de fr it

Biologie

Biologie befasst sich mit den Phänomenen des Lebens, seiner Entstehung (Evolution), Vielfalt (Biodiversität), Struktur (Morphologie), dem Funktionieren (Physiologie), der Reproduktion und Entwicklung (Molekular-, Zell- und Entwicklungsbiologie) des Individuums, den inner- und zwischenartlichen Beziehungen (Ethologie) sowie den Interaktionen wie auch der Einfügung und Verbreitung der Organismen in der Biosphäre (Ökologie, Biogeografie). Die klassische Gliederung der Biologie in Botanik, Zoologie und Anthropologie beruht auf der aristotelischen Unterscheidung von Pflanzen, Tieren und Menschen, von welchen später die einzelligen Mikroorganismen, Gegenstand der Mikrobiologie, abgegrenzt wurden. Biowissenschaften im weitern Sinne sind alle Gebiete, die Grundlagen für das Verständnis von Leben (z.B. Biochemie, Biophysik) erarbeiten oder die sich mit der Nutzung (Forstwissenschaft, Agrarwissenschaften, Biotechnologie), den Krankheiten (Medizin, Tiermedizin, Phytopathologie) und dem Schutz der Organismen befassen. Die Entwicklung der Biologie auf dem Gebiet der heutigen Schweiz verlief im europäischen Kontext. Bis ins 18. Jahrhundert hinein ist sie gekennzeichnet durch jenes enge schriftliche und persönliche Beziehungsnetz, das die Gelehrten des Abendlandes miteinander verband, die université invisible.

Im 16. Jahrhundert wurden Botanik und Zoologie in erster Linie wegen ihrer heilkundlichen Bedeutung betrieben. Damals schrieb man Tieren und ihren Organen ebenso heilkräftige Wirkung zu wie Heilkräutern. Dies ergab sich unter anderem aus der Tatsache, dass die meisten Botaniker und Zoologen hauptberuflich Ärzte waren. Von der Humananatomie konnte die zoologische methodisch und terminologisch nachhaltig profitieren, umgekehrt verdankt die Humanphysiologie ihren Fortschritt dem Tierversuch. Eine gewaltige Horizonterweiterung erhielten Zoologie und Botanik durch neu entdeckte Tiere und Pflanzen aus Übersee und die Erfindung des Mikroskops. Den drei bedeutendsten in der Schweiz wirkenden Biologen des 16. und 17. Jahrhunderts, Konrad Gessner, Caspar Bauhin und Johann Jakob Scheuchzer (1672-1733), ist gemeinsam, dass sie Ärzte und Universalgelehrte waren, die als Zoologen, Botaniker, Anatomen oder Physiologen zu grossem Ansehen gelangten.

Gleichermassen universell ausgerichtet war im 18. Jahrhundert Albrecht von Haller (1708-1777). Zu einer allgemein gültigen Erkenntnis über alle Organismen, also zur Biologie, gelangte er jedoch genauso wenig wie seine Vorgänger. Ansätze zu solcher Universalität finden sich bei Charles Bonnet, der sich in seinen philosophischen Schriften auch übergeordneten biologischen Fragestellungen zuwandte. Mit der Umsetzung der Leibniz'schen Stufenleitern für die Organismen, der Vorwegnahme von Georges Cuviers Katastrophentheorie und der Infragestellung der Artkonstanz wurde er zum wichtigsten Vorläufer der Evolutionstheorien des 19. Jahrhunderts.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeichnete sich ein Trend zum Spezialisten ab: zum Beispiel Abraham Trembley mit seinen bahnbrechenden Regenerationsexperimenten am Süsswasserpolypen, der Bienenforscher François Huber, Nicolas Théodore de Saussure, Begründer der Stoffwechselphysiologie der Pflanzen, und Augustin-Pyramus de Candolle, einer der grossen Pflanzensystematiker. Begünstigt durch die Gründung kantonaler Universitäten und des Eidgenössischen Polytechnikums im 19. Jahrhundert setzte sich der Spezialisierungstrend auch innerhalb der biologischen Teildisziplinen fort, zum Beispiel durch die Schaffung von Lehrstühlen in allgemeiner und systematischer Botanik bzw. Zoologie. Selbst die zu Beginn des 19. Jahrhunderts unter dem Einfluss Friedrich Wilhelm Joseph von Schellings aufkommende Naturphilosophie, unter deren Einfluss auch der in Zürich wirkende Lorenz Oken stand, konnte diese Tendenz nicht aufhalten. Hervorragendste Biologen des 19. Jahrhunderts waren der Zoologe Louis Agassiz, der Paläobiologe Oswald Heer, der Botaniker Carl Wilhelm von Nägeli sowie Albert Kölliker, der als einer der Ersten die Bedeutung des Zellkerns erkannte. Ludwig Rütimeyer war Mitbegründer der historischen Zoogeografie. Simon Schwendener erkannte als Erster den symbiotischen Charakter der Flechten. Wilhelm His (1831-1904) betrieb bahnbrechende Forschungen über das Nervensystem und zur Embryologie der Wirbeltiere. Hermann Fol gilt als Vater der modernen Zytologie. Es ist bezeichnend, dass die meisten dieser Schweizer im Ausland zum Erfolg gelangten.

Im 20. Jahrhundert erhielt das Experiment zentrale Bedeutung für nahezu alle Disziplinen der Biologie, besonders aber für die Genetik, Zell- und Entwicklungsbiologie sowie später für die Populationsbiologie und Ethologie. Aufgrund der Erkenntnis, dass Tiere und Pflanzen sich vor allem im molekularen und zellulären Bereich kaum unterscheiden, entstanden integrale "biologische" Disziplinen wie die Zell-, Molekular- und Entwicklungsbiologie. Neue Techniken, so die Elektronenmikroskopie, die biochemische und molekularbiologische Analyse und Strukturaufklärung, die Mikroelektronik und Informatik, verhalfen der Biologie seit den 1950er Jahren zu einem Wissens- und Erkenntniszuwachs, der sich in jedem Jahrzehnt verdoppelt haben dürfte. An diesen Erfolgen der internationalen Forschungsgemeinschaft sind und waren schweizerische Biologen und Institutionen verhältnismässig gut beteiligt. Biologische Grundlagenforschung wird in der Schweiz im Unterschied zu grösseren Ländern fast ausschliesslich an Universitäten betrieben, materiell wird sie grösstenteils vom Schweizerischen Nationalfonds getragen.

Unentbehrliche Archive der Biodiversität, vor allem des eigenen Landes, bilden die wissenschaftlichen Sammlungen tierischer Präparate und Herbarien der Universitäten oder selbstständiger Institutionen. International bedeutende zoologische Sammlungen besitzen die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH, Insekten), das Naturhistorische Museum Basel (Käfer, Mollusken), das Musée d'histoire naturelle in Genf (Reptilien) und das Zoologische Museum der Universität Zürich (Landschnecken, Drosophiliden). Durch die Zusammenlegung der Herbarien der ETH und des Instituts für Systematische Botanik der Universität entstand an der Universität Zürich eines der weltweit grössten Herbarien.

Für die Popularisierung der Biologie haben die in den letzten Jahrzehnten grösstenteils grundlegend erneuerten zoologischen oder naturkundlichen Museen an Bedeutung gewonnen. Teilweise auf "Schatzkammern der Kunst und der Natur" des 16. und 17. Jahrhunderts zurückgehend, spielen diese Institutionen mit ihren Aktivitäten eine massgebende Rolle für die Verbreitung biologischen Wissens.

Quellen und Literatur

  • Die Univ. Zürich 1833-1933 und ihre Vorläufer, 1938, 259-294, 568-596, 696-698, 868-872
  • Die Univ. Zürich 1933-1983, 1983, 578-588, 651
  • Hochschulgesch. Berns 1528-1984, 1984, 748-753
  • G. Kreis, Die Univ. Basel 1960-85, 1986, 109-113
  • Gesch. der Univ. Freiburg, Schweiz, 1889-1989, Bd. 2, 1991
  • Aspects de la médecine, de la biologie et de la santé publique en Suisse romande, hg. von H. Koelbing, P. Mudry, 1992
  • N. Stettler, Vielfalt als Herausforderung für die Biowissenschaften, 2002
Weblinks

Zitiervorschlag

Vincent Ziswiler: "Biologie", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 09.03.2011. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008256/2011-03-09/, konsultiert am 06.12.2024.