Autorin/Autor:
Niklaus Landolt
Die Tauner waren kleinbäuerliche Angehörige der ländlichen Gesellschaft, die nur wenig Land, meist ein paar Ziegen und im Gegensatz zu den Bauern oft kein Zugvieh besassen. Die grundherrlichen Frondienste und die genossenschaftlichen Arbeiten leisteten sie mit der Hacke.
Der Begriff in seiner unterschiedlichen zeitgenössischen Ausprägung geht auf tagwan bzw. tagwen zurück, d.h. den Tagesverdienst und das im Frondienst verrichtete Tagewerk (Flächenmass). In den Quellen werden jene Personen als Tauner bezeichnet, die nicht genügend Land zur Selbstversorgung besassen und deshalb auf einen Zusatzerwerb als Taglöhner angewiesen waren. Eine zweite Wurzel hat der Ausdruck im spätmittelalterlichen, sozioökonomisch differenzierten Abgabewesen: Tauner wurden jene Personen genannt, die anders als die Besitzer von Zugvieh, dem Herrn oder dem Gemeinwesen nur Handdienste leisten konnten. In der frühen Neuzeit bezeichnete der Begriff gemeinhin jene Gruppe von Kleinbauern im Dorf, die keinen Pflug bzw. kein Zugvieh besass und die vom Tagwan (Tageslohn) lebte. Entsprechend den Unterscheidungskriterien, die sich am Besitz der wichtigsten landwirtschaftlichen Produktionsmittel orientieren, beschränkt sich die Bezeichnung Tauner auf jene Regionen der Schweiz, in denen der Ackerbau vorherrschte.
Im ausgehenden Mittelalter entstanden die Tauner als soziale Gruppe im Zuge der sozioökonomischen Differenzierung der ländlichen Gesellschaft. Gefördert wurde die Schichtung in Bauern und Tauner durch die Abstufung der Feudallasten. Mit dem frühneuzeitlichen Bevölkerungswachstum nahm der Anteil der Tauner an der ländlichen Bevölkerung zu. Gebiete mit vorherrschender Dorfsiedlungsweise und Dreizelgenwirtschaft sowie mit erbrechtlicher Realteilung, meist verbunden mit fortschreitender Güterzersplitterung, wiesen gegenüber den Streusiedlungs- und Feldgrasregionen tendenziell eine stärkere Zunahme des Anteils der Tauner an der Bevölkerung auf.
In der frühen Neuzeit gehörten die landarmen und landlosen Tauner zur unterbäuerlichen Schicht der Dorfbevölkerung. Weitere, nicht an der agrarischen Tätigkeit und am Grundbesitz orientierte Unterscheidungsmerkmale wie Vermögen, Beruf, politische Stellung, Bildung und Ansehen fehlen meist, so dass sich die Tauner von anderen Gruppen der ländlichen Unterschichten in der vorindustriellen ländlichen Gesellschaft vielfach nicht abgrenzen lassen. Zudem gibt es regionale Unterschiede bei der Verwendung der Bezeichnung und bei der Subsistenzgrenze, die durch die natürlichen Gegebenheiten variierte. Im mittelländischen Kornland benötigte ein durchschnittlicher Haushalt von 5-6 Personen zur Selbstversorgung in der frühen Neuzeit mindestens 3-4 ha Acker- und Wiesland, in der Feldgraswirtschaftszone lag diese Grenze höher.
Wirtschaftliche Stellung
Autorin/Autor:
Niklaus Landolt
Der durchschnittliche Umfang eines Taunerbetriebs erreichte selten 1 ha und konzentrierte sich auf einige wenige Acker- und Wiesenparzellen, etwas Gartenland, Bünten und Rütenen (temporär genutzte Allmendäcker) sowie – im Kornland geradezu typisch – auf ein Stück Reben. Neben dem Klein- und Schmalvieh (Ziegen, Schafe, Hühner) hielten die Tauner höchstens eine Kuh. Von einem Zusatzerwerb abhängig, waren sie in allen untergeordneten ländlichen Berufskategorien vertreten (Handwerk und Hauswerk), hauptsächlich jedoch als Taglöhner. Ab dem ausgehenden 17. Jahrhundert ermöglichte die Protoindustrie (Textilindustrie, Strohflechterei) zahlreichen Taunern ein Auskommen in der Heimarbeit. Die verschiedenen Tätigkeiten reichten in Normalzeiten knapp zur Versorgung eines Haushalts aus, nicht jedoch zur Vorratsanlegung und Krisenvorsorge, was in Notzeiten zu Hunger, Krankheit und rascher Verarmung führte.
Das wirtschaftliche Überleben der Tauner hing stark von der Beteiligung am Gemeinnutzen des Dorfs ab. Für ihr weniges Vieh waren sie auf die kollektive Nutzung der Weiden, der Allmend und des Waldes angewiesen. Als die Allmendrechte in der frühen Neuzeit im Zuge von Bevölkerungswachstum und Ressourcenverknappung strenger geregelt wurden, führte das vielfach zu Konflikten mit den Bauern. Letztere beanspruchten auf der Allmend weiterhin eine zu ihrem Vieh- und Grundbesitz proportionale Nutzung, während die Tauner ihre Weiderechte verteidigen mussten. Die Tauner wurden zwar selten gänzlich vom Zugang zur Allmend ausgeschlossen, doch erhielten sie meist nur noch verminderte Nutzungsrechte zugestanden, teils wurden ihnen gesonderte Allmendstücke oder minderwertiges Schachenland (an Flussauen) für den Weidgang überlassen. In Krisenzeiten erlaubten ihnen die Dorfgenossen eine zeitlich befristete Sondernutzung in Rütenen und Bünten. Darin bauten sie Getreide und Gemüse, in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zunehmend auch Kartoffeln an. Auch um die Brach- und Stoppelweide entbrannte Streit zwischen Taunern und Bauern. Die sogenannte Besömmerung der Brache und die vermehrten Einhegungen (Einschlagsbewegung) verkürzten die Zeit des kollektiven Weidgangs vor allem zum Nachteil der Tauner
In der frühen Neuzeit blieben Bauern und Tauner trotz häufiger, teils längjähriger Nutzungskonflikte durch vielfältige wirtschaftliche Beziehungen voneinander abhängig. Die Bauern benötigten insbesondere während der Aussaat- und Erntezeit die Tauner als Arbeitskräfte (Saisonarbeit). Weit abhängiger waren indes die Tauner, denn sie brauchten die Zugtiere, Pflüge und Wagen der Bauern zur Bearbeitung ihrer Ackerparzellen und zum Einbringen der Ernte. Krisenzeiten (Hungersnöte), in denen die Tauner auf bäuerliche Unterstützung angewiesen waren und sich häufig verschuldeten (Agrarverschuldung), verstärkten solche Abhängigkeiten. Diese Verhältnisse lockerten sich erst mit der Ausbreitung von protoindustriellen Erwerbsmöglichkeiten auf dem Lande. Allerdings gerieten die ländlichen Unterschichten dadurch in Abhängigkeit von städtischen Verlagsherren (Verlagssystem).
Politische Stellung
Autorin/Autor:
Niklaus Landolt
Die Tauner waren im Unterschied zu den Hintersassen Gemeindebürger. Da jedoch die Teilnahme an der Gemeindeversammlung und das Wahl- und Stimmrecht vielfach mit den Nutzungsrechten verknüpft waren, hingen die kommunalen Mitbestimmungsmöglichkeiten davon ab, ob die Nutzung der Gemeindegüter nach dem Real- (Grund-, Haus- oder Viehbesitz) oder nach dem Personalprinzip (Nutzungsrechte an die Person gebunden) geregelt war. Im ersten Fall hatten die Tauner, zumindest in Nutzungsfragen, nur beschränkte Mitbestimmungsmöglichkeiten. Praktisch überall blieb den Taunern der Zugang zu den angesehenen, durch die dörfliche Oberschicht monopolisierten Gemeindeämtern (wie Untervogt, Ammann und Seckelmeister) bis zum Ende des Ancien Régime verwehrt. Als sich ab dem ausgehenden 17. Jahrhundert im Zusammenhang mit dem Armenwesen (Fürsorge) die Bürgergemeinde von der reinen Nutzungsgemeinde zu lösen begann und die anteilmässig immer kleiner werdende Gruppe der nutzungsberechtigten Vollbauern den Taunern Aufgaben in der Gemeinde übertrugen, erlangten letztere mehr Mitbestimmungsbefugnisse in kommunalen Angelegenheiten, blieben in Nutzungsfragen allerdings weiterhin benachteiligt. Verschiedentlich fungierten Tauner nun auch als Geschworene oder als Richter im Niedergericht. Nach der Auflösung der dörflichen Nutzungsgenossenschaften (Agrarrevolution) in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verlor der Begriff Tauner seine rechtliche Bedeutung in der Zuteilung von Weide- und Holzrechten. Weil die landlose und landarme Dorfbevölkerung zunehmend in der exportorientierten Heimindustrie und in den industrialisierten Regionen schliesslich in den Fabriken ihr Auskommen (Arbeiterbauern) fand, kam der Begriff auch als soziale Kategorie immer weniger zur Anwendung.