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Turnus

Schweizer Künstler litten lange unter der mangelnden öffentlichen Wahrnehmung. Um Abhilfe zu schaffen, entwickelte der Schweizerische Kunstverein, der 1839 aus der 1806 gegründeten Schweizerischen Künstlergesellschaft (Künstlervereine) hervorgegangen war, die Idee einer Ausstellung auf Landesebene (Kunstvereine). Die in ihm zusammengeschlossenen Lokalsektionen übernahmen in wechselndem Turnus deren Organisation. So entstand die Schweizerische Kunstausstellung, genannt Turnus, nach einem in Europa einmaligen Modell einer Wanderausstellung, welche die Kunst im ganzen Land verbreiten sollte (Ausstellungen).

Plakat von Otto Baumberger für die Wanderausstellung des Schweizerischen Kunstvereins, 1919 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).
Plakat von Otto Baumberger für die Wanderausstellung des Schweizerischen Kunstvereins, 1919 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste). […]

Der erste Turnus wurde 1840 in den Städten Basel, Bern und Zürich gezeigt. Luzern und Winterthur folgten 1842, St. Gallen 1844, Schaffhausen 1848, Solothurn 1854, Genf und Lausanne 1856. Die zunächst im Zweijahresrhythmus durchgeführte Ausstellung fand somit in zehn Städten statt. 1857 spaltete sich der Turnus in zwei Ausstellungen, welche alternierend in den geraden bzw. in den ungeraden Jahren in der West- bzw. in der Ostschweiz präsentiert wurden. Dies erlaubte die Aufnahme weiterer Städte in die Liste der Ausstellungsorte, nämlich 1860 Konstanz, 1862 Aarau, 1868 Freiburg, 1871 Glarus, 1886 Le Locle, 1891 Lugano, 1897 Biel, 1900 Chur und 1940 Frauenfeld. In diesem erweiterten Gebiet konnte der westliche bzw. östliche Turnus jedes Jahr während drei bis sechs Wochen – wegen der Lichtverhältnisse von April bis Oktober – in vier bis sieben Städten nacheinander gezeigt werden. Es gab jedoch Städte, die den Turnus nicht jedes Mal durchführten, wenn sie an der Reihe waren, oder die sogar gänzlich auf die Ausstellung verzichteten, so Freiburg ab 1876, Genf ab 1880 und Lausanne ab 1892; in Neuenburg fand der Turnus nie statt. Von wenigen Ausnahmen abgesehen wanderte der Turnus daher nur noch durch die Deutschschweiz, abgesehen von Le Locle, das ihm treu geblieben war. Bis 1907, als erstmals ein gemeinsamer Katalog herausgegeben wurde, druckten die Städte in der Regel je eigene Ausstellungskataloge mit einer Liste der ausstellenden Künstler. Zwischen 1840 und 1860 waren rund 80 Künstler am Turnus beteiligt, zwischen 1861 und 1890 waren es 130, zwischen 1891 und 1914 150. Während des Ersten Weltkriegs waren mehr als 250 Künstler beteiligt, während die Teilnehmerzahl in der Zwischenkriegszeit deutlich tiefer lag. 1937-1954 zirkulierte der Turnus nur noch in Form einer reduzierten regionalen Ausstellung.

Die wichtige Zeit des Turnus lag zwischen 1840 und 1890; damals war er die einzige regelmässig stattfindende Schweizer Kunstausstellung auf nationaler Ebene und wurde daher ab 1860 vom Bund finanziell unterstützt. Er förderte gesellige Kontakte zwischen kunstinteressierten Laien und Künstlern und wirkte über das System der Verlosung – die Preise bestanden aus ausgestellten Werken – an der Entstehung eines Kunstmarkts (Kunsthandel) in der Schweiz mit. Der in behelfsmässigen Räumlichkeiten wie Schulen, Musik- oder Theatersälen, Kasinos, Bibliotheken, Zeughäusern, Markthallen oder Rathäusern durchgeführte Turnus löste eine Dynamik aus, die den Bau geeigneterer Räume nötig machte, was zur Folge hatte, dass beispielsweise 1871 in Basel bzw. 1874 in Luzern die Kunsthalle und 1880 das Kunstmuseum in Bern eröffnet wurden. Wegen der starken Präsenz von Laienmalern und dem Fernbleiben bekannter Künstler geriet der Turnus jedoch bald einmal in Misskredit. Die Kritik kam von den ab 1865 in der Gesellschaft Schweizerischer Maler, Bildhauer und Architekten (GSMBA) zusammengeschlossenen Künstlern, die dem Turnus Unprofessionalität und Konservatismus vorwarfen und vom Bund die Organisation einer Nationalen Kunstausstellung der Schweiz erwirkten, die 1890 erstmals in Bern stattfand. 1921 boykottierte die GSMBA den Turnus; daraufhin erlangte sie die Mehrheit in der Jury, während die Museumskonservatoren ihren Einfluss vergrösserten und den Anlass professionalisierten, indem sie weniger eine Jury als ein Organisationskomitee zusammenstellten. 1951 ging der Turnus schliesslich in der 22. und 1956 in der 23. Nationalen Kunstausstellung der Schweiz auf und fand 1961 letztmals innerhalb der 24. statt.

Quellen und Literatur

  • L. Marfurt, Der Schweiz. Kunstverein, 1806-1981, 1981
  • P.-A. Jaccard, «Turnus, Expositions nationales suisses des beaux-arts, SPSAS, SSFPSD, Expositions nationales suisses», in ZAK 43, 1986, 436-459
Weblinks

Zitiervorschlag

Paul-André Jaccard: "Turnus", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 24.10.2023, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/024559/2023-10-24/, konsultiert am 14.09.2024.