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Bundespolizei

Der Bundesstaat von 1848 verfügte über keine eigene Polizei. Die Funktion der sogenannten politischen Fremdenpolizei nahm die Bundesanwaltschaft in enger Zusammenarbeit mit den kantonalen fremdenpolizeilichen Behörden wahr. Das Bundesgesetz über die Bundesanwaltschaft von 1889 dehnte die präventive Überwachung auch auf Schweizer Bürger aus; im nicht zustande gekommenen Referendum, das die Sozialdemokraten ergriffen, wurden die grundsätzlichen Differenzen in der Beurteilung der politischen Polizei zwischen den Bürgerlichen und der Linken offenbar.

Bis in die Zwischenkriegszeit hinein war der Bundesanwalt für die präventive Überwachung auf kantonale Polizeidienststellen angewiesen; ausserdem stützte er sich auch auf die verschiedenen eidgenössischen Polizeibehörden, wie zum Beispiel das 1903 gegründete Zentralpolizeibüro, das für Koordinationsaufgaben zuständig war, oder die 1917 gegründete eidgenössische Fremdenpolizei. Die Jacob-Affäre 1935 war der Anlass für den dringlichen Bundesbeschluss betreffend den Schutz der Sicherheit der Eidgenossenschaft. Dieser Beschluss, das sogenannte Spitzelgesetz, definierte neue Straftatbestände und ermächtigte die Bundesanwaltschaft zum Aufbau eines Fahndungs- und Informationsdienstes zur Wahrung der inneren und äusseren Sicherheit der Eidgenossenschaft. Der neu geschaffene Staatsschutz war aufgeteilt in eine gerichtliche (repressive) und eine politische (präventive) Polizei. Als gerichtliche Polizei untersuchte die Bundespolizei die der Bundesgerichtsbarkeit unterstellten Straftatbestände, zum Beispiel Delikte von Beamten des Bundes, Delikte, die gegen den Bund, seine Behörden oder gegen völkerrechtlich geschützte Personen und Einrichtungen verübt worden waren, Sprengstoffdelikte, verbotenen Nachrichtendienst sowie später Verstösse gegen die Gesetze über den Waffenhandel, den Technologietransfer oder die Atomenergie.

Plakat im Hinblick auf die Abstimmung über das Bundesgesetz zur Erfüllung der sicherheitspolizeilichen Aufgaben des Bundes (Busipo) vom 3. Dezember 1978. Das Plakat wurde nach einer Zeichnung von Martial Leiter gestaltet (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).
Plakat im Hinblick auf die Abstimmung über das Bundesgesetz zur Erfüllung der sicherheitspolizeilichen Aufgaben des Bundes (Busipo) vom 3. Dezember 1978. Das Plakat wurde nach einer Zeichnung von Martial Leiter gestaltet (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).

In der Nachkriegszeit beschäftigte sich die Bundespolizei vor allem mit Spionageabwehr und Terrorismusbekämpfung. Nach der Affäre um Bundesanwalt René Dubois und Max Ulrich, Inspektor der Bundespolizei, wurde 1958 mit dem Bundesbeschluss betreffend den Polizeidienst der Bundesanwaltschaft versucht, Bundesanwaltschaft und Bundespolizei teilweise zu entflechten. Der Polizeidienst unterstand dem Chef der Bundespolizei, auf dem Gebiet der politischen Polizei konnte ihm der Bundesanwalt Weisungen erteilen und auf dem Gebiet der gerichtlichen Polizei leitete der Bundesanwalt die Ermittlungen selber. Die Definition der Personen und Organisationen, von denen mögliche Gefährdungen ausgehen könnten, blieb der Bundesanwaltschaft und der Bundespolizei überlassen. Versuche einer Einführung besonderer bundesstaatlicher Korps zum Schutz internationaler Konferenzen (Interkantonale Mobile Polizei 1970) und zur Terrorismusbekämpfung (Bundessicherheitspolizei 1978) wurden vom Volk abgelehnt.

In Genf ausgehängte Ankündigung einer kritischen Diskussionsrunde zur Fichenaffäre mit einer Karikatur von Patrick Chappatte. Genf, 29. November 1990 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).
In Genf ausgehängte Ankündigung einer kritischen Diskussionsrunde zur Fichenaffäre mit einer Karikatur von Patrick Chappatte. Genf, 29. November 1990 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).

Während des Kalten Kriegs überwachte die Bundespolizei rund 900'000 des Linksextremismus verdächtigte Personen und Organisationen (Antikommunismus). Die während der Fichenaffäre 1989 eingesetzte Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) stellte fest, dass die oft unprofessionellen Überwachungen der legalen politischen Tätigkeit und die Weitergabe dieser Daten an Private rechtswidrig waren, was eine Diskussion über die Rolle des Staatschutzes auslöste. Ab 1990 gewährte ein Sonderbeauftragter des Bundes den überwachten Personen Einsicht in die Akten der Bundespolizei; 1992 wurde zur besseren Kontrolle des Staatsschutzes eine Delegation aus den Geschäftsprüfungskommissionen der beiden eidgenössischen Räte gebildet.

Die Reorganisation der Bundespolizei und die von der PUK geforderte Trennung von präventiver und gerichtlicher Polizei wurden in den 1990er Jahren in mehreren Schritten vorbereitet. Als Rechtsgrundlagen des Staatsschutzes erliessen der Bundesrat 1992 die Verordnung über das provisorische Staatsschutzinformationssystem ISIS und das EJPD Weisungen über die Durchführung des Staatsschutzes, die 1998 nach der Ablehnung der Initiative «S.o.S. – Schweiz ohne Schnüffelpolizei» durch das Bundesgesetz zur Wahrung der inneren Sicherheit abgelöst wurden. Die Bundespolizei wurde 1999 in das Bundesamt für Polizei eingegliedert. Seit 2001 werden die gerichtspolizeilichen Aufgaben ausschliesslich von der Bundeskriminalpolizei vorgenommen. Der Dienst für Analyse und Prävention ist für alle Bereiche des Staatsschutzes zuständig; seine Aufgaben umfassen die präventive Bekämpfung des Terrorismus, des gewalttätigen Extremismus, die Spionageabwehr und die Sicherstellung der Nonproliferation von atomaren und chemischen Waffen. Der Dienst arbeitet eng mit den Polizeiorganen der Kantone zusammen. Seine Arbeit wird durch die Delegation aus den Geschäftsprüfungskommissionen und durch ein Inspektorat des EJPD kontrolliert.

Quellen und Literatur

  • M. Müller, Die Entwicklung der Bundespolizei und ihre heutige Organisation, 1949
  • M. Mona et al., «Storie di schede, schede per la storia: dibattito», in AST, 1991, Nr. 109, 121-156
  • H.U. Jost et al., Cent ans de police politique en Suisse (1889-1989), 1992
  • Staatsschutz in der Schweiz, hg. von G. Kreis, 1993
Weblinks

Zitiervorschlag

Therese Steffen Gerber; Martin Keller: "Bundespolizei", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 27.01.2010. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/017246/2010-01-27/, konsultiert am 28.03.2024.