Auf dem Arbeitsmarkt treffen im System der Marktwirtschaft das Angebot an Arbeitskraft unselbstständiger Erwerbspersonen (Arbeitnehmer) und die Arbeitsnachfrage von Unternehmen, Staat und privaten Haushalten (Arbeitgeber) zusammen. Der Begriff Arbeitsmarkt wurde von der Volkswirtschaftslehre Ende des 19. Jahrhunderts zur Anwendung auf die Industriegesellschaft entwickelt. Unter Einbezug nichtmarktwirtschaftlicher Systeme lässt er sich auch auf frühere Zeiten übertragen.
Mittelalter und frühe Neuzeit
Die mittelalterliche Grundherrschaft kannte den freien Arbeitsmarkt nicht: Die unfreien Bauern waren an die ihnen gegen Arbeit und Abgaben überlassenen Höfe (die Scholle) gebunden und konnten mit diesen verkauft werden. Zwangsbindung der Arbeitskraft galt auch für Handwerker in vorstädtischen Fronhöfen geistlicher Grundherren (z.B. Basel, Lausanne, Zürich, St. Gallen, Luzern). Vom 12. Jahrhundert an stiegen Städte zu eigenen Arbeitsmärkten auf: Geschützt und frei, lockten sie Handel und Handwerk als Arbeitgeber ebenso an wie Arbeitsuchende. Bis zu Beginn des 15. Jahrhunderts beruhte ihre Anziehungskraft nicht zuletzt auf dem fehlenden Arbeitsmarkt der Grundherrschaft.
Im 13.-14. Jahrhundert ging das zünftische Handwerk zur Regulierung des städtischen Arbeitsmarkts über. Als Erstes kam die Stellenvermittlung für Gesellen auf. Sie wurde vom einzelnen Berufszweig organisiert, sei es durch die Gesellen oder die Meisterschaft. Nach internationalem Brauch mussten sich neu ankommende Wandergesellen am Treffpunkt des Berufs, meist einem Gasthof, mit Lehrbrief, Leumundszeugnis und Gesellengruss ausweisen, worauf ein Ansässiger durch Umfrage im Handwerk für sie nach Arbeit suchte. Verschiedene Handwerke kannten ferner das "Geschenk" an Gesellen, bestehend aus Kost und Logis für eine Nacht und dem Zehrpfennig für die Reise. Zunftwirtschaftliche Regeln engten in der Folge die Freiheit des Arbeitsmarkts zunehmend ein, unter anderem durch Privilegierung der zünftischen Meister und Verfolgung nichtzünftischer Konkurrenz, Verbot grösserer Betriebe, Werbeverbote für Güter und Arbeit, einengende Definition der Berufsarbeit, Beschränkung von Lehrstellen, Verlängerung der Lehrzeit sowie obrigkeitlicher Preis- und Lohntarife. Auf das um 1450 einsetzende Bevölkerungswachstum in den Landgebieten reagierten die Städte ab 1550 mit der Schliessung ihrer Arbeitsmärkte, vor allem auf Betreiben des zünftischen Handwerks (Verbot der Arbeitsuche für Landmeister, Niederlassungsbeschränkung).
Auf dem Land dagegen führten die Lockerung der Unfreiheit und die wachsende Mobilität der Bevölkerung vom 15.-16. Jahrhundert an zu einem offeneren Arbeitsmarkt: Gutsbetriebe von Privaten, Klöstern oder frühstaatlichen Institutionen (zum Beispiel Spitälern) zogen nun Arbeitsuchende an – saisonal Taglöhner, ganzjährig Handwerker und Dienstboten. Üblich war an Markttagen, im Wirtshaus und beim Kirchenbesuch das "Umschauhalten" der Landleute nach Stellen bzw. der Dienstherren nach Dienstboten und Taglöhnern. In Arbeitsverträgen ("Akkord") wurden Lohn (Naturalien, Bargeld), Arbeitszeit und Dienstdauer an Ort individuell abgesprochen und vereinbart. Eigentliche "Knechtenmärkte" gab es in Bern und Solothurn (Stadt und Land). Wo Meister einer Land- oder Stadtzunft angehörten, galten im Handwerk Regeln der städtischen Arbeitsvermittlung. Auf dem Land mehrheitlich praktiziert wurde das in der Stadt verbotene "Nachfragen" nach Arbeit bei den Meistern. Beim Solddienst war die anderswo verpönte Werbung – öffentlich und mit Trommeln und Weinausschank ― bis ins 19. Jahrhundert die übliche Form der Rekrutierung.
Wie der Gütermarkt war auch der Arbeitsmarkt von der Konjunktur beeinflusst, von der Bevölkerungsbewegung sowie vom wirtschaftlichen und sozialen Strukturwandel. Behinderte Mobilität der Arbeitskräfte, Bevölkerungswachstum, allgemeiner Stellen- und Auftragsmangel forderten vom Arbeitsmarkt im 17.-18. Jahrhundert eine erhöhte Flexibilität: Zu Stadt und Land waren für Unter- und Mittelschichten Zusatzverdienst und Mitarbeit von Frauen und Kindern unabdingbar, sei dies durch Taglöhnerei, Heimarbeit, saisonales Kleingewerbe oder Anstellung durch die Stadt- oder Dorfgemeinde.
19. und 20. Jahrhundert
Voraussetzung für den modernen Arbeitsmarkt ist die Trennung von Produzenten (Arbeitnehmer) und Produktionsmitteln (Werkzeuge, Materialien), wie sie massenhaft erst durch die Industrialisierung erfolgte. Um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, verkaufen Arbeitnehmer ihre Arbeitskraft gegen Lohn einem Unternehmer. Gemäss (neo-)klassischer Wirtschaftstheorie funktioniert der Arbeitsmarkt im Wesentlichen wie der Gütermarkt, d.h. Angebot und Nachfrage pendeln sich beim Gleichgewichtspreis (Reallohn) ein.
Mit der Empirie befindet sich diese Auffassung kaum in Einklang, nicht zuletzt weil die Arbeitskraft an Menschen mit ihren Bedürfnissen gebunden bleibt. Überdies kam den Institutionen und Regeln immer grosse Bedeutung zu. Akteure waren Arbeitnehmer (Angestellte, Arbeiter) und Arbeitnehmerverbände, Unternehmer und Unternehmerverbände sowie der Staat.
Soziale, kulturelle und institutionelle Faktoren segmentieren den Arbeitsmarkt, sodass sich nach verschiedenen Kriterien Teil-Arbeitsmärkte unterscheiden lassen: Als äusserst stabil hat sich im schweizerischen Arbeitsmarkt die geschlechtliche Segregation erwiesen. Noch im ausgehenden 20. Jahrhundert konzentrierten sich Frauen auf weniger Berufe als Männer; Letztere schotteten ihre Bereiche zudem stärker ab. Ausgesprochen männliche Arbeitsmarkte bestanden Ende des 19. Jahrhunderts in den Branchen Maschinen, Metall, Holz, Bau, Nahrungsmittel, öffentliche Verwaltung, Banken und Verkehr, weit weniger ausgeprägt weibliche Arbeitsmärkte in den Branchen Textil, Bekleidung und Gastgewerbe. Ein namhafter Ausgleich ergab sich seither in den Branchen Nahrungsmittel, Banken und Textil, während sich die Segregation in der Bekleidungsindustrie und im Gastgewerbe akzentuierte. Noch Ende des 20. Jahrhunderts hätten über 60% der Frauen und Männer ihren Arbeitsplatz tauschen müssen, um eine gleichmässige Verteilung zu erreichen (Segregationsquote). Lohn und Arbeitsbedingungen beidseits der Geschlechtergrenze unterschieden sich klar; der schweizerische Arbeitsmarkt gehörte international zu den am stärksten segregierten.
Die ethnische Segmentierung war weniger ausgeprägt und vor allem vor dem Ersten Weltkrieg und wieder seit den 1950er Jahren bedeutend. Der Anteil der Fremdarbeiter (Ausländer) an der Arbeiterschaft erreichte ohne Saisonniers 1910 knapp 20%, 1970 fast 38%. Nachdem sie Einheimischen lange gleichgestellt waren, verschlechterte seit der Zwischenkriegszeit die abgestufte Zugangsberechtigung (Saisonniers, Jahresaufenthalter, Niedergelassene, Grenzgänger) ihre Lage auf dem Arbeitsmarkt beträchtlich. Ihr wichtigster Teil-Arbeitsmarkt blieb das Baugewerbe, wo sie ab den 1960er Jahren auch ohne Saisonniers die Mehrheit stellten. Mit dem Abkommen über die Freizügigkeit von 1999 im Rahmen der sogenannten bilateralen Abkommen I wurde für Personen aus der EU die Diskriminierung wieder abgebaut.
Nach Qualifikationsanforderungen lassen sich drei Teil-Arbeitsmärkte unterscheiden: Zu einem ersten führten staatlich oder korporatistisch kontrollierte Ausbildungsgänge. Dem Zusammenbruch der Zünfte folgte zwar eine längere Phase einer gewissen Offenheit. Vom späten 19. Jahrhundert an bemühten sich aber Berufsverbände im Zuge der Professionalisierung um neue Regeln, die schliesslich in das Berufsbildungsgesetz von 1930 und das darauf basierende amtliche Berufsverzeichnis des Bundesamts für Industrie, Gewerbe und Arbeit Biga (seit 1998 des Bundesamts für Berufsbildung und Technologie BBT) mündeten (Berufsbildung). Zum Zweiten bestand ein mehr oder weniger abgeschotteter betriebsinterner Arbeitsmarkt mit eigenen Aufstiegschancen und beschränkter Übertragbarkeit der innerbetrieblich erworbenen Qualifikation. Er umfasste neben Grossbetrieben vor allem öffentliche Monopolberufe wie Postbeamte, Polizisten oder Fahrpersonal von Strassen- und Eisenbahnen. Unterhalb dieser in der Regel bessere Arbeits- und Lohnbedingungen bietenden Teil-Arbeitsmärkte befand sich zum Dritten ein unspezifischer und unstrukturierter Jedermanns-Arbeitsmarkt mit tiefen Mindestanforderungen, weitgehend fehlenden vertikalen Mobilitätschancen, hoher Fluktuation, niedrigen Löhnen, schlechten Arbeitsbedingungen und geringer Arbeitsplatzsicherheit.
Weitere Hindernisse erschwerten die Mobilität der Stellensuchenden. Diejenigen, die neben Fabrik- oder Heimarbeit vor allem im 19. Jahrhundert Kleinlandwirtschaft betrieben, waren nur für einen geografisch begrenzten Arbeitsmarkt verfügbar. Gleiche Wirkung zeitigten familiäre oder kulturelle Bindungen. Auch die berufliche Mobilität kannte ihre Grenzen. So war die Migration in beide Richtungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beträchtlich, wobei sich Auswanderung (weniger qualifizierte Landbevölkerung) und Einwanderung (Handwerker usw.) in ihrer Qualifikationsstruktur wesentlich unterschieden.
Da hergebrachte Institutionen und Sitten, zum Teil modifiziert, bis in das 20. Jahrhundert überlebten, blieb der Arbeitsmarkt mit Mängeln behaftet, welche die Fluktuationsarbeitslosigkeit (Arbeitslosigkeit) begünstigten. Die Herbergen für wandernde Arbeitsuchende fristeten um 1900 nur noch ein kümmerliches Dasein. Zentral wurde die persönliche Umschau, welcher der Liberalismus die meisten korporatistischen Hindernisse aus dem Weg geräumt hatte. Stellensuchende meldeten sich beim Fabrikportier, auf Baustellen oder in Gewerbebetrieben, wo sie bei einigen Berufen noch immer ein "Geschenk" erhielten. Nicht zu unterschätzen waren persönliche Beziehungen, vor allem Hinweise von Angehörigen oder Bekannten. Stellenanzeigen in der Presse erreichten im späten 19. Jahrhundert eine gewisse Bedeutung, wurden aber von Arbeitern als zu teuer und umständlich kritisiert.
Private Vermittlungsbüros genossen Ende des 19. Jahrhunderts nicht selten einen zweifelhaften Ruf wegen hoher Gebühren und vor allem im Bereich der Dienstbotinnen gelegentlich auch als Förderer von Unsittlichkeit. Die Vermittlungsbüros von Unternehmerverbänden vertraten ebenso die Interessen einer Arbeitsmarktpartei wie diejenigen der Gewerkschaften. Letztere litten einerseits unter dem Boykott der Unternehmer und versuchten andererseits ihre Mitglieder zur Verteidigung von Löhnen und anderen Arbeitsbedingungen zu disziplinieren, zum Beispiel durch Umschauverbote. Um, wie es in der Basler Petition von 1888 heisst, "Ordnung, Plan und Einheitlichkeit in den Arbeitsmarkt" zu bringen, forderten Arbeiter öffentliche Arbeitsnachweise. Die daraus entstandenen Arbeitsämter entwickelten sich zu zentralen Institutionen staatlicher Arbeitsmarkt-Politik, verloren aber nach dem Zweiten Weltkrieg rasch ihre Bedeutung zugunsten moderner Methoden, vor allem der Stellenanzeigen in der Presse und ab Ende des 20. Jahrhunderts auch im Internet. Zur Koordination der kantonalen Arbeitsämter, die immer mehr in umfassendere Kantonale Ämter für Industrie, Gewerbe und Arbeit (Kiga) integriert wurden, entstand 1921 das Eidgenössische Arbeitsamt (seit 1930 Teil des Biga bzw. 1998 im Bundesamt für Wirtschaft und Arbeit aufgegangen, das 1999 wiederum mit dem Bundesamt für Aussenwirtschaft zum Staatssekretariat für Wirtschaft Seco, zusammengelegt wurde). Dieses übernahm zunehmend die Verantwortung für die Elemente einer schweizerischen Arbeitsmarktpolitik und für internationale Vereinbarungen.
Der Bundesstaat von 1848 beseitigte die skizzierten Mobilitätshindernisse nicht, und wegen des Föderalismus blieben auch zahlreiche institutionelle bestehen. Die in der Bundesverfassung festgeschriebene Niederlassungsfreiheit setzte sich nur langsam durch, und die Handels- und Gewerbefreiheit folgte verfassungsmässig erst 1874. Niederlassungsverträge mit umliegenden Staaten hielten andererseits den internationalen Arbeitsmarkt bis 1914 offen. In der Zwischenkriegszeit erfolgte eine zunehmende Abschottung (u.a. 1931 Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer), und auch die öffentliche Hand intervenierte in der Krise der frühen 1920er und in der Weltwirtschaftskrise, wenn auch nur zögernd und beschränkt. Während des Zweiten Weltkriegs wurde gar ein umfassender Beschäftigungsplan für den erwarteten nächsten Konjunktureinbruch ausgearbeitet. In der Nachkriegszeit lag das Schwergewicht eindeutig bei der Angebotsregulierung, wobei vor allem den Fremdarbeitern eine Pufferfunktion zugewiesen wurde. Massnahmen auf der Nachfrageseite wie antizyklische Konjunkturprogramme, Regionalpolitik oder Beschäftigung im öffentlichen Sektor blieben von untergeordneter Bedeutung. Dieses System zeitigte, nicht zuletzt weil die Arbeitslosenversicherung noch nicht obligatorisch war, in der Krise der 1970er Jahre eine für schweizerische Arbeitskräfte günstige, für Fremdarbeiter jedoch nachteilige Wirkung, da die Arbeitslosigkeit "exportiert" wurde. Danach aber schränkte sich der Spielraum ein. Da die Reichweite der Arbeitsmärkte regional oder national begrenzt blieb, die Güter- und Finanzmärkte aber internationale Dimensionen annahmen, war eine nationalstaatliche Arbeitsmarkt-Regulierung nur noch begrenzt wirksam.
Wenn auch eine ausdrücklich schweizerische Arbeitsmarkt-Politik bisher fehlte, so haben doch zahlreiche Massnahmen in dieser Richtung gewirkt (Wirtschaftspolitik), aktiv unter anderem die Vermittlung, Berufsberatung, Umschulung, Arbeitsbeschaffung, Frauenförderung sowie zum Teil die Sozialpolitik (z.B. Arbeitszeit-Gesetze), passiv unter anderem das Arbeitsrecht, die Arbeitslosenversicherung und Arbeitslosenfürsorge, das Tariflohnsystem, die Konjunktur- und Strukturpolitik und ebenfalls zum Teil die Sozialpolitik.
Quantitative Informationen zum schweizerischen Arbeitsmarkt finden sich vor allem in der Erwerbstätigenstatistik, der Beschäftigungsstatistik (Auslastung der Betriebe) sowie in den Statistiken zur Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit und den bei den Arbeitsämtern gemeldeten offenen Stellen. Seit 1992 erfasst zudem das Arbeitsvermittlungs- und Arbeitsmarktstatistik-System (AVAM) alle Kantone.
Quellen und Literatur
- C. Rossini, Le marché du travail en Suisse: 1945-1964, Liz. Freiburg, 1978
- Grundzüge und Probleme der schweiz. Arbeitsmarktpolitik, 1980
- Gruner, Arbeiter
- Hist. Arbeitsmarktforschung, hg. von T. Pierenkemper et al., 1982
- M. König et al., Warten und Aufrücken, 1985
- M.G. Schmidt, Der schweiz. Weg zur Vollbeschäftigung, 1985
- Gruner, Arbeiterschaft
- D. Imfeld, Lohnstarrheit und Sicherheit des Arbeitsplatzes vor dem Gewerkschaftszeitalter, 1991
- B. Heintz et al., Ungleich unter Gleichen, 1997