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Alemannen

289 n.Chr. wird erstmals der Stamm der Germanen (Alamanni), 297 ihr Gebiet (Alamannia) in zeitgenössischen Quellen erwähnt. Der Name bedeutet soviel wie «Menschen/Männer insgesamt, allgemein» . Eine pejorative Deutung sieht in den Alemannen «zusammengelaufene und gemischte» Leute. Der Name scheint auf eine aktuelle Gemeinschaftsbildung hinzuweisen, ohne ältere Traditionen aufzunehmen. Bis um 500 wurden Alemannen und Sueben stets unterschieden, vom 6. Jahrhundert an wurden beide als identisch betrachtet.

Die Bevölkerungsgruppen, welche die Römer unter der Bezeichnung Alemannen zusammenfassten, sickerten vom späten 3. Jahrhundert an in den süddeutschen Raum ein; dabei handelt es sich keinesfalls um eine systematische Landnahme. In der zweite Hälfte des 6. und im 7. Jahrhundert stiessen die Alemannen unter fränkischer Führung über den Hochrhein vor und siedelten im Schweizer Mittelland.

Vor 536

Ein suebischer (semnonischer) bzw. elbgermanischer Ursprung «der» Alemannen ist nicht nachgewiesen, was nicht ausschliesst, dass Splittergruppen der Heerhaufen, die nach der Überwindung des obergermanisch-rätischen Limes ca. 259/260 das Dekumatenland kontrollierten, aus dem Norden stammten. Wie die Franken am Niederrhein, so standen die Alemannen am Oberrhein den Römern als neue Gegner gegenüber. Der Kontakt mit den Römern schwankte phasenweise zwischen Konfrontation und Kooperation. Zum Schutz vor zahlreichen germanischen Plünderungszügen links des Rheins errichteten die Römer auch im Hinterland des Ober- und Hochrheinlimes Befestigungen, wie 294 in Oberwinterthur und in Eschenz bei Stein am Rhein, griffen die Alemannen jenseits der Grenze an oder lieferten den ins Land eingedrungenen Alemannen blutige Schlachten, wie der nachmalige Kaiser Constantius I. 298 bei Langres (F) und bei Vindonissa. Andererseits standen vom ausgehenden 3. Jahrhundert an viele Alemannen in römischen Diensten, als Soldaten, als Geiseln und als in geschlossenen Verbänden unter eigener Führung angesiedelte Wehrbauern. Den Höhepunkt erreichten die Kämpfe mit den Alemannen, als diese zusammen mit den Franken den Rhein überquerten und Gallien plünderten (352). Trotz eines Friedensvertrags (354) und eines siegreichen Feldzugs über Bellinzona und die Bündner Pässe gegen die Alemannen des Linzgaus (355) gelang es erst Kaiser Julian (355/360-363) in der Schlacht bei Strassburg (357), die unter sieben Königen vereinten alemannischen Verbände entscheidend zu schlagen und die Rheinlinie wieder zu sichern. Kaiser Valentinian I. (364-375) konsolidierte die Grenzverteidigung, liess rechts des Rheins neue Kastelle bauen, so in Altrip, Breisach am Rhein (beide D) und gegenüber von Basel (Robur), und versah die Grenze am Hochrhein mit einer Kette von Wachttürmen (burgi). Kaiser Gratian erneuerte 378 die Verträge mit den Alemannen. Danach standen sie offenbar in einem Foederaten-Verhältnis, das bis ins 5. Jahrhundert mehrmals erneuert wurde. Noch 430 wehrte der weströmische Heermeister Flavius Aëtius einen Einfall der Juthungen, eines alemannischen Teilstammes, in der Provinz Raetia Secunda ab. Ein alemannischer Plünderungszug über die rätischen Pässe wurde 457 bei Bellinzona von Kaiser Maiorian aufgehalten.

In der Endphase des weströmischen Reiches entwickelten die Alemannen eine grosse Expansionskraft in alle Richtungen, die jedoch bald gebrochen wurde. Um 469/470-476 kontrollierte der Alemannenkönig Gibuld das donauländische Gebiet bis Passau (D). Er könnte mit dem Alemannenkönig Gebavultus identisch sein, der in den 470er Jahren im Raum von Troyes (F) herrschte. Die Frage, ob Gibuld/Gebavultus alemannischer Grosskönig zu einer Zeit war, als die Donau-Sueben und die Alemannen ein Bündnis schlossen (ca. 469/470), ist umstritten. Die Ausdehnung der alemannischen Macht über das Rhein-Main-Gebiet hinaus wurde zunächst in der Schlacht bei Zülpich (ca. 480/490er Jahre) gebremst, dann brachte König Chlodwigs I. erster Alemannensieg (496/497) die Alemannen in ein Treueverhältnis zu den Franken. Chlodwigs zweiter Sieg (506) und der Tod des rex Alamannorum beendeten abrupt die Phase der alemannischen Unabhängigkeit, nicht aber den Prozess der Ethnogenese im Rahmen der gotischen bzw. fränkischen Politik. Spätestens 506 scheint sich die alemannische Führungsschicht unter ostgotisches Protektorat begeben zu haben. Teile der Alemannen wurden in Oberitalien und offenbar im rätischen Gebiet des Bodenseeraumes, des Thurgaus und des Alpenrheintals angesiedelt, und schliesslich wurde das gotische Alemannien 536/537 vom ostgotischen König Witigis den Franken abgetreten.

Alemannien im Frankenreich

Die Eingliederung Alemanniens in das Frankenreich beliess den Alemannen den Status einer gens mit eigenem Namen, Recht und Territorium. Zunächst zum östlichen Teilreich gehörig, wurden die Alemannen duces Francorum unterstellt, d.h. fränkischen Amtsträgern. Wohl von der Basis der Diözesen Windisch bzw. Avenches aus unternahmen im fränkischen Auftrag Buccelen und Leuthari 539 bzw. 553/554 Expeditionen in Italien. Bei der Reichsteilung von 561 fiel der ducatus Ultraiuranus an das burgundische und der ducatus Alamannorum an das austrasische Teilreich. Bis ins 7. Jahrhundert lag der Machtschwerpunkt der von den Merowingern ein- oder abgesetzten alemannischen Herzöge südlich des Hochrheins und im Bodenseegebiet, wo noch spätrömische Strukturen und romanische Kontinuitätsinseln vorhanden waren, wie zum Beispiel in Windisch, Eschenz, Arbon, Bregenz, Oberwinterthur oder Zürich. Die zeitweilige Wiedervereinigung des Thurgaus und des Elsasses mit dem burgundischen Teilreich (595-610) führte zu Auseinandersetzungen um Einflusssphären und Abgrenzungen, so beim alemannischen Einfall bei Avenches und in der Schlacht bei Wangen (610). Unter Chlothar II. und Dagobert I. scheint sich der direkte Einfluss der Merowingerkönige auf Alemannien verstärkt zu haben. Im zweiten Drittel des 7. Jahrhunderts waren die Alemannenherzöge in die inneraustrasischen Adelsrivalitäten verstrickt. Immer noch lag der Schwerpunkt ihrer Herrschaft links des Rheins.

Gerüsteter und diademgeschmückter Herrscher als Gesetzgeber mit Stab und Gesetzeswerk (dessen Ausgestaltung auf die Zehn Gebote hinweist), daneben Prolog zur Lex Salica (Stiftsbibliothek St. Gallen, Cod. Sang. 731, S. 234-235; e-codices).
Gerüsteter und diademgeschmückter Herrscher als Gesetzgeber mit Stab und Gesetzeswerk (dessen Ausgestaltung auf die Zehn Gebote hinweist), daneben Prolog zur Lex Salica (Stiftsbibliothek St. Gallen, Cod. Sang. 731, S. 234-235; e-codices). […]

Erst um 700 lässt sich das Wirken eines alemannischen Herzogs in Inneralemannien nachweisen: Gottfried, dux Alemanniae, urkundete in Biberburg bei Cannstatt (D). Sein Titel vir illuster, die Datierung nach Herzogsjahren sowie seine legitimistisch begründete enge Anlehnung an den Merowingerkönig zeigen, dass sich der merowingische Dukat in einen gentilen Prinzipat verwandelt hatte. Die Vererbung und Teilung des Amts unter die Nachfahren Gottfrieds sind untrügliche Zeichen für die Verselbständigung des Herzogsamts ab dem späten 7. Jahrhundert. Der daraus resultierende Gegensatz zum pippinidischen Austrasien war nicht antifränkisch, sondern dynastisch begründet. Erst nach dem Tod Gottfrieds 709 gelang es den karolingischen Hausmeiern Pippin dem Mittleren (714) und Karl Martell (741) nach verschiedenen Feldzügen (709-712) zunächst Willihari und seinen Bruder Theudebald, dann auch Lantfrid (724-730) auszuschalten. Letzterer hatte in der Neuredaktion (Recensio Lantfridana) des Alemannenrechts (Alemannenrechte) legitimistisch die starke Stellung des Merowingerkönigs betont. Nach Lantfrids Tod versuchte Theudebald die Herzogswürde zu behaupten, wurde aber von Karl Martell 732 vertrieben; das Herzogtum Alemannien wurde aufgehoben, wie sich aus der Teilung der Herrschaft Karl Martells bei seinem Tode (741) ergibt: Karlmann, der ältere Sohn, erhielt neben Austrien und Thüringen auch Alemannien. Gegen die Söhne Karl Martells formierte sich alsbald erneut der Widerstand in den Aussendukaten, der in mehreren Feldzügen und endgültig durch den Gerichtstag von Cannstatt (746) gebrochen wurde. Die Wiedereingliederung Alemanniens in das karolingisch bestimmte Frankenreich spiegelt sich in der Neuordnung auf der Basis der Grafschaftsverfassung unter den Grafen Ruthard und Warin, die um 760 totius ... Alamanniae cura ausgeübt haben sollen. Bis zum Wiederaufleben des «schwäbischen Herzogtums» zu Beginn des 10. Jahrhunderts verschwand der alemannische Herzogstitel. Grundlage des neuen Herzogtums Schwaben war das karolingische regnum Sueviae, das Ludwig der Fromme für Karl den Kahlen, den Sohn aus seiner Ehe mit der Welfin Judith, im Jahre 829 aus den Dukaten Elsass, Alemannien und Rätien gebildet hatte und das im Vertrag von Verdun 843 an Ludwig den Deutschen und bei der Teilung von dessen Erbe (865 bzw. schon 859) an den jüngsten Sohn, Karl III. (den Dicken), fiel.

Archäologie und Sprachwissenschaft

Die ethnische Deutung frühmittelalterlicher Funde ist umstritten. Das in dem von Alemannen politisch beherrschten Raum gefundene Material kann nicht ohne weiteres als «alemannisch» betrachtet werden. Zu rechnen ist mit vielfältigen Einflüssen. Die sprachlichen Zeugnisse alemannischer Siedlung links des Rheins sind häufig spät überliefert und lassen sich meist nur in einen groben zeitlichen Rahmen einordnen. Archäologie und Sprachwissenschaft lassen immerhin die germanische bzw. alemannische Siedlungsbewegung in den Interferenzzonen am Hochrhein, am Bodensee und im Bodenseerheintal erkennen.

Zwei Fischfibeln (9 cm lang). Goldcloisonné und Glaseinlagen auf einer silbernen Grundplatte (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich).
Zwei Fischfibeln (9 cm lang). Goldcloisonné und Glaseinlagen auf einer silbernen Grundplatte (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich). […]

Germanische/alemannische Einsprengsel hat es als isolierte Erscheinungen links des Rheins vom 4./5. Jahrhundert an gegeben, zum Beispiel in Windisch-Oberburg oder im romanischen Gräberfeld von Kaiseraugst. Gegenüber den römischen Kastellen bezeugen «alemannische» Gräberfelder des 5. Jahrhunderts eine Phase friedlichen Kontaktes, so die Gräberfelder von Basel-Kleinhüningen und -Gotterbarmweg gegenüber dem castrum Basel, Herten (D) gegenüber von Kaiseraugst, Kadelburg/Rheinheim (D) gegenüber von Zurzach und Stein am Rhein gegenüber von Eschenz. Zu Beginn des 6. Jahrhunderts, nach Chlodwigs Sieg über die Alemannen, scheinen grosse Teile der alemannischen Oberschicht abgewandert zu sein, wohl nach Rätien, ins ostgotische Italien oder nach Burgund. Links des Hochrheins lassen sich als germanisch erkennbare Gruppen erst vom zweiten Drittel des 6. Jahrhunderts an archäologisch nachweisen, d.h. erst nachdem das Reich der Burgunder und die ostgotische Alemannia 532/534 bzw. 536/537 an das Frankenreich gefallen waren. Dieser erste germanische Zuzug im linksrheinischen Gebiet scheint fränkisch gewesen zu sein. Die entsprechenden Gräber in Basel-Bernerring, Zürich-Bäckerstrasse, Bülach und Elgg werden fränkischen Amtsträgern zugeschrieben, die sich zur politischen Sicherung des Raums jeweils in der Nähe von spätrömischen Siedlungskernen niedergelassen hätten. Die fränkische Orientierung blieb in der Nordostschweiz offenbar bis ins frühe 7. Jahrhundert dominant. Erst vom zweiten Viertel des 7. Jahrhunderts an werden die Einflüsse aus dem rechtsrheinischen alemannischen Kernland stärker. Die globale Zunahme von Fundstellen bezeugt einen Siedlungsausbau im 7. Jahrhundert, der nicht nur auf Bevölkerungswachstum, sondern auch auf Zuwanderung von Alemannen aus dem rechtsrheinischen Raum, aus den Gebieten am Hochrhein und am Bodensee zurückgeht. Auch das Bodenseerheintal zeigt einen gestaffelten Prozess germanischer Ansiedlungen.

Die Sprachwissenschaft und die Archäologie stimmen darin überein, eine alemannische Siedlungsbewegung grösseren Ausmasses relativ spät anzusetzen, jedenfalls erst im politischen Rahmen des merowingischen Frankenreichs. Die Ortsnamen bestätigen diese Datierung: Innerhalb der alemannisch-deutschen Siedlungsnamen ist eine ältere Namenschicht (Formen: -ingen-, -heim- und -dorf) von den Namen eines ersten frühmittelalterlichen Ausbauraums (Haupttyp: -inghofen bzw. -ighofen, ikofen sowie -ikon) und denjenigen eines zweiten Ausbauraums (Formen: -wil und -wiler) zu unterscheiden. Aus der Übernahme und Lautverschiebung vordeutscher Namen, der zeitlichen und räumlichen Verteilung der genannten alemannisch-deutschen Leitnamen, ferner aus der Verbreitung der für die alemannisch-romanischen Berührungszonen typischen Walen-Namen entlang der deutsch-französischen Sprachgrenze sowie in der Nordost- und der Zentralschweiz kann die alemannische Siedlungsbewegung bis zum 7./8. Jahrhundert bestimmt werden. Innerhalb dieses Siedlungsraums finden sich Orte und Zonen, in denen das Romanische noch lange weiterlebte; Sprachgrenzstücke entstanden im 7./8. Jahrhundert erst in den Haupttälern. Die deutsch-romanische Sprachgrenze der Schweiz steht also in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der frühmittelalterlichen alemannischen Siedlungsbewegung, sondern ist das Ergebnis einer noch Jahrhunderte währenden siedlungsmässigen und sprachlichen Entwicklung (Deutsch). Im Bereich der frühen alemannischen Besiedlung konzentrieren sich auch die althochdeutschen Landschaftsnamen der Schweiz, die mit vordeutschen Ortsnamen gebildeten Namen der älteren Schicht (wie Augst-, Basel-, Zürich- und Arbongau) ebenso wie die nach Flüssen benannten Namen der etwas jüngeren Schicht (z.B. Aar-, Sarne-, Thur- und Rheingau).

Über die Bevölkerungszahl und -dichte in der alemannischen Schweiz lässt sich nichts Sicheres aussagen. Die frühmittelalterlichen Funde und die Ortsnamen der frühen Ausbauphasen lassen indessen auf eine Bevölkerungszunahme schliessen und stellenweise auf eine Besiedlung, die über schon in römischer Zeit erschlossene Gebiete hinausging. Siedlungsfunde erweisen Gehöfte und Weiler als hauptsächliche Siedlungstypen. Soweit nicht römische Gebäude übernommen und weiterbenutzt wurden, haben die Alemannen vornehmlich Holzbauten errichtet und zwar Langhäuser, Grubenhäuser und Speicher. Die Hofanlagen waren umsäumt und umfassten laut der Lex Alamannorum neben dem Hauptgebäude mit heizbarem Raum und Saal auch Speicher, Scheune, Bad- und Backstube, Kochhaus, Schaf- und Schweineställe, zuweilen gar eine wassergetriebene Getreidemühle.

Sozial- und Wirtschaftsstruktur, Recht und Verfassung

Archäologie und Rechtsquellen (Pactus und Lex Alamannorum) vermitteln ein nicht unmittelbar korrelierendes Bild der sozialen Schichtung und der rechtsständischen Gliederung. Die Inventare der Gräber, der Aufwand der Grabanlagen und die Lage innerhalb eines Gräberfeldes erlauben Rückschlüsse auf die soziale Stellung der Bestatteten. In den frühen Gräbern, zum Beispiel in Basel-Kleinhüningen, ist es vor allem die Qualität der Waffenausstattung und Trachtteile, welche auf die Spitzenposition einer kleinen Anzahl von Individuen hinweist. Zweifellos ist hier eine Oberschicht zu fassen, die im 5./6. Jahrhundert räumlich und sozial noch sehr mobil und fluktuierend war, sich im 7. Jahrhundert aber durch landschaftliche Verankerung, Vererbbarkeit der Ämter, wachsende Bedeutung der Grundherrschaft und Verstärkung des Familien- und Gruppenbewusstseins sowie durch Verknüpfungen mit Kirchen- und Klostergründungen verfestigte und zum Adel wurde. Archäologisch spiegelt sich dieser Wandel in der räumlichen Absonderung der reich ausgestatteten Gräber in den Friedhöfen, in aufwendigen Grabkammern (Elgg) sowie in der Bestattung bei oder in der Kirche, zum Beispiel der reichen Dame, die um die Mitte des 7. Jahrhunderts in der Kirche von Bülach in vollem Ornat bestattet wurde. Auch die abgesonderten kleinen Grabhügelnekropolen, wie bei Illnau-Grafstal (aus der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts), sind Zeichen eines Wandels adliger Herrschaft. Diese beruhte nunmehr auf Landbesitz und wurde abgestützt durch Kirchengründungen. Grundherrschaftlich strukturiert, dokumentiert sich diese Form adliger Herrschaft in den frühen Urkunden des Klosters St. Gallen.

Die Grundherrschaft scheint die Verdrängung der extensiven, die Viehhaltung begünstigenden Feldgraswirtschaft durch die Dreifelderwirtschaft gefördert zu haben. Unter den Nutzpflanzen nahm in alemannischem Gebiet der Dinkel den ersten Platz ein vor Gerste, Roggen, Hafer und Hirse sowie den Hülsenfrüchten Bohnen, Erbsen und Linsen. Auch der Obstbau und der von der galloromanischen Bevölkerung übernommene Weinbau wurde von den Alemannen gepflegt. Von den Handwerkern sind verschiedene Schmiedearten, Köche und Bäcker in den Rechtsaufzeichnungen erwähnt. Die archäologischen Funde machen darüber hinaus mit Textilien, Edelmetallen, Eisen, Holz und Ton verarbeitenden Handwerken bekannt. Über den Fernhandel stand Alemannien mit Nordgallien und dem Rheinland, mit Italien und dem Orient, mit Böhmen und der Ostseeküste sowie mit den donauländischen Gebieten in Kontakt. Der Import von Luxuswaren, aber auch von Salz aus dem oberbayrischen Reichenhall muss zum Teil durch Tausch erfolgt sein, denn das rechtsrheinische Alemannien gehörte zu den «Feinwaagenlandschaften» des Merowingerreichs, wo die Münzen nach dem Gewicht bewertet wurden, während in den westlichen «Monetarlandschaften» der Nominalwert galt. Das linksrheinische Alemannien stellte eine Mischzone dar, in der Feinwaagen und zahlreiche Münzfunde nebeneinander bezeugt sind.

Die Bussenkataloge von Pactus und Lex Alamannorum sagen über den tatsächlichen Geldumlauf nichts aus, sind aber umso aufschlussreicher für die rechtsständische Gliederung Alemanniens im 7. bzw. 8. Jahrhundert: Die Gegenüberstellung von Freien und Unfreien ist schon differenziert und zwar durch die Mittelstellung der Halbfreien (Liten) oder Freigelassenen und durch die Untergliederung der Freien in die weniger vermögenden Freien (barones = minofledes), die mittleren (mediani) und jene der höchsten Gruppe (primi), welche die Urkunden primores, proceres, nobiles nennen. Die Lex des 8. Jahrhunderts lässt eine komplexe Gerichts- und Verfassungsstruktur erkennen. Der Herzog erscheint als oberster Gerichtsherr, Garant des Friedens und militärischer Befehlshaber. Die Einsetzung von Grafen in Alemannien ― nachweisbar im 7. Jahrhundert zunächst am Oberrhein und im linksrheinischen Gebiet des Bodensees ― scheint mit den Reorganisationsbemühungen der Könige Chlothar II. und Dagobert I. in Zusammenhang zu stehen. Nach der Lex Alamannorum unterstanden die Grafen wie auch die Zentenare dem Herzog. Erst die Neuordnung Alemanniens unter Ruthard und Warin hat um 760 einen grundlegenden Wandel gebracht, der unter Ludwig dem Frommen dahin führte, dass die karolingische Grafschaftsverfassung auf das gesamte Gebiet Alemanniens ausgedehnt wurde und Alemannien sich damit nicht mehr von den übrigen Gebieten des Frankenreichs unterschied.

Christianisierung

Aufnahme der archäologischen Untersuchung im Innern der Pfarrkirche St. Martin in Maur, 1969 (Kantonsarchäologie Zürich).
Aufnahme der archäologischen Untersuchung im Innern der Pfarrkirche St. Martin in Maur, 1969 (Kantonsarchäologie Zürich). […]

Voraussetzung für die Christianisierung der Alemannen war ihre Eingliederung in das Gebiet innerhalb der römischen Reichsgrenzen. In den Kastellorten südlich des Rheins lebte eine christliche romanische Restbevölkerung. Die episkopale Ordnung war zum Teil erschüttert ― dafür zeugen der Wechsel des Bischofssitzes von Augst nach Basel, wo um 615 ein Bischof nachzuweisen ist, bzw. die Verlegung des Bistums von Windisch nach Avenches und der weitere Rückzug nach Lausanne im 6. Jahrhundert. In Churrätien dagegen hat sie kontinuierlich fortbestanden. Die Gründung des Bistums Konstanz zu Anfang des 7. Jahrhunderts steckte den Rahmen für die Christianisierung der Alemannen ab, denn es wurde zum eigentlichen «Alemannenbistum» . Die Diözesangrenzen scheinen teilweise wenigstens schon von König Dagobert I. (623-638/639) festgelegt worden zu sein. Entscheidenden kirchlichen Rückhalt fand das Konstanzer Bistum bei dem in Überlingen (D) residierenden christlichen Alemannenherzog Gunzo sowie im rätischen Bistum Chur. Noch um 570 bezeichnete der byzantinische Geschichtsschreiber Agathias die Alemannen als Heiden, und um 610 traf Kolumban in Bregenz (A) auf eine romanisch-alemannische Mischbevölkerung mit synkretistischen Vorstellungen bzw. als Anhänger des Wodansglaubens. Nach den späten Gallus-Viten hingen die Alemannen des Linthgebiets noch dem alten Götterglauben an.

Grundrisse früherer Bauten in der Kirche Maur
Grundrisse früherer Bauten in der Kirche Maur […]

Die archäologischen Zeugnisse der Christianisierung der Alemannen sind im rechtsrheinischen Gebiet zahlreicher als links des Rheins, so zum Beispiel die Goldblattkreuze des 7. Jahrhunderts, ferner die Kreuze, Fische und Vögel auf Waffen, Trachtbestandteilen, Gebrauchs- oder liturgischen Gegenständen sowie auf Amulettkapseln. Links des Rheins sind vom 7. Jahrhundert an Kirchenbauten in Stein oder Holz, Letztere zum Beispiel in Winterthur, ferner die Kirchen mit (alemannischen) Stiftergräbern (Tuggen, Bülach) untrügliche Zeichen einer Christianisierung. Ähnliches gilt für die Aufgabe der Beigabensitte um 700 und für die Verlegung der Gräber in oder an die Kirchen (ad sanctos). In einer zweiten Phase wurden die ersten Klöster im alemannischen Raum gegründet, auch sie zunächst in den Randzonen der romanisch-alemannischen Kontaktgebiete, so im 7. Jahrhundert durch Fridolin in Säckingen, durch Gallus an der Steinach, wo dann unter Abt Otmar (719-759) das eigentliche Kloster St. Gallen entstand, oder unter Germanus in Moutier-Grandval im Jura. Die weiteren Klostergründungen, etwa Pirmins (755) in Pfungen, auf der Reichenau und im oberelsässischen Murbach, oder jene im Gebiet des oberen Zürichsees (Lützelau, Benken) erfolgten in einer schon christianisierten Umgebung. Auch die Lex Alamannorum des frühen 8. Jahrhunderts zeigt in einem eigenen, den Kirchensachen gewidmeten Abschnitt eine durchstrukturierte Kirchenordnung, in welcher der Bischof, umgeben von Diakonen und Klerikern und unterstützt durch Pfarrpriester, die zentrale Rolle einnimmt und in der selbst das Mönchswesen und die ständische Ordnung der kirchlichen Abhängigen schon berücksichtigt sind. Die Grundzüge der kirchlichen Ordnung Alemanniens wurden auch unter den Karolingern im Wesentlichen beibehalten.

Quellen und Literatur

  • Qu. zur Gesch. der Alemannen, hg. von C. Dirlmeier et al., 7 Bde., 1976-87
  • Reallex. der germ. Altertumskunde 1, 21973, 137-163
  • H. Keller, «Fränk. Herrschaft und alemann. Herzogtum im 6. und 7. Jh.», in ZGO 124, 1976, 1-30
  • Von der Spätantike zum frühen MA, hg. von J. Werner, E. Ewig, 1979
  • LexMA 1, 263-266
  • D. Geuenich, «Zur Landnahme der Alemannen», in Frühma. Studien 16, 1982, 25-44
  • Alemannien und Ostfranken im FrühMA, hg. von F. Quarthal, 1984
  • Die transalpinen Verbindungen der Bayern, Alemannen und Franken bis zum 10. Jh., hg. von H. Beumann, W. Schröder, 1987
  • Archäologie und Gesch. des ersten Jt. in Südwestdeutschland 1, hg. von H.U. Nuber et al., 1990
  • H. Castritius, «Von polit. Vielfalt zur Einheit», in Typen der Ethnogenese unter besonderer Berücksichtigung der Bayern, Tl. 1, hg. von H. Wolfram, W. Pohl, 1990, 71-84
  • J. Jarnut, «Alamannien z.Z. der Doppelherrschaft der Hausmeier Karlmann und Pippin», in Beitr. zur Gesch. des Regnum Francorum, hg. von R. Schieffer, 1990, 57-66
  • H. Keller, «Probleme der frühen Gesch. der Alemannen ("alamann. Landnahme") aus hist. Sicht», in Ausgewählte Probleme europ. Landnahmen des Früh- und HochMA, hg. von M. Müller-Wille, R. Schneider, 1993, 83-102
  • Zur Kontinuität zwischen Antike und MA am Oberrhein, hg. von F. Staab, 1994
  • GKZ 1, 1995, 109-171
  • D. Claude, «Zu Fragen des alemann. Königtums an der Wende vom 5. zum 6. Jh.», in Hess. Jb. für Landesgesch. 45, 1995, 1-16
  • A. Furger et al., Die Schweiz zwischen Antike und MA, 1996
  • Die Alamannen, Ausstellungskat. Zürich, 1997
  • D. Geuenich, Gesch. der Alemannen, 1997
  • Die Franken und die Alemannen bis zur "Schlacht bei Zülpich" (496/97), hg. von D. Geuenich, 1998
  • Franks and Alamanni in the Merovingian Period, hg. von I. Wood, 1998
  • F. Siegmund, Alemannen und Franken, 2000
Weblinks

Zitiervorschlag

Reinhold Kaiser: "Alemannen", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 18.01.2018. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008027/2018-01-18/, konsultiert am 07.10.2024.