Die «Trinkerheilanstalt» («Casa per intemperanti») La Valletta, eine zwischen 1932 und 1975 betriebene Arbeitsanstalt, war in der Fraktion Valletta der Gemeinde Coldrerio auf dem Gelände der kantonalen Nervenheilanstalt bzw. ab 1943 der kantonalen psychiatrischen Klinik (Ospedale neuropsichiatrico cantonale, ONC) in Mendrisio angesiedelt. Sie galt als wichtigste Institution für die administrative Versorgung von Männern ab 18 Jahren im Kanton Tessin. 1975 ging die Anlage im ONC auf, seither dient sie als Sitz der Patientenvereinigung Club 74.
Gegründet wurde die Anstalt zur Umsetzung des kantonalen Gesetzes betreffend der Einweisung von Alkoholikern und Landstreichern (Legge ticinese sull’internamento degli alcolizzati e dei vagabondi) von 1929. Im Gegensatz zu anderen Kantonen, die bereits über Arbeits- und landwirtschaftliche Strafanstalten verfügten, war im Tessin keine entsprechende Infrastruktur vorhanden, sodass ein Neubau notwendig wurde. Wohl war die Schaffung einer Strafanstalt bereits 1921-1922 im Grossen Rat diskutiert worden, aber letzten Endes am Volksreferendum gescheitert; als das Anliegen in den 1940er und 1950er Jahren wieder auf die politische Agenda kam – es ging um ein erweitertes Projekt mit Arbeitserziehungsanstalt, Jugendstrafanstalt und Gefängnis – war ihm erneut kein Erfolg beschieden. Die neue Einrichtung wurde schliesslich nicht einem Komplex für den Strafvollzug, sondern der kantonalen Nervenheilanstalt angegliedert, um Synergien im Bereich der Verwaltung und der allgemeinen Dienste wie Wäscherei, Küche und medizinische Versorgung zu nutzen. La Valletta belieferte ausserdem die psychiatrische Klinik mit Landwirtschaftsprodukten sowie mit Matratzen, Schuhen und Möbeln aus Eigenproduktion. Das 1932 fertiggestellte Hauptgebäude umfasste drei Schlafsäle mit je 20 Betten, Speisesaal und Aufenthaltsraum, fünf Zellen, Werkstätten sowie das 1937 errichtete und 1997 abgerissene Nebengebäude des dazugehörenden Landwirtschaftsbetriebs. Die kantonale Institution stand unter der Leitung eines Oberaufsehers, welcher der Direktion des psychiatrischen Spitals sowie deren Verwaltungskommission unterstellt war. Die Anstalt finanzierte sich in erster Linie über die Kostgelder der Internierten und/oder ihrer Familien bzw. ab 1945 über Leistungen der Fürsorge, des Weiteren über einen direkten Beitrag des Kantons sowie über die Arbeitserträge der Internierten.
Bei den Einweisungsgründen stand der Alkoholismus, häufig in Verbindung mit Gewalttätigkeit und Landstreicherei, im Vordergrund; zu einem kleineren Teil erfolgte die Internierung wegen Sexualdelikten (Homosexualität und Pädokriminalität). La Valletta nahm aber zum Teil auch «freiwillig» Internierte sowie nach den Artikeln 42-45 des Schweizerischen Strafgesetzbuchs als «Liederliche und Arbeitsscheue», «Gewohnheitstrinker» sowie «Rauschgiftkranke» geltende Verurteilte auf, da vor der Eröffnung des Gefängnisses La Stampa in Lugano 1968 eine entsprechende Infrastruktur im Strafvollzug fehlte. Ab den 1960er Jahren, als die Zahl der administrativ Versorgten rückläufig war, wurden hier zudem Patienten des ONC untergebracht. Der Heterogenität der Insassen wurde innerhalb der Anstalt weder durch separate Abteilungen noch durch gruppenspezifische Regelungen Rechnung getragen. Die Aufenthaltsdauer betrug in der Regel zwischen 6 Monaten und 2 Jahren, konnte aber auch länger sein. Von 1930 bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zählte La Valletta durchschnittlich zwischen 30 und 50 Insassen; nach einem kriegsbedingten Rückgang stieg die Belegung in den Nachkriegsjahren an und belief sich in den 1970er Jahren auf 60-70 Internierte. Mit den Patienten des ONC war die Einrichtung ab Ende der 1960er häufig überbelegt.
La Valetta war eine geschlossene Anstalt, in der Alkoholabstinenz, Gemeinschaftspflicht und Arbeitszwang herrschten. Gearbeitet wurde hauptsächlich im Landwirtschaftsbetrieb, des Weiteren in der Schuhmacherei, Schreinerei, Kartonage und Buchbinderei sowie in der Matratzenherstellung. Ab Anfang der 1960er Jahre ging die landwirtschaftliche Produktion zurück; die Anstalt stellte vermehrt auf allgemeine Dienstleistungen und Gebäudeunterhalt um und überwies in Einzelfällen Personen in Halbfreiheit als Arbeitende an private Betriebe. Das Aufsichtspersonal sorgte – zuweilen mit Gewalt – für Disziplin und verfügte (abgesehen von der Fachausbildung der Werkstattleiter) bis Ende der 1960er Jahre weder über eine Schulung im Strafvollzugs- noch im Pflegebereich. Ab den 1950er Jahren bewirkte die veränderte Herangehensweise an den Alkoholismus – von der Bekämpfung als Laster hin zur Behandlung als Krankheit (Psychisch Kranke, Psychiatrie) – eine Zunahme des Medikamenteneinsatzes und eine verstärkte Einbindung des ONC-Personals. Die enge Zusammenarbeit mit der psychiatrischen Klinik, die sich im Laufe der Zeit noch intensivierte, zeichnete La Valletta im schweizerischen Anstaltswesen als Einzelfall aus. Die Entwicklung kulminierte 1975 in der Überführung der Anstalt in eine halboffene, klinikartig ausgestattete Abteilung des ONC, die sich auf Patienten mit sozialen Problemen und chronischer Alkoholsucht spezialisierte. Die seit 1956 unternommenen Versuche, das geltende kantonale Versorgungsgesetz zu revidieren, um eine weniger repressive Gesetzgebung auf der Basis medizinischer und sozialer Ansätze zu schaffen, scheiterten hingegen; faktisch blieb das Gesetz bis 1985 ohne grössere Änderungen in Kraft.