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Sekundarschule

Bezirksschule

Der Begriff Sekundarschule bezeichnete in der Schweiz ursprünglich einen Schultypus und nicht jene Art von Oberstufenunterricht, wie er zu Beginn des 21. Jahrhunderts den Schülern ab dem 12. Lebensjahr erteilt wird. Hauptsächlich in den Deutschschweizer Kantonen war die Sekundarschule eine öffentliche Schule für jene Schüler, die nach der Primarschule eine umfassendere Schulbildung wünschten, jedoch nicht ein zur Maturität führendes Gymnasium durchlaufen wollten. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts gehören die Sekundarschulen, die je nach Kanton und Landessprache unterschiedlich heissen, zur Sekundarstufe I der obligatorischen Schulzeit. Da diese Stufe unterschiedliche Bildungsgänge und Abteilungen umfasst, ist es fast unmöglich, die Geschichte der Sekundarschulen darzustellen, ohne die Sekundarstufe I als Ganzes zu betrachten.

Die Gründung von Sekundarschulen

Die Sekundarschulen gehen wie die Realschulen auf Bemühungen der Kantone zurück, das Schulsystem im Zug der Regeneration in den 1830er Jahren auszubauen. Als Teil des neuen politischen Programms der Liberalen initiierten diese für Schüler aus dem Mittelstand und der Unterschicht einen umfassenden Unterricht, der unterhalb der klassischen Gymnasialstufe angesiedelt war. Die Regenerationsregierungen erachteten die Entwicklung des Schulwesens als kantonale Aufgabe. Als erster Kanton fasste Luzern 1830 die einzelnen Bildungsgänge innerhalb der verschiedenen Schultypen in einem organischen Ganzen zusammen. Es folgten 1832 Zürich und Solothurn, 1833 der Thurgau sowie 1834 bzw. 1839 Bern. Die Einrichtung sogenannter classes françaises in Genf 1836 und der écoles moyennes im Kanton Waadt 1833-1834 diente demselben Zweck. Andere Kantone führten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Schulreformen durch.

So verschieden sich die Lösungen gestalteten, gemeinsam war ihnen die Absicht der Kantone, das Schulwesen unter staatlicher Aufsicht zu koordinieren. Es wurden Gymnasien eingerichtet, die neben der klassischen eine praktische, technische und naturwissenschaftliche Bildung vermittelten. Ausserdem galt es, ein Netz von Sekundarschulen oder Oberschulen aufzubauen. Die allgemeine Schulpflicht wurde eingeführt, indem das Ein- und Austrittsalter festgelegt und Massnahmen getroffen wurden, die zum regelmässigen Schulbesuch führen sollten. So entstanden in der Deutschschweiz und in Graubünden Sekundarschulen, Realschulen oder Bezirksschulen, in der Westschweiz Sekundarschulen, collèges modernes oder Oberschulen und im Tessin 1841 die scuola maggiore. Im Allgemeinen waren die Sekundarschulen für Schüler vorgesehen, denen die Primarschulbildung nicht genügte, die aber keine humanistische Bildungslaufbahn anstrebten. Oft wurden die Sekundarschulen als «gehobene Volksschulen» bezeichnet, ein Name, der ihre ideologischen Wurzeln verrät.

Hin zur allgemeinen Schulpflicht und Diversifizierung des Bildungsangebots

Um 1900 verfügten die meisten Kantone über eine Sekundarstufe I, die an die Primarschule anschloss und deren Kernstück die Sekundarschulen bildeten. Letztere waren meist sowohl von den Untergymnasien als auch von den Primar- und nachobligatorischen Fortbildungsklassen für die schwächeren Schüler getrennt. Der Übergang in die Sekundarschule erfolgte in den meisten Kantonen nach der sechsten Primarklasse, also mit zwölf Jahren, ausser in Bern und Basel-Stadt nach der vierten, im Tessin und in der Waadt nach der fünften und in Appenzell-Innerrhoden, Schwyz und im Wallis nach der siebten Klasse. Die Sekundarschulen waren Vollzeitschulen, die zwei, drei oder – bei früherem Übertritt – mehr Jahre dauerten.

Klassengrössen in der Zürcher Volksschule 1860-2000
Klassengrössen in der Zürcher Volksschule 1860-2000 […]

Der Hauptunterschied zwischen der Sekundarschule und der Primarschule bestand darin, dass in der Sekundarschule eine oder zwei Fremdsprachen unterrichtet wurden. Anders als im Untergymnasium stand jedoch kein Latein auf dem Stundenplan. Die Sekundarschulen hatten eine doppelte, manchmal in sich widersprüchliche Zielsetzung: Einerseits sollten sie jenen Jugendlichen eine gute Allgemeinbildung vermitteln, die danach ins Berufsleben oder an eine technische, gewerbliche oder kaufmännische Berufsschule wechselten (Berufsbildung), andererseits Schüler auf höhere Schulen vorbereiten. Der Unterricht wurde von eigens dafür ausgebildeten Lehrern erteilt, deren Qualifikationen jedoch kantonal verschieden waren. Die Sekundarschulen standen grundsätzlich beiden Geschlechtern offen, unterrichtet wurde in getrennten oder gemischten Klassen. Einige Kantone kannten Mädchensekundarschulen und höhere Mädchenschulen, die in etwa die gleichen Aufgaben wahrnahmen wie die Sekundarschulen (Mädchenerziehung).

Dieser zwischen 1830 und 1880 erfolgte Ausbau hatte bis Ende der 1950er Jahre Bestand. Die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eingeführte Verlängerung der obligatorischen Schulzeit schuf in der Sekundarstufe I neue Abteilungen, änderte aber nichts am System der frühen Auslese, die meist von sozioökonomischen Faktoren abhing.

Die Sekundarstufe I oder die Vielfalt der schweizerischen Schulsysteme

Ende der 1950er Jahre setzten erste Reformen ein. Sie zielten auf eine Demokratisierung des Zugangs zu den Hochschulen und auf eine Behebung des Mangels an Fachkräften ab. Sie sahen weiter vor, die Selektion auf später zu verschieben und die Sekundarstufe I in eine Gesamtschule umzuwandeln. Damit wäre die obligatorische Schule vereinheitlicht worden (sechs Jahre Primarstufe, drei Jahre breit gefächerter Unterricht für alle in der Oberstufe). Diese Projekte kamen aber nie über die Versuchsphase hinaus, ausser in Genf mit der Orientierungsstufe und im Tessin mit der scuola media unica. Trotzdem nahm die Einsicht zu, die verschiedenen Schultypen besser aufeinander abzustimmen und die Durchlässigkeit zu verbessern. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts dauerte die Sekundarstufe I immer noch unterschiedlich lang und war je nach Kanton anders aufgebaut. Auf dieser Stufe wird die Verschiedenheit der Schulsysteme am deutlichsten sichtbar. Die Sekundarstufe I beginnt nach der vierten, fünften oder sechsten Klasse, dauert in den meisten Kantonen drei, manchmal aber auch vier oder fünf Jahre und umfasst zwei bis vier Abteilungen. Der Übergang zur Sekundarstufe II variiert ebenfalls. Mit dem 2009 in Kraft getretenen Konkordat HarmoS, das auf eine bessere Abstimmung der verschiedenen kantonalen Schulsysteme und der jeweiligen Bildungsstandards abzielte, wurde die Dauer der Sekundarstufe I auf drei Jahre festgelegt (vier im Tessin).

Streuung der Klassengrössen auf der Sekundarstufe l (Schuljahr 2000-2001)
Streuung der Klassengrössen auf der Sekundarstufe l (Schuljahr 2000-2001) […]

In der Didaktik und Pädagogik hingegen ging die Vereinheitlichung weiter. Die strikte Unterteilung in Fächer wurde aufgeweicht und durch den fächerübergreifenden Unterricht ersetzt. Die Lehrerbildung ist Sache der Kantone. In der Regel absolvieren die Lehrer nicht mehr eine auf einen bestimmten Schultypus ausgerichtete Ausbildung, sondern eine Ausbildung für den ganzen Bereich der Sekundarstufe I. Viel wurde auch in die konstante Weiterbildung der Lehrerschaft investiert. Trotzdem unterliegt die Sekundarstufe I einem dauerhaften Wandel aufgrund der gesamtschweizerischen Koordinationsmassnahmen und wegen der Anpassung des Bildungsangebots an die gesellschaftlichen Bedürfnisse. Dort, wo es noch Sekundarschulen gibt, werden sie als Schultypus mit erweiterten Anforderungen bezeichnet, die auf eine Maturitätsschule oder eine höher qualifizierende Berufsausbildung vorbereiten.

Quellen und Literatur

  • Volkswirtschafts-Lex. der Schweiz 3, [1889]-91, 11-51
  • HWSVw 3, 503-539
  • Lex. der Pädagogik, 3 Bde., hg. von H. Kleiner et al., 1950-52
  • Archiv für das schweiz. Unterrichtswesen 51, 1965-66
  • E. Egger, Das Schulwesen in der Schweiz, 1976
  • A. Veillon, Les origines des classes primaires supérieures vaudoises, 1978
  • Klassifikationsschema der Schulstatistik 1991/1992, 1992
  • Les indicateurs de l'enseignement en Suisse, 1993
  • R. Sauthier, L'enseignement secondaire en Suisse, 1995
  • Une école à la mesure des Alpes? Contribution à une histoire de l'enseignement secondaire, hg. von R. Favier et al., 2009
Weblinks

Zitiervorschlag

Marco Marcacci; Hans-Ulrich Grunder: "Sekundarschule", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 20.09.2012, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/010403/2012-09-20/, konsultiert am 18.04.2024.