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Tarnaiae

Spätkeltische und römische Siedlung, im Gebiet der Gemeinde Massongex VS gelegen.

In keltischer Zeit war Tarnaiae, dessen Name sich von Taranis, dem keltischen Gott des Himmels, ableitet, der Hauptort der Nantuaten, der Bewohner des Nant, des Tals, aus dessen lateinischer Übersetzung Vallenses später das Ethnonym "Walliser" entstand. Die Siedlung verdankte ihre Entwicklung der Lage an der Strasse über den Grossen St. Bernhard, der Hauptverbindung zwischen Italien und Nordgallien bzw. den übrigen Nordprovinzen, deren Fortsetzungen durch das Mittelland führten; sie war der erste Ort nach Martigny, an dem die Rhone überquert werden konnte (Furt?, dann Brücke). Sie beherbergte sicher ein dem Taranis, den die Römer mit Jupiter gleichsetzten, geweihtes Heiligtum, in dem sich die Delegierten der vier Walliser Stämme trafen. Über die ausgedehnte keltische Siedlung ist wenig bekannt. Man hat nur einen um 50 v.Chr. ausgehobenen Graben (Kultfunktion?) gefunden, dessen Ränder mehrfach ausgebessert wurden, sowie Spuren von Holzbauten mit Feuerstellen (Wohnhäuser?). Nach der römischen Eroberung 16-15 v.Chr. entwickelte sich die Siedlung Y-förmig entlang der Strassen; in Tarnaiae mündete nämlich die am linken Ufer des Genfersees entlangführende Route südlich der Rhonebrücke in die Strasse zum Grossen St. Bernhard. Tarnaiae blieb bis um 47 n.Chr. Hauptort der Nantuaten, dann wurde Forum Claudii Vallensium (Martigny) Hauptstadt der civitas Vallensium, welche die vier Walliser Stämme vereinte. Tarnaiae, das im 1. und 2. Jahrhundert blühte, wies neben dem durch zwei Inschriften für Jupiter belegten Heiligtum auch Thermen mit einem Mosaik, Lagergebäude und zahlreiche Werkstätten oder Läden auf, die durch Portiken am Strassenrand betreten wurden. Eingriffe an der Rhoneböschung, dendrochronologisch für das Jahr 110/111 belegt, sind vielleicht auf den Bau oder Wiederaufbau der Brücke zurückzuführen, von der Bestandteile im Fluss gefunden wurden. Ein Teil der Siedlung hat die Alemanneneinfälle im 3. Jahrhundert überlebt, und die Rhone wurde weiterhin dort überquert, wie Wege aus der Spätantike belegen.

Quellen und Literatur

  • M.-A. Haldimann et al., «Aux origines de Massongex VS», in JbSGUF 74, 1991, 129-182

Zitiervorschlag

François Wiblé: "Tarnaiae", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 20.08.2012, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/028544/2012-08-20/, konsultiert am 20.09.2024.