Die Bauernhausforschung reicht ins 19. Jahrhundert zurück. Sie ist im Zusammenhang mit der romantischen Hinwendung zum «einfachen» Bauernleben und dem erstarkenden Nationalbewusstsein entstanden. Carl Adolf de Graffenried und Ludwig Rudolf Stürler (1844), später Ernst Gladbach (1868) widmeten sich architektonischen Aspekten des Bauernhauses. Nach sprach- und stammesgeschichtlichen Ansätzen erarbeitete Jakob Hunziker eine Übersicht zum schweizerischen Bauernhaus in sieben Bänden (1899-1914). Es folgten wichtige Arbeiten von Heinrich Brockmann-Jerosch (1933), Richard Weiss (1959) und Max Gschwend (1971). Systematische wissenschaftliche Untersuchungen führt seit 1945 die von der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde und anderen Vereinigungen gegründete Aktion Bauernhausforschung in der Schweiz durch. Die Ergebnisse erscheinen in der Reihe Die Bauernhäuser der Schweiz. Die Grundlage bilden Bestandesaufnahmen (Objektdokumentationen und Archivforschung, vereinzelt flächendeckende Inventare). Ziel ist die typologische und entwicklungsgeschichtliche Darstellung der ländlichen Bauten, ihrer Konstruktion, Gestaltung, Nutzung und Ausstattung sowie von Aspekten der Siedlung vom Frühmittelalter bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, vor allem aber in der frühen Neuzeit. Den verschiedenen Bauernhaus-Landschaften der Schweiz gilt auch das Augenmerk des Freilichtmuseums Ballenberg.
Allgemeine Aspekte
Das Bauernhaus bildet das Hauptgebäude des bäuerlichen Gehöfts, das durch Wirtschaftsgebäude ergänzt wird. In Verbindung mit den räumlichen Elementen Hofstatt, Einfriedung, Nutzungsanteilen in Feld und Wald ergibt sich eine rechtliche Betriebseinheit. Die starke naturräumliche Gliederung der Schweiz bewirkte nicht nur Unterschiede in der Ausrichtung der Landwirtschaft (Ackerbau, Viehzucht, Milchwirtschaft, Weinbau), sondern auch in der Verfügbarkeit von Baumaterialien (Laubholz, Nadelholz, Stein, Lehm, Stroh). Rechtliche Bestimmungen (Erbrecht, Baurecht, Dorfrecht), aber auch kulturelle Einflüsse wie Religion, sozialer Status oder Traditionen beeinflussten Bau und Gestalt der Bauernhäuser. Allgemein ist zu unterscheiden zwischen grösseren, zum Teil reich gestalteten Häusern der Vollbauern (Bauern) und den kleineren Bauten der Tauner. In einzelnen Regionen der Alpen verteilen sich die bewirtschafteten Güter auf Talbetrieb, Maiensäss und Alp mit jeweils den Bedürfnissen und Möglichkeiten angepassten Wohn- und Wirtschaftsgebäuden.
Bezüglich der Gehöftformen ist grundsätzlich zwischen der Getrennt- und der Vielzweckbauweise zu unterscheiden. Die Anordnung der Haupträume folgt den beiden grundlegenden Prinzipien der horizontalen bzw. vertikalen Gliederung. Die Forschung nimmt an, dass bis ins Frühmittelalter die Getrenntbauweise verbreitet war, d.h. separate Gebäude den verschiedenen landwirtschaftlichen Nutzungen dienten. Aus diesen Mehrbauhöfen entwickelten sich vom 11. Jahrhundert an die Vielzweckbauernhäuser.
Differenzierte Hauslandschaften, deren Wohn- und Wirtschaftsgebäude markante Unterschiede in Konstruktion, Nutzung und Fassadengestaltung aufweisen, bildeten sich ab dem 13./14. Jahrhundert allmählich heraus. Die Dendrochronologie und die Archäologie haben den Nachweis erbracht, dass die handwerkliche Holz- und Steinbearbeitung beim Bauernhaus bereits um 1200 einen hohen Standard aufwies. Die ornamentale Fassadengestaltung blieb im Spätmittelalter allgemein bescheiden. Sie erfuhr erst nach 1500 an Stein- wie auch an Holzbauten zunehmend Beachtung. Im 17. und 18. Jahrhundert erreichte sie ihren Höhepunkt, um sich anschliessend wieder zu vereinfachen. Die ursprünglich kaminlosen, offenen Rauchküchen wurden auf dem Land im Allgemeinen spät (17. Jh., in ärmeren Gegenden sogar erst im 19. Jh.) mit Rauchfang und Kaminanlagen versehen, Herdanlagen mit offenem Feuer durch geschlossene Sparherde ersetzt. Die ofengeheizte Stube ist in fast allen Bauernhäusern der Alpennordseite und der inneren Alpentäler anzutreffen. Die Feuerung erfolgte spätestens vom 14. Jahrhundert an – je nach Region – im lehmbestrichenen Bruchsteinofen, im Giltstein- oder im Kachelofen. Die Bauernstuben wurden vom 16. Jahrhundert an meist getäfert und häufig auch mit einem Einbaubuffet versehen. Der Höhepunkt der Stubengestaltung im reicher ausgestatteten Bauernhaus fällt ins 18. Jahrhundert. Schlaf- und Vorratskammern, insbesondere im Obergeschoss, blieben dagegen oft unvertäfert.
Einzelne Hauslandschaften
Mittelland und Jura
Die hauptsächlichsten landwirtschaftlichen Produktionsformen waren Acker- und Weinbau, vor allem im Hochjura auch die Weidewirtschaft. Als häufigste Siedlungsform des Mittellandes ist das Dorf anzusehen. Wegen der vom 16. Jahrhundert an verbreiteten Bauholzverknappung verdrängten in der Nord- und Westschweiz der Steinbau (z.T. mit hölzernem Ständer-Innengerüst), in der Nordost- und Ostschweiz der Fachwerkbau den Holzbau. Eine ursprüngliche Fachwerkregion bestand ganz im Norden, entlang dem Rhein. Im zentralen, insbesondere im aargauisch-bernischen Mittelland hielt sich die Holzbauweise (Bohlenständer- und Hochstudhaus mit strohgedecktem Walmdach) bis ins 19. Jahrhundert. Vielzweckhäuser bilden seit dem 15. Jahrhundert im ganzen Mittelland und im Jura die prägende Hausform. Der Wohnteil ist oft traufbetont. Vom 16. Jahrhundert an wurden schwach geneigte Schindeldächer durch steilere Ziegeldächer ersetzt, während die Strohdächer der Hochstudbauten oft erst nach der Einführung der Brandversicherungen im 19. Jahrhundert allmählich verschwanden. Die textile Heimindustrie liess vom 16. Jahrhundert an im Verband mit rechtlichen Einschränkungen des Hausbaus Bauernhäuser mit reduziertem Raumprogramm entstehen, zum Beispiel den «Flarz» (durch Um- und Anbauten entstandene Gebäudekomplexe mit mehreren Wohnteilen) im Zürcher Oberland. Der Wohnstock («Stöckli») als Wohnung der älteren Generation bildet seit dem 19. Jahrhundert einen festen Bestandteil der Gehöfte im Berner Mittelland.
Voralpen und Alpen
Von der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts an entwickelten sich Viehzucht und Milchwirtschaft zur hauptsächlichen Produktionsrichtung der Landwirtschaft. Wohnhaus und Scheune waren getrennt und in der Regel als Blockbauten errichtet. Bezüglich der Konstruktion und Raumeinteilung erfuhr der alpine Blockbau vom Ende des 12. bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts keine tief greifenden Veränderungen. Die traufseitigen Lauben im ersten Obergeschoss der durchwegs giebelbetonten Wohnhäuser verstärkten den Charakter des sogenannten Tätschhauses. Bei jüngeren Bauernhäusern fehlen die Lauben. Die Hauptfassade wird meist durch mehrere Kleb- oder Vordächer geschützt. Besonders reich verzierte Holzfassaden zeigen die Bauernhäuser des Berner Oberlandes. Im Übergangsbereich zum Mittelland finden sich auch trauforientierte Ständerbauten sowie Vielzweckbauernhäuser.
Innere Alpentäler
Das Wallis und die nördlichen Tessiner Täler wiesen bis ins frühe 20. Jahrhundert einen hohen Grad an Selbstversorgung auf, verbunden mit einer ausgeprägten Stufenwirtschaft. Im französischsprachigen Teil des Wallis sind steinerne Bauernhäuser wesentlich häufiger als im deutschsprachigen, wo Blockbauten dominieren. Eine Ausnahme bildet das Val d'Illiez, wo Vielzweckbauten mit charakteristisch spitz vorgezogenem Dach die Holzbautradition des westlichen Pays d'Enhaut fortsetzen. Im Tessin sind in der Leventina und im Val Lavizzara ähnliche Blockbauten wie nördlich der Alpen verbreitet, während im Bleniotal und in der Rovana Blockhäuser mit eigenständigen, archaischen Formen zu finden sind. Die Realerbteilung zeigt sich in diesen Gebieten nicht nur in der extremen Parzellierung, sondern auch im Stockwerkeigentum beim Bauernhaus oder in Aufteilungen der Ökonomiebauten.
Im Engadin erfolgte im 17. Jahrhundert, nach den Zerstörungen des Dreissigjährigen Kriegs, der Wiederaufbau der Häuser meist in Stein, teilweise durch Ummauerung von Blockbauten. Im Vielzweckbauernhaus des Engadins ermöglicht eine breite Durchfahrt (der Sulèr) die Passage von Heufudern durch den Wohnteil in den anschliessenden Heuraum. Vom Sulèr aus sind Stube, Küche und Vorratskammer erschlossen. Das reicher ausgestattete Bauernhaus verfügt im ersten Obergeschoss über einen prunkvollen Saal, die Stuva süra. Die Ställe samt Miststock befinden sich im Kellergeschoss. Bemerkenswert sind die reich gestalteten, oft mit Sgraffiti geschmückten Fassaden.
Südschweiz
In den Tessiner Regionen mit vorherrschender Steinbauweise lehnte sich das Bauernhaus an den mittelalterlichen Wohnturm an. Die Räume sind vertikal angeordnet: Im unteren Geschoss ist die Wohnküche eingerichtet, in den oberen befinden sich Schlaf- und Nutzräume. In den hügeligen und flachen Gebieten des Sottoceneri herrschen Bauernhäuser vor, die sich um einen auf drei oder vier Seiten geschlossenen Hof entwickeln (masseria a corte); sie gehörten meist lombardischen Grossgrundbesitzern und wurden von Bauernfamilien in Halb- oder Geldpacht bewirtschaftet. Im Puschlav hat sich die bemerkenswert archaische Bauform des Kragkuppelhauses für Milchkeller oder Sennhütten erhalten. Dicht gebaute Dörfer prägen das Siedlungsbild. In dem durch Walser besiedelten Bosco/Gurin sowie in den ehemals urnerischen Vogteien Leventina und Valle di Blenio wurden vor allem vor 1798 zahlreiche Häuser aus Holz erbaut, welche in Konstruktion und Gestaltung jenen der zentralen Alpen vergleichbar sind. Hölzerne Vielzweckbauten im Valle die Blenio, insbesondere im Val Malvaglia, reichen zum Teil bis ins 13. Jahrhundert zurück.
Quellen und Literatur
- Die Bauernhäuser der Schweiz, 1965-
- E. Imhof, Atlas der Schweiz, Blätter 36-38, 1965-1973
- M. Gschwend, Bauernhäuser der Schweiz, 1988
- W. Guyan, «Das Mittelalterdorf Berslingen bei Schaffhausen», in Zeitschrift für schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 48, 1991, 193-235
- M. Gschwend, «Ländliches Bauen und Wohnen», in Handbuch der schweizerischen Volkskultur 1, hg. von P. Hugger, 1992, 319-348 (mit Literatur bis 1990)
- Atlante dell'edilizia rurale in Ticino, hg. von G. Buzzi, 9 Bde., 1993-2000
- E. Huwyler, Schweizerische Hausforschung, 1996
- G. Descœudres, Herrenhäuser aus Holz, 2007
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