Der Begriff Alprechte (auch Bergrechte, Seyrechte) bezeichnet Rechte und Einrichtungen der Alpwirtschaft und bedeutet: 1. das Nutzungs- oder Eigentumsrecht an einer Alp zur Viehsömmerung, 2. eine schriftlich festgelegte, verbindliche Ordnung (Reglement) zur Alpnutzung, 3. ein Ertrags- oder Schätzmass (Kuhrecht). In der Schweiz gibt es Alprechte in den Alpen, Voralpen und im Jura.
Nutzungs- und Eigentumsrechte an Alpen
Vom 11.-12. Jahrhundert an sind weltliche und geistliche Herren (Adel, Klöster, Stifte, Bischöfe) urkundlich als Eigentümer von Alpweiden überliefert. Die Acta Murensia beschreiben den hofgenossenschaftlichen Alpbetrieb des Klosters Muri in Gersau um 1160 (Schweighöfe). Herrschaftlicher Alpbesitz war aber auch an einzelne Bauern oder an Hofgenossenschaften um Zins verliehen (z.B. 1262 Alp Morschfeld, Gemeinde Beckenried). Ausserhalb grundherrlicher Verbände entstanden Weidegenossenschaften unter Hofgenossen, die ihre Leihe ablösten, oder unter Bauern, die einzelne Anteile an grundherrlichen Alpweiden zu Eigentum erwarben. Dies setzt käufliche Alprechte bereits für die Zeit um 1300 voraus.
Aus den von Anfang an vielfältigen Besitzverhältnissen und alpwirtschaftlichen Betriebsformen entstanden zwei Haupttypen von Alprechten, nämlich das Anrecht auf Nutzung und das Anrecht auf Eigentum. Je nach Region dominierte – ohne Ausschliesslichkeit – der eine oder andere Typus.
Anrechte auf Nutzung entstanden, wo Alpweiden und zum Teil auch «Voralpen» (Vorsasse, Maiensässe) wie Allmenden in der kollektiven Verwaltung von Genossenschaften und genossenschaftlich organisierten Gütergemeinden (Korporationen, Bäuert) waren, die, zwecks gemeinsamer Alpbewirtschaftung gebildet, meist mit Gemeinde- oder Verbandsformen im Tal (z.B. Tal-, Gerichts-, Vogtei-, Kirchgemeinden) verbunden waren. Die Alprechte stellten das Anrecht des einzelnen Talguts an der Kollektivnutzung einer bestimmten Alp dar. Als Zubehör des Talguts konnten Alprechte nur mit diesem zusammen die Hand ändern.
Anrechte auf Eigentum entstanden dagegen auf Alpen (Privatalpen), die ohne Bindung an Talgüter waren und an denen sich frei ein oder mehrere Eigentümer beteiligen konnten. Diese Alprechte wurden nach dem (gekauften, ererbten usw.) Eigentum der Anteilhaber bemessen, was eine Ertragsschätzung (Seyung) erforderte: Alpweiden wurden nach Anzahl sömmerbarer Tiere dauernd eingeschätzt. Mehrere Eigentümer von Alprechten konnten unter sich private (oder Besitz-)Genossenschaften zur Sicherung des Eigentums und zur gemeinsamen Bewirtschaftung bilden. Da keine Bindung an Talgüter oder Nutzungsverbände im Tal bestanden, waren Alprechte frei handelbar, womit sich Eigentümerstrukturen an einer Alp im Lauf der Zeit völlig verändern konnten: So kauften in der Innerschweiz im 14. Jahrhundert bei sonst vorherrschenden Korporationsalpen einzelne Klöster und begüterte einheimische Grossbauernfamilien Alprechte zu alleinigem Eigentum auf. Umgekehrt gingen in reformierten Gegenden mit der Säkularisation im 16. Jahrhundert Klosteralpen ins Eigentum von Bauern über, indem diese daran Anteile erwarben. Im Emmental und Greyerzerland wiederum kauften bernische und freiburgische Patrizier vom 16. Jahrhundert an bäuerliche Alprechte zusammen. Als sie mit der Krise der Alpkäserei ihre «Herrenalpen» nach 1850 nicht mehr halten konnten, gelangten diese wieder alprechtsweise an verschiedene Bauern.
Alpordnungen
Als die Landwirtschaft im Alpenraum ab dem 14. Jahrhundert auf Viehwirtschaft und im Voralpenraum ab dem 15.-16. Jahrhundert auf Milchwirtschaft umstellte, stiegen mit diesem Strukturwandel von der Subsistenz- zur gewinn- und exportorientierten Alpwirtschaft überall die Weideansprüche, was Nutzungsordnungen unerlässlich machte. Diese dienten der Sicherung von Eigentums- bzw. Nutzungsrechten und dem Schutz der Alpweiden vor Übernutzung.
Früheste Formen solcher Alprechte betrafen die Grenzsetzung im Alpenraum infolge von Weidekonflikten, die im 12. Jahrhundert eingesetzt hatten und nach 1300 eskaliert waren (Marchenstreit). Nutzungskonflikte infolge widerrechtlicher Benützung fremder Weiden oder Übernutzung (Überstoss) erzwangen Ordnungen, die unter anderem explizite Zufluchtsrechte auf fremder Weide bei Schlechtwetter vorsahen (Regelung zwischen Uri und Engelberg am Surenenpass 1275), Verkaufsverbote von Weiden an Fremde (Oberhasli 1376), die Beschränkung der Weide auf im Talgut überwinterte Tiere (Winterfutterregelung, z.B. im Oberhasli 1376) oder ein Recht darauf, auch fremdes Vieh aufzutreiben (Seelisberg 1389).
Die schriftliche Fixierung der Alprechte erfolgte vermehrt ab dem ausgehenden 14. und vor allem im 15.-16. Jahrhundert, meist anlässlich von Konflikten. Die Alprechte vereinen altes Gewohnheitsrecht mit jüngeren Vereinbarungen und/oder Urteilsrecht. Sie sind oft unsystematisch, lückenhaft oder regeln nur gerade strittige Punkte. Überliefert sind Alprechte als Pergamenturkunden, vom 15. Jahrhundert an auch in Alpbüchern. In den alpinen Talschaften sind sie Bestandteil der Landrechte. Wie andere Rechtssammlungen wurden Alprechte ab dem 16.-17. Jahrhundert erneuert und vervollständigt. Anstelle des ursprünglichen Festhaltens der Alpgenossen und ihrer Anteile auf Kerbhölzern legte man Register der Anteilhaber an und verzeichnete Handänderungen rechtskräftig in den Alpbüchern.
Die wichtigsten Punkte der Alprechte betrafen Schutzmassnahmen gegen Weideübernutzung – durch Beschränkung der Weidetiere pro Haushalt oder auf gewintertes Vieh, Verbote des Viehzukaufs oder von Lehnvieh zur Sömmerung. Generell hielt man kranke und schädliche Weidetiere fern (separate Ziegen-, Schafweiden). Alpkorporationen und Alpgenossenschaften schlossen sich gegen Fremde ab, indem sie nutzungsberechtigten Einheimischen mit dem Näherkaufsrecht (Zugrecht, Weidzug) den Vorzug gewährten. Dabei konnte der Besitz eines Talguts und/oder Ortsansässigkeit Voraussetzung für Alprechte sein: Wegzüger verloren die ihren, auswärts verheiratete Töchter durften sie nicht erben, Zuzüger mussten sich einkaufen.
Geregelt wurden vor allem Streitpunkte, unter anderem das Schneefluchtrecht, selten dagegen die Grundrechte auf Weide (Trattrecht), Holz und Tränke. Auftriebsschlüssel (Kuhrechte) bestimmten die Bestossung der Hochweiden und Vorsassen. Festgehalten wurden auch Dienstbarkeiten, unter anderem Nachbarrechte (Vor- oder Nachweide, Durchtrieb, Nachtlager), der Unterhalt von Weiden (Roden, Räumen, Zäunen), Zufahrtswegen und Alpgebäuden, die je nach Gegend der Genossenschaft oder den Anteilern privat gehörten (z.B. Uri, Berner Oberland).
Vieles blieb der jährlichen Ordnung durch die Berg- oder Alpgemeinden (Jahresversammlung sowohl der Korporation wie der Privatgenossenschaft) überlassen, an der die Anteilhaber (Berg-, Alpteiler, Berggenossen) durch verbindliche Mehrheitsbeschlüsse Weidetermine, Auftriebszahl, Arbeiten im Gemeinwerk, an Hütten und Ställen festlegten. Die Berggemeinde bestellte den Aufseher (Alpvogt, Bergvogt, Alpmeister, Alpleider) für die Saison. Sie ahndete Übertretungen oder zeigte Fehlbare dem Ortsgericht an.
Alprechte im 19. und 20. Jahrhundert
Die alpwirtschaftlichen Körperschaften und ihre Alprechte blieben von den politischen Veränderungen ab 1798 unbehelligt. Schwierig war indes die Einordnung der altrechtlichen Institutionen nach dem Zivilgesetzbuch und dem Obligationenrecht.
Der Alpkataster (1982) unterscheidet drei Rechtsformen:
öffentlich-rechtliche Körperschaften mit unveräusserlichen Alprechten, d.h. Korporationsalpen der ehemaligen Talschaften und Gemeindealpen der alten Allmendgenossenschaften (u.a. Burger-, Bäuertgemeinden, pâturages communaux) vor allem im Raum Innerschweiz, Glarus, Graubünden, Berner Oberland und Jura, ferner Gemeindealpen in Gegenden mit geschlossener Dorforganisation (Graubünden, Tessin, Wallis),
privatrechtliche Körperschaften mit privaten Alprechten, deren Anteiler in (Besitz-)Genossenschaften und Privatkorporationen organisiert sind, sei es im alpinen (u.a. Graubünden, Berner Oberland, Wallis) oder voralpinen Raum (St. Galler Oberland, Appenzell, Schwyz, Unterwalden, Tessin),
die vielen nur privat genutzten, eher kleinflächigen Privatalpen (gesamtschweizerisch 54% aller Alpen bei 18% Weidefläche, 1982) vor allem im Voralpenraum und Jura.
Die verschiedenen Rechtsformen liegen indes oft in Gemengelage: An derselben Alp sind je nachdem Private, privatrechtliche und öffentlich-rechtliche Körperschaften beteiligt. Politische Gemeinden können wie zum Beispiel Guttannen genossenschaftliche (Bäuert Guttannen) und Privatalpen (Bäuert Boden) umfassen. Die geltenden Alprechte (Alpordnungen) basieren, überarbeitet, auf den früheren (z.B. Alprechte von 1760, 1843 und 1930 der Vorholzallmend Oberwil im Simmental).
Der alpwirtschaftliche Strukturwandel des 19. und 20. Jahrhunderts veränderte die Besitzstruktur bei Alprechten: Der Niedergang der Alpkäserei nach 1850 entwertete die Alprechte parallel zum Preiszerfall bei den Alpen. In der Folge kauften ehemalige Pächter und in den 1930er Jahren vor allem Unterländer Bauern Alprechte auf. Sie gründeten neue Genossenschaften, deren Anteiler über Anteilscheine statt der alten Alprechte verfügen. Die Alpkataster ab 1954 brachten die weiterhin bestehende Vielfalt an Rechts- und Eigentumsformen bei Alpen an den Tag und zeigten, dass Alprechte gesamtschweizerisch mehrheitlich in Privatbesitz sind, dagegen Alpen mit unveräusserlichen Alprechten bzw. der Bindung der Alpnutzung an das Talgut die Minderheit darstellen (1982).
Die Alprechte in der italienischen Schweiz
Die Alprechte in der italienischen Schweiz gehen auf lombardische Vorbilder des 16. bis 18. Jahrhunderts in Norditalien zurück. Die Alpweiden gehörten zunächst kollektiv den jeweiligen Talschaften, die über eine grosse Autonomie verfügten. Später wurden sie den Gemeinwesen zugewiesen, die sich in den Talschaften entwickelt hatten, den vicinanze (Nachbarschaften), degagne und vicinati. Diese Zuweisung erfolgte beispielsweise in der Leventina mit dem Teilungsvertrag von 1227, in dem der Generalrat jeder Nachbarschaft einen Teil der Alpweiden zusprach. Bis heute gibt es aber noch Alpweiden, über die kollektiv eine Talschaft verfügt, zum Beispiel im Onsernonetal. Die Alprechte wurden von lokalen Familien ausgeübt, die zusammen eine bogge bildeten. Der Begriff bogge bezeichnet sowohl die kollektiv verwalteten Herden als auch die Gemeinschaft der Genossen, die das – üblicherweise immerwährende – Recht der Nutzung einer Alp mit ihrem eigenen Viehbestand besassen. Die Sommerweiden lagen oft ausserhalb der richterlichen Grenzen der vicinanze; diejenigen der vicinanze der mittleren und unteren Leventina befanden sich zum Beispiel im Bedrettotal. Neben diesen nicht käuflich erworbenen Rechten existierten auch von „privaten“ Eigentümern (Adlige oder Abteien) gekaufte Rechte, die einmalig für alle bezahlt wurden, und gepachtete Rechte. Privatalpen gibt es zu Beginn des 21. Jahrhunderts im Vallemaggia und im Sottoceneri. Noch immer bezeichnend ist die Organisationsform der bogge für die degagne und einige vicinati im Bleniotal und in der Leventina. Da den bogge lediglich das Nutzungsrecht, nicht aber der Boden an sich gehört, sind die entsprechenden Güter weder veräusserlich noch teilbar und können deshalb auch nicht in Privatbesitz übergehen. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind es im Tessin immer noch die Versammlungen der Mitglieder der vicinanze oder ihrer Untereinheiten (degagne, bogge, squadre, corporazione), die über die Alpweiden bestimmen und die Art ihrer Nutzung in Reglementen und Statuten festlegen.
Quellen und Literatur
- SSRQ (Bde. der Gebirgs- und Jurakt.)
- H. Rennefahrt, Grundzüge der bern. Rechtsgesch. 2, 1931, 161-167
- Schweiz. Alpkataster, 1962-88
- Vocabolario dei dialetti della Svizzera italiana, 1, 1965, 90-120
- HRG 1, 123-133
- A. Werthemann, A. Imboden, Die Alp- und Weidewirtschaft in der Schweiz, 1982
- P.J. Brändli, «Ma. Grenzstreitigkeiten im Alpenraum», in MHVS 78, 1986, 37-43
- H. Herold, «Alprechte in der SSRQ», in Nit anders denn liebs und guets, hg. von C. Schott, C. Soliva, 1986, 61-74
- L. Carlen, Rechtsgesch. der Schweiz, 31988, 65 f.
- R. Sablonier, «Innerschweizer Gesellschaft im 14. Jh.», in Innerschweiz und frühe Eidgenossenschaft 2, 1990, 83-91