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Carl GustavJung

26.7.1875 Kesswil, 6.6.1961 Küsnacht (ZH), reformiert, von Basel. Sohn des Johann Paul Achilles, Pfarrers, und der Emilie Preiswerk. Enkel von Karl Gustav Jung (->) und Samuel Preiswerk. Neffe des Ernst Georg Jung (->). 1903 Emma Rauschenbach, Tochter des Johannes, Uhrenfabrikanten (IWC), Enkelin von Johannes Rauschenbach. Matura und 1895-1900 Medizinstudium in Basel. 1900-1902 Volontär und Assistenzarzt an der Psychiatrischen Universitätsklinik Burghölzli Zürich bei Eugen Bleuler. 1902 Dissertation über "Die Psychologie und Pathologie der sogenannten okkulten Phänomene", danach Studienaufenthalt bei Pierre Janet in Paris. 1904-1909 Sekundararzt am Burghölzli, 1905-1914 Privatdozent für Psychiatrie an der Universität Zürich. In seinem ab 1904 eingerichteten psychologischen Laboratorium am Burghölzli entstand 1905 seine Habilitation über Assoziationsexperimente. Die daraus abgeleiteten "Komplexe" der Probanden bestätigten Carl Gustav Jung die "Verdrängungsmechanismen" im Sinne Sigmund Freuds und eröffneten ihm eine neue Sicht auf die bizarren Symptome seiner Patienten. Unter dem Einfluss seiner Begeisterung für Freud wurde das Burghölzli zum Mittelpunkt einer international einflussreichen Begegnung von Psychiatrie und Psychoanalyse und Jung zum eigentlichen Organisator und Gründungspräsidenten der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (1909-1913). Aufgrund seiner von Freuds Konzeption einer rein sexuellen Libido abweichenden Auffassung der Libido als einer autonomen, polaren psychischen Energie, die in allgemeinen (archetypischen) und individuellen Entwicklungsmustern des bewussten und unbewussten Lebens zum Ausdruck kommt, zwang ihn dieser 1913 zum Rücktritt von seinem Amt und zum Rückzug aus der psychoanalytischen Bewegung. Freud verwarf auch das für Jung zentrale Konzept des kollektiven Unbewussten.

In seiner Privatpraxis in Küsnacht entwickelte Jung über die Beschäftigung mit seinem eigenen Fantasiematerial und jenem seiner Patienten die Technik der "aktiven Imagination", einer Auseinandersetzung mit den kollektiven und persönlichen archetypischen Bildern (v.a. Animus/Anima, Schatten). Gleichzeitig entwarf er das Konzept der "Psychologischen Typen" (1921), mit dem er seine Divergenz zu Freud und Adler verarbeitete. Daraus ergab sich das therapeutische Ziel der "Individuation", einer ganzheitlichen Persönlichkeitsentwicklung, in der sich das "Selbst" realisiert und die Anpassung des "Ich" an die innere und äussere Realität steuert.

Entscheidend für die Ausbildung einer eigenen Terminologie und Schule, die analytische Psychologie, war 1916 die Gründung des Psychologischen Clubs in Zürich. Als Freizeitclub für Patienten gestiftet, entwickelte er sich zu einem Diskussionsforum für angehende Analytiker (u.a. Marie-Louise von Franz, Aniela Jaffé, Carl Alfred Meier, Toni Wolff). Jungs Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus wird bis heute kontrovers diskutiert. Mit der Übernahme des Präsidiums der (gleichgeschalteten deutschen) Internationalen ärztlichen Gesellschaft für Psychoanalyse und der Herausgeberschaft des "Zentralblattes für Psychotherapie" (1933, Rücktritt 1940) glaubte Jung eine unpolitische ärztliche Pflicht zu erfüllen und im Interesse der Erhaltung der Psychotherapie als junger wissenschaftlicher Disziplin zu handeln. Dieser Schritt wie auch seine leicht misszuverstehenden Ausführungen zum „jüdischen Problem“ und zur psychologischen Erklärung des Nationalsozialismus trugen ihm den Vorwurf der Sympathie für das Regime ein (u.a. Kontroverse mit Gustav Bally).

1933-1941 hielt Jung öffentliche Vorlesungen über Psychologie an der allgemeinen Abteilung der ETH Zürich, ab 1934 war er Titularprofessor. 1943-1944 wirkte er als Professor für medizinische Psychologie an der Universität Basel. Von 1933 an entwickelte er viele seiner Gedanken an den jährlich in Ascona stattfindenden Eranos-Tagungen, in denen ein internationaler Kreis ganzheitlich interessierter Geistes- und Naturwissenschaftler zusammentraf. Mit seiner Anschauung der religiös-mystischen Traditionen als einer ununterbrochenen Kette von Manifestationen des kollektiven Unbewussten eröffnete Jung einen überkonfessionellen, psychologischen Zugang zu religiöser Erfahrung. Seine zusammen mit dem Physiker Wolfgang Pauli erarbeitete Theorie der "Synchronizität als Prinzip akausaler Zusammenhänge" (1952) erklärt viele parapsychologische Phänomene als Entsprechung der auch in der physikalischen Materie auf subatomarer und kosmischer Ebene gefundenen Gesetzmässigkeiten.

Carl Gustav Jung erhielt zahlreiche Ehrendoktorate, unter anderen 1909 (gleichzeitig mit Sigmund Freud) der Clark University in Worcester (USA), 1936 der Harvard University (USA), 1938 der Universitäten von Kalkutta, Benares und Allahabad (alle Indien), 1945 der Universität Genf und 1955 der ETH Zürich. 1948 wurde das Jung-Institut Zürich (heute Küsnacht) als gemeinnützige Stiftung für die Ausbildung und Forschung in analytischer bzw. komplexer Psychologie gegründet. In der International Association for Analytical Psychology (IAAP) sind zu Beginn des 21. Jahrhunderts weltweit ca. 70 Gruppierungen aus ca. 30 Ländern organisiert, welche grösstenteils auch eine therapeutische Ausbildung anbieten.

Quellen und Literatur

  • GW, 20 Bde., 1958-83 (21995)
  • Briefe, hg. von A. Jaffé, 3 Bde., 1972-73
  • (zusammen mit S. Freud) Briefwechsel, hg. von W. McGuire, W. Sauerländer, 1974
  • C.G. Jung Bild und Wort, hg. von A. Jaffé, 1977 (21983)
  • G. Wehr, Carl Gustav Jung, 1985
  • T.B. Kirsch, The Jungians, 2000
  • S. Shamdasani, Jung and the Making of Modern Psychology, 2003
  • K. Nochis, Carl Gustav Jung: vie et psychologie, 2004
  • D. Bair, C.G. Jung, 2005 (engl. 2003)
Weblinks
Normdateien
GND
VIAF

Zitiervorschlag

Angela Graf-Nold: "Jung, Carl Gustav", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 02.10.2014. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/014425/2014-10-02/, konsultiert am 18.04.2024.