Autorin/Autor:
Gilbert Kaenel
Übersetzung:
Anja Lindner
Der Mont Vully (deutsch Wistenlacherberg) liegt an exponierter Stelle im Westen des Mittellands halb auf freiburgischem, halb auf waadtländischem Kantonsgebiet. Der 653 m hohe Hügel in der Ebene des Grossen Mooses überragt im Süden den Murtensee und im Nordwesten das östliche Ufer des Neuenburgersees, wo sich der Fundort La Tène befindet. 1978-1987 waren der östliche Teil des Mont Vully (Gemeinde Mont-Vully) und sein Gipfel (Plan Châtel) Gegenstand archäologischer Forschungen im Rahmen eines Nationalfondsprojekts.
Aufgrund seiner geschützten Lage wurde der Mont Vully in der Ur- und Frühgeschichte mehrfach begangen, besiedelt und befestigt. Einige Feuersteinartefakte und zwei geschliffene Steinäxte stammen aus dem Mesolithikum und dem Neolithikum. Bei Plan Châtel wurden Funde aus der mittleren Bronzezeit gemacht und am Westhang stand eine spätbronzezeitliche Befestigung. Es fanden sich auch Spuren aus der Hallstattzeit. In der jüngeren Eisenzeit wurde auf demselben Grat wie zur Bronzezeit eine Befestigung errichtet.
Der Wall des keltischen Oppidums
Autorin/Autor:
Gilbert Kaenel
Übersetzung:
Anja Lindner
Am Ende der Latènezeit entstand im Westen, ca. 120 m unterhalb von Plan Châtel eine bedeutende Wehranlage. Ein Festungswall mit einer mächtigen Pfostenschlitzmauer, wie er in der keltischen Kultur des 2. und 1. Jahrhunderts v.Chr. weit verbreitet war, erstreckte sich auf einer Länge von 600 m quer über den Hügel. Die Front des Walls bildeten Eichenpfähle, die in regelmässigen Abständen von 3,5 m fest im Boden verankert waren und durch schmale, von Längsbalken unterteilte Trockenmauerabschnitte verbunden wurden. Der Kern des Walls bestand aus Erde. Er wurde auf der Vorderseite von der Mauer gehalten und fiel dahinter über 20 bis 30 m gegen den Berg hin ab. 3 m hinter der vorderen verlief in der Aufschüttung eine zweite Reihe senkrechter Stämme, die dem Bauwerk Stabilität gaben. Ein Zangentor und zwei Türme links und rechts davon wurden teilweise ausgegraben. Im Innenraum eines Turms, der aus zwei quer zum Wall verlaufenden Seitenmauern in derselben Bauweise bestand, wurden Keramik, Glasperlen, Potinmünzen, Fibeln sowie Eisen- und Bronzewerkzeug gefunden. Aufgrund dieser Funde dürfte die Besiedlung des Orts ungefähr aus der Zeit zwischen 120 und 80 v.Chr. datieren.
Die Rolle des Oppidums
Autorin/Autor:
Gilbert Kaenel
Übersetzung:
Anja Lindner
Die Ergebnisse der zahlreichen punktuellen Sondierungen im Innern der Befestigung und im Gebiet Sur les Planches, der Ebene südlich unterhalb der Anlage über dem Murtensee, sprechen – im Unterschied zu anderen keltischen Oppida (Oppidum) – eher gegen die Existenz einer Villa. Da auf der 50 ha grossen, durch die Befestigung geschützten Fläche des Oppidums Spuren einer dichten, strukturierten Besiedlung fehlen, scheint es sich eher um einen Festungs- oder Besammlungsort, vielleicht für das ganze Dreiseenland, zu handeln. Die politische Funktion des Oppidums, das den Helvetiern, sehr wahrscheinlich dem pagus Tigurinu, zuzuschreiben ist, wurde durch den Fund eines Prägestempels für Silberquinare mit der Inschrift KALETEDV untermauert.
Archäologie und Geschichte
Autorin/Autor:
Gilbert Kaenel
Übersetzung:
Anja Lindner
Die Siedlungsspuren liegen unter einer dicken Schicht Holzkohle, die von der Aufgabe der Befestigung zeugt. In den 1980er Jahren wurde sie als archäologischer Nachweis für die Auswanderung der Helvetier im Frühling 58 v.Chr. unter der Führung Divicos (Schlacht bei Bibracte) gedeutet. Diese damals plausible Annahme wurde inzwischen verworfen, da die Chronologie der späten Latènezeit angepasst wurde. Nach neuesten Erkenntnissen dürfte ein Brand den Ort um 80 v.Chr. verwüstet haben.
Wie stark und wie lange der Mont Vully am Südhang (Sur les Planches) besiedelt war, bleibt weitgehend unklar. Die Befestigung des Oppidums wurde nach dem Brand nicht wieder aufgebaut. Überlebende Helvetier liessen sich vielleicht in Bois de Châtel, oberhalb von Avenches, der künftigen Hauptstadt des römischen Helvetien (Aventicum), nieder. Einige Funde belegen eine begrenzte Besiedlung des Mont Vully auf den Überresten der keltischen Befestigung im 1. und 2. Jahrhundert n.Chr.