de fr it

Dringlichkeitsklausel

Die von den eidg. Räten verabschiedeten Gesetze unterstehen seit 1874 dem Referendum, das ihre Inkraftsetzung aufschiebt und das Gesetzgebungsverfahren verlängert. In gewissen Fällen ist aber ein rascher Entscheid des Parlaments notwendig. Die BV 1874 enthielt daher die sog. D. (Art. 89), mit der referendumspflichtige Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse dem Referendum entzogen werden konnten. Mit der 1946 eingereichten Volksinitiative "Für die Rückkehr zur direkten Demokratie" wurde eine Reglementierung des Dringlichkeitsrechts eingeleitet. Die Initiative wurde gegen den Widerstand von Parlament und Bundesrat am 11. Sept. 1949 angenommen und der neue Art. 89bis in die BV eingefügt. Demnach ist in jeder der beiden Kammern ein qualifiziertes Mehr - 101 Stimmen im Nationalrat und deren 24 im Ständerat - und nicht nur die Mehrheit der jeweils Stimmenden erforderlich, um normative Rechtsakte für die Geltungsdauer von einem Jahr der D. zu unterstellen. Solche Erlasse treten sofort in Kraft, und gegen sie kann das Referendum nicht ergriffen werden. Längerfristige Erlasse bleiben dem Referendum unterworfen. Somit kann sich das Referendumsverfahren gegen Gesetze oder Beschlüsse richten, die schon in Kraft getreten sind. Wird ein solcher dringl. Erlass in der Volksabstimmung verworfen, so hat das Referendum aufhebende Wirkung; der Erlass wird binnen eines Jahres nach seiner Annahme durch die Räte hinfällig und kann nicht erneuert werden. Das Referendum ist fakultativ, wenn der Erlass verfassungskonform ist, obligatorisch, wenn er sich nicht auf die Verfassung stützt. Die Anwendung der D. hat die rasche Behandlung vieler heikler Geschäfte ermöglicht (Sanierung des Finanzhaushalts, Inflationsbekämpfung, Arbeitslosenversicherung, Asylrecht). In der BV 1999 ist die D. in Art. 165 unter dem Titel "Gesetzgebung bei Dringlichkeit" verankert. Der "dringliche Beschluss" der BV 1874 wurde darin zum "dringlichen Gesetz".

Quellen und Literatur

  • E. Grisel, «Artikel 89bis», in Kommentar zur BV der Schweiz. Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874, 1988, (mit Bibl.)
  • A. Auer et al., Droit constitutionnel suisse, 2 Bde., 2000, (mit Bibl.)
  • K. Sutter-Somm, «Artikel 165», in Die schweiz. BV, 2002, (mit Bibl.)
  • J.-F. Aubert, «Article 165», in Petit commentaire de la Constitution fédérale de la Confédération suisse du 18 avril 1999, 2003, (mit Bibl.)
Weblinks

Zitiervorschlag

Michel Hottelier: "Dringlichkeitsklausel", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 15.07.2005, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/010092/2005-07-15/, konsultiert am 28.03.2024.