Der demografische Faktor (Demografie) der Natalität wird als Geburtenziffer, d.h. als Anzahl Lebendgeburten pro 1000 Einwohner, ausgedrückt und ist eng mit der Fruchtbarkeit verknüpft. Die Differenz zwischen der Geburten- und der Sterbeziffer (Mortalität) entspricht dem Geburtenüberschuss einer Bevölkerung.
Ein sinkender Wert
Obwohl die Jahresstatistik (Statistik) der natürlichen Bevölkerungsbewegung, d.h. die Aufzeichnung der Geburten und Todesfälle, erst 1867 einsetzt, ist es dank Teildaten möglich, die Situation zu Beginn des 19. Jahrhunderts einzuschätzen. Für das 18. Jahrhundert wird die Geburtenziffer auf 35-40‰ angesetzt; sie stieg wahrscheinlich nie auf den Wert von 50‰ an, den einige Länder Schwarzafrikas Anfang des 21. Jahrhunderts erreichten. Im Zeitraum von 1800 bis 1860 schwankte sie zwischen 36,9‰ (1809-1816) und 26,7‰ (1853-1855). Während die Geburtenziffer in den Jahren 1860-1880 bei rund 30‰ lag, ging sie ab 1900 drastisch zurück und betrug 1940 nur noch 15‰. Der Erste Weltkrieg und die Spanische Grippe bewirkten einen Rückgang der Natalität von 24‰ auf 19‰. Im Zweiten Weltkrieg nahm sie von 15 auf 20‰ zu und während des sogenannten Babybooms 1954-1964 von 17 auf 19,5‰. Danach nahm sie wieder ab und betrug 2006 9,8‰. Die zusammengefasste Geburtenziffer, d.h. die durchschnittliche Zahl der Kinder, die eine Frau zur Welt bringt, ging von 2,4 1950 auf 1,4 2006 zurück. Die Geburtenüberschussziffer, die bis 1914 zwischen 7 und 10‰ lag, sank in den 1930er Jahren mehrmals unter 5‰. 1967 setzte eine rapide Abwärtsbewegung ein, 2006 erreichte der Wert nur noch 1,7‰. Im internationalen Vergleich platzierte sich die Schweiz 1875 nach Frankreich, Griechenland, Irland und Schweden im fünften Rang der europäischen Länder mit der schwächsten Natalität. In den 1930er Jahren belegte sie mit einem Wert von 16‰ den sechsten Platz. Die Gründe dafür waren der hohe Anteil von 20% ledig gebliebenen Frauen der Generationen von 1860-1869 und das erhöhte Heiratsalter von 26,4 Jahren (Nuptialität) – Merkmale, die für Auswanderungsländer kennzeichnend sind.
Konfessionelle Unterschiede
In den 1870er Jahren bewegte sich die eheliche Fruchtbarkeitsziffer (Anzahl legitimer Lebendgeburten pro 1000 verheiratete Frauen zwischen 15-49 Jahren) zwischen 162‰ in Genf und 300‰ in den Innerschweizer Kantonen und in Freiburg. 1921-1925 verbreiterte sich diese Kluft noch; die Geburtenziffer lag bei 68‰ in Genf, 250‰ in Freiburg und 240‰ in der Zentralschweiz. 1981 betrug die zusammengefasste Geburtenziffer in Basel-Stadt 1,1 und in Genf 1,2, während sie den kritischen Wert für die Bestandeserhaltung der Bevölkerung von 2,1 Kindern pro Frau in den Kantonen der Zentralschweiz überstieg (Obwalden 2,2; Appenzell Innerrhoden 2,5). 1996 bestanden die Unterschiede in gemilderter Form immer noch, wobei das Tessin mit 1,3 den geringsten und Appenzell Innerrhoden mit 2 den höchsten Wert aufwies. Weil der Anteil der katholischen Bevölkerung von 40,6% (1850) auf 46,3% (1990) zunahm, verlangsamte sich der Geburtenrückgang. In derselben Periode ging der Anteil der Reformierten von 59,3% auf 40,0% zurück. Zwischen 1971 und 1996 wiesen die reformierten Kantone bei einem Migrationssaldo von 5,9‰ ein Geburtendefizit von -1,7‰ auf, die katholischen Kantone bei einem Migrationssaldo von 1,7‰ einen Geburtenüberschuss von 4,1‰. Im Geburtenüberschuss bzw. Geburtendefizit spiegeln sich die Unterschiede bezüglich des Verhaltens und der Altersstruktur der Bevölkerung: Die katholische Bevölkerung ist im Durchschnitt jünger und bringt mehr Kinder zur Welt. Die eheliche Fruchtbarkeit in den mehrheitlich katholischen Kantonen (über 85% Katholiken) war immer höher als diejenige in den mehrheitlich reformierten Kantonen (über 68% Reformierte), während sich die gemischten Kantone (ausser Genf) zwischen diesen Werten bewegten. Der Unterschied in der Fruchtbarkeit blieb bis 1890 gering, vergrösserte sich mit dem Rückgang der früheren Fruchtbarkeit in den reformierten Kantonen und war in den 1920er Jahren am ausgeprägtesten, als die eheliche Fruchbarkeitsziffer bei den Katholiken 223‰ und bei den Reformierten 131‰ betrug.
Im Laufe der 1980er Jahre glichen Katholiken und Reformierte ihr Verhalten einander an und seit 1987 ist die Fruchtbarkeit der beiden Konfessionen praktisch identisch. Zudem war die Natalität wegen der weniger günstigen Bevölkerungsstruktur (spätere Heiraten, höhere Quote unverheirateter Frauen) in den Städten – mit Ausnahme stark wachsender Industriestädte – immer geringer als in den ländlichen Regionen. Die Natalität kann auch das Resultat einer Kombination der Faktoren Konfession und Region sein.
Die Natalität in der ausländischen Bevölkerung
Bis 1914 ist die Entwicklung der Natalität durch eine bedeutende Erhöhung der Zahl von Kindern ausländischer Eltern gekennzeichnet: Ihr Anteil erhöhte sich von 8,5% 1886 auf 17,5% 1913. Der Ausländeranteil ging im Lauf der folgenden 30 Jahre, die durch tiefgreifende politische und wirtschaftliche Umwälzungen gekennzeichnet waren, zurück. Erst in der Periode der Hochkonjunktur, die auf den Zweiten Weltkrieg folgte, nahm er erneut zu. Anfang der 1960er Jahre übertraf der Anteil der Geburten ausländischer Kinder den vor 1914 erreichten Wert und betrug 1974 31,4%; danach war er wieder rückläufig und fiel 1984 auf 15,6%. Seither nimmt er wieder kontinuierlich zu. Im Jahr 2000 entfielen 27,5% der Geburten auf ausländische Eltern.
Die Geburtenüberschussziffer der ausländischen Bevölkerung, die bis 1914 rund 2‰ betragen hatte, war zwischen 1935 und 1951 konstant negativ (mehr Todesfälle als Geburten). 1968 übertraf sie erstmals die Geburtenüberschussziffer der Schweizer und behielt seither ihren Vorsprung bei. In der Bevölkerung schweizerischer Abstammung dagegen überwog seit 1998 die Zahl der Todesfälle die Geburten.
Dass die Kinderzahl ausländischer Eltern stetig wächst, ist nicht nur durch die Zunahme der ausländischen Wohnbevölkerung (2002 20,3%) bedingt, sondern auch durch den wachsenden Anteil von Ausländerinnen im gebärfähigen Alter (2002 49% im Alter von 20-44 Jahren, gegenüber 33% bei den Schweizerinnen), ihrem Alter bei der Geburt ihrer Kinder (Erstgebärende 29 Jahre gegenüber 31 bei den Schweizerinnen) sowie ihrer Fruchtbarkeit (1,9 Kinder pro Ausländerin gegenüber 1,2 Kinder pro Schweizerin).
In der Periode mit keinem oder negativem Geburtenüberschuss der ausländischen Wohnbevölkerung war die (eheliche) Fruchtbarkeit verheirateter Ausländerinnen wesentlich geringer als bei den Schweizer Frauen (1920 91 bzw. 161 Kinder auf 1000 Frauen im Alter zwischen 15 und 49 Jahren, 1930 81 bzw. 127 und 1950 84 bzw. 120). 1960 kehrte sich das Verhältnis jedoch um und betrug 150 Kinder bei den Ausländerinnen und 118 bei den Schweizerinnen.
Ab 1964 betraf der Rückgang der Fruchtbarkeit beide Gruppen, mehr jedoch und dauerhafter die Ausländerinnen (von 2,9 Kindern 1971 auf 1,5 1985) als die Schweizer Frauen (von 1,8 auf 1,4 1976). Von 1990 bis 2000 nahm allerdings die Fruchtbarkeit der Ausländerinnen auf 2,1 Kinder zu, was wahrscheinlich auf die Ankunft neuer Einwanderergruppen zurückzuführen ist, während die Fruchtbarkeit der Schweizerinnen weiter zurückging und sich 2001 bei 1,2 Kindern stabilisierte.
Dem Rückgang der Natalität nach 1900 wurde mit Massnahmen zur Geburtenförderung begegnet (Bevölkerungspolitik). Auch die niedrigen Geburtenziffern zu Beginn des 21. Jahrhunderts lösten Diskussionen aus. Sie waren der Grund für eine aktive Familienpolitik, d.h. die Erhöhung der Familienzulagen, die vermehrte Bereitstellung von Krippen und Kinderhorten oder Steuererleichterungen für junge Eltern.
Quellen und Literatur
- HistStat
- G. Calot et al., Deux siècles d'histoire démographique suisse, 1998