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Wirtschaftskrieg

Von einem Wirtschaftskrieg spricht man, wenn ein Krieg führender Staat einen Feind zu bezwingen versucht, indem er dessen Wirtschaft angreift oder lahmzulegen sucht. Einen Staat sowie dessen Armee von der Versorgung abzuschneiden, die Anbauflächen zu verwüsten oder eine Stadt zu belagern, um ihre Bewohner auszuhungern, haben sich dabei über viele Epochen hinweg als wirksame Strategien erwiesen. Wirtschaftskriege setzen nicht notwendigerweise eine vorangegangene Kriegserklärung voraus. Neutrale Staaten bleiben von ihnen nicht verschont; sie können direkt oder indirekt tangiert sein.

Mittelalter bis 1798

Bis ins 15. Jahrhundert waren die Feldzüge der Eidgenossen von kurzer Dauer und einträglich. Plünderungen, die ein willkommenes Mittel zur Bereicherung und zur «Entschädigung» der Truppen darstellten, konnten den Gegner zu Verhandlungen und/oder gar zur Kampfaufgabe zwingen. Die eidgenössischen Orte setzten auch untereinander gelegentlich auf wirtschaftskriegerische Praktiken. So verhängte die Stadt Zürich 1438 eine Kornsperre gegen Schwyz – diese war eine der Ursachen des Alten Zürichkriegs – und 1531 während der Konfessionskriege eine Lebensmittelblockade gegen die Waldstätte (Kappelerkriege). Dieses Vorgehen führte beide Male zu Nahrungsmittelknappheit und Hunger unter der gegnerischen Bevölkerung.

Einzelpersonen, die eine Fehde austrugen, griffen ebenfalls zu wirtschaftlichen Kampfmassnahmen. So erklärte Heini Wolleb von Ursern Ende des 15. Jahrhunderts, wohl von seiner Familie und Gemeindeangehörigen unterstützt, Florenz die Fehde, ebenso wie 1517 der Unterwaldner Arnold Winkelried (vor 1481-1522) dem französischen König. Indem sie die Handelskarawanen ihrer Feinde angriffen, fügten sie diesen materielle Schäden zu, um die Wiedergutmachung des erlittenen Unrechts zu erzwingen. Die fremden Dienste boten ein gewisses Ventil für die Streitlust und die von den Eidgenossen mit den Nachbarmächten Frankreich und Herzogtum Mailand abgeschlossenen Kapitulationen schlossen erpresserische Lieferungsboykotte von lebenswichtigen Güter wie Salz oder Getreide ausdrücklich aus. Diese Regelungen wurden bis zur Französischen Revolution weitgehend respektiert.

1798 bis 1945

1798 wurde die Eidgenossenschaft von Frankreich besetzt und geplündert (Franzoseneinfall, Helvetische Republik). In der Mediation war sie vom Wirtschaftskrieg betroffen, den Napoleon gegen Grossbritannien führte, ab 1806 namentlich von der Kontinentalsperre. Ab 1803 wurden die prohibitiven französischen Steuern auf englischen Textilwaren auch auf schweizerische Baumwollartikel angewandt. Nach 1815 schaffte Frankreich die drückenden napoleonischen Zölle nicht ab, sodass die schweizerischen Unternehmen praktisch vom französischen Markt ausgeschlossen waren. Die Niederlande, Spanien, Österreich und deutschen Staaten ahmten diese Politik nach. Die föderalistische Struktur der Eidgenossenschaft bis 1848 verhinderte wirksame Vergeltungsmassnahmen, zumal sich die Orte auch untereinander regelrechte Wirtschaftskriege lieferten. So rief etwa der Kanton Bern zu Beginn der Restauration zu einem Boykott der waadtländischen Weine auf.

Im 19. und vor allem im 20. Jahrhundert zeichnete sich eine Tendenz zum totalen Krieg ab, der sämtliche Aktivitäten der betroffenen Gesellschaften tangierte. Wirtschaftskriegerische Massnahmen wie schwarze Listen, Boykotte, Embargos, Wirtschaftssanktionen, Einfrieren von Vermögen, Sperren von Krediten, Blockierung von Zufahrtswegen und Zerstörung industrieller Anlagen wurden nun zu einem wichtigen Instrument der Politik und der Kriegsführung; schon ihre blosse Androhung konnte – vielleicht zusammen mit anderen Druckmitteln oder Erpressungen – den anvisierten Staat zum Nachgeben veranlassen, vor allem wenn sein Überleben von Im- und Exporten abhing. Die Weiterentwicklung der Kriegsformen trug nicht dazu bei, die Respektierung des Neutralitätsstatus vonseiten neutraler oder Krieg führender Staaten zu fördern. Letztere können im Rahmen ihrer Kriegsanstrengungen nicht alle Rechte und Interessen der Neutralen wahren, während diese wiederum aufgrund ihrer schwachen Position nicht darum herumkommen, vor allem wirtschaftliche Zugeständnisse zu machen.

Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs erkannte der Bundesrat die Gefahren, die ein Wirtschaftskrieg im Fall eines europaweiten Konflikts für die Schweiz barg. Er kündigte an, dass er die Neutralität aufgeben und sich einer Kriegspartei anschliessen werde, falls die Versorgung der Schweiz nicht mehr gewährleistet sei. 1914-1918 bekundeten die schweizerischen Behörden grosse Mühe, eine minimale Versorgung der Schweiz sicherzustellen, zumal das Land auf einen solchen Krieg nicht vorbereitet war (Wirtschaftliche Landesversorgung). In beiden Weltkriegen wurden sämtliche Aktivitätsbereiche vom Wirtschaftskrieg der Kriegsparteien beeinträchtigt. Diese verhängten Blockaden bzw. Gegenblockaden und forderten eine Überwachung der Einfuhren und Ausfuhren der Schweiz. 1915 wurden deshalb die Société suisse de surveillance économique und die Schweizerische Treuhandstelle für Überwachung des Warenverkehrs eingerichtet; 1939 schuf man überdies die Zentralstelle für die Überwachung der Ein- und Ausfuhr (Kriegswirtschaft). Nach ihrem Kriegseintritt 1917 beschränkten die USA ihre Exporte in die neutralen Länder drastisch, um die Blockade der Mittelmächte durchzusetzen. Die Schweiz entsandte eine Delegation nach Washington, um ihre Bedürfnisse darzulegen.

1935 verhängte der Völkerbund Sanktionen gegen das faschistische Italien, das in Abessinien einmarschiert war. Als Mitglied des Völkerbunds untersagte die Schweiz, welche die «differenzielle Neutralität» praktizierte, Ausfuhren von militärischem Material in die beiden Länder und setzte die Massnahmen bezüglich Exportkrediten für militärisch nutzbare Güter um. Sie weigerte sich jedoch, sich dem Boykott gegen italienische Waren anzuschliessen und die Handelsbeziehungen zum südlichen Nachbarn abzubrechen. Stattdessen beschränkte sie den Warenverkehr auf den Umfang von 1934. Als sich herausstellte, dass viele Staaten die Sanktionen nicht mittrugen, hob Bern die Massnahmen im Dezember 1936 auf. Angesichts der in Europa heraufziehenden Gefahren kehrte die Schweiz dann zur «integralen Neutralität» zurück.

Während des Zweiten Weltkriegs (1939-1945) waren die schweizerischen Behörden gezwungen, zur Sicherung der Versorgung und zur Wahrung der wirtschaftlichen Landesinteressen sämtliche Trümpfe auszuspielen. Diese umfassten Warenlieferungen – auch solche von Waffen oder Waffenbestandteilen – und Dienstleistungen wie etwa die frei konvertible Währung oder die Nutzung der Alpentransversalen, deren Zerstörung schon vorbereitet war, für die Krieg führenden Mächte. Auch verhinderte 1943-1944 der Kauf von deutschem Gold durch die Schweizerische Nationalbank den Ausbruch eines Wirtschaftskriegs gegen die Schweiz, der sich fatal hätte auswirken können.

Vom Kalten Krieg bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts

Nach 1945 implizierte der Kalte Krieg einen unablässigen, vielgestaltigen Wirtschaftskrieg zwischen dem kommunistischen Ostblock, der die Weltherrschaft anstrebte, und den Ländern des Westens, deren Regierungen dem Gegner den Zugang zu den fortgeschrittenen Technologien der Demokratien verwehren wollten. Der Schweiz legten vor allem die USA Verbote auf, bestimmte sensible Produkte zu erwerben. Auch wurde die (Wieder-)Ausfuhr ziviler oder militärischer Systeme gewissen Kontrollen und Sperren unterstellt, die sich zum Teil auch auf schweizerische Erzeugnisse bezogen. Im Fall von Verstössen drohten der Schweiz Retorsionsmassnahmen, die ihr Wirtschaftsleben beeinträchtigt hätten (Hotz-Linder-Agreement).

Als die UNO 1965 Sanktionen gegen Rhodesien verhängte, verfügte die Schweiz, die damals nicht Mitglied der UNO war, ein Embargo für Kriegsmaterial nach Salisbury, unterwarf Ausfuhren nach Rhodesien der Bewilligungspflicht und beschränkte diese auf den «courant normal». Sie weigerte sich, alle Sanktionen gemäss der Weisung des UNO-Generalsekretärs umzusetzen, versprach aber zu verhindern, dass diese Restriktionen auf Umwegen über die Schweiz umgangen würden. Im Dezember 1979 wurden die Massnahmen schliesslich aufgehoben. Die UNO erliess ausserdem Sanktionen gegen das Apartheidregime in Südafrika. Bern beschränkte die Kapitalausfuhren auf den normalen durchschnittlichen Umfang, ergriff jedoch keine wirtschaftlichen Sanktionen. Nach der irakischen Invasion in Kuweit beschloss die UNO im August 1990, Irak finanziell, kommerziell und militärisch zu boykottieren. Die Schweiz, die damals der UNO immer noch nicht beigetreten war, setzte die nichtmilitärischen Sanktionen gemäss dem Kapitel 7 der UNO-Charta um.

Autofreier Sonntag am 25. November 1973 (Ringier Bildarchiv, RBA4-3-112-2534) © Staatsarchiv Aargau / Ringier Bildarchiv.
Autofreier Sonntag am 25. November 1973 (Ringier Bildarchiv, RBA4-3-112-2534) © Staatsarchiv Aargau / Ringier Bildarchiv. […]

Während des israelisch-arabischen Jom-Kippur-Kriegs 1973 führten Boykottmassnahmen der Ölförderländer zu einer Ölkrise, die die Weltwirtschaft erschütterte. Die Schweiz verfügte eine Rationierung der Treibstoffe.

Anfang der 1990er Jahre, nach dem Ende des Kalten Kriegs, gewannen Wirtschaftsinformationen für die östlichen wie die westlichen Geheimdienste an Bedeutung. Staaten und Unternehmen verwandelten den Wettbewerb und den Nachrichtenaustausch in einen eigentlichen Informationskrieg. Im gleichen Zeitraum stieg die Häufigkeit des Einsatzes von wirtschaftlichen Druckmitteln. Die UNO setzt wirtschaftliche Zwangsmassnahmen zur Wiederherstellung des Friedens und zur Wahrung des Völkerrechts ein. Ihrem Beispiel folgen die Europäische Union und die Vereinigten Staaten bei der Verfolgung ihrer politischen, wirtschaftlichen und fiskalischen Ziele zuweilen mithilfe von gestohlenen Daten.

Quellen und Literatur

  • W. Schaufelberger, «Guerre et guerriers à la fin du Moyen Age», in RMS 115, 1970, Nr. 7, 297-312
  • La sécurité par la coopération, 1999
Weblinks

Zitiervorschlag

Hervé de Weck: "Wirtschaftskrieg", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 07.05.2015, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008590/2015-05-07/, konsultiert am 28.03.2024.