EvelineWidmer-Schlumpf

16.3.1956 Chur, reformiert, von Mönchaltorf und Felsberg. Rechtsanwältin, Bündner Regierungsrätin und Bundesrätin der Schweizerischen Volkspartei, später der Bürgerlich-Demokratischen Partei.

Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf (rechts) im Gespräch mit Bundesrätin Simonetta Sommaruga während der Von-Wattenwyl-Gespräche vom 3. Februar 2012 (KEYSTONE / Lukas Lehmann, Bild 133042115).
Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf (rechts) im Gespräch mit Bundesrätin Simonetta Sommaruga während der Von-Wattenwyl-Gespräche vom 3. Februar 2012 (KEYSTONE / Lukas Lehmann, Bild 133042115).

Eveline Schlumpf ist die zweite von drei Töchtern des Bundesrats und Mitgründers der Schweizerischen Volkspartei Leon Schlumpf und der Säuglings- und Kinderkrankenschwester sowie späteren Hausfrau Trudi (Gertrud) geborene Rupp. Sie besuchte die Primarschule in Felsberg und die Kantonsschule in Chur, wo sie 1976 eine klassische Matura ablegte. Ihr Rechtsstudium an der Universität Zürich schloss sie 1981 mit dem Lizenziat ab. Im gleichen Jahr heiratete sie Christoph Widmer, Bauingenieur und Geschäftsleitungsmitglied der Widmer Ingenieure AG. Das Paar hat drei Kinder. Nach einem zweijährigen Praktikum in einer Anwaltskanzlei in Chur erwarb sie 1983 das Anwalts- und 1986 das Notariatspatent. 1990 promovierte sie an der Universität Zürich mit einer Arbeit über die gesetzlichen Grundlagen für private Medienanbieter im Rahmen des Bundesbeschlusses über einen Radio- und Fernsehartikel von 1984 (Fernsehen). Ab 1981 war sie Aktuarin ad hoc am Bündner Kantonsgericht; 1987 machte sie sich als Rechtsanwältin und Notarin selbstständig.

Durch ihren Vater Leon Schlumpf, der ab 1967 im National- und ab 1974 im Ständerat sass, wurde Widmer-Schlumpf früh politisiert. Ab 1981 gehörte sie der Schweizerischen Volkspartei (SVP) an. Ihr erstes öffentliches politisches Amt bekleidete sie 1985 als Richterin am Kreisgericht Trins, 1991-1997 war sie Kreispräsidentin. 1989-1998 amtierte sie als Vizepräsidentin der SVP Graubünden. 1994-1998 sass sie im Grossen Rat des Kantons Graubünden. Als erste Frau wurde sie 1998 in die Kantonsregierung gewählt (Präsidentin 2001 und 2005), wo sie das Finanz- und Militärdepartement (ab 2007 Departement für Finanzen und Gemeinden) übernahm und binnen weniger Jahre den verschuldeten Kantonshaushalt sanierte. 2001-2007 präsidierte Widmer-Schlumpf die Konferenz der kantonalen Finanzdirektorinnen und Finanzdirektoren. In dieser Funktion sowie als Mitglied des leitenden Ausschusses der Konferenz der Kantonsregierungen setzte sie sich massgeblich dafür ein, dass 2003 elf Kantone das Referendum gegen das vom Bund beschlossene Steuerpaket 2001 ergriffen, von dem sie Mindereinnahmen und eine Schwächung der kantonalen Finanzautonomie befürchteten. Dieses erste Kantonsreferendum in der Geschichte des Bundesstaats, das die Stimmbevölkerung mittrug, indem es die Vorlage in der Abstimmung vom 16. Mai 2004 deutlich ablehnte, machte Widmer-Schlumpf national bekannt. 2004-2007 war sie Mitglied im Bankrat der Schweizerischen Nationalbank (SNB), von Mai 2007 bis zu ihrer Wahl in den Bundesrat hatte sie das Vizepräsidium inne.

Bei den Gesamterneuerungswahlen des Bundesrats am 12. Dezember 2007 wählte die Bundesversammlung Eveline Widmer-Schlumpf anstelle des amtierenden SVP-Bundesrats Christoph Blocher im zweiten Wahlgang mit 125 zu 115 Stimmen (absolutes Mehr 122). Bereits im Vorfeld der Bundesratswahlen hatten die Sozialdemokratische Partei (SP), die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) und die Grüne Partei der Schweiz (GPS; Grüne Parteien) signalisiert, dass sie den SVP-Vertreter mehrheitlich nicht unterstützen würden. Am Wahltag wurde die damalige Bündner Regierungsrätin Eveline Widmer-Schlumpf als Gegenkandidatin ins Spiel gebracht. Bei der Bekanntgabe des Resultats noch nicht vor Ort, nahm sie die Wahl nach einem Tag Bedenkzeit gegen den Willen ihrer Partei an. Unter Berufung auf den im März 2008 im Schweizer Fernsehen ausgestrahlten Dokumentarfilm Die Abwahl von Hansjörg Zumstein verlangte die SVP Schweiz von der SVP Graubünden, die Bundesrätin aus der Kantonalpartei auszuschliessen. Zeitgleich organisierten diverse Frauenverbände unter Federführung von Alliance F eine Sympathiekundgebung für Widmer-Schlumpf in Bern, an der über 12’000 Personen teilnahmen. Als die Bündner SVP der Forderung nicht nachkam, ordnete der SVP-Zentralvorstand deren Ausschluss aus der nationalen Partei an. Nach Vollzug des Ausschlusses per 1. Juni 2008 nannte sich die SVP Graubünden Bürgerlich-Demokratische Partei (BDP). Darauf erfolgten Neugründungen auch in Bern (Juni) und Glarus (August) sowie im November jene der Nationalpartei, der Widmer-Schlumpf und ihr Amtskollege Samuel Schmid beitraten.

Beitrag über die Wahl von Eveline Widmer-Schlumpf zur Bundesrätin in der Tagesschau-Hauptausgabe des Fernsehens der deutschen Schweiz vom 12. Dezember 2007 (Schweizer Radio und Fernsehen, Zürich, Play SRF).
Beitrag über die Wahl von Eveline Widmer-Schlumpf zur Bundesrätin in der Tagesschau-Hauptausgabe des Fernsehens der deutschen Schweiz vom 12. Dezember 2007 (Schweizer Radio und Fernsehen, Zürich, Play SRF). […]

Eveline Widmer-Schlumpf führte 2008 bis 2010 das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) und 2010 bis zu ihrem Rücktritt aus dem Bundesrat 2015 das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD). 2008, als sie letzteres bereits stellvertretend leitete, weil Hans-Rudolf Merz krankheitshalber kurzfristig ausgefallen war, konkretisierte sie zusammen mit der SNB und der Eidgenössischen Bankenkommission ein Massnahmenpaket zur Rettung der im Zuge der weltweiten Finanzkrise in Schwierigkeiten geratenen UBS. Um ähnliche Staatsrettungen in Zukunft zu vermeiden, nahm das Parlament 2011 Widmer-Schlumpfs als «Too-big-to-fail»-Vorlage bekannte Teilrevision des Bankengesetzes an, die unter anderem strengere Eigenkapital- und Liquiditätsanforderungen für Grossbanken vorschrieb. Im Oktober 2008 schlug die Vorsteherin des EJPD eine weitere Teilrevision des Asylgesetzes vor (u.a. Aufhebung des Botschaftsasyls sowie von Wehrdienstverweigerung und Desertion als Asylgründe), die in der Abstimmung 2013 von der Stimmbevölkerung angenommen wurde (Asyl). Nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima im März 2011 trug sie den auch von ihrer Partei gutgeheissenen Ausstieg aus der Atomenergie im Bundesrat mit. Eine vom EFD ab 2011 ausgearbeitete ökologische Steuerreform, die Lenkungsabgaben auf alle Energieträger, eine Effizienzsteigerung sowie die Förderung «neuer» erneuerbarer Energien vorsah, lehnte das Parlament 2017 jedoch ab.

Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf und der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble bei der Unterzeichnung des Abkommens über Kapitalgewinnsteuern am 21. September 2011 in Berlin (KEYSTONE / Sören Stache, Bild 122449585).
Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf und der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble bei der Unterzeichnung des Abkommens über Kapitalgewinnsteuern am 21. September 2011 in Berlin (KEYSTONE / Sören Stache, Bild 122449585).

Ihre Wiederwahl 2011 gelang Widmer-Schlumpf – neben dem guten Abschneiden der BDP bei den Parlamentswahlen – dank der Unterstützung der linken Parteien sowie der Mitte; 2012 amtierte sie als Bundespräsidentin. In ihrer zweiten Amtszeit musste sie sich unter internationalem Druck, ausgelöst durch die UBS-Steueraffäre, in der die Bank amerikanischen Kundinnen und Kunden Beihilfe zur Steuerhinterziehung geleistet hatte, mit dem Schweizer Bankgeheimnis befassen. Trotz anfänglich massiver Bedenken seitens der bürgerlichen Parteien und Bankenkreise legte sie 2015 dem Bundesrat und dem Parlament einen automatischen Informationsaustausch über Finanzkonten (AIA) vor. Die gesetzlichen Grundlagen traten 2017, nunmehr einzig gegen den Willen der SVP, in Kraft und beendeten das Bankgeheimnis für Ausländerinnen und Ausländer (Finanzplatz). Eveline Widmer-Schlumpf gab ihren Rücktritt nach den Parlamentswahlen im Oktober 2015 bekannt, bei denen die SVP einen Wähleranteil von knapp 30% erreichte, während die BDP unter die 5%-Marke fiel. Eine Wiederwahl wäre aufgrund der Forderungen nach einer der Wählerstärke angemessenen SVP-Vertretung im Bundesrat umstritten gewesen. Seit 2017 ist Eveline Widmer-Schlumpf Präsidentin des Stiftungsrats der Pro Senectute und engagiert sich in weiteren sozialen und kulturellen Stiftungen. 2008 war sie Schweizerin des Jahres in der Kategorie Politik.

Quellen und Literatur

  • Widmer-Schlumpf, Eveline: Voraussetzungen der Konzession bei Radio und Fernsehen, Dissertation, Universität Zürich, 1990.
  • Zumstein, Hansjörg: Die Abwahl – Die Geheimoperation gegen Christoph Blocher, 2008 (Film).
  • Hämmerle, Andrea: Die Abwahl. Fakten und Figuren, 2011.
  • Girsberger, Esther: Eveline Widmer-Schlumpf. Die Unbeirrbare, 2012.
  • Sprecher, Margrit: «Eine Frau unter Dauerbeschuss», in: Puntas Bernet, Daniel; Weber, Daniel (Hg.): Die besten Schweizer Reportagen, 2016, S. 25-36.
  • Zumstein, Hansjörg: Der Rücktritt – Die Ära Widmer-Schlumpf, 2016 (Film).
  • Foppa, Daniel: «Eveline Widmer-Schlumpf», in: Altermatt, Urs (Hg.): Das Bundesratslexikon, 2019, S. 701-706.
Weblinks
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Zitiervorschlag

Adolf Collenberg; Prisca Roth: "Widmer-Schlumpf, Eveline", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 06.02.2024. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/045352/2024-02-06/, konsultiert am 08.12.2024.