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Bürgschaft

Die Bürgschaft – eine uralte Institution (1. Mose 43,9) – war unter vielerlei Formen bekannt: Die spätrömische fideiussio entsprach unserer heutigen Bürgschaft, bei welcher sich der Bürge gegenüber dem Gläubiger des Hauptschuldners verpflichtet, für die Erfüllung der Schuld einzustehen. Dagegen bestand die Bürgschaft der germanischen Stammesrechte darin, dass der Schuldner dem Gläubiger einen Bürgen stellte, der nun primär haftete, und zwar mit seinem Leib, nicht mit seinem Vermögen. Um der Gefangennahme durch den Gläubiger zu entgehen, setzte der Bürge alles daran, den Hauptschuldner zur Pflichterfüllung zu zwingen (vgl. auch Geiselschaft).

Die aus den Stammesrechten bekannte Schuldknechtschaft war die strengste Form der Leibhaftung; neben gesetzlicher Haftung in der Sippe verlangte auch das spätmittelalterliche Herrschaftsrecht von Genossen und Stadtbürgern die Bürgschaft («haft und pfand sein») für Schulden der Herrschaft. Stadtrechte liessen seit dem 13. Jahrhundert die eigenmächtige Menschenpfändung nicht mehr zu. Bundesbriefe und Einzelverträge richteten sich gegen die Leibhaft für Herren (z.B. Burgdorf gegen die Grafen von Kyburg 1331); später befreiten sich auch ländliche Genossenschaften von der drückenden Pflicht (z.B. Niedersimmental 1393-1398).

Entwicklung des Bürgschaftsrechts

Das Spätmittelalter erleichterte den Bürgen sukzessiv ihre Pflicht: Gelockerte Unfreiheit und Geldwirtschaft verhalfen der Vermögenshaftung zum Durchbruch, Leibhaft wurde seltener. Mehrere Arten der Vermögenshaftung waren bekannt: Wenn der Bürge als Selbstzahler (Mitschuldner) bürgte, konnte sich die Pfändung gegen ihn richten; für diesen Fall aber sicherte er sich durch einen «Schadlosbrief» des Hauptschuldners, der ihm Schadenersatz garantierte. Seit dem 13. Jahrhundert konnte sich ein Schuldner bei vertraglich anerkannter Schuld zur Selbstbürgschaft («gelt und bürg») verpflichten, die dem Gläubiger direkten Zugriff auf ihn erlaubte. Im Lauf des 15. Jahrhunderts führte das Stadtrecht dann Vermögenshaftung für Schuldner von Gesetzes wegen ein; bei Schuldnern ohne genügende Vermögensdeckung konnte der Rat die Stadtverweisung (Landesverweisung) anordnen, der Obrigkeitsstaat des 16. und 17. Jahrhunderts aber ersetzte diese durch Schuldhaft im Gefängnis. Damit wurde die Schuldhaft zum betreibungsrechtlichen Druckmittel und zum Mittel der Strafuntersuchung und Strafvollstreckung; erst das Bundesrecht (aBV Artikel 59 Absatz 3) schaffte sie ab.

Das Bürgschaftswesen, einst Sache von Herrschaften, Städten und Genossenschaften, unterstand vom 16. Jahrhundert an den Obrigkeiten; diese regelten die Bürgschaft in ihrem Ortsrecht, das als subsidiäres «Landesrecht» auch Geltung im Staat erhielt. Eine Rechtsangleichung fand unter den eidgenössischen Orten kaum statt. Begründet wurde die Bürgschaft überall durch Gelübde oder Eid oder urkundlich vor Gericht bzw. aussergerichtlich; grundsätzlich genügte aber eine mündliche Vereinbarung. Oft war unklar, wer bei Zahlungsschwierigkeiten des Schuldners haftete: Offensichtlich bestand im schweizerischen Gebiet bis ins 19. Jahrhundert Subsidiärhaftung des Bürgen (Haftung erst nach erfolgloser Mahnung des Hauptschuldners) neben Solidarhaftung (gleichzeitige Haftung von Bürge und Hauptschuldner). Hielt sich der Gläubiger an den Bürgen, wenn der Hauptschuldner nicht fristgerecht zahlte, hatte der Bürge Möglichkeiten zum Regress: Er konnte den Schuldner gerichtlich belangen («bejagen» oder «treiben») und so für sich Aufschub in der Schuldbetreibung des Gläubigers erwirken. Für den Leistungsfall rückversicherte er sich mit Rückbürgen, die ihm Schaden ersetzten.

Mit dem Ausbau der öffentlichen Schuldbetreibung seit dem 17. Jahrhundert trieb der Bürge oder der Gläubiger die Pfänder nicht mehr selber oder höchstens mit richterlicher Ermächtigung ein; Eintreiben wurde Sache des Pfändungsbeamten. Im 18. Jahrhundert war die schriftliche Schuldanerkennung des Schuldners, teils mit Verurkundung der Bürgschaft im selben Dokument, Beweismittel genug für dessen Betreibung.

Vielfältig war die Anwendbarkeit der Bürgschaft im Prozess-, Privat- und öffentlichen Recht. In allen Lebensbereichen war sie üblich, bei Kauf- und Handelsgeschäften und im bäuerlichen Leiherecht; ferner verbürgte die Bürgschaft das Wohlverhalten von Hintersassen und das Erscheinen Fremder vor Gericht, sie sicherte Gerichtskosten bei Armut und ersetzte Gefangenschaft bei Straftätern. Einst vererbte sich die Bürgschaftspflicht wegen drohender Leibhaft nicht, doch mit der Vermögenshaftung wurde Vererblichkeit die Regel. Erst im 16./17. Jahrhundert wurde die Ehefrau vor erpresster Bürgschaft zugunsten des Ehemannes gesichert; ihre Bürgschaft für ihn war nur gültig, wenn diese in Anwesenheit nächster Verwandter vom öffentlichen Richter genehmigt wurde; Bürgschaft gegenüber Dritten bedurfte der Zustimmung des Ehemannes. Aufkündigung der Bürgschaft war möglich, wenn der Gläubiger wider Vertrag handelte oder bei befristeten Bürgschaften nach Ablauf der Vertragsdauer.

Von besonderer Art ist die Amtsbürgschaft: Vom 15./16. Jahrhundert an verlangten Stadtverwaltungen von Amtsanwärtern vor Übernahme städtischer Dienste einen oder zwei vermögliche Bürgen, die nicht bereits für andere bürgten oder als Beamte offene Ausstände hatten; im Leistungsfall hafteten Beamte und Bürgen solidarisch für allfällige Verluste aus der Amtstätigkeit. Vor allem Finanzverwalter (Säckelmeister, Vorsteher städtischer Institutionen) mussten Bürgen stellen. Im 17. und 18. Jahrhundert verlangten auch ländliche Gemeinden von ihren Vermögensverwaltern Bürgen. Amts- und Dienstbürgschaft (Artikel 512 OR) sind noch heute im Amts- und Unternehmenssektor statt einer Realkaution üblich; betroffen sind Personen, die in amtlicher oder beruflicher Funktion Geld verwalten (Direktoren, Kassierer, Filialleiter u.a.); gebürgt wird meist von Amtsbürgschaftsgenossenschaften, nicht von Privaten.

Vereinheitlichung und Revision im Bundesstaat

Die Redensart "Bürgen thut Würgen" gab dem 1887 in Zürich veröffentlichten Buch von Hans Hebeisen den Titel (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern).
Die Redensart "Bürgen thut Würgen" gab dem 1887 in Zürich veröffentlichten Buch von Hans Hebeisen den Titel (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern).

Nach der Helvetik (ab 1803) waren die Kantone für das Bürgschaftswesen zuständig; einzelne Kantone (West- und Südschweiz ab 1819; Bern ab 1824 mit Zentralschweiz; Zürich ab 1855 mit Ostschweiz) erneuerten ihr Bürgschaftsrecht im Rahmen der Zivilgesetzgebung. Der Aufschwung der Wirtschaft nach 1850 durch Industrialisierung, Umbruch der Landwirtschaft und Neuorientierung im Gewerbe erfolgte nicht zuletzt mit Hilfe der Bürgschaft, die rasch zum beliebtesten Kreditmittel (Kredit) des Schweizers avancierte. In einer Zeit des grossen Kapitalbedarfs half die Kreditbürgschaft mit der Sicherung von Privat- und Bankdarlehen, wirtschaftliche Tätigkeiten begründen. Ganze Branchen hingen von Bürgschaften ab, so das Hotel-, Gast- und Kleingewerbe, der Kleinhandel sowie die illiquide Agrarwirtschaft. Wegen ihres solidarischen Charakters eigneten sich Bürgschaften auch für gemeinnützige Institutionen, zum Beispiel für Sparkassen, deren Spareinlagen durch solidarische Bürgschaft der Gesellschaftsmitglieder gesichert waren. Untere und mittlere Bevölkerungsschichten bedienten sich vor allem der Bürgschaft; ihre grosse Verbreitung verdankte sie dem Umstand, dass sie nicht unmittelbar Zahlung, sondern bloss Zusage erforderte und so leicht zu erlangen war – im Verein, am Stammtisch, unter Parteifreunden, Dienstkameraden und Verwandten. Allgemeiner Wirtschaftsoptimismus verleitete zu leichtfertiger Zusage; ohne entsprechendes Vermögen ging man riskante Bürgschaften ein. In den nach 1870/1880, 1918 und 1930 hereinbrechenden Wirtschaftskrisen häuften sich Zahlungsunfähigkeit und Konkurse stark, wodurch auch unzählige Bürgen in den Ruin getrieben wurden. Ganze Familien und Regionen verarmten an gegenseitigen Bürgschaften (Ketten-Bürgschaft); Bürgschaftselend herrschte im Berner Oberland (Hotellerie), im Jura (Uhren), in der Ostschweiz (Stickerei), teils in der Waadt, in Freiburg und Zürich. Gottfried Keller beschrieb dieses im Roman «Martin Salander» (1886); Volkszorn prägte den Satz «Bürgen tut Würgen». Die allgemeine Misere erzwang eine Änderung des Bürgschaftsrechts: Der erste wichtige Schritt kam ab 1883 mit dessen Vereinheitlichung im schweizerischen Obligationenrecht (Artikel 492-512), gefolgt von Revisionen (1911, 1941). Das 1941 revidierte Bürgschaftsrecht, ab 1942 in Kraft, vermehrte den Schutz des Bürgen (u.a. gemilderte Haftung für Solidarbürgen, Amortisierung der Bürgschaft von Gesetzes wegen, automatisches Erlöschen nach 20 Jahren) und erschwerte das Eingehen von Bürgschaften (Vorschrift öffentlicher Verurkundung bei Bürgschaft über 2000 Fr.; verurkundeter Höchstbetrag der Haftung, schriftliche Zustimmung des Ehegatten). Trotz Erschwerung hat die Bürgschaft seither aber weder an Bedeutung noch an volkswirtschaftlichem Wert eingebüsst.

Die als Selbsthilfe-Institutionen und Ersatz der Einzelbürgschaften mehrteils nach 1942 gegründeten Bürgschaftsgenossenschaften erstrecken sich auf Personalbürgschaften, Sachbürgschaften (für Hypotheken) sowie betrieblich-berufliche Bürgschaften (Landwirtschaft, Gewerbe, Hotellerie, Industrie, Handel, Bankwesen).

Quellen und Literatur

  • H. Rennefahrt, Grundzüge der bern. Rechtsgesch. 2-4, 1931-36
  • E. Beck, Das neue Bürgschaftsrecht, 1942
  • HRG 1, 565-569
  • P. Walliser, Das Bürgschaftsrecht in hist. Sicht, 1974
  • K.R. Maier, Die Bürgschaft in süddt. und schweiz. Gesetzbüchern, 16.-18. Jh., 1980
  • A. Virchaux, Les coopératives de cautionnement en Suisse, 1983
  • Hb. des Geld-, Bank- und Börsenwesens der Schweiz, 41988, 163-171
Weblinks

Zitiervorschlag

Anne-Marie Dubler: "Bürgschaft", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 09.10.2006. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/013896/2006-10-09/, konsultiert am 24.04.2024.