Die Wohnungsfrage als soziale Aufgabe war seit der Französischen Revolution Gegenstand philanthropischer, später frühsozialistischer und sozialreformerischer Projekte (z.B. Jeremy Bentham, Henry Roberts und Ebenezer Howard in England, Charles Fourier in Frankreich). Die Wohnung und das Kleinhaus für Arbeiterfamilien gaben Anlass zur Entwicklung rationeller Grundrisstypen und kostengünstiger Baumethoden (Wohnungsbau). In der Schweiz entstanden in den industriellen Zentren von der Mitte des 19. Jahrhunderts an erste Arbeitersiedlungen als Initiativen von Unternehmern der Textil- und Metallindustrie, so zum Beispiel die Arbeitersiedlungen der Spinnerei Rieter in Winterthur-Töss (ab 1865). Am Stadtrand, nahe den Fabriken gelegen, lassen die Arbeitersiedlungen in der Regel eine planmässige Anlage erkennen (orthogonale Anlagen freistehender, meist zweigeschossiger Kleinhäuser in Nutzgärten). Überlegungen der rationellen Bodennutzung und der hygienischen Unterbringung verbanden sich mit solchen der Erziehung zur Selbsthilfe und der sozialen Kontrolle. Reinlichkeit und Ordnungsliebe waren erklärte Ziele der Initianten aus der liberalen Oberschicht, die Verringerung sozialen Unmuts durch die Bindung an den Besitz von Boden und Haus ein anderer Beweggrund. Die seit den 1870er Jahren von gemeinnützigen Gesellschaften errichteten Arbeitersiedlungen umfassen auch Reihenhäuser, deren Anordnung nicht selten nach innen und auf ein erweitertes gemeinschaftliches Nutzungsangebot wie Waschhaus, Spielwiese und Kindergarten ausgerichtet ist, zum Beispiel Arbeiter- und Kleinbürgersiedlung im Basler Bachlettenquartier, 1871-1888 erbaut von Johann Jakob Stehlin und Eduard Vischer für die Baugesellschaft für Arbeiterwohnungen.

Ab 1900 bot das englische Modell der Gartenstadt neue städtebauliche und architektonische Orientierung (Städtebau). Geschwungene Strassen, Durchgrünung, unterschiedliche Haustypen in architektonischer, bisweilen regionalistischer Vielfalt charakterisieren die Arbeitersiedlungen als geschlossene dorfähnliche Kolonie. Beispiele dafür sind etwa die Schorensiedlung St. Gallen der Eisenbahner-Baugenossenschaft (1911-1914), das Weissensteingut Bern der Eisenbahngenossenschaft (1919-1925 erbaut von den Architekten Franz Trachsel und Otto Ingold), der Wettbewerb «Pic-Pic» für eine Gartenstadt in Aïre (1919-1920). Im Freidorf in Muttenz interpretierte der Architekt Hannes Meyer die Dreieckform des Grundstücks als symbolische Idealform der «ersten schweizerischen Vollgenossenschaft» (1919-1921). Hans Bernoulli erweiterte städtebauliche Motive der Gartenstadt um kulturelle Aspekte der Wohnreform und politische Fragen des Bodenrechts, zum Beispiel in Zürich in der Siedlung Hardturmstrasse (1924-1929), in Winterthur in den Siedlungen Deutweg, Eichliacker, Bachtelstrasse (1923-1924). Das Programm der Wohnung für das Existenzminimum verwirklichten Vertreter des Neuen Bauens im rationalen Zeilenbau (z.B. in Winterthur die Heimstättengenossenschaft Stadtrain der Architekten Gustav Adolf Kellermüller und Hans Hofmann, 1928-1943; in Basel die Siedlung Schorenmatten der Architekten Hans Schmidt, Paul Artaria und August Künzel, 1929). Diese zunächst kostenbedingte Einfachheit der Konstruktion und des architektonischen Ausdrucks deuteten die Genossenschaften zu einer ästhetischen Charakterisierung solidarischer Gleichheit um.