Als Kirchenreform bezeichnet man eine Epoche des religiösen, kirchlichen und gesellschaftlichen Wandels im 11. Jahrhundert. Sie ging von der Mönchs- und Klosterreform des 10. Jahrhunderts aus und wurde besonders von der 909/910 gegründeten burgundischen Abtei Cluny (Cluniazenser) beeinflusst. Deren Stifter entzog sie dem Zugriff adeliger und bischöflicher Gewalt und unterstellte sie dem Schutz des Papstes. Beherrschendes Element dieser Erneuerung war der feierlich ausgestaltete Gottesdienst. Im Geiste Clunys wurden Klöster reformiert oder neu gegründet; der vom Grossabt von Cluny geleitete Klosterverband verbreitete sich rasch über ganz Westeuropa und entfaltete im 10. Jahrhundert und dann vor allem nach 1070 auch in der burgundischen Schweiz (bis St. Alban in Basel) ein dichtes Netz von Prioraten. Die treibende Kraft der zweiten Gründungswelle Clunys in Deutschburgund war Ulrich von Zell, der die Bewegung bis an die Grenze von Schwaben herantrug.
Unter Clunys Einfluss bildeten sich auch im Deutschen Reich neue Reformzentren. In Schwaben wirkte zunächst die Richtung von Gorze. Dieses lothringische Kloster unternahm um 966 auf Anordnung des ottonischen Hofes einen ersten, gescheiterten Reformversuch in St. Gallen; nachhaltig war hier eine zweite, 1034 von Stablo (Ardennen, heute Belgien) ausgegangene Reform. Grössere Erfolge hatte die Gorzer Reform in Einsiedeln, wo sie über St. Maximin in Trier und St. Emmeram in Regensburg auf das vom Strassburger Dompropst Eberhard (958) gegründete Kloster einwirkte. Unter Eberhards Nachfolgern wurde Einsiedeln selbst zu einem blühenden Reformkloster, besiedelte verschiedene Neugründungen mit seinen Mönchen (Petershausen bei Konstanz 983, Muri 1027/1030, Allerheiligen in Schaffhausen 1050/1064, Hirsau im Schwarzwald 1065), entsandte Mönche als Äbte in andere Klöster (Disentis 995, Pfäfers 1010, Niederaltaich, Kempten) und besetzte sogar Bischofsstühle (Chur, Como, Konstanz).
Ein weiteres süddeutsches Reformzentrum wurde Hirsau unter Abt Wilhelm (1091). Ulrich von Zell führte Wilhelm in die Gewohnheiten Clunys ein und bestimmte damit die Richtung der schwäbischen Klosterreform. Hirsau hatte die "Klosterfreiheit" zum Ziel, mit freier Abtwahl, der Übergabe des Klosters an den apostolischen Stuhl und der Begrenzung des Einflusses der Stifterfamilie, die den Kastvogt (Kastvogtei) stellen durfte, aber auf die Eigenklosterrechte verzichten musste. Die Hirsauer Reform erfasste in der Schweiz Allerheiligen (1079) und Beinwil (um 1100), indirekt über Allerheiligen Wagenhausen (1083), über Petershausen Rheinau (um 1100), Fischingen (1138) und St. Johann im Thurtal (1209), über St. Peter im Schwarzwald Herzogenbuchsee (1109).
Das zweite bedeutende süddeutsche Reformkloster St. Blasien, im 9. Jahrhundert gegründet und von Rheinau abhängig, suchte um 1070 Anschluss an die Reform des oberitalienischen Klosters Fruttuaria (Consuetudines von Cluny). St. Blasien reformierte 1082 das habsburgische Kloster Muri und besiedelte um 1100 Erlach. Von Muri aus wurde 1124 Engelberg gegründet, welches unter dem aus St. Blasien gekommenen Abt Frowin (ca. 1143-1178) von der Reform voll erfasst wurde. Unter dem Einfluss der beiden süddeutschen Reformzentren entstanden auch häufig zum Teil eher kurzlebige Frauenkonvente, die mit Männerkonventen zu sogenannten Doppelklöstern verbunden waren, wie Fahr (mit Einsiedeln), Hermetschwil (mit Muri), St. Agnes in Schaffhausen, St. Andreas in Engelberg, Rheinau, Fischingen, St. Johann im Thurtal und Beinwil. Um 1100 war Schwaben das Gebiet mit den meisten Klöstern im Reich geworden. Ihren Gründern, hauptsächlich lokaler Adel und adelige Bischöfe, war das Totengedenken ein wichtiges Anliegen, indem das Kloster der Stifterfamilie als Grablege diente und die Mönche das fürbittende liturgische Gedächtnis pflegten.
Der Gedanke der Klosterreform übertrug sich auf die Erneuerung von Kirche und Gesellschaft und auf deren Spitzen, Bischöfe und Adel. Die von Südwestfrankreich ausgehende Gottesfriedensbewegung dämmte das ungezügelte Fehdewesen ein (Gottesfrieden), das dem Kirchengut und der wehrlosen Bevölkerung grossen Schaden zufügte; sie erfasste auch das Erzbistum Besançon mit den Bistümern Lausanne und Basel. König Heinrich II. rief 1004 in Zürich zur Friedenswahrung in Schwaben auf und König Heinrich III. forderte 1043 in Konstanz eine allgemeine Versöhnung. Die Kreuzzugsbewegung als Teil des religiösen Aufbruchs eröffnete dem christlichen Kriegertum ein neues Wirkungsfeld (Kreuzzüge). Unter den Teilnehmern des Ersten Kreuzzugs begegnen auch Vertreter des Reformadels Schwabens und Burgunds.
Bedeutsam wurde der Anstoss der Klosterreform auch für die innerkirchliche Reform. Die salischen Kaiser und insbesondere Heinrich III. förderten die Reform im kirchlichen und weltlichen Bereich nach Kräften. Indem Heinrich Reformpäpste einsetzte, gelangte die Reform an die Spitze der Kirche. Um die Mitte des 11. Jahrhunderts übernahm das erstarkte Papsttum die Führung in der kirchlichen Erneuerungsbewegung. Dabei spielte der aus der elsässischen Grafenfamilie von Egisheim stammende Leo IX. eine wichtige Rolle. Der vormalige Bischof von Toul wandte sich mit seinen aus dem lothringischen Reformkreis mitgekommenen Helfern vor allem gegen die Priesterehe sowie die Käuflichkeit kirchlicher Ämter und verstärkte die Autorität des apostolischen Stuhls. Ausgedehnte Reisen führten Leo IX. auch durch die Westschweiz (Romainmôtier) und zu seinen zahlreichen adeligen Verwandten am Hochrhein und in Schwaben, wo er Weihehandlungen vornahm (Basel, Schaffhausen, Reichenau), die rechtliche Stellung der Klöster gegenüber ihren weltlichen Kastvögten durch Privilegien sicherte und durch die persönliche Leitung von Kirchenversammlungen die universale Amtsgewalt des Papsttums wirksam machte. Auf diesem Weg fand die Reform im schwäbischen Adel grossen Anhang.
Auch Papst Gregor VII. (1073-1085) – dieser hatte unter dem Namen Hildebrand als Helfer Leos schon Beziehungen zu Cluny gepflegt – setzte sich für die Freiheit der Kirche ein und wandte sich gegen die traditionellen Laienrechte in der Kirche. Er bekämpfte insbesondere die Einsetzung von Bischöfen durch den König; sein Verbot der Laieninvestitur 1075 löste den Investiturstreit zwischen Papsttum und deutschem Königtum aus. Der Kampf gegen die Laieninvestitur wurde in der Folge auch auf die Niederkirchen (Pfarrkirchen, Kapellen) ausgedehnt. Das in der frühmittelalterlichen Grundherrschaft verankerte Eigenkirchenwesen mit weitgehender Verfügungsgewalt der Kirchenstifter und ihrer Nachkommen über Kirchenbesitz und Klerus wurde durch die Entwicklung des Patronatsrechts überwunden, das den Einfluss der Laien auf die Mitwirkung bei der Besetzung geistlicher Stellen einschränkte.
Die Reformbewegung bestimmte auch im Gebiet der Schweiz weitgehend Baukunst und Literatur. Vom ausgehenden 10. bis zum 13. Jahrhundert entstanden zahlreiche Steinkirchen im romanischen Stil, einschiffige Saalbauten als Pfarrkirchen, dreischiffige Basiliken als Stiftskirchen. Lombardische Stilelemente prägten Bauten in Graubünden, im Tessin (Muralto, Biasca, Bellinzona) und teilweise auch im Burgund (Amsoldingen, Spiez, Schönenwerd), wo aber vor allem Cluny die architektonischen Formen der zahlreichen Priorate (Payerne, Romainmôtier u.a.) bestimmte. In Schwaben wirkte Einsiedeln und später Hirsau auf den Bau von Stiftskirchen ein (Allerheiligen, Muri, Stein am Rhein, Schänis). Klöster erlebten eine Blüte ihrer Schreibschulen (St. Gallen, Einsiedeln, Engelberg) sowie der Bildung, der Schule und der Geschichtsschreibung (Notker der Deutsche, Hermann von Reichenau, Ekkehard IV.). Im literarischen Kampf um Kirchenreform und Investiturstreit ragen vor allem die Werke Bertholds von Reichenau und Bernolds von Konstanz heraus.