de fr it

Pfarrei

Die Pfarrei wird nach katholischem Kirchenrecht als eine Gemeinschaft von Gläubigen definiert, die in einer Teilkirche (Bistum) auf Dauer errichtet ist und deren Seelsorge unter der Autorität des Diözesanbischofs einem Pfarrer (Klerus) anvertraut wird (Codex Iuris Canonici von 1983). In der Westschweiz bezeichnet paroisse sowohl die katholische Pfarrei als auch die reformierte Kirchgemeinde (Evangelisch-reformierte Kirchen). In der Deutschschweiz ist der Begriff auf reformierter Seite weniger gebräuchlich, dort wird für den regional begrenzten Seelsorgebezirk in der Regel die Bezeichnung Kirchgemeinde verwendet.

Das Wort Pfarrei stammt aus dem Griechischen und bezeichnete ursprünglich die in der Diaspora lebende christliche Gemeinde, im Mittelalter auch die Bischofsgemeinde, die später diocesis genannt wurde. Die Bezeichnung parochia ist in der Bedeutung als Pfarrei erst im 12. und 13. Jahrhundert bezeugt. Die Pfarreien innerhalb eines Bistums wurden in Dekanate und Landkapitel zusammengefasst.

Die Entstehung der Pfarrei

Die Entstehung der Pfarrei steht in enger Verbindung mit der Ausbreitung des Christentums. Mittelpunkt des religiösen Lebens waren zunächst die Bischofskirchen in den Städten. Mit der Christianisierung bildeten sich Seelsorgezentren auf dem Land, die von Priestern im Auftrag des Bischofs geleitet wurden. In der Westschweiz und im Wallis gehen die ältesten Gotteshäuser auf dem Land auf das 5. bis 6. Jahrhundert zurück, wie auch in Graubünden und im Tessin, wo die ersten Taufkirchen (Taufe) an strategisch wichtigen Punkten der Nord-Süd-Verbindungen gebaut wurden. In der Inner- und Ostschweiz dagegen entstanden erste Kirchen, als sich die Alemannen im frühen 8. Jahrhundert ansiedelten. Hier ging die kirchliche mit der politischen Organisation einher. Im 9. und 10. Jahrhundert verdichtete sich das Kirchennetz dank Stiftungen von Adligen und mächtigen Herrscherfamilien (Adel), die bis ins 12. und 13. Jahrhundert Eigentümer ihrer Eigenkirchen blieben (Patronatsrecht). In Graubünden und im Wallis wurde das Kirchenwesen auch auf Initiative der Bischöfe ausgebaut.

Einige der frühen Kirchen besassen einen Taufbrunnen, ab dem 9. Jahrhundert auch das Bestattungs- und Zehntrecht (Bestattung, Zehnt). Sie bildeten aber vermutlich noch ein lockeres Netz von Gotteshäusern, deren Einzugsbereiche vielerorts trotz Einführung des Zehntgebots in der Karolingerzeit nicht fest gegeneinander abgegrenzt waren. Die Zehntordnung förderte die Umschreibung der Gebiete, die von einer zehntberechtigten Kirche seelsorgerisch zu betreuen waren, was dazu führte, dass die Personalverbände der älteren Pfarreien sich allmählich in Territorialverbände wandelten. Erst im 13. Jahrhundert lässt sich ein ausgebildetes Pfarreisystem erkennen, nachdem die Zahl der Kirchen zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert im Zuge des Landesausbaus stark zugenommen hatte.

Im Tessin wurde die kirchliche Entwicklung von den Bischöfen von Mailand und Como, zu deren Diözesen das Tessin gehörte, beeinflusst, wie die Verbreitung der Patrozinien und Kulte aus der Lombardei beweist. Während des ganzen Mittelalters bestand ein Netz von Grosspfarreien (Pieve), die von Kanonikern betreut wurden. Diese lebten unter der Leitung eines Archipresbyters bei den Taufkirchen (chiese collegiate).

Pfarrei und Gemeinde im Mittelalter

Das Herz der Pfarrei bildete die Pfarrkirche. Sie war das Zentrum des Gemeinwesens und das wichtigste öffentliche Bauwerk (Kirchenbau). Die Gläubigen waren gehalten, für die Spendung der Sakramente und die Feier der Messe an den Sonn- und Feiertagen die Pfarrkirche zu besuchen sowie sich in ihren religiösen Anliegen an den für sie zuständigen Pfarrer (rector, parochus) zu wenden (Pfarrzwang). Als Gegenleistung für die Ausübung seines Amtes erhielt dieser Zehnten, Stolgebühren und Oblationen aus seinem Pfarrgebiet. Ab dem Vierten Laterankonzil (Konzilien) von 1215 mussten die Gläubigen auch ihre Kinder in der Pfarrkirche taufen lassen, die Toten auf dem Friedhof bestatten, jährlich beichten und an Ostern die Eucharistie empfangen. Die Pfarrgemeinde war keine juristische Person, im Unterschied zum Pfarramt und zur Pfarrkirche. Parallel zur Konstituierung von Allmendnutzungsgenossenschaften (Genossenschaft) und zur Entfaltung der Gemeindeautonomie (Gemeinde) lässt sich die Gründung von Kirchgenossenschaften beobachten, die sich an der Stiftung von Kapellen und Pfründen, der Verwaltung der Kirchengüter und der Organisation der Seelsorge auf Gemeindeebene beteiligten.

Das Stadtgebiet konnte in mehrere Pfarreien unterteilt sein, auf dem Land hingegen bildeten meistens verschiedene Dörfer eine einzige Pfarrei. Die Teilung einer alten Pfarrei in kleinere Pfarrsprengel fand hauptsächlich dort statt, wo topografische Hindernisse den Besuch der Pfarrkirche erschwerten, wobei zusätzlich ökonomische, politische und kirchenrechtliche Voraussetzungen erfüllt werden mussten. Besass ein Dorf eine eigene Kirche, sank die Bereitschaft der Dorfbewohner, die oft weit entfernte Pfarrkirche zu besuchen. Infolge der zahlreichen kirchlichen Stiftungen auch seitens der Lokalbevölkerung gingen im Spätmittelalter, im Tessin bereits ab dem 12., nördlich der Alpen hauptsächlich vom 14. bis Anfang des 16. Jahrhunderts, immer mehr Pfarrrechte auf die neuen Dorfkirchen über. Kurz vor der Reformation hatte sich das Pfarreinetz so verdichtet, dass besonders in den Bergregionen fast jedes Dorf ein eigenes Gotteshaus besass, in dem an bestimmten Tagen die Messe gefeiert und oft auch die Sakramente gespendet wurden.

Die Pfarrei seit dem 16. Jahrhundert

Das Konzil von Trient (1545-1563) regte den Ausbau der Pfarreistruktur an. Das Territorialprinzip setzte sich durch, sodass jeder katholische Christ nach seinem Wohnort einer Pfarrei zugeteilt wurde (Katholische Kirche). Die Aufgaben, Rechte und Pflichten des Pfarrers als Inhaber der Pfründe wurden neu definiert. Er musste unter anderem in seiner Pfarrei wohnen (Pfarrhäuser) und die Pfarrbücher führen (Zivilstandswesen), was sich wiederum positiv auf die Gemeindebildung auswirkte. Die Pfarrei sollte in ihrer Grösse überschaubar sein, damit der Pfarrer die ihm anvertrauten Gläubigen persönlich kannte.

Von der katholischen Reform bis zum 19. Jahrhundert blieb die Anzahl Pfarreien ziemlich konstant. Die Alpenregionen und der Jura wiesen wegen ihrer Siedlungsstruktur eine höhere Dichte an Pfarreien auf als das Mittelland. Im Kanton Luzern wurden im Zusammenhang mit dem Wessenbergischen Konkordat von 1806 (Konkordate) zur Optimierung der Pfarreigrössen zahlreiche neue Pfarreien errichtet und die Grenzen der bestehenden Seelsorgesprengel neu umschrieben. In grösseren Pfarreien standen dem Pfarrer ein oder mehrere Hilfsgeistliche (Kapläne) zur Seite. Über das sittlich-religiöse Leben wachten der Bischof und die von ihm bevollmächtigten Aufsichtsorgane (Dekane, Sextare), die in regelmässigen Zeitabständen die Pfarreien visitierten. Zudem fanden vom Bischof oder dessen Stellvertreter durchgeführte Visitationen statt.

Die grössten Veränderungen erfuhr das Pfarreisystem ab der Mitte des 19. Jahrhunderts. Während in den katholischen Stammlanden die Zunahme der Bevölkerung für die Gründung neuer Pfarreien, vor allem in den Zentralorten, ausschlaggebend war, brachte in den reformierten Kantonen die Industrialisierung eine grosse Zahl katholischer Zuwanderer. Katholische Pfarreien entstanden in Zürich, Basel, Schaffhausen und in der Gegend Aarau-Brugg, im Kanton Bern hauptsächlich in den südjurassischen Zentren der Uhrenindustrie und im Berner Oberland, im restlichen Kanton erst nach dem Zweiten Weltkrieg.

Glockenaufzug in der Pfarrei St. Franziskus, Riehen-Bettingen. Fotografie von Hans Bertolf, 1959 (Staatsarchiv Basel-Stadt, BSL 1013 1-1234 1).
Glockenaufzug in der Pfarrei St. Franziskus, Riehen-Bettingen. Fotografie von Hans Bertolf, 1959 (Staatsarchiv Basel-Stadt, BSL 1013 1-1234 1). […]

Wegen der konfessionellen Durchmischung wurde die Organisation der politischen und der kirchlichen Gemeinde voneinander getrennt (Kirche und Staat). Im Lauf des 19. Jahrhunderts etablierten sich zuerst in den traditionell paritätischen Kantonen Aargau, Thurgau, Glarus und St. Gallen (Konfessionelle Parität), später auch in den katholischen Gebieten die auf staatliches Recht basierenden Kirchgemeinden als selbstständige Institutionen. Katholische Gläubige waren somit gleichzeitig Glieder einer kanonisch errichteten Pfarrei und einer öffentlich-rechtlich anerkannten Kirchgemeinde, die als juristische Person für die Verwaltung des Ortskirchenvermögens und zum Teil auch für die Wahl des Pfarrers in Abstimmung mit dem Bischof zuständig war. Die katholische Diasporapfarreien organisierten sich zunächst als private Vereine, die öffentlich-rechtliche Anerkennung erlangten viele von ihnen erst nach der Mitte des 20. Jahrhunderts, als sie gegenüber dem Staat den reformierten Kirchgemeinden gleichgestellt wurden (z.B. Zürich 1963). Einzig in den Kantonen Neuenburg und Genf sind die Katholiken wie die Reformierten noch heute wegen der Trennung von Kirche und Staat privatrechtlich organisiert. In den Kantonen Wallis und Tessin sind die Pfarreien selbst als juristische Personen anerkannt.

Viele Pfarreien wurden Klöstern einverleibt und die lokale Seelsorge damit an Klostergeistliche übertragen. Durch solche Inkorporationen bzw. Eingliederungen von Pfarrkirchen in einen anderen Rechtsverband konnten die begünstigten Institutionen ihre Einkünfte verbessern und den eigenen Einflussbereich ausweiten. Im Bistum Chur wurden zahlreiche Pfarreien – zum Teil schon seit dem 17. Jahrhundert – von Ordenspriestern, meist norditalienischen Kapuzinern der Rätischen Mission, betreut. 1920 wurde die Rätische Mission aufgehoben und die Kapuziner von Weltgeistlichen abgelöst. Im Bistum Basel arbeiteten hingegen selten Ordenspriester in der Seelsorge, nicht zuletzt infolge der Klosteraufhebungen zwischen 1830 und 1880. Erst im Lauf des 20. Jahrhunderts, vor allem nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (Vatikanische Konzile), als sich der Priestermangel stärker bemerkbar machte, wurden Pfarreien zunehmend von Ordensleuten betreut. Der Priestermangel führte auch dazu, dass Pfarreien zum Teil zusammengelegt oder in pfarreiübergreifenden Seelsorgeräumen zusammengefasst wurden. In der Regel folgen Pfarreien dem Territorialprinzip, umfassen also ein genau umschriebenes Territorium. Ausnahmsweise kommt das Personalitätsprinzip zur Anwendung, so vor allem um Gläubige gleicher Sprache, Nationalität oder mit gleichen Riten zu betreuen, zum Beispiel in der Italiener-, Spanier- oder Portugiesenseelsorge.

Der Codex Iuris Canonici (1983) bezeichnet das personale Moment als konstitutiv für die Pfarrgemeinde. Von grosser Bedeutung ist jedoch die Ortsgebundenheit des kirchlichen Handelns. In der Pfarrgemeinde als überschaubarem Lebensraum soll die Kirche als Einheit des Gottesvolkes sichtbar und erfahrbar werden. Die Pfarrei bewahrt trotz gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und kultureller Veränderungen ihre Bedeutung als «Kirche am Ort», als Sozialisationsraum des Glaubens.

Quellen und Literatur

Mittelalter
  • Büttner, Heinrich; Müller, Iso: Frühes Christentum im schweizerischen Alpenraum, 1967.
  • Boldini, Rinaldo; Borella, Pierluigi et al.: Le Chiese collegiate della Svizzera italiana, 1984 (Helvetia Sacra, II/1).
  • Wanner, Konrad: «Vom lokalen Heiligtum zur ländlichen Pfarrkirche – am Beispiel des heutigen Kantons Zürich», in: Reinle, Adolf; Schmugge, Ludwig; Stotz, Peter (Hg.): «Variorum munera florum. Latinität als prägende Kraft mittelalterlicher Kultur». Festschrift für Hans F. Haefele zu seinem sechzigsten Geburtstag, 1985, S. 253-272.
  • Pfaff, Carl: «Pfarrei und Pfarreileben. Ein Beitrag zur spätmittelalterlichen Kirchengeschichte», in: Historischer Verein der Fünf Orte (Hg.): Innerschweiz und frühe Eidgenossenschaft. Jubiläumsschrift 700 Jahre Eidgenossenschaft, Bd. 1, 1990, S. 203-282.
  • Morenzoni, Franco: «Evangelizzazione ed organizzazione ecclesiastica della Svizzera romanda dalle origini al secolo XIV», in: Citterio, Ferdinando; Vaccaro, Luciano (Hg.): Storia religiosa della Svizzera, 1996, S. 47-72.
  • Morerod,  Jean-Daniel: «L'organisation paroissiale. Les diocèses de Genève, de Lausanne et de Bâle», in: Paravicini Bagliani, Agostino; Felber, Jean-Pierre et al. (Hg.): Les pays romands au Moyen Age, 1997, S. 227-236.
  • Saulle Hippenmeyer, Immacolata: Nachbarschaft, Pfarrei und Gemeinde in Graubünden 1400-1600, 1997.
  • Ostinelli, Paolo: Il governo delle anime. Strutture ecclesiastiche nel Bellinzonese e nelle Valli ambrosiane (XIV-XV secolo), 1998.
  • Dubuis, François-Olivier; Lugon, Antoine: De la mission au réseau paroissial. Le diocèse de Sion jusqu'au XIIIe siècle, 2002.
  • Ackermann, Josef; Grüninger, Sebastian: «Christentum und Kirche im Ostalpenraum im ersten Jahrtausend», in: Sennhauser, Hans Rudolf (Hg.): Frühe Kirchen im östlichen Alpengebiet. Von der Spätantike bis in ottonische Zeit, Bd. 2, 2003, S. 793-816.
Neuzeit
  • Surchat, Pierre-Louis: «Diözese Basel», in: Gatz, Erwin (Hg.): Pfarr- und Gemeindeorganisation. Studien zu ihrer Entwicklung in Deutschland, Österreich und der Schweiz seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, 1987, S. 59-77.
  • Wicki, Hans: Staat, Kirche, Religiosität. Der Kanton Luzern zwischen barocker Tradition und Aufklärung, 1990.
  • Surchat, Pierre-Louis: «Basel», in: Gatz, Erwin (Hg.): Die Bistümer und ihre Pfarreien, 1991, S. 185-196.
  • Surchat, Pierre-Louis: «Chur», in: Gatz, Erwin (Hg.): Die Bistümer und ihre Pfarreien, 1991, S. 234-243.
  • Vaccaro, Luciano; Chiesi, Giuseppe; Panzera, Fabrizio (Hg.): Terre del Ticino. Diocesi di Lugano, 2003.
  • Grichting, Martin: Das Verfügungsrecht über das Kirchenvermögen auf den Ebenen von Diözese und Pfarrei, 2007.
  • Wiederkehr, Daniel: Die Pfarrei als Raum diakonischen Wirkens. Eine empirische Untersuchung zu den Möglichkeiten und Grenzen der Pfarreidiakonie im Kanton Zürich, 2008.
Weblinks

Zitiervorschlag

Immacolata Saulle Hippenmeyer: "Pfarrei", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 04.09.2023. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011744/2023-09-04/, konsultiert am 18.02.2025.