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Johann HeinrichPestalozzi

Bildnis Johann Heinrich Pestalozzi. Öl auf Leinwand von Georg Friedrich Adolph Schöner, um 1804 (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv).
Bildnis Johann Heinrich Pestalozzi. Öl auf Leinwand von Georg Friedrich Adolph Schöner, um 1804 (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv). […]

12.1.1746 Zürich, 17.2.1827 Brugg, reformiert, von Zürich, ab 1792 französischer Ehrenbürger. Sohn des Johann Baptist Pestalozzi, Chirurgen, und der einer dörflichen Notablenfamilie entstammenden Susanna Hotz. 1769 Anna Schulthess, Tochter des Hans Jakob Schulthess, Kaufmanns, und der Anna Holzhalb. Nach dem Besuch der Schulen in Zürich studierte Johann Heinrich Pestalozzi Theologie und Recht am Zürcher Carolinum, brach jedoch seine Studien ab und wandte sich der von Johann Jakob Bodmer beeinflussten jugendlichen Vereinigung der Patrioten zu, die eine Erneuerung des Vaterlands anstrebte. Dann entschloss er sich zum Einstieg in die Landwirtschaft. Dank Unterstützung – auch vonseiten der Schwiegereltern, die sich zu Beginn gegen die Ehe ihrer Tochter gestellt hatten – wurde er Gutsherr auf dem Neuhof in Birr. Da sein Betrieb nicht rentierte, errichtete er eine Anstalt für arme Kinder, in der diese das Spinnen und Weben erlernten. Das Projekt, das anfänglich in der Öffentlichkeit wohlwollend aufgenommen worden war, schlug fehl, was Pestalozzi in eine Existenzkrise stürzte. Ermuntert durch Isaak Iselin begann er schriftstellerisch tätig zu werden. Eine Reihe wichtiger Werke entstand, darunter die stimmungsvolle Abendstunde eines Einsiedlers (1780) und die strafrechtsreformerische Schrift Über Gesetzgebung und Kindermord (1783). Einen europaweiten Erfolg verbuchte sein Bauernroman Lienhard und Gertrud (4 Bde., 1781-1787), der sich sozialkritisch mit dörflicher Korruption und ihrer möglichen Beseitigung durch eine aufgeklärte Obrigkeit auseinandersetzte. Als philosophisches Hauptwerk folgten Meine Nachforschungen über den Gang der Natur in der Entwicklung des Menschengeschlechts (1797), die Pestalozzi als «Philosophie meiner Politik» bezeichnete. In der 1793 verfassten, aber erst 1897 – also lange nach seinem Tod – veröffentlichten Schrift Ja oder Nein? setzte er sich mit der Schreckensherrschaft während der Französischen Revolution auseinander, wobei seine Sympathien geteilt waren. Die neu geschaffene Republik verlieh ihm im August 1792 das französische Ehrenbürgerrecht. Im Stäfnerhandel 1795 bemühte sich Pestalozzi wie Johann Kaspar Lavater um einen unblutigen Ausgleich.

Titelblatt und Seiten aus Johann Heinrich Pestalozzis Anweisung zum Buchstabieren- und Lesenlehren, Bern 1801 (Bayerische Staatsbibliothek, Münchener DigitalisierungsZentrum).
Titelblatt und Seiten aus Johann Heinrich Pestalozzis Anweisung zum Buchstabieren- und Lesenlehren, Bern 1801 (Bayerische Staatsbibliothek, Münchener DigitalisierungsZentrum). […]

Die politischen Umwälzungen von 1798 brachten auch in Pestalozzis Leben eine Wende. Er stellte sich in den Dienst der Helvetischen Republik, als politischer Publizist, als wenig erfolgreicher Redaktor des Helvetischen Volksblatts und 1798-1799 als Leiter einer Waisenanstalt in Stans. Während der Zeit in Stans erkannte Pestalozzi seine pädagogische Ader. Nach der kriegsbedingten Schliessung der Anstalt zog er 1799 nach Burgdorf, wo er zuerst als einfacher Lehrer, dann als Vorsteher eines Erziehungsinstituts auf dem Schloss wirkte. Im Buch Wie Gertrud ihre Kinder lehrt (1801) legte er die Prinzipien seiner Erziehungsmethode fest, die er einmal mit der Aussage «[...] Einsicht, Liebe und Berufskraft vollenden den Menschen; der Zweck der Erziehung ist einzig diese Vollendung» umschrieb und auf die Kurzformel «Kopf, Herz und Hand» brachte (Pädagogik).

1802-1803 nahm Pestalozzi als Mitglied der Consulta erfolglos und kurzfristig an den Verhandlungen in Paris teil. Beim Übergang zur Mediation verlor das Institut sein Recht auf den Sitz auf dem Schloss Burgdorf; nach einem kurzen Intermezzo in Münchenbuchsee wurde es 1805 nach Yverdon verlegt. Das Ansehen des Instituts und seines Gründers wuchs, und das Schloss Yverdon entwickelte sich zu einem international bekannten pädagogischen Zentrum. Der Zugang zum Institut blieb allerdings wegen der hohen Kosten auf die Söhne aus der Oberschicht beschränkt. Ein Institut für Arme, das Pestalozzi in Clendy bei Yverdon gegründet hatte, ging bald wieder ein. Weniger Bedeutung mass er der Mädchenbildung bei. Die von ihm gegründete Schweizerische Gesellschaft für Erziehung sowie öffentliche Auftritte (Lenzburger Rede 1809) dienten der Propagierung seines neuen pädagogischen Ansatzes, wobei er auch auf Widerspruch stiess. Napoleons Sturz, der Systemwechsel in Europa und der Schweiz erweckten bei Pestalozzi Hoffnungen auf eine neue Ära auch im pädagogischen Bereich – spürbar in seiner Schrift An die Unschuld, den Ernst und den Edelmuth meines Zeitalters und meines Vaterlandes (1815) –, die aber bald in Ernüchterung umschlugen. In der gleichen Zeit setzte der Niedergang des Instituts ein, bedingt durch wirtschaftliche Schwierigkeiten und vor allem durch einen Lehrerstreit. Der Tod seiner Frau 1815, die als Hausmutter und Finanzverwalterin eine tragende Rolle innerhalb des Instituts gespielt hatte, beschleunigte den Prozess. Fortan stützte sich Pestalozzi auf den ihn dominierenden Joseph Schmid, was zum Bruch mit Johannes Niederer, seinem wichtigsten Mitarbeiter, führte. Trotz seines wachsenden Prestiges, davon zeugen der Empfang durch Zar Alexander I. in Basel 1814, das Breslauer Ehrendoktorat, die erste Gesamtausgabe der Werke bei Cotta ab 1817, zerfiel das Institut und wurde 1825 auf Druck der Waadtländer Regierung aufgehoben. Pestalozzi kehrte auf den Neuhof in Birr zurück und widmete sich ganz der Publizistik. 1826 hielt er als Ehrenpräsident der Helvetischen Gesellschaft die sogenannte Langenthaler Rede, in der er vor negativen Entwicklungen der Industrialisierung warnte. Im Schwanengesang (1826) zog er Bilanz über sein Leben und Werk. Noch zu Lebzeiten hatte sich Pestalozzis Pädagogik zu einer von Europa bis nach Nordamerika verbreiteten Lehre entwickelt. Er ist bis heute wohl einer der weltweit berühmtesten Schweizer.

Quellen und Literatur

  • Pestalozzi, Johann Heinrich: Sämtliche Werke, 29 Bde., 1927-1996.
  • Pestalozzi, Johann Heinrich: Werke in 8 Bänden. Gedenkausgabe zu seinem zweihundertsten Geburtstage, hg. von Paul Baumgartner, 1945-1949.
  • Pestalozzi, Johann Heinrich: Sämtliche Briefe, bearb. von Emanuel Dejung, Hans Stettbacher, 13 Bde., 1946-1971.
  • Pestalozzi, Johann Heinrich: Auswahl aus seinen Schriften, hg. von Arthur Brühlmeier, 3 Bde., 1977-1979.
  • Pestalozzi, Johann Heinrich: Politische Schriften, hg. von Ruedi Graf, 1991.
  • Delekat, Friedrich: Johann Heinrich Pestalozzi. Mensch, Philosoph, Politiker, Erzieher, 1926 (19683).
  • Rufer, Alfred: Pestalozzi, die französische Revolution und die Helvetik, 1928.
  • Schönebaum, Herbert: Johann Heinrich Pestalozzi. Wesen und Werk, 1954.
  • Silber, Käte: Pestalozzi. Der Mensch und sein Werk, 1957.
  • Klink, Job-Günter; Klink, Lieselotte: Bibliographie Johann Heinrich Pestalozzi. Schrifttum 1923-1965, 1968.
  • Liedtke, Max: Johann Heinrich Pestalozzi. In Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, 1968 (200216).
  • Rufer, Alfred: La Suisse et la Révolution française, 1974, S. 205-256.
  • Soëtard, Michel: Johann Heinrich Pestalozzi. Sozialreformer, Erzieher, Schöpfer der modernen Volksschule. Eine Bildbiographie, 1987 (französisch 1987).
  • Stadler, Peter: Pestalozzi. Geschichtliche Biographie, 2 Bde., 1988-1993.
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Zitiervorschlag

Peter Stadler: "Pestalozzi, Johann Heinrich", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 18.11.2020. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/009054/2020-11-18/, konsultiert am 29.03.2024.