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Raumplanung

Mit dem modernen Begriff Raumplanung werden politische Verfahren bzw. Aufgaben der öffentlichen Hand bezeichnet, welche die Bodennutzung, die Planung des bebauten Raums, die Verteilung der Infrastruktur und die Aktivitäten im geografischen Raum regeln. Die Anfänge der Raumplanung in der Schweiz gehen auf den Städtebau zurück, auf die Regulierung der Flüsse (Gewässerkorrektionen), die Meliorationen und die Heimat- und Naturschutzbewegung (Naturschutz). Neben diesen langfristigen Entwicklungen trugen auch die Wirtschaftskrise und die sozialen Probleme der 1920er und 1930er Jahre zur Entstehung der Raumplanung bei.

Hans Bernhard, ein Pionier der Raumplanung in der Schweiz, entwickelte zwischen 1918 und 1920 Ideen, um die Schwierigkeiten bei der Landesversorgung zu verringern. Er schlug die Dezentralisierung der Industrie und die landwirtschaftliche Nutzung von wenig oder nicht genutzten Flächen vor. Weiter empfahl er die Ausarbeitung eines Bundesgesetzes über die Besiedlung.

Der Einfluss des sogenannten Gemeindesozialismus nach deutschem Vorbild, das Aufkommen der funktionalen Architektur und der an zweckmässigen Kriterien orientierte Städtebau trugen zur Herausbildung von raumplanerischen Grundsätzen in grossen Städten bei. Deren Verfechter, die häufig mit dem Congrès internationaux d'architecture moderne (CIAM) in Verbindung standen, machten sich für eine Gesamtplanung und ganzheitliche Visionen mittels Nutzungsplänen oder städtebaulichen Wettbewerben stark. 1933 veröffentlichte der Architekt Armin Meili in der Zeitschrift "Die Autostrasse" den Artikel "Allgemeines über Landesplanung", in dem er ein für die ganze Schweiz geltendes Bodennutzungskonzept und eine dezentralisierte Grossstadt forderte, die sich im Mittelland von St. Gallen bis nach Genf erstrecken sollte. Konkret bestanden die Aufgaben der ersten Raumplaner darin, Sozialwohnungen und öffentliche Einrichtungen zu schaffen und die Flächen der Gemeinden durch Eingemeindungen zu vergrössern (v.a. in Zürich und Genf).

Während des Zweiten Weltkriegs wurde erstmals die Forderung nach einer schweizerischen Landesplanung laut. 1937 gründete eine Gruppe von Anhängern dieser Idee – hauptsächlich Architekten und Ingenieure – gegen das weit verbreitete Misstrauen gegenüber jeglicher Form von Planung eine Landesplanungskommission. Nachdem eine Motion eingereicht worden war, erhielt Meili, der auch freisinniger Nationalrat war, 1941 öffentliche Gelder für die Kommission. 1943 riefen interessierte Kreise als Nachfolgeorganisation die Schweizerische Vereinigung für Landesplanung ins Leben. Obwohl aus Solothurn eine Standesinitiative vorlag, welche die Rolle des Bundes bei der Planung des Verkehrsnetzes stärken wollte, liess der Bundesrat kein entsprechendes Bundesgesetz ausarbeiten.

Die steigende Nachfrage nach Raum und die erhöhten Nutzungsansprüche führten ab den 1950er Jahren zu sozialen und politischen Spannungen, das Bewusstsein für schädliche Auswirkungen des technologischen Fortschritts auf die Umwelt nahm zu. Aspekte der Raumplanung kamen etwa in den Kampagnen gegen die Bewilligung von Wasserkraftwerken, in der Annahme eines Verfassungsartikels über den Gewässerschutz, dem Vorschlag für den Bau eines Autobahnnetzes und in Debatten über die nächste Landesausstellung zur Sprache. Im Mittelpunkt standen die Bodenrechtsdiskussion (Bodenmarkt), der Kampf um die Überwachung der Mietzinse, später die Bodenspekulation. Zunächst wurden diese Fragen, die vor allem die Stadtbewohner betrafen, von den Gewerkschaften und linken Parteien thematisiert. Sie tangierten aber auch die Bauern, da immer häufiger landwirtschaftlich genutztes Land zu Bauland wurde, das immer weiter von den Städten entfernt lag.

Plakat zur Abstimmung vom 2. Juli 1967, gedruckt bei Conzett + Huber, Zürich (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).
Plakat zur Abstimmung vom 2. Juli 1967, gedruckt bei Conzett + Huber, Zürich (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).

1959 verlangte der Schweizerische Bauernverband vom Bund die Ausarbeitung eines Verfassungsartikels über die Landwirtschaftszonen, damit die Landwirte vom Druck der permanent steigenden Bodenpreise entlastet würden. 1962 lancierten der Schweizerische Gewerkschaftsbund und die Sozialdemokratische Partei eine Volksinitiative gegen die Bodenspekulation, die 1967 abgelehnt wurde. Die rasch wachsende und oftmals zügellos wuchernde Bautätigkeit mit ihren mannigfaltigen Folgen führte dazu, dass zahlreiche Standorte an Attraktivität einbüssten, was die Behörden unter Druck setzte und der Forderung nach einer Raumplanung Vorschub leistete. 1962 wurde der Verfassungsartikel über den Natur- und Heimatschutz angenommen. Der Bundesrat, der bereits 1961 an der ETH Zürich ein Institut für Orts-, Regional- und Landesplanung eingerichtet hatte, subventionierte ab 1965 die Schaffung lokaler Richtpläne. Die 1967 von ihm vorgelegten Raumplanungsartikel beruhten auf einem Kompromiss zwischen zwei Lagern, nämlich jenem, das den grundrechtlichen Schutz des Eigentums in der Verfassung verankern wollte, und jenem, das die Raumplanungskompetenz dem Bund überlassen wollte. Das Volk nahm den Verfassungsartikel zur Raumordnung 1969 nur knapp an. Um eine allzu starke Beanspruchung des Bodens bis zur Annahme und Ausarbeitung des Bundesgesetzes zu verhindern, wurde im März 1972 ein dringlicher Bundesbeschluss über Massnahmen auf dem Gebiet der Raumplanung in Kraft gesetzt, der einen provisorischen Zonenplan für das ganze Land vorsah. Dieser Beschluss und die Veröffentlichung von Arbeiten, in denen die Leitlinien einer künftigen Raumplanung umrissen wurden, stiessen auf Widerstand. Proteste kamen aus dem Immobiliensektor und von verschiedenen Gruppen, die den Förderalismus verteidigten, allen voran von der Ligue vaudoise. Der Gesetzesentwurf von 1974 wurde in der Referendumsabstimmung 1976 vom Volk abgelehnt. Erst 1980 trat eine neue, etwas abgeschwächte Version des Gesetzes in Kraft.

"Kostspielig und katastrophal". Plakat gegen das Bundesgesetz über die Raumplanung, gedruckt bei Bron in Lausanne (Privatsammlung).
"Kostspielig und katastrophal". Plakat gegen das Bundesgesetz über die Raumplanung, gedruckt bei Bron in Lausanne (Privatsammlung).
"Raumplanung = Naturschutz. Stimmt ja. Waadtländer Naturschutzbund". Plakat für das Bundesgesetz über die Raumplanung, über das am 13. Juni 1976 abgestimmt wurde (Privatsammlung).
"Raumplanung = Naturschutz. Stimmt ja. Waadtländer Naturschutzbund". Plakat für das Bundesgesetz über die Raumplanung, über das am 13. Juni 1976 abgestimmt wurde (Privatsammlung).

Nach seiner Gründung 1980 vermittelte das Bundesamt für Raumplanung (seit 2000 Bundesamt für Raumentwicklung) den Kantonen zunächst die Grundsätze der Raumplanung, insbesondere für die Nutzung des erschlossenen Landes, koordinierte die kantonalen Richtpläne, verhinderte Bauten ausserhalb der Bauzonen und stellte kantonale Quoten für landwirtschaftlich genutzte Flächen auf. Weiter mussten die kantonalen Ämter die Gemeinden überzeugen, ihre in den 1960er und 1970er Jahren all zu gross parzellierten Bauzonen zu verkleinern. Andererseits lernten die Raumplaner und die Verwaltungen, den haushälterischen Umgang mit dem Boden mit den Interessen der Verkehrspolitik, der Regionalentwicklung – hauptsächlich in den Bergen – des Umwelt-, Natur- und Heimatschutzes zu koordinieren.

Die Gemeinden arrangierten sich mit den Zonenplänen, sie verzichteten jedoch auf Massnahmen zur kollektiven Bodenverwaltung, etwa durch ein Vorkaufsrecht, ein Baurecht oder gar eine Steuer auf den Wertzuwachs von Grundstücken. Die Stadt-Land-Initiative gegen die Bodenspekulation, die den Grundstückerwerb als reine Kapitalanlage oder zur kurzfristigen Weiterveräusserung ausschloss, wurde 1988 deutlich abgelehnt. Die Zersiedelung der Landschaft verbunden mit den Problemen der städtischen Zentren (Agglomeration), die gegen sinkende Bevölkerungszahlen kämpften, zeigten in den 1990er Jahren auf, dass eine Regionalplanung immer nötiger wurde.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind die Richtpläne der Kantone, die vom Bundesrat genehmigt wurden, ausgearbeitet. Der Bund erstellte Sachpläne für jene Bereiche, die in seiner Zuständigkeit liegen (u.a. Schutz landwirtschaftlich genutzter Flächen, Transport). Zwischen 2006 und 2008 beteiligten sich der Bund, die Kantone und die Städte an der Entwicklung eines schweizerischen Raumordnungskonzepts. Der Bund kam den Städten entgegen, die von ihm seit Langem ein Engagement im Bereich der Agglomerationsentwicklung gefordert hatten: Seit 2001 unterstützt er Agglomerationsprojekte und ein Vierjahresprogramm.

Die vorschriftsmässige Planung leidet jedoch weiterhin an den alten Problemen: Viele Gemeinden verfügen über zu grosse Baulandreserven und verstecken sich hinter ihrer Autonomie, Private opponieren gegen Bauprojekte, die Zersiedelung nimmt mit dem wachsenden Privatverkehr, dem verbreiteten Wunsch nach einem Eigenheim und der fortdauernden Aufgabe von Bauernbetrieben zu und der Druck auf die Gebiete ausserhalb der Bauzonen erhöht sich ständig.

Aufgrund dieser Entwicklungen versuchen Fachleute aus den Bereichen Städtebau und Umwelt, aber auch Organisationen und Parteien, ein Umdenken herbeizuführen. Die Bevölkerung soll öfter zu Fuss gehen, das Fahrrad oder den öffentlichen Verkehr benutzen. Ferner streben die Raumplaner in bereits bestehenden Siedlungen die verdichtete Bauweise an – etwa durch die Nutzung von Industriebrachen –, wobei die Landschaft und das baugeschichtliche Erbe geschützt werden sollen. Die Raumplanung steht somit allmählich im Zeichen einer nachhaltigen Entwicklung. Der Bundesrat lehnte die 2008 eingereichte Landschaftsinitiative ab, welche die Gesamtfläche der Bauzonen einfrieren wollte. Er sieht vor, die weitere Zersiedlung durch ein neues Raumplanungsgesetz zu begrenzen.

Quellen und Literatur

  • E. Winkler et al., Dok. zur Gesch. der schweiz. Landesplanung, 1979
  • F. Walter, «Fédéralisme et propriété privée 1930-1950», in DISP, 1985, Nr. 82, 21-27
  • L. Bridel, Manuel d'aménagement pour la Suisse romande 1, 1996
  • M. Lendi, Aufriss der Gesch. der schweiz. Raumplanung, 2007 (Online-Dok.)
Weblinks

Zitiervorschlag

Laurent Bridel: "Raumplanung", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 19.05.2011, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/007844/2011-05-19/, konsultiert am 08.11.2024.