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Minnesang

Minnesang bezeichnet jene Liedkunst des höfischen Mittelalters, in der die Liebe zwischen Mann und Frau im Zentrum steht. Während die ältesten, 1150/1160 in der Donauregion entstandenen Lieder den Mann noch als von der Damenwelt umschwärmten Verführungskünstler zeigen, setzte sich in der nächsten Generation unter dem Einfluss der provenzalischen Trobadors und französischen Trouvères eine veränderte Liebesvorstellung durch. Dieses Ideal der «Hohen Minne» stilisiert in Anlehnung an feudalrechtliche Strukturen die Geliebte als unerreichbare «Herrin» und den Sänger als unbeirrbar um sie werbenden «Minnediener». Die Grundstimmung der Lieder ist von der Sehnsuchtsklage des Sängers und der Dialektik von Liebe und Leid geprägt. Neben diesem für rund 150 Jahre dominanten Liedtyp wurden auch andere Gattungen gepflegt, so vor allem das «Tagelied» (ein Liebespaar beklagt die Trennung nach gemeinsam verbrachter Nacht) oder die «Pastourelle» (der Sänger begegnet in freier Natur einem Mädchen einfachen Standes).

Der Minnedichter Konrad von Würzburg. Miniatur aus der Manessischen Liederhandschrift, um 1325-1330 (Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Pal. germ. 848, Fol. 383r).
Der Minnedichter Konrad von Würzburg. Miniatur aus der Manessischen Liederhandschrift, um 1325-1330 (Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Pal. germ. 848, Fol. 383r). […]

Die Autoren des Schweizer Raums sind dank der in Zürich entstandenen Manessischen Handschrift gut dokumentiert; rund 30 Namen können ihm zugeordnet werden. Das Spektrum der Sängertypen reicht, wie im deutschen Minnesang generell, von Exponenten des hohen Regionaladels über Angehörige der Ministerialität und des Stadtbürgertums bis zu fahrenden Berufskünstlern. Auch die von ihnen gepflegten Liedgattungen bieten einen typischen Querschnitt durch den Zeitgeschmack des 13. und frühen 14. Jahrhunderts. Weniger üblich ist, dass neben den Adelshöfen vergleichsweise früh auch Städte (Basel, Zürich) und mit der Fürstabtei St. Gallen eine geistliche Institution als Zentren der Minnesang-Pflege hervortraten. Den Beginn machte, noch im späten 12. Jahrhundert, Rudolf II. von Neuenburg. Als Herr der zweisprachigen Grafschaft Neuenburg mit der romanischen höfischen Kultur wohlvertraut, zählte er zu den ersten Vermittlern der Trobadorkunst. Auch in späteren Generationen sind Vertreter schweizerischer Grafenhäuser als Sänger belegt, gegen 1250 Kraft von Toggenburg sowie zu Beginn des 14. Jahrhunderts Werner von Homberg. Als Repräsentanten bedeutender Freiherrendynastien wirkten Walther von Klingen, Heinrich von Sax und Heinrich von Stretelingen um die Mitte, Jakob von Wart gegen Ende des 13. Jahrhunderts, Johannes von Ringgenberg schliesslich als Sangspruchdichter im frühen 14. Jahrhundert. Die künstlerisch profiliertesten Schweizer Minnesänger rekrutierten sich aber aus der Ministerialität und dem Stadtbürgertum. Ulrich von Singenberg, Anfang des 13. Jahrhunderts als Hofbeamter der Abtei St. Gallen tätig, und Steinmar, wohl ein nach der Jahrhundertmitte bezeugter Dienstmann Walthers von Klingen, verfassten sowohl konventionelle Lieder wie auch übermütige Parodien auf die von der Erstarrung bedrohte Tradition. Konrad von Würzburg, der zu seiner Zeit bedeutendste Berufsautor, liess sich ca. 1265 dauerhaft in Basel nieder, wo er den Grossteil seines imposanten Œuvres schuf. Schon der Endphase des Minnesangs gehört der Zürcher Bürger Johannes Hadlaub an, der ca. 1280-1300 im Umkreis der Liedersammler Rüdiger II. und Johannes Manesse wirkte und mit seinen originellen «Erzählliedern» literarhistorische Bedeutung erlangte. Der politische und ökonomische Niedergang des Feudaladels im 14. Jahrhundert entzog allerdings der höfischen Sangeskunst schon bald darauf ihre Lebensgrundlage.

Quellen und Literatur

  • Die Schweizer Minnesänger, nach der Ausg. von K. Bartsch neu bearb. und hg. von M. Schiendorfer, 1990
  • Rodolphe, comte de Neuchâtel et poète, hg. von L. Bartolini et al., 2006, (mit Bibl.)
  • W. Wackernagel, Die Verdienste der Schweizer um die dt. Lit., 1883
  • J. Baechtold, Gesch. der dt. Lit. in der Schweiz, 1892, 140-168
  • M. Wehrli, Gesch. der dt. Lit. vom frühen MA bis zum Ende des 16. Jh., 1980, 433-439
  • V. Bolduan, Minne zwischen Ideal und Wirklichkeit, 1982
  • G. Schweikle, Minnesang, 1989 (21995)
  • H. Tervooren, Sangspruchdichtung, 1995
Weblinks

Zitiervorschlag

Max Schiendorfer: "Minnesang", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 19.06.2015. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/024576/2015-06-19/, konsultiert am 28.03.2024.