Im 18. Jahrhundert setzte im Gefolge der Grand Tour (Schweizerreisen) und eng mit der Entdeckung der Alpen verbunden der Tourismus in der Schweiz ein. Seine Glanzzeit erlebte er noch vor dem Ersten Weltkrieg. Dank des allgemein höheren Lebensstandards seit etwa 1950 belegte der Tourismus in der Schweiz zu Beginn des 21. Jahrhunderts einen Spitzenplatz unter den Exportindustrien.
Die Prämissen (1780-1830)
Die Alpen, deren Beliebtheit in den gehobenen Schichten Europas wuchs, wurden bald einmal mit dem Fremdenverkehr verknüpft; ab Ende des 18. Jahrhunderts war es üblich, den Tourismus mit der Alpenbegeisterung gleichzusetzen. Der Wettlauf auf die Gipfel spielte eine entscheidende Rolle bei der Entstehung eines Tourismusideals in der Schweiz. Die Eidgenossenschaft übernahm eine zentrale Funktion in der touristischen Entwicklung, da man ihr insgesamt die wesentlichen Eigenschaften zuschrieb, auf denen die Entdeckung der Berge fusste: Freiheit, Demokratie, Frieden, Eintracht, Glück und Einfachheit glaubte man in den Alpen am schönsten verkörpert. Das Gebirgsland Schweiz wurde schrittweise zum Sinnbild für diese wahren und ewigen Werte, was in einen regelrechten Mythos (Hirtenvolk) mündete. Die Alpen bereisen bedeutete, ein politisches und soziales Modell zu würdigen, das auf den Bergen als nationalem Gründungs- und Einigungsraum basierte und das die Schweiz gleichzeitig als Wiege von Universaltugenden anerkannte, seien sie kultureller, ästhetischer, medizinischer, physischer oder wissenschaftlicher Art. Da die Schweiz und die Alpen einander im Prinzip gleichzusetzen waren, bildete sich hier ein besonderer Gebirgstourismus heraus.
Dieses Ideal fand über Reiseberichte und Reiseführer, Romane, Gemälde (Kleinmeister), Stiche und Skizzen vielfältige Verbreitung. Zunehmend wurden die möglichen Reiseziele, vor allem das Genferseegebiet, das Berner Oberland, die Umgebung des Vierwaldstättersees und das Wallis angepriesen. Inspiriert von Johann Wolfgang von Goethe oder Lord Byron strömten die ersten Touristen in die Schweiz.
Die Reiselust blieb indes vorerst einer Elite vorbehalten, die Zugang zur neuen Empfindsamkeit fand und diese ausdrücken sowie auskosten konnte. Unsichere Transportmittel und Verkehrswege, prekäre Unterkünfte (oft bei Einheimischen) und die angespannte internationale Lage erschwerten während der Revolutionswirren und der napoleonischen Kriege das ausgedehnte Reisen.
Der Schweizer Tourismus beruhte auf einem Zusammenspiel verschiedener Bedürfnisse, Erwartungen, Erfahrungen und Erkenntnisse. Er ist insbesondere aus dem Bemühen heraus entstanden, das Gebirge zu bezwingen, zu zähmen und so umfassend wie möglich zu nutzen.
Die Ausweitung (1830-1880)
Die touristische Erschliessung verlief nicht in jeder Region gleich rasch und intensiv. Strassen und Wasserwege wurden zwar verbessert, doch spielte ab 1830 vor allem das Aufkommen der Eisenbahnen in den Nachbarländern eine entscheidende Rolle. Sinkende Reisekosten, schwindende Distanzen und bessere Erreichbarkeit trugen dazu bei, dass die Revolution der Eisenbahn im 19. Jahrhundert auch eine solche des Tourismus auslöste. Die Bahnverbindung schuf das Reiseziel und führte gleichzeitig dahin. Diese Phase setzte um 1830 ein. Obwohl in der Schweiz erst rund 30 Jahre später ein Schienennetz bestand, profitierte sie bereits vom europäischen Eisenbahnverkehr: Er beförderte Touristen an ihre Grenze, wo sie auf Schweizer Postkutschen und Schiffe umstiegen. Die Schaffung des Schweizer Eisenbahnnetzes trieb den Prozess weiter voran.
Über die Bahngesellschaften kamen originellere, für jene Zeit waghalsige Reisemodelle auf den Markt (Reisen). Diese umfassten nicht nur die Art und Weise der Fahrt, sondern sie boten auch gemäss den finanziellen Möglichkeiten der Kundschaft und deren Komfortwünschen abgestufte Preise an. Immer mehr unabhängige Reisebüros entdeckten das wirtschaftliche Potenzial des Sektors. Die individuell geprägte Vergnügungsreise bedurfte einer Anpassungs- und Innovationsfähigkeit, die über den blossen Bereich des Verkehrs hinausging und die Möglichkeiten der Bahngesellschaften überstieg. 1863 leistete Thomas Cook Pionierarbeit, als er erstmals eine Schweizerreise veranstaltete. Weitere Initiativen wurden in England, Frankreich, Belgien und Deutschland ergriffen. Ins Angebot gelangten Einzel- oder Kombinationsbillette für die Fahrt, Unterkunft und Besichtigungen, sei es für Individual- oder Gruppenreisende. Mit der Erweiterung des schweizerischen Bahnnetzes beschleunigte sich die touristische Erschliessung; neue Routen wurden erarbeitet und ungewohnte Entdeckungswege angeboten.
Die zu dieser Zeit erstmals erscheinenden Reiseführer förderten die Reisetätigkeit massgeblich. Die Zusammenstellung der Gegebenheiten in Buchform ab 1830 erleichterte es den Touristen, eine Reise zu planen, vorzubereiten und zu organisieren. Verleger wie John Murray in England, Karl Baedeker in Deutschland und Adolphe Joanne in Frankreich dominierten den Markt. Die Führer machten Ferienorte, Hotels und Leistungen bekannt und setzten Standards des touristischen Geschmacks.
Reisende hatten wenn möglich stets einen solchen Führer zur Hand. Dank ihm wurden sie erst zu wahren Touristen, die vergleichbare Emotionen suchten, ähnliche Wünsche hegten und analoge Verhaltensmuster zeigten. Reiseführer setzten darüberhinaus Massstäbe für die von Touristen besuchten Gebiete. Einen grossen Beitrag leisteten auch die Bergsteiger, die den Alpenraum ab den 1830er Jahren im Rahmen der entstehenden Sportbegeisterung populär machten (Alpinismus). Leslie Stephens Buch «The Playground of Europe» (1871) war ein enormer Publikumserfolg.
Die steigenden Besucherzahlen verliehen dem Hotelbau Aufschwung. Nicht nur Städte benötigten neue und grössere Unterkünfte – vor allem nach der Erschliessung durch die Bahn –, sondern auch die ländlichen Gebiete. Die Hotels mussten dem Geschmack entsprechen und die Komfort-, Sicherheits-, Hygiene- sowie Ruhebedürfnisse der Gäste befriedigen, ob sie nun ungezwungen, anspruchsvoll, zaghaft, gehetzt, interessiert oder unersättlich waren. Nicht nur deren Zahl nahm zu, sondern auch die Vielfalt ihrer Ansprüche. Positioniert waren die Neu- und Umbauten neben Schiffsländen, Bahnhöfen und Poststellen, wo die Klientel um- und ausstieg. 1834 öffnete das Hôtel des Bergues in Genf, 1835 das Hotel Schwanen in Luzern, 1838 das Baur en Ville in Zürich, 1842 das Hotel Drei Könige in Basel, 1859 der Schweizerhof in Bern und 1865 das Euler in Basel. Viele weitere Hotels orientierten sich am gleichen Muster und entstanden bald auch ausserhalb der Städte (Gastgewerbe).
Die Glanzzeit (1880-1914)
Die Eröffnung der Alpentunnels wie desjenigen des Gotthards 1882 läutete die Eroberung des Schweizer Gebirges ein. Die Reise vom ganzen Kontinent her bis hinauf zu den Gipfeln wurde erheblich günstiger, kürzer und leichter und die Besteigung war dank der Technik sogar in Krinolinen sowie Zylindern möglich. Bis Anfang der 1890er Jahre erfolgte der Aufschwung im Rahmen der grossen Depression.
Ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die touristische Infrastruktur in verschiedenen Bereichen weiter: An schwer zugänglichen Orten wurden geeignete Verkehrsmittel in Betrieb gesetzt (Bergbahnen) und an landschaftlich reizvollen Standorten Hotelpaläste erbaut. Ins Besucherprogramm gelangten kulturelle und sportliche Aktivitäten mit oder ohne Nervenkitzel (Bergsteigen, Wandern, Wintersport). Die Anbieter sorgten für Vergnügungen und Zerstreuung in Casinos und Kursälen (Glücksspiele), eröffneten Restaurants, Boutiquen und Theater sowie Kurhäuser und medizinische Einrichtungen für Erholungs- und Pflegebedürftige (Sanatorien, Bäder). Das Naturerlebnis wurde mit Aussichtspunkten (Belvedere, Panoramas, Orientierungstafeln), Spazierwegen, Parks und Quais aufgewertet. Dabei fanden neue Techniken wie elektrisch betriebene Lifte und Zahnradbahnen Verwendung. Zwischen 1888 und 1914 wurden 40 Seil- und 13 Zahnradbahnen errichtet, gleichzeitig verdoppelte sich die Hotelzahl von ca. 1700 auf über 3500. Der Anteil der in die Hotellerie investierten Kapitalien stieg – gemessen an den Gesamtinvestitionen in der Schweiz – von 1880 bis 1905 von 4,3% auf 11,9%. Promotoren, d.h. Firmenverwalter, Bankiers, Industrielle und Hoteliers, wie Alexander Seiler in Zermatt, Ami Chessex und Alexandre Emery in der Waadtländer Riviera sowie Franz Josef Bucher im Luzernbiet gaben der Entwicklung entscheidende Impulse.
Diese gekonnt inszenierte und durchdachte Alpenbegeisterung erfasste etwas später auch die einheimische Bevölkerung, sei es im Gebirge selbst oder in anderen Landesteilen, weil sie das materielle und ökonomische Potenzial des Sektors erkannte. Die ersten Förder- und Verkehrsvereine entstanden in den 1880er Jahren in grösseren Städten und Ferienorten, so 1885 in Zürich und Lausanne sowie 1889 in Genf. Die Organisation des Tourismus erforderte neue Kompetenzen; Empfang und Transport der Gäste, der kaufmännische Bereich sowie die Tourismuswerbung wurden Schritt für Schritt professionalisiert. 1893 eröffnete die Jura-Simplon-Bahn als erste ausländische Agentur eine Filiale in London. 1903 übernahmen diese die SBB, die dort ein Jahr später eine Werbedienststelle einrichteten. Die 1893 eingerichtete Hotelfachschule Lausanne trug erheblich zur Konsolidierung der Berufsbildung bei, an welcher der einflussreiche Schweizer Hotelier-Verein massgeblich beteiligt war.
Die «Sankt-Gotthard-Philosophie», ein Modell, das Technik, Wirtschaft und Politik verband, war gleichsam das Bindemittel zwischen Gebirge und touristischer Industrialisierung und markierte den eigentlichen Eintritt des Gebirgslandes Schweiz in die Fremdenverkehrsindustrie. Sie etablierte das Land zum Standard für den internationalen Tourismus. Luzern, Montreux, Interlaken, Zermatt und St. Moritz entwickelten sich zu weltberühmten Reisezielen.
Die Dissonanzen (1914-1950)
Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs setzte der Glanzzeit des Tourismus ein Ende. Zahlreiche Faktoren hemmten bis 1950 den Tourismus, unter anderem schlechte Wirtschaftslage, sinkende Einkommen, Wechselkurse, Formalitäten und Hürden bei der Einreise, erhöhte Bahnpreise und unvorhersehbares Verhalten der Touristen. Die unsicheren Umstände liessen zur Vorsicht neigen. Touristen gaben nicht wahllos Geld für ihren Aufenthalt aus, und die Anbieter zögerten mit Renovations-, Verbesserungs- und Aufbauarbeiten. Um die Kunden nicht zu verlieren, wurden die Preise stabil gehalten oder gar gesenkt. In dieser Hinsicht verlieh die Gründung der Schweizerischen Verkehrszentrale 1917 auf Initiative der Hoteliers dem Sektor einen dringend benötigten Impuls. Die Wirtschaftskrisen der Zwischenkriegszeit führten zu staatlichen Eingriffen. Der Bund stützte die Branche unter anderem mit der Vergabe von Krediten für die Hotellerie (1921), der Senkung der Bahnpreise und dem freien Verkehr aller im Ausland immatrikulierten Fahrzeuge (1931). Er förderte auch die Umorganisation der Werbetätigkeit mit der Errichtung eines gemeinsamen Fonds. 1933 vereinigte zudem der Schweizer Tourismusverband über 140 Branchenverbände.
Trotzdem zeigten sich auch in diesen schwierigen Jahren Lichtblicke. An manchen Orten zum Erliegen gebracht, zog der Tourismus wieder an, sobald sich die Konjunktur besserte. In den Jahren 1923, 1926-1929, 1936-1939 und 1944-1948 bereisten jeweils unternehmungslustige, in- und ausländische Touristen die Schweiz. Bereist wurden die Berge und Seen nicht nur im Sommer, sondern zunehmend auch im Winter. Der Wintersport fand in der Zwischenkriegszeit immer mehr Anhänger. Dadurch konnten die Anbieter die bisher auf etwa vier Monate beschränkte Saison verlängern. Die Verhältnisse waren also sehr unterschiedlich; im Allgemeinen suchte die Branche aber das Bestehende zu wahren und verhielt sich abwartend sowie defensiv.
Der Aufschwung (1950-2010)
Nach einer kurzen Übergangsphase setzte nach dem Zweiten Weltkrieg ein beispielloser Wirtschaftsboom ein, von dem der Tourismus in hohem Mass profitierte. Zwar erlitt er ab 1973 kleinere Einbrüche, entwickelte sich insgesamt jedoch positiv. Den Rückgängen folgten jeweils Phasen des Aufschwungs, die sich stets verstärkten und den Tourismus weiter ankurbelten. Auch wenn die Schweiz ein beliebtes Reiseziel blieb, musste sie sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts gegen eine starke Konkurrenz behaupten, die insbesondere Schweizer ins Ausland zog. Die wiedererlangte Dynamik beruhte auf einem Wertewandel der gesamten Tourismuskultur: Das erleichterte Reisen im Privatauto (Automobil), die erschwinglicheren Preise nach der Liberalisierung der kommerziellen Luftfahrt und ein allgemein gestiegener Lebensstandard bewirkten, dass sich die Konsumenten jetzt Reiseformen und Destinationen leisten konnten, die der vorherigen Generation noch verwehrt waren.
Der American Way of Life war das neue Referenzmodell. Besucherströme aus den USA nach Westeuropa – zuerst nach dem Krieg beurlaubte Soldaten, dann deren Familien – beeinflussten die boomende schweizerische Reisebranche in der Nachkriegszeit nachhaltig. Diese neue Kundschaft suchte Aktivferien mit aufregenden Landschaften und Naturattraktionen. Die folgenden Generationen von Touristen waren weltoffener und differenzierter im Finanzverhalten.
In der Schweiz ebenso wie im Ausland wurde das touristische Angebot nach und nach vereinheitlicht und standardisiert. Zwar bemühte sich der Sektor gleichzeitig, eine breitere Produktepalette anzubieten und neue Kundensegmente zu gewinnen, die vom riesigen Angebot übersättigt oder von herkömmlischen Tourismusformen vernachlässigt worden waren. Das Aufkommen des Funsports (z.B. Snowboarden, Carven) gab vielen Wintersportorten neuen Schwung, und auch der Geschäfts- und Wellnesstourismus bewahrte zahlreiche Hotels vor der Schliessung. Die geografische Ausbreitung änderte sich nur wenig. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts waren Graubünden, das Wallis und das Tessin die Regionen mit der grössten Hoteldichte.
Vergleichszahlen aus der Parahotellerie (z.B. Privatunterkünfte, Camping) bestätigen die wirtschaftliche Prosperität des Sektors: Jene nimmt seit den 1960er Jahren zu, verzeichnete 1975 sogar mehr Logiernächte als die eigentliche Hotellerie. Trotzdem leidet die Branche an Konjunkturschwankungen (starker Franken) und strukturellen Mängeln. Die Infrastruktur im Gastgewerbe ist grösstenteils überaltert (ausser in Luxushotels), Kredite sind mit Auflagen verbunden. Schweizer Personal ist mit Ausnahme der Kaderstellen spärlich vertreten. Der Tourismus behauptete sich aber im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts auf dem fünften Rang unter den Exportindustrien (nach der Chemie, den Maschinen, Uhren und Finanzdienstleistungen).
Quellen und Literatur
- H. Gölden, Strukturwandlungen des schweiz. Fremdenverkehrs, 1890-1935, 1939
- L. Tissot, Naissance d'une industrie touristique, 2000
- B. Schumacher, Ferien, 2002
- C. Reichler, Entdeckung einer Landschaft, 2005 (franz. 2002)
- R. Hachtmann, Tourismus-Geschichte, 2007
- Le tourisme suisse et son rayonnement international (XIXe-XXe siècles), hg. von C. Humair, L. Tissot, 2011
- Tissot, Laurent: Histoire du tourisme en Suisse au XIXe siècle. Les Anglais à la conquête de la Suisse, 2017.
- Gigasse, Marc; Humair, Cédric; Tissot, Laurent (Hg.): Le tourisme comme facteur de transformations économiques, techniques et sociales (XIXe-XXe siècles), 2014.
- Humair, Cédric; Gigasse, Marc et al. (Hg.): Système touristique et culture technique dans l'arc lémanique. Analyse d'une success story et de ses effets sur l'économie régionale (1852-1914), 2014.