Beim Vernehmlassungsverfahren handelt es sich um eine vorbereitende Etappe in einem Gesetzgebungsprozess (Gesetze), durch die Entwürfe zu Verfassungsänderungen, grundlegenden Gesetzesbestimmungen, referendumspflichtigen völkerrechtlichen Verträgen und anderen Vorhaben von grosser politischer, wirtschaftlicher, finanzieller, ökologischer, sozialer oder kultureller Tragweite auf ihre Annahme- und Verwirklichungschance bei Kantonen, Parteien, gesamtschweizerischen Dachverbänden der Gemeinden, Städte und Berggebiete sowie der Wirtschaft und fallweise weiteren interessierten Kreisen hin geprüft werden (Politische Willensbildung). Das Vernehmlassungsverfahren zu den je eigenen Erlassesentwürfen eröffnet der Bundesrat bzw. die zuständige parlamentarische Kommission. Das sachlich zuständige Departement führt es schriftlich oder bei Dringlichkeit konferenziell durch. Auch wer keine Einladung zum Vernehmlassungsverfahren erhält, kann sich zu einer Vorlage äussern. Welche Vorlagen ein Vernehmlassungsverfahren erfordern, schrieben früher Bundesgesetze, 1947-1975 Bundesverfassungsbestimmungen, seit 1999 Artikel 147 der Bundesverfassung fest. Die Antworten der Kantone, Parteien und Verbände werden zur Kenntnis genommen, gewichtet und ausgewertet und in einem Bericht zusammengefasst. Vernehmlassungsunterlagen, Stellungnahmen und Zusammenstellung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens sind öffentlich zugänglich.
Die Einführung des Referendums 1874 zog das Vernehmlassungsverfahren als Versuch nach sich, die Widerstandskraft von Erlassesentwürfen gegenüber der Referendumsdrohung mitgliederstarker Organisationen wie Verbände und Parteien zu erhöhen. Es diente dazu, die Referendumschancen einer Vorlage abzuschätzen und die Vorlage annahme- und verwirklichungsfähig zu machen. Im Gefolge der beiden Weltkriege und der Weltwirtschaftskrise gewannen vor allem die grossen Verbände an Einfluss auf die Gesetzgebung und deren Vollzug. Denn der Bundesrat, der in den Krisenzeiten vom Ausnahmerecht (Vollmachtenregime) Gebrauch machte, konsultierte sie vorgängig bei wirtschaftspolitischen Entscheiden. Mit den Wirtschaftsartikeln wurde diese politische Praxis 1947 in der Bundesverfassung festgeschrieben. Aber auch die Ausbildung der Konkordanzdemokratie ab Mitte der 1930er Jahre stärkte das Vernehmlassungsverfahren. In der Nachbearbeitung der Mirage-Affäre von 1964 erfolgte mit den «Richtlinien über das Vorverfahren der Gesetzgebung» (1970) eine rechtliche Anpassung, und die «Verordnung über das Vernehmlassungsverfahren» (1991) sowie das «Vernehmlassungsgesetz» (2005) dehnten den Anwendungsbereich des Vernehmlassungsverfahrens sukzessive aus. 1990-1997 eröffnete der Bundesrat im Jahresdurchschnitt 24 Vernehmlassungsverfahren, 1998-2002 im Durchschnitt 37 und 2003-2008 im Durchschnitt 116.
Die Kantone kennen in der Regel ebenfalls ein Vernehmlassungsverfahren. Zuweilen ist es als sogenannte Volksdiskussion ausgestaltet, so im Kanton Appenzell Ausserrhoden. Das Vernehmlassungsverfahren ging aus dem alteidgenössischen Referendum, vor allem aus der Bündner und Walliser Spielart, sowie aus den ehemaligen Volksanfragen besonders der Stände Zürich, Bern, Luzern, Solothurn, Freiburg und Neuenburg hervor (Ämteranfragen). Letztere glichen nicht beschränkten Volksdiskussionen. Von der Einführung der helvetischen Verfassung 1798 bis zur Totalrevision der Bundesverfassung von 1874 bestand auf nationaler Ebene kein Vernehmlassungsverfahren.