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Ausserparlamentarische Kommissionen

Ausserparlamentarische Kommissionen (auch Expertenkommission genannt) sind der Bundesverwaltung angegliederte Organe, die sich aber mehrheitlich aus verwaltungsexternen Personen zusammensetzen. Sie kommen in nahezu allen Tätigkeitsgebieten der Verwaltung zum Einsatz, haben mehrheitlich permanenten Charakter, befassen sich zum Teil aber auch mit befristeten Aufgaben (Ad-hoc-Kommission). Auch auf kantonaler Ebene gibt es zahlreiche Organisationen dieser Art (mindestens 2000 zu Beginn der 1990er Jahre). Das Kommissionensystem des Bundes, das auch «Milizverwaltung» genannt wird, hat im Lauf der Zeit einen beträchtlichen Umfang angenommen. Es beruht auf einer langen Tradition, doch begann der grosse Aufschwung erst in den 1960er Jahren, als nach Wegen zur Entlastung der Bundesverwaltung und des Parlaments gesucht wurde. 1978 zählte man 373 ausserparlamentarische Kommissionen mit 5376 Sitzen, die auf 3866 «Experten» verteilt waren, wovon 3105 von ausserhalb der Bundesverwaltung stammten. Mehr als die Hälfte waren nach 1970, lediglich elf vor 1900 gegründet worden.

Das breite Aufgabenspektrum der ausserparlamentarischen Kommissionen reicht von gesetzgeberischen Funktionen von Ad-hoc-Kommissionen, die Verfassungsrevisionen, Gesetze und Verordnungen vorbereiten, über wichtige Planungsarbeiten, namentlich in den Bereichen Energie und Verkehr, bis zur Überwachung, Kontrolle oder gar Umsetzung öffentlicher Politiken. Schliesslich wirken mehrere ausserparlamentarische Kommissionen im Bereich der Rechtspflege. Es wird zwischen Verwaltungs- und Behördenkommisson unterschieden. Erstere haben beratende oder vorbereitende Funktion, Letztere sind mit Entscheidungsbefugnissen ausgestattet und bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Sie lassen sich drei Kategorien zuordnen: erstens Schiedskommissionen, welche verwaltungsrechtliche Streitigkeiten in erster Instanz beurteilen, zweitens Rekurskommissionen, die in zweiter Instanz urteilen, drittens die übrigen Kommissionen, welche unter anderem in den Bereichen Erziehung, Banken, Wettbewerbsregulierung sowie Radio und Fernsehen tätig sind. 1978 gab es 75 Behördenkommissionen, 1998 noch deren 38. Zahlreiche Kommissionen stützen sich auf Spezialgesetze, die den Politikbereich regulieren, in denen sie tätig sind. Die ersten generellen Erlasse über ausserparlamentarische Kommissionen stammen aus den frühen 1970er Jahren: die Richtlinien über das Vorverfahren der Gesetzgebung vom 6. Mai 1970 und die Kommissionsrichtlinien vom 3. Juli 1974. Beide wurden 1996 durch neue Verordnungen ersetzt.

Die Reglementierung des Kommissionswesens half mit, die Transparenz in diesem Bereich zu verbessern. Die Bundeskanzlei (Bundeskanzler), der die Oberaufsicht über die Kommissionen übertragen wurde, erstellte 1977 die erste Kommissionenstatistik und publizierte kurz darauf den ersten internen Katalog mit allen 1978 bestehenden Kommissionen und deren Mitgliedern. Seit 1985 publiziert sie alle vier Jahre eine Aufstellung der ständigen Kommissionen. Die Ad-hoc-Kommissionen werden nicht aufgeführt, obwohl sie teilweise sehr wichtig sind und rund 30% aller Kommissionen ausmachen. Die Reglementierung der ausserparlamentarischen Kommissionen ging einher mit einer wachsenden Aufmerksamkeit der Bundesversammlung gegenüber diesen Gremien. Die Geschäftsprüfungskommissionen veranlassten mehrere Untersuchungen über das Kommissionswesen, zuletzt 1994. Zu Kontroversen führten insbesondere die Repräsentativität der ausserparlamentarischen Kommissionen sowie die relativ häufige Einsitznahme von Parlamentariern darin.

Formell werden alle Kommissionsmitglieder von einem Departementschef oder vom Bundesrat ernannt. In Wirklichkeit können aber die Bundesbehörden nicht frei alle Mitglieder bestimmen, denn gewisse Experten werden durch aussenstehende Organisationen designiert, denen ein sogenanntes institutionelles Mandat zukommt. Das bedeutet, dass die Verwaltung sich damit begnügt, eine private oder öffentliche Organisation zur Mitwirkung in einer ausserparlamentarischen Kommission einzuladen, die Organisation sodann ihren Vertreter auswählt und in die betreffende Kommission beordert. Am meisten vom institutionellen Mandat profitieren die Dachverbände (Unternehmerverbände, Gewerkschaften, Schweizerischer Bauernverband). Mehrere Faktoren setzen der Aufsicht der Bundesverwaltung über die ausserparlamentarischen Kommissionen enge Schranken. Sie stellt nur einen Teil der Kommissionspräsidenten und Kommissionssekretäre. 1978 kam jeder zweite Kommissionspräsident von ausserhalb der Verwaltung, die das Sekretariat nur für vier Fünftel der Kommissionen führte.

Die Veröffentlichung von Kommissionslisten seit 1977 hat wissenschaftliche Untersuchungen über die ausserparlamentarischen Kommissionen ermöglicht. Sie führten zu einer genaueren Beschreibung der Machtstrukturen in diesen Gremien und zur Identifizierung von sogenannten Multi-Experten, d.h. Personen, die mindestens vier Kommissionssitze kumulierten und damit eine dominierende Position im Kommissionswesen einnahmen. Auch Vorstellungen über die paritätische oder proportionale Zusammensetzung der ausserparlamentarischen Kommissionen erfuhren eine Berichtigung. Arbeitgeberverbände hatten zu weit mehr Kommissionen Zutritt als Gewerkschaften. Die sprachliche Zusammensetzung entsprach nur auf der Ebene der gewöhnlichen Kommissionssitze den Sprachanteilen in der Schweiz, während die Deutschschweiz überproportional viele Multi-Experten und Präsidenten stellte. Frauen waren ursprünglich in den Kommissionen sehr schwach vertreten (1978 4,4%). 1992 führte der Bundesrat eine Quotenregelung ein, um den Frauenanteil in den ausserparlamentarischen Kommissionen zuerst auf 30%, später auf 50% anzuheben.

Die Bedeutung der ausserparlamentarischen Kommissionen im vorparlamentarischen Verfahren hat man lange Zeit überschätzt. Eine Untersuchung ergab, dass 1971-1976 nur bei 37% der Gesetzgebungsverfahren, die bis ins Parlament gelangten und dem Referendum unterstanden, ausserparlamentarische Kommissionen zum Einsatz gelangten. Nach dem Aufschwung des Kommissionswesens in den 1960er und 1970er Jahren zeichnete sich von den 1980er Jahren an ein Bedeutungsverlust ab. 1998 bestanden noch 205 ständige ausserparlamentarische Kommissionen (gegliedert nach Rekurs-, Behörden-, Verwaltungskommissionen, Leitungsorganen und Vertretungen des Bundes) mit 2383 Mitgliedern, darunter 673 Frauen (28,2%, Frauenanteil an Präsidien 17,9%). Für den Niedergang waren hauptsächlich drei Faktoren verantwortlich: Erstens widerspiegelte die zunehmende Politisierung der ausserparlamentarischen Kommissionen die Verhärtung des politischen Klimas und manifestierte sich in Quotenregelungen, Mandatsbegrenzungen und parlamentarischen Untersuchungen, vor allem aber in der Unfähigkeit zahlreicher Kommissionen, tragfähige Konsenslösungen auszuarbeiten. Zweitens trug die wachsende Komplexität der Probleme zum Niedergang der ausserparlamentarischen Kommissionen bei. In gewissen Bereichen sind deren Leistungsgrenzen klar in Erscheinung getreten. So zeigte die Katastrophe im Kernkraftwerk Tschernobyl vom 26. April 1986 deutlich die Mängel des schweizerischen Dispositivs bei Nuklearunfällen, das sich hauptsächlich auf Kommissionen abstützte. 1991 wurde deswegen eine neue und professionellere Einsatzorganisation für den Fall erhöhter Radioaktivität geschaffen. Drittens ist wahrscheinlich die Internationalisierung der Politik der entscheidende Faktor, der den Niedergang der ausserparlamentarischen Kommissionen eingeleitet hat. So gelangten bei der Vorbereitung des Programms Eurolex 1990-1992 im Zusammenhang mit den EWR-Verhandlungen ausserparlamentarische Kommissionen nur marginal zum Einsatz. Normsetzungsprozesse sind im «Nachvollzugsland» Schweiz sehr viel technischer geworden und erfordern häufig andere Organisationsstrukturen als die herkömmlichen ausserparlamentarischen Kommissionen.

Quellen und Literatur

  • K. Arnold, Verwaltungs- und Regierungstätigkeit durch eidg. Komm., 1969
  • R.E. Germann, Ausserparlamentarische Kommissionen: Die Milizverwaltung des Bundes, 1981
  • A. Frutiger, Les commissions extra-parlementaires de la Confédération en 1978, 1983
  • R.E. Germann et al., Experts et commissions de la Confédération, 1985
  • A.-V. Poitry, La fonction d'ordre de l'Etat, 1989
  • R.E. Germann, Öffentl. Verwaltung in der Schweiz 1, 1998 (franz. 1996)
Weblinks
Kurzinformationen
Kontext Eidgenössische Kommissionen, Expertenkommissionen

Zitiervorschlag

Raimund E. Germann: "Ausserparlamentarische Kommissionen", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 17.01.2002. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/010393/2002-01-17/, konsultiert am 24.04.2024.