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Pferd

Als jahrtausendelanger Begleiter diente das Pferd dem Menschen zuerst als Jagdtier, seit der Domestikation als Reit-, Last- und Zugtier. Insbesondere bei den Kelten und Germanen hatte es auch kultische Bedeutung. Wegen des kostspieligen Unterhalts vermittelte der Besitz von Pferden in den meisten Gesellschaften Sozialprestige. Mit der fortgeschrittenen Industrialisierung wurde das Pferd durch die neuen Transportmittel und Arbeitsinstrumente als Nutztier verdrängt, erlebte aber in den letzten Jahrzehnten als Freizeittier einen neuen Aufschwung.

Meteor in der Nähe von Ensisheim (Elsass) am 7. November 1492, so wie ihn der Zeichner in der Luzerner Chronik von Diebold Schilling 1513 dargestellt hat (Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern, Sondersammlung, Eigentum Korporation Luzern).
Meteor in der Nähe von Ensisheim (Elsass) am 7. November 1492, so wie ihn der Zeichner in der Luzerner Chronik von Diebold Schilling 1513 dargestellt hat (Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern, Sondersammlung, Eigentum Korporation Luzern). […]

Wie Höhlenfunde, Kleinkunstobjekte und Knochenfunde aus der Altsteinzeit zeigen, gehörte das Wildpferd zu den typischen Huftieren der Steppen- und Tundrenlandschaft Eurasiens gegen Ende der Eiszeit. Auch in den magdalénienzeitlichen Fundstellen der Schweiz treten meist Reste von erbeuteten Wildpferden auf; in Hauterive-Champréveyres waren sie das am häufigsten erlegte Tier. Mit der erneuten Bewaldung nach der letzten Eiszeit verkleinerte sich schrittweise das Verbreitungsgebiet des Wildpferds. Aus den mittelsteinzeitlichen Fundorten der Schweiz fehlen bislang eindeutige Nachweise.

Erste Hinweise auf eine Domestikation des Wildpferds stammen aus Osteuropa aus der ersten Hälfte des 4. Jahrtausends v.Chr. (Haustiere). Um 3900 v.Chr. erscheinen in mehreren jungsteinzeitlichen Siedlungen der Schweiz in sehr geringen Mengen wieder Knochen von Pferden, wobei es sich aber auch um Restbestände einheimischer Wildpferde handeln könnte. Die Erforschung der Domestikation der Pferde ist noch nicht abgeschlossen, insbesondere wird die Möglichkeit einer Mehrfachdomestikation diskutiert (Iberische Halbinsel). Für das Gebiet der Schweiz sind Hauspferde erst für die Frühbronzezeit anhand von sogenannten Knebeltrensen nachgewiesen. Die Entwicklung der zur Lenkung der Pferdegespanne unerlässlichen Trense war Voraussetzung für eine breite Verwendung des Pferds als Reit- und Zugtier im zivilen und militärischen Bereich. Zwar treten archäozoologische Nachweise von Pferden im Verlauf der Bronzezeit immer regelmässiger auf; ihre zahlenmässige Bedeutung blieb aber gering. Das bronzezeitliche Pferd war von schlankem Wuchs und erreichte eine durchschnittliche Widerristhöhe von 130 cm.

Die zunehmende gesellschaftliche und kulturelle Bedeutung des Pferds während der Eisenzeit äussert sich in zahlreichen archäologischen Funden, zum Beispiel in der Darstellung von Reitern auf Schwertern, oder in Opferfunden aus La Tène. Latènezeitliche Pferde erreichten Widerristhöhen von 114-143 cm (Basel-Gasfabrik, 1. Jh. v.Chr.). Knochenfunde aus römischer Zeit (z.B. Augusta Raurica) lassen vermuten, dass gelegentlich Pferdefleisch gegessen wurde; es gehörte aber nicht zu den bevorzugten Fleischsorten, sondern galt wohl als minderwertiges Fleisch. Bei den germanischen Völkern war das Pferdeopfer und die anschliessende Verspeisung eine der zentralen rituellen Handlungen bei Totenfeiern und anderen Kulthandlungen. Das von der Kirche im 8. Jahrhundert ausgesprochene Verbot, Pferdefleisch zu essen, war indirekt gegen den heidnisch-germanischen Kult gerichtet; es zeigt seine Wirkung bis heute. So wurden beispielsweise auf der Richtstätte in Emmenbrücke, die gleichzeitig der Entsorgung tierischer Kadaver diente, vom 16. bis 19. Jahrhundert schätzungsweise 500 Pferde verbrannt oder vergraben.

Im Frühmittelalter veränderte sich die Kriegstechnik unter dem Druck osteuropäisch-asiatischer Reitervölker: Während der einfache Fusskrieger an Bedeutung verlor, nahm vom 8. Jahrhundert an der Reiterkrieger eine zentrale Rolle im karolingischen Heeresaufgebot ein. Im Unterschied zum Esel genoss das Reitpferd eine hohe Wertschätzung und es kam zu herrschaftlichen Zuchtbestrebungen, wie die detaillierten Anweisungen im «Capitulare de villis» zeigen, die vermutlich auch für das Reichskloster St. Gallen galten. Die Pferdestallungen auf dem (Ideal-)Klosterplan von St. Gallen sowie die erstmalige Erwähnung von Hufeisen als grundherrschaftliche Abgabe in den St. Galler Quellen des 9. Jahrhunderts weisen auf eine klösterliche Pferdehaltung hin. Im archäologischen Fundmaterial erscheinen die ersten Hufeisen im 9./10. Jahrhundert (Bellinzona). Hufeisen, Sporen und Utensilien der Reiterausrüstung werden regelmässig bei Grabungen auf Burgen gefunden. Aus der privilegierten Schicht der frühmittelalterlichen Reiterkrieger entwickelte sich das Rittertum des hochmittelalterlichen Adels. Das Pferd ermöglichte dem Ritter ein standesgemässes Auftreten bei festlichen Anlässen (vgl. Darstellung in der «Manessischen Handschrift») oder bei kriegerischen Aktionen. Der kostspielige Unterhalt, die Fütterung mit Hafer und Heu im Winter sowie die anspruchsvolle Pflege liessen das Pferd zum Statussymbol der Oberschichten werden. Im Gegensatz zum Vieh, das in der Regel in offenen Pferchen gehalten wurde, brachte man Pferde in Ställen unter, die sich zum Teil auf Burgstellen nachweisen lassen (z.B. Innere Burg Wolhusen in der Gemeinde Werthenstein oder Burg Scheidegg in der Gemeinde Gelterkinden). Ein Gebrauchspferd war im Hochmittelalter schätzungsweise dreimal so teuer wie ein Hausrind; kostbare Streitrosse besassen einen noch höheren Wert. Die lokalen Pferdeschläge von mehrheitlich schlankem Wuchs erreichten Widerristhöhen von durchschnittlich 145 cm. Siegel-Darstellungen lassen vermuten, dass der spätmittelalterliche Hochadel grössere Tiere ritt. Durch die Verfütterung von Hafer wurde das Pferd zudem zum Nahrungsmittelkonkurrenten der unteren Bevölkerungsschichten.

Der Bahnhofplatz in Göschenen. Fotografie von Michael Aschwanden, 1907 © Foto Aschwanden AG, Altdorf.
Der Bahnhofplatz in Göschenen. Fotografie von Michael Aschwanden, 1907 © Foto Aschwanden AG, Altdorf. […]

Die Einführung verschiedener Neuerungen (Hufeisen, Kummet, andere Anspanntechniken) erweiterte die Einsatzmöglichkeiten des Pferds als Zugtier. Das Kummet, seit dem 1. Jahrhundert n.Chr. bekannt und im Hochmittelalter vermehrt eingesetzt, ermöglichte eine bessere Kraftübertragung sowie ein freies Atmen. Trotz Steigerung der Arbeitsleistung darf allgemein die Bedeutung des Pferds für die mittelalterliche Agrarwirtschaft nicht überschätzt werden. Gesamteuropäisch ist beim Verhältnis zwischen Ochsen und Pferden mit regionalen Unterschieden zu rechnen. In der Schweiz waren Ochsen nach wie vor die häufigsten Zugtiere. Auf zeitgenössischen Abbildungen erscheinen Pferde vor allem als Zug- und Saumtiere; bei der Feldarbeit wurden sie am ehesten beim Eggen eingesetzt. Im Alpenraum und entlang wichtiger Verkehrsachsen dürfte die bäuerliche Haltung von Pferden eine gewisse Rolle gespielt haben. Im ausgehenden 14. und im 15. Jahrhundert beginnt die marktorientierte Pferdehaltung, an der sich neben dem weltlichen und geistlichen Adel auch vermehrt bäuerliche Verkäufer beteiligten. Das Kloster Einsiedeln, im 16. Jahrhundert unter den bedeutendsten Pferdezüchtern, belieferte im sogenannten Welschlandhandel, auch als Zwischenhändler, die päpstlichen Truppen und die Venezianer auf den Märkten des Tessins und der Lombardei (Viehhandel). Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde mit dem Freiberger, einem leichten Kaltblutpferd, die einzige einheimische Pferderasse gezüchtet. Ihre Erhaltung und Förderung ist unter anderem Aufgabe des 1898 in Avenches als Eidgenössisches Hengsten- und Fohlendepot gegründeten Schweizer Nationalgestüts. Der Hauptauftrag des Ende des 20. Jahrhunderts restrukturierten Betriebs ist die Pferdezucht und die Unterstützung der landwirtschaftlichen Pferdehaltung.

Schwere Füsilierkompanie in der Region Schwarzsee, 1962 (Fotografie Pierre Py, Villiers).
Schwere Füsilierkompanie in der Region Schwarzsee, 1962 (Fotografie Pierre Py, Villiers). […]

Obwohl die Säumerei verschwand (Maultier), nahm der Pferdebestand in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gesamtschweizerisch zu. Der Anstieg war eine Folge der Mechanisierung der Landwirtschaft und des Ausbaus des Verkehrsnetzes, vor allem der Einrichtung von Postkutschendiensten in den Alpenkantonen, und brach erst mit der Öffnung der Passstrassen für das Automobil im frühen 20. Jahrhundert wieder ab. Mit der zunehmenden Motorisierung verlor das Pferd seine Bedeutung als landwirtschaftliches Arbeitstier: 1955-1975 verdreifachte sich die Zahl der Traktoren, während der Bestand landwirtschaftlich genutzter Pferde 1951-1978 von 131'000 auf 46'000 Tiere abnahm. Gleichzeitig führte die Motorisierung der Truppen, insbesondere der Artillerie, zu einem Rückgang der benötigten Armeepferde. 1972 beschlossen die eidgenössischen Räte die Auflösung der Kavallerie. Anfang des 21. Jahrhunderts wurden Pferde vor allem noch fürs Reiten und zunehmend auch für die Fleischproduktion gezüchtet und gehalten.

Entwicklung des Pferdebestands 1866-2000

JahrAnzahl Pferde
1866100'324
188698'622
1906135'372
1921134'147
1941144'387
196667'022
197845'770
200050'347
Entwicklung des Pferdebestands 1866-2000 -  Brugger, Hans: Die schweizerische Landwirtschaft 1850-1914, 1978, S. 185; Brugger, Hans: Die schweizerische Landwirtschaft 1914-1980, 1985, S. 230; Statistisches Jahrbuch der Schweiz 2002

Quellen und Literatur

  • Panorama du Pays jurassien 2, 1981, 35-38, 46-55
  • U.A. Müller-Lhotska, Das Pferd in der Schweiz, 1984 (mit Bibl.)
  • H.-P. Uerpmann, «Die Domestikation des Pferdes im Chalkolithikum West- und Mitteleuropas», in Madrider Mitt. 31, 1990, 109-153
  • U.L. Dietz, «Zur Frage vorbronzezeitl. Trensenbelege in Europa», in Germania 70, 1992, 17-36
  • J. Manser et al., Richtstätte und Wasenplatz in Emmenbrücke (16.-19. Jh.), 1992
  • Pferde, hg. von W. Grundbacher, 1993
  • SPM 1, 85-102; 2, 81
  • N. Benecke, Der Mensch und seine Haustiere, 1994
  • Pferdeland Schweiz, hg. von T. Frei, 1994
Weblinks

Zitiervorschlag

Peter Lehmann; Karlheinz Steppan: "Pferd", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 24.03.2016. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/013945/2016-03-24/, konsultiert am 13.10.2024.