Dritte Welt ist ein Quellenbegriff aus der Zeit des Kalten Kriegs und der Dekolonisation (Kolonialismus), der stets kontrovers diskutiert worden ist. Er verdichtete sich zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und den frühen 1960er Jahren. Oft als Synonym für sogenannte Entwicklungsländer bzw. Länder des Globalen Südens verwendet, umfasste er auch Länder Mittel- und Südamerikas, die vom Volkswohlstand her zu dieser Zeit ähnlich wie Staaten Europas oder der USA rangierten. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion verlor er an Überzeugungskraft. Heute wird der Begriff nur noch selten verwendet, teilweise in stark abwertender Absicht.
Geprägt wurde der Ausdruck Dritte Welt um 1952 in Anlehnung an die französische Revolutionsrhetorik von 1789 von einem Dritten Stand durch die französischen Sozialwissenschaftler Alfred Sauvy und Georges Balandier. Rasch fand er Eingang in den englischen und russischen Sprachgebrauch und etablierte sich in weiteren Sprachen. Die Dreizählung der Kontinente Lateinamerika, Afrika und Asien im Gegensatz zu Europa, Nordamerika und Australien stärkten den Begriff Dritte Welt. Die Semantik des «Trikonts» wurde 1967 weltweit durch eine Rede des lateinamerikanischen Politikers Ernesto Che Guevara populär. Von grosser Bedeutung war in diesem kommunikativen Zusammenhang der argentinische Notenbankpräsident und Vorsitzende der UNO-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (Cepal) Raúl Prebisch, der ab den 1960er Jahren die Dependenztheorie entwarf. Gemäss dieser bedingen sich der Reichtum der westlichen Industrienationen und die Armut der Entwicklungsländer wechselseitig. In China hatte Sun Yat-sen schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine nicht westliche Perspektive auf die Modernisierung entworfen, die von Mao Zedong in den 1950er Jahren zur Theorie der Drei Welten ausgebaut wurde. Demnach gehörten die beiden Supermächte USA und Sowjetunion zur Ersten Welt, Europa und Japan zur Zweiten Welt und China an der Spitze der Entwicklungsländer zur Dritten Welt. Allerdings war das Kollektiv der Drittweltstaaten nie deckungsgleich mit der Gruppe der Blockfreien Länder im Kalten Krieg.
Das Ende des europäischen Imperialismus, das mit der Unabhängigkeit Indiens 1947 und mit jener Indonesiens 1949 einsetzte und in den 1960er Jahren mit der Entstehung von drei Dutzend afrikanischen Nationalstaaten vollzogen wurde, führte in allen weltpolitischen Zentren zu Unsicherheit. Das Konzept Dritte Welt stiftete Orientierung. Dabei gewannen internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen (UNO) an Gewicht. Politisch spielte der Begriff erstmals an der Bandung-Konferenz 1955 in Indonesien eine Rolle, wo sich Delegierte aus armen und teilweise noch kolonisierten Ländern versammelten, um ihre Interessen zu bündeln und zu artikulieren. Hiervon ausgehend wurde die Dritte Welt mit der ersten Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (Unctad) 1964 in Genf zu einem wichtigen Begriff in der Weltpolitik. Mit der Gruppe der 77 (G-77) bestand die Dritte Welt als ein institutioneller Gegenspieler zur Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die 1948 von kapitalistischen Ländern gegründet worden war, bzw. zum Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (Comecon), in dem die Sowjetunion ab 1949 die sozialistischen Staaten zusammenschloss. Die Dritte Welt war bis zur Debatte in der UNO-Generalversammlung von 1975 über das Projekt einer Neuen Weltwirtschaftsordnung (New International Economic Order, NIEO) zentral.
Danach fiel die Bedeutung der Dritten Welt zusammen. Im Zeichen einer neoliberalen Wirtschaftsgesinnung brach die besondere Aufmerksamkeit für die neuen Länder weg, auch, weil sehr arme Länder wie Südkorea (Korea) durch Investitionen im Technologiebereich fulminante Entwicklungserfolge verbuchten und die Förderung von Erdöl Staaten wie Venezuela, Nigeria und Libyen unverhoffte Einkommensquellen öffnete. Eine sinnhafte Einheit mit gemeinsam zu vertretenden Interessen von Drittweltländern der drei Kontinente Lateinamerika, Afrika und Asien gibt es seit Mitte der 1980er Jahre nicht mehr. Der wirtschaftliche Wohlstandsgewinn in asiatischen Staaten wie Taiwan, Südkorea, Singapur und später Malaysia nach dem Vorbild von Japan und der zeitgleiche Sinkflug von Eckwerten einzelner lateinamerikanischer und afrikanischer Volkswirtschaften wirkten differenzierend, sodass sich neue Begriffe aufdrängten: Vierte Welt, Schwellenländer, Emerging Markets, Least Developed Countries oder Landlocked Least Developed Countries.
Die Schweiz wurde von den Veränderungen in der Staatenwelt tangiert, obwohl sie nie eine Kolonialmacht war. Zum einen blieb das Land auf Rohstoffe aus Entwicklungsländern und auf Absatzmärkte in den neuen Ländern angewiesen (Exportwirtschaft, Überseehandel). Handelshäuser wie die Gebrüder Volkart aus Winterthur und André & Cie. aus Lausanne bauten im Handel mit Baumwolle, Kaffee, Kakao (Schokolade) und Getreide ihre Positionen im 19. Jahrhundert weiter aus. Multinationale Konzerne wie Nestlé, Ciba, Asea Brown Boveri (ABB), Alusuisse, Roche, Sandoz oder Holderbank tätigten nach dem Zweiten Weltkrieg bedeutende Direktinvestitionen. Neue Firmen wie Glencore oder Trafigura kamen ab 1970 hinzu. Zum anderen war die Regierung nach 1945 bestrebt, die Schweiz aus ihrer Nachkriegsisolation herauszuführen, wozu Bundesrat Max Petitpierre die Solidarität und die Universalität zu Grundpfeilern der Aussenpolitik erklärte. Die Zunahme bewaffneter Konflikte in den Entwicklungsländern führte zu einer Ausweitung der Tätigkeit des Roten Kreuzes (IKRK; Humanitäre Hilfe) in diese Gebiete. In der Aussenwirtschaftspolitik verfolgte die Schweiz allerdings im Rahmen des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens Gatt bzw. der Welthandelsorganisation (WTO) eine konsequent auf die Liberalisierung des Welthandels zielende Strategie (Aussenwirtschaft). Für die Schweizerische Eidgenossenschaft, die sich schon früh um weltweite Marktzugänge für ansässige Unternehmen kümmerte, bedeutete die Entstehung einer Dritten Welt um 1960 das Überdenken ihrer Aussenbeziehungen. Die Bereitstellung von Dienstleistungen unter anderem in den kapitalintensiven Branchen des Rohstoffhandels und der Nahrungsmittelindustrie (Transithandel) sowie der Handel mit Massengütern mit Ländern der Dritten Welt gewannen an Bedeutung.
Ab circa 1968 wurde die Aussenwirtschafts- und Aussenpolitik innenpolitisch vermehrt wahrgenommen und zunehmend auch kritisch beurteilt. Aus der Schweizer Spende an die Kriegsgeschädigten von 1944 für kriegsversehrte Gebiete in Europa, aus dem Solidaritätsgedanken der Reformtheologie, der sozialistischen Arbeiterbewegung und aus Unternehmerkreisen entstand eine Drittweltbewegung, die den Begriff Dritte Welt entsprechend den weltpolitischen Artikulierungen auf die Gesamtheit der neuen Nationalstaaten in Asien, Afrika und Lateinamerika anwendete. Die Leitgedanken waren erstens, den Profitierenden früherer kolonialer Herrschaft käme eine besondere Verantwortung für die aktuellen weltwirtschaftlichen Ungleichheiten zu, und zweitens, der im Nachkriegseuropa verwirklichte Sozialstaat sei ein Modell für die Welt als Ganzes. Anne-Marie Holenstein, Regula Renschler, Rudolf Strahm, Jean Ziegler, Jacques Freymond und Roy Preiswerk sowie viele Volontaires – Freiwillige eines vom Politischen Departement bzw. Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) geleiteten Programms nach dem US-Vorbild des Peace Corps – setzten sich in den 1960er und 1970er Jahren für eine gerechtere Welt ein.
An den Widersprüchen zwischen humanitärem Anspruch und Gewinnmaximierung entzündete sich ab den späten 1960er Jahren die Kritik der Drittweltbewegung, die sich in antikolonialen Solidaritäts- und Studierendengruppen (Jugendbewegungen), Hilfswerken, kirchlichen Gruppierungen sowie den verschiedenen Organisationen der politischen Linken (u.a. Erklärung von Bern, EvB) sammelte und Entwicklungspolitik mit Sozialkritik und Vergangenheitsbewältigung verknüpfte. Mobilisierend wirkten der Algerienkrieg (v.a. in der Westschweiz; Algerien), Skandale wie der gesetzwidrige Verkauf von Waffen ins nigerianische Bürgerkriegsgebiet durch den Oerlikon-Bührle-Konzern (Waffenproduktion und Waffenhandel), der mit allen Mitteln moderner Werbung weltweit vorangetriebene Absatz von Milchpulver durch Nestlé, der Vietnamkrieg (Vietnam), der Staatsterror in Argentinien, Brasilien und Chile, gegen den der Bund nicht offiziell Stellung bezog, sowie das Verhalten der Banken, welche die Schweiz zur weltweit wichtigsten Drehscheibe für Fluchtgeld aus Entwicklungsländern machten (Finanzplatz). Während Wirtschaftsvertretende und die offizielle Schweiz privates Unternehmertum und freien Handel als besten Entwicklungsmotor lobten (Globalisierung), prangerten kritische Stimmen die multinationalen Konzerne als Ausbeuter und Verursacher der Unterentwicklung, die Grossbanken als Hort von schmutzigem Geld und die Schweiz als Hehlernation an.
Nach einer langen Debatte verabschiedeten die Eidgenössischen Räte 1976 das Bundesgesetz über die internationale Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe, das auf dem Prinzip der Partnerschaft ein langfristiges öffentliches Engagement in der Entwicklungshilfe statuierte. Weitere kontroverse Vorlagen waren ein Kredit für die Weltbank, gegen den eine rechtsnationale Gruppe 1976 erfolgreich Widerstand leistete, sowie der erfolglose Versuch der Sozialdemokratischen Partei (SP) 1984, mit einer Volksinitiative «gegen den Missbrauch des Bankgeheimnisses und der Bankenmacht» vorzugehen. Zu Beginn der 1970er Jahre thematisierten die «Bananenfrauen» in Frauenfeld um Ursula Brunner die sozialen und ökologischen Missstände in Anbau, Vertrieb und Absatz von Bananen. Mit ihren Direktimporten galten sie in der Schweiz als Pionierinnen des fairen Handels zwischen Nord und Süd. Auch zahlreiche ehrenamtlich und mehrheitlich von Frauen betriebene Drittweltläden und die 1992 nach holländischem Vorbild gegründete Max-Havelaar-Stiftung richteten ihre Aufmerksamkeit auf gerechte Handelsbeziehungen sowie individuelles Konsumverhalten als politischen Hebel. Organisationen wie Public Eye (vormals EvB) waren auch im internationalen Vergleich wichtige Vorreiter.