Der Begriff A. kann nicht über längere Zeiträume einheitl. definiert werden. Es gab Perioden, in denen sein Inhalt klarer umrissen, und solche, in denen er dehnbarer war. Die Begriffsgesch. wird deshalb im Folgenden jeweils in den unmittelbaren sozialgesch. Kontext gestellt.
Mittelalter und frühe Neuzeit

Nach der um 1000 entwickelten Lehre der drei Stände (Ständische Gesellschaft) bildeten A. (laboratores, operatores, als Unfreie häufig servi) jenen Stand, der durch körperl. Arbeit den Adel und die Geistlichkeit ernährte, d.h. Handarbeiterinnen und -arbeiter in der Agrargesellschaft des Früh- und HochMA (Bauern). Als A. konnte jede im System der Grundherrschaft produzierende Person freien oder unfreien Rechtsstatus gelten. Als eigene Sozialgruppe rechtl. und ökonom. abhängiger Lohnarbeiterinnen und -arbeiter formierten sich A. erst vom HochMA an im Zuge der Städtebildung und des damit verbundenen gesellschaftl. Wandels. Mit dem Rückgang grundherrl. Eigenwirtschaft und der Frondienste entwickelte sich die jüngere Rentengrundherrschaft, in der sich die hofrechtl. Bindungen der hörigen Landbevölkerung allmähl. lockerten. Monetarisierung, Entwicklung von Handel und Gewerbe und Urbanisierung gingen mit einer Arbeitsteilung zwischen Stadt und Land wie auch innerhalb der handwerkl.-gewerbl. Produktion einher. In den wachsenden Städten fanden Zuzüger vom Land Arbeit. Sie bildeten v.a. von der Krise des SpätMA an die städt. Unterschicht. Auf dem Land beschäftigten adlige und geistl. Grundherrschaften, bürgerl. Landbesitzer und vermögende Bauern ganzjährig oder saisonal Lohnarbeiterinnen und -arbeiter, die sich besonders aus den unterbäuerl. Schichten der Tauner rekrutierten.

A. und Arbeiterinnen lebten teilweise im Haushalt des Arbeitgebers. Sie unterstanden der Befehls- und Strafgewalt des Hausherrn und der Hausherrin. Diese beaufsichtigte die Mägde und Lehrtöchter. Der Begriff "Knecht" bezeichnete einerseits unqualifiziertes männl. (Hilfs-)Personal im Hausdienst und Gewerbe, andererseits spezialisierte, gelernte A., gelernte Gesellen. Den Dienst unverheirateter, junger Menschen in einem fremden Haushalt oder Handwerksbetrieb sah man im Prinzip als Übergangsphase, die mit der Gründung eines eigenen Betriebs und der Heirat endete. Das Modell der in die Hausgemeinschaft des Meisters integrierten A. galt im Wesentlichen für das Gesinde in Handwerks- und Kaufmannsbetrieben, nicht aber für A. im Transportgewerbe, städt. Bauwesen, im städt. Garten- und Ackerbau oder im Bergbau. In diesen Sektoren waren verheiratete A. mit eigenem Haushalt auf Arbeitsplätzen wie Bauhütten, Gärten und Bergwerken beschäftigt, wo das Arbeitsangebot saisonal schwankend und Ganzjahresbeschäftigung nicht gesichert waren. Im Bauwesen herrschte aufgrund der vielen Heiligentage prakt. die Fünf-Tage-Woche, so dass A. ein Jahreseinkommen von nur rund 265 Taglöhnen erzielten (Lohn). In Arbeiterfam. war zur Sicherung des Lebensunterhalts das Erwerbseinkommen beider Ehepartner sowie der arbeitsfähigen Kinder notwendig. Soziale Konflikte gingen im SpätMA und in der frühen Neuzeit v.a. von den Organisationen qualifizierter A. aus.
In der frühen Neuzeit differenzierte sich die Arbeiterschaft gegenüber dem MA aus. Es entstanden in der Stadt und auf dem Land, ausserhalb des Handwerks und der Zünfte, neue Sozialgruppen von A.n, mit neuen Lebens- und Arbeitsformen: Im Zeichen des Bevölkerungswachstums und der Erschliessung neuer Exportmärkte gewann die im Verlagssystem dezentral organisierte Produktion (v.a. in der Textilindustrie) wachsende Bedeutung. Städt. Kaufleute und Fabrikanten stützten ihre Unternehmen auf ländl. Arbeitskräfte, um die von ihnen gelieferten Rohstoffe (z.B. Wolle, Baumwolle, Seide) in Heimarbeit zu Halbfabrikaten (Garn, ungefärbte Stoffe, Uhrenbestandteile usw.) und Exportgütern verarbeiten zu lassen. Wie Handwerker gestalteten die in ihrer Wohnung oder Werkstatt arbeitenden Heimarbeiterinnen und -arbeiter ihren Arbeitstag selbst. Für die Vermarktung hingen sie aber vollst. vom Verleger ab, dem meist auch die Arbeitsgeräte (Webstuhl usw.) gehörten. In weitgehender Abhängigkeit von städt. Handelskapital sanken manchenorts, wie z.B. in Genf, urspr. selbständige Meister in den Rang von Lohnarbeitern ab, eine Begleiterscheinung der Protoindustrialisierung. In den versch. Typen ländl. Haushalte, einschliessl. der handwerkl.-gewerbl. Professionisten, besass Heimarbeit im Rahmen der Familienwirtschaft einen spezif. Stellenwert. Je nach dem Lohnniveau bzw. dem Verhältnis zwischen landwirtschaftl. und heimindustriellen Löhnen, der Schichtzugehörigkeit, der Anzahl verfügbarer Arbeitskräfte und den Erfordernissen des Familienbetriebs wurde Heimarbeit ganzjährig oder nur als Nebenbeschäftigung (ausserhalb der saisonalen Arbeitsspitzen in der Landwirtschaft) ausgeübt. Niedrig entlöhnte Arbeiten wie das Spinnen, Winden oder Spulen von Garn wurden tendenziell von Frauen (Frauenerwerbsarbeit) und Kindern (Kinderarbeit) verrichtet und dienten unterbäuerl. Schichten als Einkommensquelle. Heimarbeit, welche gewisse Kapitalinvestitionen erforderte wie das Weben, war eher in besser gestellten Landwirtschaftsbetrieben angesiedelt.
Vom späten 16. und 17. Jh. an fasste die von Basler Grosskaufleuten gelenkte Produktion von Seidenbändern auf der Basler Landschaft Fuss. Im Zürcher Gebiet spielten zunächst noch das traditionelle "Tüechli-Gewerbe" (grobe Baumwolltuche), die Wollkämmelei und -weberei eine wichtige Rolle. Dabei war die Wollkämmelei häufig in zentralen, in der Stadt oder am Stadtrand angesiedelten Fabrikationsräumen organisiert. Vom späten 16. Jh. an nahmen in Zürich und auf der Zürcher Landschaft die Seidenfabrikation (Schappespinnerei, Seidenweberei), das Baumwollgewerbe und die Strumpfmanufaktur einen Aufschwung. Auch in der Innerschweiz verbreitete sich die von Zürich aus gelenkte Heimindustrie. In Genf beschäftigten das Textilgewerbe, v.a. die Tuchproduktion und Seidenherstellung (Samt, Taft), die Schmuck- und Uhrenfabrikation zahlreiche, teilweise aus der näheren und weiteren Umgebung zugewanderte Arbeitskräfte. Im 17. und 18. Jh. war ein Teil der protoindustriellen Arbeitskräfte in Manufakturen angestellt. Namentl. für die Indienne-, in Genf auch für die Strumpfproduktion, gründeten Unternehmer Manufakturen, in welchen die arbeitsteilig und hierarch. gegliederten Arbeitsgänge des Zeugdrucks vereinigt waren, die A. aber Arbeitszeit und -rhythmus nicht mehr den familienwirtschaftl. Bedürfnissen anpassen konnten.
19.-20. Jahrhundert
Begriffswandel im 19. Jahrhundert
Im 19. Jh. lässt sich eine zunehmende inhaltl. Eingrenzung des Begriffs A. verfolgen, der v.a. die lange mitgemeinten Bauern und andere selbständig Erwerbende ausschloss. Noch nach der Jahrhundertmitte umfasste er zahlreiche ältere Gruppenbezeichnungen wie Taglöhner, Fabrikarbeiter, Fabrikgeselle, Gehilfe, Geselle, Gesinde oder Handarbeiter. Er bezeichnete Personen, die aufgrund eines freien Arbeitsvertrags stark fremdbestimmt und abhängig, d.h. meist nicht mit eigenen Produktionsmitteln, und vorwiegend körperl. tätig waren. Karl Marx charakterisierte in den 1860er Jahren den A. als "frei in dem Doppelsinn, dass er als freie Person über seine Arbeitskraft als seine Ware verfügt, dass er andrerseits [...] frei ist von allen zur Verwirklichung seiner Arbeitskraft nötigen Sachen." Für die Nutzung der Arbeitskraft zahlt der Unternehmer oder gewerbl. Meister dem A. einen Lohn. Vom späten 19. Jh. an galt der Fabrikarbeiter, nicht mehr der Heimarbeiter oder Handwerker, als der typ. A. Die um die Wende zum 20. Jh. bedeutenden sozialrechtl. und statusbezogenen Unterschiede zu den Angestellten wurden nach dem 2. Weltkrieg zunehmend eingeebnet. Die Abgrenzung fiel sowohl in der Praxis als auch im wiss. Diskurs immer schwerer. Noch heute gehört aber zum Begriff A. überwiegend körperl. Arbeit.

Die A. bildeten nie eine homogene Klasse (Klassengesellschaft). Sie unterschieden sich nach Kriterien wie Geschlecht, regionale und soziale Herkunft, Sprache, Religion, Beruf, Qualifikation, Wirtschaftszweig usw. Wegen dieser Vielfalt sprach man lange von den "arbeitenden Klassen". Nur langsam verbreitete sich von der Franz. Revolution an der singulare Sprachgebrauch "Arbeiterklasse", der eng mit Vorstellungen von ökonom. und polit. Emanzipation, von Klassenbewusstsein, eigenen Klassenorganisationen und Klassenkampf zusammenhängt. Das Bild einer klassenmässig in Lohnarbeit und Kapital gespaltenen Gesellschaft (Kapitalismus) verdrängte das traditionelle mit dem Gegensatz von Armen und Reichen. In den 1830er und 40er Jahren verbreitete sich zudem der Begriff Proletariat, worunter anfängl. abschätzig arme, verelendete Schichten verstanden wurden ("Lumpenproletariat", Pauperismus). Etwa ab Mitte des 19. Jh. erhielt er in der Arbeiterbewegung eine positive Wertung als Kampfbegriff des Marxismus, wie er im Schlusssatz des Kommunist. Manifestes verwendet wird: "Proletarier aller Länder, vereinigt euch." Angesprochen fühlten sich, wie die Gesch. der Arbeiterbewegung zeigt, v.a. qualifiziertere A.
Kategorien im 19. Jahrhundert
Im 19. Jh. gilt es Industriearbeiter, deren Gruppe sich in Heim- und Fabrikarbeiter gliedern lässt, gewerbl. A., v.a. Handwerksgesellen, sowie Sonderkategorien wie Eisenbahnbau- und Landarbeiter oder Dienstpersonal zu unterscheiden. Die statist. Erfassung der A. im 19. Jh. stösst wegen der unscharfen Definition auf unüberwindbare Schwierigkeiten, weshalb nur grobe Schätzungen vorliegen.
Man darf sich die A. im Industriesektor weder in der Heim- noch in der Fabrikindustrie als ausschliessl. erwachsen und männl. vorstellen. Frauen und Kinder erreichten in der schweiz. Industrie des 19. Jh. ein bedeutendes, in einzelnen Bereichen sogar ein überwiegendes Gewicht.
Industriearbeiterschaft 1830-1880 (in Tausend)
1830/40 | 1850 | 1860/65 | 1870/72 | 1880/82 | |
---|---|---|---|---|---|
Textilindustrie | 99,0 | 134,0 | 186,0 | 189,0 | 187,0 |
Uhren- und Metallindustrie | 21,0 | 31,0 | 43,0 | 67,0 | 64,0 |
Chemie | 0,5 | 0,6 | 0,8 | 2,7 | |
Typograph. Gewerbe/Papierindustrie | 2,5 | 2,6 | 3,0 | 5,6 | |
Lebens- und Genussmittelindustrie | 2,2 | 5,0 | 4,6 | 9,5 | |
Bekleidung | 3,0 | 3,0 | 2,5 | 3,8 | |
Baumaterialien- und Holzwarenindustrie | 2,0 | 3,0 | 4,5 | 6,1 | |
Total | 175,2 | 243,2 | 271,4 | 278,7 |
Heimarbeiterinnen und Heimarbeiter
Bis weit ins 19. Jh. hinein fällt eine Charakterisierung der Heimarbeiterschaft schwer. Einerseits bestand ein fliessender Übergang von landwirtschaftl. Kleinproduzenten, die oder deren Frauen gelegentl. ein handwerkl. Zusatzeinkommen verdienten, zu Heimarbeitern mit einem sehr tiefen Selbstversorgungsanteil an Nahrungsmitteln. Andererseits beteiligte sich die gesamte Fam. an der Heimarbeit und machte diese somit mehrheitl. zu Frauen- und Kinderarbeit.

Die Baumwollindustrie beschäftigte lange weitaus die meisten Heimarbeiter beiderlei Geschlechts. Um 1800 gehen Schätzungen allein von 100'000 Handspinnern aus, von denen allerdings bei weitem nicht alle hauptberufl. spannen. Gerade in der Spinnerei verdrängte die Mechanisierung die häusl. Produktion früh. Die Handweberei dagegen überschritt ihren Höhepunkt erst nach der Mitte des 19. Jh. Ebenfalls zahlreiche Heimarbeitsplätze boten die Stickerei, die Strohflechterei sowie die Seidentuch- und -bandweberei. Insgesamt wuchs die Zahl der Heimarbeiterinnen und -arbeiter in der Textilindustrie bis in die 1860er Jahre auf gegen 150'000, um dann wieder abzunehmen. Einen weiteren Schwerpunkt bildete die Uhrenindustrie, wo der Höhepunkt etwa um 1870 mit ca. 55'000-60'000 Beschäftigten erreicht war. Die erste systemat. Erfassung der Heimarbeitenden fand 1905 im Rahmen der ersten Betriebszählung statt. Die 92'162 Erfassten, davon fast drei Viertel Frauen, arbeiteten v.a. in der Stickerei (35'087), der Seiden- (22'454), Uhren- (12'071) und Bekleidungsindustrie (9'221). Die effektive Verbreitung schätzten zeitgenöss. Beobachter z.T. wesentl. höher ein. Wenn es auch gut situierte Heimarbeitende gab (z.B. in der Stickerei, Uhrenindustrie und Seidenbandweberei), wurden sie nach 1900 v.a. unter dem Aspekt einer sozial äusserst schlecht gestellten Schicht gesehen. Tatsächl. blieben sie von der Sozialgesetzgebung weitgehend ausgeklammert, und ihre vereinzelte Arbeitsweise sowie die oft bescheidene Qualifikation erschwerten die Kommunikation und damit die Möglichkeit zu kollektivem Handeln.
Fabrikarbeiterinnen und Fabrikarbeiter
Das Bild der modernen Lohnarbeit prägte die Fabrik, auch wenn sie beschäftigungsmässig lange Zeit nicht entfernt die Bedeutung handwerkl. und hausindustrieller Betriebe erreichte. Sie begann ihren Siegeszug anfangs des 19. Jh. in der Baumwollspinnerei (St. Gallen 1801, Wülflingen 1802, Zürich 1805). Damit bot nicht mehr die Fam. den Rahmen für die gemeinschaftl. Arbeit von Mann, Frau und Kindern sowie oft Lehrlingen, Gesellen und Gesinde. Nicht selten arbeiteten aber beide Elternteile samt Kindern in der gleichen Fabrik; entsprechende Stellenanzeigen finden sich noch Ende des 19. Jahrhunderts.

Fabrikarbeit war anfängl. äusserst unbeliebt und zog v.a. diejenigen an, denen Alternativen fehlten, anders als in anderen Ländern mehrheitl. ehemals in der Heimarbeit Beschäftigte. Dazu kamen verarmte Handwerker und Angehörige der ländl. Unterschicht. Die erste umfassende Erhebung, die Fabrikzählung 1882, die auch grössere Gewerbebetriebe erfasste, kam auf 134'862 A., davon 64'498 Frauen. Die Gewöhnung der Menschen an regelmässige Arbeit war eine der einschneidendsten Folgen der Fabrikindustrie. Die noch in der Heimindustrie mögl. Selbstbestimmung über Arbeitszeit, Pausen, Arbeitstempo usw. entfiel. Als vordringl. Ziel strebten Fabrikanten, oft gegen erhebl. Widerstand (Glarner Fabrikglocken-Streik 1837, "blauer Montag"), Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit an. Weiter legten Fabrikordnungen Wert auf Sauberkeit und Ordnung, Gehorsam gegenüber Vorgesetzten sowie auf Sittlichkeit inner- und ausserhalb des Betriebs. Den grössten Anteil an der Fabrikarbeiterschaft stellte bis in die 1920er Jahre die Textilindustrie: Schätzungen ergaben für 1830-40 ca. 10'000-20'000, für 1860-65 ca. 40'000-45'000 Personen, die Fabrikzählung erfasste 1882 84'669, 1911 102'092 A. Seit umfassende Statistiken vorliegen, stellten Frauen immer die Mehrheit, am deutlichsten in der Seidenindustrie mit ca. drei Vierteln, am knappsten in der Stickerei mit etwas mehr als der Hälfte.
Anfängl. kannte die Fabrikarbeiterschaft fast nur die Schattenseiten der Industrialisierung: unsichere Beschäftigung, überlange Arbeitszeiten, Verlust traditioneller Sicherheitsnetze, Löhne im Bereich des Existenzminimums und fehlende Vorsorgeinstitutionen. Eine nachhaltige Verbesserung ergab sich im letzten Viertel des 19. Jh. durch die Fabrikgesetze und die Fabrikinspektion einerseits und durch das Wirken der Arbeiterbewegung andererseits.
Handwerksgesellen
Eine wichtige Kategorie bildeten im 19. und frühen 20. Jh. Handwerksgesellen, deren Zahl um 1850 auf 90'000, davon wahrsch. knapp ein Siebentel Deutsche, um 1900 auf 130'000 geschätzt wurde, was jeweils knapp 4% der Gesamtbevölkerung entsprach. Im Verlauf des 19. Jh. verschlechterten sich ihre Chancen, selbst zu Meistern mit eigenem Betrieb aufzusteigen. Die meisten Gesellen beschäftigte das Baugewerbe (Maurer, Steinhauer, Zimmerleute, Gipser, Maler), da die industrielle Durchdringung, die v.a. in den aus allen Nähten platzenden Städten zum Ausdruck kam, gewaltige Investitionen im Hoch- und Tiefbau auslöste. Weitere Schwergewichte lagen in der Lebensmittelversorgung (Bäcker, Metzger), der Holzverarbeitung (Schreiner), der Bekleidung (Schneider, Schuhmacher), der Metallverarbeitung (Spengler, Schlosser, Schmiede) sowie im Buchdruck (Drucker, Setzer). Weit mehr als die Industriearbeiterschaft organisierten sich Handwerksgesellen auf geselliger und polit. Ebene und pflegten ihre eigene Kultur, in der die Vorstellung, dass sie selber den Produktionsprozess kontrollieren könnten, eine wichtige Rolle spielte. Sie blieben bis zur Grenzschliessung im 1. Weltkrieg äusserst mobil. Nicht selten bezogen sie mehrere, auch fremdspr. Länder und gelegentl. sogar andere Kontinente in ihre Wanderschaft ein. V.a. qualifiziertere Handwerker zeichneten sich deshalb nicht selten durch beachtl. Welterfahrung und Sprachgewandtheit aus.
Eisenbahnbauarbeiter
Gegen Mitte des 19. Jh. tauchte mit den Eisenbahnbauarbeitern eine neue Kategorie von A.n auf, die in den folgenden Jahrzehnten erhebl. Bedeutung erlangte. Während auf kleinen Baustellen vorwiegend Männer aus der Umgebung arbeiteten, mussten A. für grosse Projekte in wenig bevölkerten Gegenden von weit her geholt werden. Bei der Strecke Sissach-Olten, die den ersten längeren Bahntunnel (Hauenstein) einschliesst, konnten für 1855-58 über 5'500 Auswärtige identifiziert werden, davon fast drei Viertel Ausländer (94% Deutsche). Der Bau der Alpenstrecken gestaltete sich noch weit aufwändiger. Die Arbeit war v.a. im Tunnelbau äusserst hart, gefährl. und endete in zahlreichen Fällen gar tödlich. Die A. wurden bei entlegenen Baustellen in eigens errichteten Barackensiedlungen untergebracht. Dabei blieben Konflikte mit der ansässigen Bevölkerung, die Eigentum und Sittlichkeit gefährdet sah, nicht aus, zumal als kulturell schlechter integrierte Italiener die Deutschen ablösten. Nicht selten unmenschl. Arbeits- und Lebensbedingungen führten zu gewalttätigen Auseinandersetzungen (Gotthard-Streik 1875). Seit der Jahrhundertwende brachten der Kraftwerkbau und seit den 1960er Jahren der Nationalstrassenbau ähnl. temporäre Siedlungen von Hunderten von A.n.
Arbeiterinnen und Arbeiter im Dienstleistungssektor
Im Dienstleistungssektor fanden sich im 19. Jh. viele Tätigkeiten, bei denen Arbeitsbedingungen und Entlöhnung denjenigen von A.n entsprachen. Die Beschäftigten galten allerdings oft als Angestellte, so im Handel, bei den Post-, Telefon- und Telegraphenbetrieben und bei den Bahnen wie auch andernorts im öffentl. Sektor. Es gab aber auch eindeutige Arbeiterberufe, v.a. in den Bereichen Lagerung und Fuhrhalterei, aber auch bei Verkehrsbetrieben und in der öffentl. Verwaltung. Eine Sonderstellung nahmen die 1870 33'778, 1910 56'216 überwiegend weibl. Dienstboten im 2. und 3. Sektor ein ― Dienstmädchen, Köchinnen, Kutscher, Gärtner ―, die meist stark in den Haushalt ihrer Herrschaften eingebunden waren. Die Landwirtschaft kannte relativ wenig Gesinde. Während der Erntezeit mussten jedoch Taglöhnerinnen und Taglöhner eingesetzt werden, die sich zu Beginn des 19. Jh. häufig unter den Taunern rekrutieren liessen. 1900 zählte man 114'501 familienfremde Arbeitskräfte, was ca. einem Viertel aller landwirtschaftl. Erwerbstätigen entsprach. Wegen ihrer starken Bindung an die Bauernfam. und ihrer vereinzelten Arbeitsplätze unterschied sich ihre Lebensweise stark von derjenigen der gewerbl. und industriellen Arbeiterschaft. Dazu kamen der hohe Naturallohnanteil und die ständige Unterstellung unter die Gewalt des Hausherrn.

Soziale Lage und ihre Wahrnehmung im 19. Jahrhundert
Niedrige Löhne, lange Arbeitszeiten und starke Abhängigkeit vom Betrieb beschränkten die Überwindung einer "proletar. Lebensführung" auf eine Oberschicht der Arbeiterschaft. Nicht selten blieben Lebensbereiche ausserhalb der Arbeit eine Residualkategorie. Dazu kam vor Einrichtung der Sozialversicherungen die Gewissheit, im Alter, bei Krankheit, Unfall und Arbeitslosigkeit nichts mehr zu verdienen. In ihrem Bewusstsein waren viele A. Opfer der sozialen Verhältnisse, die sie aber zunehmend nicht mehr als gottgegeben akzeptierten. Die Arbeiterbewegung bot ihnen eine kollektive Perspektive, die gleichzeitig individuelle Entfaltung und Integration in die Gesellschaft förderte (Arbeitervereine, Gewerkschaften). Sie schuf in Betrieb und Quartier einen wichtigen sozialen Raum.
Moderne Industrien verlangten von den A.n eine möglichst hohe Produktivität. Dies bedingte andererseits eine angemessene Erholung. Arbeitszeit wurde zunehmend regelmässiger und klarer von der Freizeit abgegrenzt. Mit Massnahmen wie Kosthäusern, Krankenkassen und Pensionskassen, höheren Löhnen und kürzeren Arbeitszeiten sowie weiteren, sich zunehmend differenzierenden Mitteln der Arbeiterwohlfahrt versuchten Unternehmer, eine Stammarbeiterschaft aufzubauen. In ländl. Gebieten blieb der landwirtschaftl. Nebenerwerb noch lange bedeutend (Arbeiterbauern).
Die im Bürgertum verbreitete Vorstellung des Ernährerlohns übte zwar auch auf A. eine gewisse Faszination aus, erlangte aber vorerst keine prakt. Bedeutung. Für eine Arbeiterfam. blieb die Erwerbstätigkeit der Frau bis weit ins 20. Jh. hinein die Regel. Die angespannte finanzielle Lage liess meist wenig Spielraum. Oft lebten ein halbes Dutzend oder mehr Personen in Kleinwohnungen. Vorab die alten feuchten Häuser der Altstädte bildeten in der 2. Hälfte des 19. Jh. eigentl. Slums. Eine Privatsphäre im heutigen Sinne kannten Arbeiterfam. nicht. Viele teilten ihre engen Räume mit Untermieterinnen und Schlafgängern. Lange Arbeitszeiten und starke Fremdbestimmtheit beschränkten v.a. bei der Fabrikarbeiterschaft das Familienleben auf ein Minimum. Zahlreichen moralisierenden Klagen zum Trotz dürfte sich dieses aber bezügl. Zerrüttung nicht wesentl. von dem vergleichbarer ländl. Unterschichten unterschieden haben. Die Mobilität zwischen und in Industriezentren war beachtlich. In den Betrieben nahm die hohe Fluktuation nach dem 1. Weltkrieg ab. Eigentl. proletar. Viertel mit riesigen Mietskasernen entstanden nur ansatzweise, da selbst Basel und Zürich z.Z. der schlimmsten Wohnungsmisere im internat. Vergleich bescheidene Grossstädte waren.
Gegen Ende des 19. Jh. wuchsen die versch. Kategorien von A.n sowohl in der Aussenwahrnehmung als auch im Selbstverständnis zu einer einheitl. sozialen Schicht zusammen. Dazu trugen mehrere Entwicklungen bei: Durch die industrielle Durchdringung verdichtete sich die Kommunikation in grösseren Betrieben, v.a. aber geogr. und branchenmässig. Dazu kamen Auswirkungen der Sozialgesetzgebung, die sich seit dem eidg. Fabrikgesetz von 1877 und den Debatten um die Sozialversicherung in den 1880er Jahren zunehmend auf eine homogene Arbeiterschaft ausrichtete. Nicht zu unterschätzen gilt es schliessl. die Agitation der Arbeiterbewegung mit ihrem Appell an eine geeinte Arbeiterklasse. Zahlreiche Gewerkschaften schlossen sich im ausgehenden 19. und frühen 20. Jh. zusammen und ersetzten alte Berufsbezeichnungen wie Spengler, Giesser, Küfer, Schuhmacher usw. durch Namen mit Bezug auf die soziale Stellung wie Metall-, Holz-, Textil-, Leder-, Gemeinde- und Staatsarbeiter.
Begriff, Kategorien und Branchenentwicklung im 20. Jahrhundert

Zu Beginn des 20. Jh. hatte sich zwar der Begriff A. zur Zusammenfassung unterschiedlichster Kategorien von unselbständig Erwerbenden durchgesetzt. Bereits bot aber die Abgrenzung zur wachsenden Angestelltenschaft Schwierigkeiten. Der Arbeitgeberverband Schweiz. Maschinenindustrieller ermittelte 1923 mit einer Umfrage bei Grossbetrieben, dass diese bei Stundenlohn von A., bei Monats- oder Jahresgehalt von Angestellten sprachen. Allg. kann für die 1. Hälfte des 20. Jh. festgestellt werden, dass ein Angestelltengehalt in der Regel stabiler und höher als ein Arbeiterlohn ausfiel, und dass der Arbeitsplatz der Angestellten ― allerdings nicht in allen Branchen ― sicherer war.
Die unscharfen Ränder des Begriffes A. stellten die Statistik vor z.T. unüberwindbare Probleme. Bei den ersten eidg. Volkszählungen gelang nicht einmal eine befriedigende Unterscheidung zwischen selbständig und unselbständig Erwerbenden. Erst 1900 wurden Angestellte, A. und Lehrlinge gesondert klassiert. Nach dem 2. Weltkrieg erhielten zunehmend mehr Arbeitnehmerinnen und -nehmer den Angestelltenstatus, so dass die Kategorien an Aussagekraft verloren. Deshalb verzichtete die Volkszählung 1990 wieder auf die getrennte Erhebung von A.n und Angestellten. Andere Statistiken können die Lücke nicht füllen, erfassten doch die Betriebszählungen A. nur 1905-65 gesondert. Am besten ist die Fabrikarbeiterschaft durch die seit 1882 durchgeführten Fabrikzählungen und die regelmässigen Kontrollen der Fabrikinspektoren dokumentiert.
Einigermassen homogen sind nur die Angaben zu Industrie und Handwerk. Bei der Urproduktion und den Dienstleistungen ergaben sich v.a. 1941 Verschiebungen, die weniger mit realen Entwicklungen als mit gewandelten Vorstellungen und statist. Systemwechseln zu tun haben. Im ersten Falle galten mitarbeitende Familienglieder, v.a. Bäuerinnen, nicht mehr als A., im zweiten wurden hauswirtschaftl. Tätige, v.a. Dienstbotinnen, zu eigenständigen A.n aufgewertet. Ihren zahlenmässigen Höhepunkt erreichte die Arbeiterschaft in den 1960er Jahren. An der Gesamtheit der Erwerbspersonen fiel ihr Anteil 1900-80 von 60% auf 41%. Von der zu Beginn des 20. Jh. noch bedeutenden Heimarbeiterschaft blieben 1941 ganze 12'154 Personen übrig. Der Frauenanteil schwankt ― mit einem bemerkenswerten, deutl. Tiefpunkt 1941 ― um die 30%; die Volkszählung unterschätzte die weibl. Erwerbstätigkeit allerdings systematisch. Der Anteil der ausländ. Arbeiterschaft war vor dem 1. Weltkrieg sehr hoch, sank dann bis 1941 auf ein Min., um anschliessend bis 1980 auf ca. 30% zu steigen. Dabei fanden Saisonniers, deren Zahl in den 1960er und frühen 70er Jahren mehrmals bei ca. 200'000 lag, bei den Volkszählungen keine Berücksichtigung.

Die branchenmässige Zusammensetzung der Arbeiterschaft änderte sich stark. V.a. Metallindustrie, Maschinenbau, chem. Industrie, Handel und Gastgewerbe gewannen an Gewicht, während auf der anderen Seite vorab Textil- und Bekleidungsindustrie verloren. Die Zusammensetzung nach Geschlechtern glich sich in einzelnen Branchen nach dem 2. Weltkrieg leicht aus. Es blieben aber solche mit fast ausschliessl. männl. und solche mit überwiegend weibl. Arbeiterschaft. Zu Letzteren gehören die stark absteigenden Branchen Textil und Bekleidung sowie das Gastgewerbe, zu Ersteren die aufsteigenden Metall, Maschinen und Chemie sowie Bau, Holz und Verkehr. In der Uhrenindustrie übertraf in den 1960er Jahren die Zahl der weibl. A. diejenige der männlichen. Nach dem 2. Weltkrieg begann sich die Grenze zwischen A.n und Angestellten zumindest für diejenigen mit schweiz. Bürgerrecht zu verwischen. Sozialrechtl. Unterschiede erlangten in der Schweiz nie die gleiche Bedeutung wie in einigen anderen Ländern, weshalb die Abgrenzung weitgehend nach Konvention erfolgte. In vielen Firmen bildete die Unterstellung unter einen Gesamtarbeitsvertrag lange Zeit das wichtigste Unterscheidungsmerkmal: Dieses verlor aber in den beiden letzten Jahrzehnten an Bedeutung. Lohndifferenzen ebneten sich tendenziell ebenso ein wie die berufl. Trennung von körperl. und geistiger Arbeit. Selbst die Gewerkschaften folgten dieser Entwicklung, indem eine nach der anderen seit 1963 den Begriff A. aus ihrem Namen strich.
Verteilung der Arbeiterschaft nach Sektoren 1900-1980
1900 | 1920 | 1941 | 1960 | 1980 | |
---|---|---|---|---|---|
1. Sektor | 264 791 | 270 527 | 110 732 | 66 042 | 91 561 |
davon Frauen | 55 245 | 70 574 | 3 513 | 2 145 | 45 313 |
davon Ausländer | 11 927 | 8 259 | 2 968 | 17 764 | 5 505 |
2. Sektor | 466 080 | 518 326 | 565 511 | 821 627 | 672 611 |
davon Frauen | 168 429 | 161 854 | 137 477 | 190 180 | 148 346 |
davon Ausländer | 96 188 | 81 884 | 39 005 | 181 136 | 256 926 |
3. Sektor | 117 599 | 180 760 | 268 022 | 382 325 | 483 657 |
davon Frauen | 42 317 | 73 240 | 164 829 | 202 985 | 239 609 |
davon Ausländer | 22 477 | 25 463 | 21 843 | 28 380 | 120 400 |
Total Erwerbstätige | 1 555 247 | 1 871 725 | 1 992 487 | 2 512 411 | 3 091 694 |
davon Unselbständige | 1 129 787 | 1 431 866 | 1 571 577 | 2 146 910 | 2 792 895 |
Arbeiterschaft in ausgewählten Branchen 1900-1980
1900 | 1920 | 1941 | 1960 | 1980 | |
---|---|---|---|---|---|
Bau | 78 470 | 74 409 | 100 617 | 170 145 | 143 471 |
davon Frauen | 408 | 284 | 486 | 804 | 1 389 |
Holz | 35 898 | 29 251 | 37 709 | 38 259 | 35 094 |
davon Frauen | 467 | 767 | 1 253 | 1 562 | 2 831 |
Metall | 18 175 | 29 331 | 51 945 | 100 185 | 95 676 |
davon Frauen | 877 | 1 998 | 3 665 | 8 573 | 11 684 |
Maschinen | 32 608 | 74 286 | 85 978 | 146 079 | 131 883 |
davon Frauen | 696 | 5 797 | 10 493 | 20 131 | 28 683 |
Uhren | 42 707 | 47 077 | 40 155 | 60 902 | 36 732 |
davon Frauen | 15 430 | 19 823 | 18 522 | 30 034 | 20 873 |
Chemie | 2 057 | 13 943 | 15 758 | 29 771 | 29 990 |
davon Frauen | 222 | 2 740 | 2 814 | 6 724 | 8 553 |
Textil | 146 664 | 104 014 | 67 614 | 62 785 | 27 538 |
davon Frauen | 99 211 | 72 290 | 43 104 | 39 127 | 15 117 |
Bekleidung | 54 861 | 53 211 | 49 584 | 59 780 | 26 309 |
davon Frauen | 39 370 | 36 203 | 33 599 | 45 779 | 20 541 |
Nahrung/Genussmittel | 32 499 | 44 659 | 48 879 | 57 212 | 50 783 |
davon Frauen | 7 804 | 14 172 | 12 044 | 16 272 | 15 734 |
Handel | 10 671 | 19 783 | 30 534 | 57 768 | 85 714 |
davon Frauen | 1 131 | 1 708 | 4 007 | 12 994 | 22 745 |
Verkehr | 41 720 | 58 118 | 40 831 | 70 513 | 75 598 |
davon Frauen | 1 490 | 1 504 | 1 108 | 2 239 | 6 781 |
Gastgewerbe | 28 497 | 39 847 | 47 256 | 62 181 | 82 458 |
davon Frauen | 20 533 | 29 637 | 36 696 | 41 184 | 54 426 |
Ausbildung
Nach Aufhebung der Zünfte war die Berufsbildung lange nicht verbindl. festgelegt. Für gewerbl. A. bestand die Lehre, deren Abschluss aber nicht gesamtschweiz. geregelt war. Die Industrie arbeitete anfängl. weitgehend mit Ungelernten. Mit zunehmender Mechanisierung entstand v.a. in der Maschinenindustrie ein Bedarf nach höherer Qualifikation. Dem Beispiel der Lehrwerkstätte der Gebr. Sulzer in Winterthur von 1870 folgten weitere Firmen. Die neu entstehenden gewerbl. Berufsverbände versuchten ebenfalls, die Berufsbildung zu normieren und zu verbessern. Es gelang ihnen um die Jahrhundertwende, die v.a. nach dem Subventionsgesetz von 1884 sich verbreitenden Gewerbeschulen zu kommunalisieren. In die gleiche Zeit fielen erste kant. Obligatorien. Damit setzte sich das für Arbeiterberufe typ. duale System mit betriebl. Lehre und obligator. öffentl. Schule durch. Die bundesrechtl. Regelung erfolgte erst 1930 mit dem Berufsbildungsgesetz. Mit der Neufassung von 1978 wurde auch die Anlehre geregelt, womit die fakt. längst bestehende Abstufung von Facharbeitern, Angelernten und Ungelernten festgeschrieben war. Das duale Berufsbildungssystem mit seiner Zersplitterung der vom Biga (seit 1998 vom BBT) anerkannten Berufe gerät allerdings angesichts der neuen Technologien und der damit verbundenen Qualifikationsanforderungen zunehmend ins Abseits.
Soziale Lage und ihre Wahrnehmung im 20. Jahrhundert

Seit Beginn des 20. Jh. war für erste, privilegierte Kategorien wie Typographen mehr als nur die Sicherung des Lebens möglich. Die Verkürzung der Arbeitszeit, v.a. die 48-Stunden-Woche unmittelbar nach dem 1. Weltkrieg, erweiterte den Raum für das Privatleben. Steigende Einkommen vergrösserten den Gestaltungsspielraum. Brauchte eine Arbeiterfam. Ende des 19. Jh. noch über vier Fünftel des Einkommens für bescheidene Nahrung, Wohnung und Kleidung, so waren es z.Z. des 2. Weltkriegs weniger als zwei Drittel und 1970 trotz gestiegenen Ansprüchen weniger als die Hälfte. Der Durchbruch des Ernährerlohns zeitigte Folgen für die Arbeiterfam., indem ein wachsender Anteil das bürgerl. Ideal der nicht erwerbstätigen Hausfrau in die Praxis umsetzen konnte. Nach dem 2. Weltkrieg liess die anhaltende Vollbeschäftigung vorübergehend auch die für Unterschichten jahrhundertealte Erfahrung der prekären Einkommenslage in Vergessenheit geraten. Dauerhafte Konsumgüter wie Radio, Kühlschrank, Staubsauger, Telefon, elektr. Nähmaschine, Fernsehen und Auto hielten Einzug, wobei aber die Verbreitung nicht zu früh angesetzt werden darf. So gab es 1960 kaum Fernsehkonzessionen, und Autos besass die überwiegende Mehrheit der Arbeiterfam. keine.
Die alte Gestalt der Proletarität wurde überwunden durch den Ausbau der sozialen Sicherheit. Die vier Hauptrisiken zur Verarmung ― Unfall, Krankheit, Alter und Arbeitslosigkeit ― verloren an Bedeutung, nachdem mit der obligator. Unfallversicherung 1918, der starken Verbreitung von Krankenkassen, der Alters- und Hinterlassenenversicherung AHV 1948 und der obligator. Arbeitslosenversicherung ALV 1976 wirksame Auffangnetze geknüpft waren. Die Arbeitsverhältnisse stabilisierten sich nach dem 2. Weltkrieg u.a. durch längere Kündigungsfristen.
Diese Entwicklungen senkten die Bedeutung der Klassenzugehörigkeit. Der Anspruch auf gesellschaftl. Veränderung und die kollektive Perspektive verloren ihre Faszination. Soziale Deutung und individuelle Lebensbewältigung fielen auseinander. Es blieben entweder Resignation oder Hoffnung auf Fortschritt im gegebenen System.
Quellen und Literatur
- U. Dirlmeier, Unters. zu Einkommensverhältnissen und Lebenskosten in oberdt. Städten des SpätMA, 1978
- K. Schulz, Handwerksgesellen und Lohnarbeiter, 1985
- T. Meier, Handwerk, Hauswerk, Heimarbeit, 1986
- L. Mottu-Weber, Economie et Refuge à Genève au siècle de la Réforme, 1987
- H. Wunder, «Überlegungen zum Wandel der Geschlechterbeziehungen im 15. und 16. Jh. aus sozialgesch. Sicht», in Wandel der Geschlechterbeziehungen zu Beginn der Neuzeit, hg. von H. Wunder, C. Vanja, 1991, 12-26
- U. Pfister, Die Zürcher Fabriques, 1992
- Handwerksgesch., 1993
- C. Simon, «Labour Relations at Manufactures in the Eighteenth Century», in Internat. Review of Social History 39, Suppl., 1994, 115-144
- R. Braun, Sozialer und kultureller Wandel in einem ländl. Industriegebiet (Zürcher Oberland) unter Einwirkung des Maschinen- und Fabrikwesens im 19. und 20. Jh., 1965
- Schweiz. Arbeiterbewegung, 1975
- R. Vetterli, Industriearbeit, Arbeiterbewusstsein und gewerkschaftl. Organisation, 1978
- Gruner, Arbeiter
- Arbeitsalltag und Betriebsleben, 1981
- H. Frey, E. Glättli, Schaufeln, sprengen, karren, 1987
- Gruner, Arbeiterschaft
- Y. Pesenti, Beruf: Arbeiterin, 1988
- L. Bordoni, La donna operaia all'inizio del Novecento, 1993
- Sozialgesch. und Arbeiterbewegung, hg. von B. Studer, F. Vallotton, 1997
- Vom Wert der Arbeit, hg. von V. Boillat et al., 2006
Kontext | Proletariat |