen erwies sich in der Zeit des Protektionismus als äusserst notwendig. Das gesamte Pays de Gex war schon 1815 Freihandelszone geworden. Die Grundeigentümer in den geteilten Gemeinden durften sich für die Bestellung ihrer Güter dies- und jenseits der politischen Grenze sowie die Einbringung der Ernte frei bewegen. Ausserdem war vorgesehen, die Zollgrenze von der politischen Grenze weg ins Landesinnere zu verschieben. Letztlich fiel die savoyische Freihandelszone, die den Höhenzug Les Voirons und den Mont Vuache, ein auf den Genfer Markt ausgerichtetes Gebiet, umfassen sollte, viel kleiner aus, da Douvaine, Machilly, Annemasse, Le Châble und Valleiry nicht darin eingeschlossen waren. Sie erstreckte sich dennoch über eine Fläche von 190 km2. Die in Genf gekauften Waren aus diesem Raum waren von Zollabgaben befreit. 1829 gewährte Turin dem Gebiet um Saint-Gingolph ohne Gegenleistung der Schweiz ebenfalls den Status einer Freihandelszone, indem es den Fiskalzoll bis zum Weiler Locum aufhob.
Nach der Angliederung Savoyens an Frankreich wurde das Zollwesen vereinheitlicht. Die Grande Zone genannte Freihandelszone erstreckte sich fortan über eine Fläche von 3790 km2, d.h. 87,7% des Departements Hochsavoyen. Die Eidgenossenschaft weigerte sich, die Angliederung Savoyens an Frankreich offiziell anzuerkennen, und erlaubte die Einfuhr von Produkten aus der Grande Zone erst 1870. Annecy, das seinen Bedeutungsverlust damit in Verbindung brachte, dass es nicht in die Freihandelszone einbezogen worden war, wünschte deren Abschaffung.
Die Freihandelszone trug wesentlich zum wirtschaftlichen Aufschwung Hochsavoyens bei. Nach 1918 wollte Frankreich sie entgegen dem Wunsch der Savoyer und Genfer aufheben. Schliesslich wurde die Grande Zone abgeschafft, die kleinen Zonen im Pays de Gex und in Savoyen sowie jene von Saint-Gingolph 1932 jedoch wiederhergestellt. Die bilateralen Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Eidgenossenschaft tragen den Freihandelszonen Rechnung, obwohl ihre Bedeutung gering geworden ist.
Die Situation zu Beginn des 21. Jahrhunderts
Das Genferseegebiet, das im 16. Jahrhundert während einiger Jahrzehnte ganz zur Schweiz gehörte, ist ein Ort des Austauschs zwischen Hochsavoyen und den Anrainerkantonen geblieben. Bis 1914 wurden Steine aus den Steinbrüchen von Meillerie per Lastkahn in die schweizerischen Häfen transportiert, und die Savoyerinnen fuhren noch in den 1950er Jahren über den See, um in den Rebbergen zu arbeiten. 1981 haben Frankreich und die Schweiz ein Fischereiabkommen unterzeichnet.
Trotz der im Ersten Kaiserreich erstellten Strasse und der Eisenbahnlinie aus den 1880er Jahren konnte das Südufer des Genfersees nicht mit der Entwicklung des Nordufers Schritt halten. Der Streckenabschnitt zwischen Evian und Saint-Gingolph wurde 1998 stillgelegt, die Transchablaisienne nicht verwirklicht. Dagegen stiess der 1910 entworfene Plan einer S-Bahnverbindung Genf-Annemasse 2009 auf Zustimmung. Die Charterflüge, vor allem für Wintertouristen, mit Reiseziel Savoyen und Hochsavoyen werden auf dem Flughafen Genf-Cointrin abgewickelt. In der Privatwirtschaft arbeiten unter anderem die Skiorte zusammen, zum Beispiel im Wintersportgebiet Portes du Soleil das Val-d'Illiez mit Hochsavoyen. Wie aus dem Departement Ain, so kommt auch aus Hochsavoyen eine beachtliche Zahl Grenzgänger nach Genf (1960 2000; Ende der 1980er Jahre 22'000; 2009 51'213). Schweizer zieht es wegen der günstigeren Wohnungen nach Hochsavoyen. Migros France verfügt in Etrembières, Thoiry und Neydens über Niederlassungen. Die Grenzgänger, die in Lausanne arbeiten, überqueren den Genfersee mit den Schiffen der Compagnie générale de navigation. Hochsavoyen ist seit der Gründung des Comité régional franco-genevois 1973 und des Conseil du Léman 1987 Mitglied der beiden Gremien. Die zukünftige französisch-waadtländisch-genferische Agglomeration wird gemäss dem Leitbild 2007 auch einen Teil des Departements Hochsavoyen umfassen.
Quellen und Literatur
- Histoire de la Savoie, hg. von P. Guichonnet, 1973
- Histoire de la Savoie, hg. von J.-P. Leguay, 4 Bde., 1983-86
- Die Schweiz und Savoyen: das Walliser Chablais und die Neutralisierung Savoyens 1476-1932, hg. von G. Delaloye, 2003 (franz. 2002)
- B. Demotz, Le comté de Savoie du XIe au XVe siècle, 2000
- A. Barbero, Il ducato di Savoia, 2002
- A. Biel, Die Beziehungen zwischen Savoyen und der Eidgenossenschaft z.Z. Emanuel Philiberts, 1559-1580, 1967
- J. Nicolas, La Savoie au XVIIIe siècle: noblesse et bourgeoisie, 22003
- A. Becchia, L'occupation espagnole de la Savoie: 1742-1749, 2007
- P. Guichonnet, P. Waeber, Genève et les Communes réunies, 1991
- A. Palluel-Guillard, L'aigle et la croix: Genève et la Savoie 1798-1815, 1999
- P. Guichonnet, La Savoie du Nord et la Suisse: neutralisation, zones franches, 2001