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Langenthal

Politische Gemeinde des Kantons Bern, Verwaltungskreis Oberaargau. Die Grosssiedlung im Langetental, seit 1997 als «Stadt» bezeichnet, vereint die alten Dörfer Langenthal (mit mehreren Siedlungskernen) und Schoren (1898 eingemeindet), Neuquartiere (u.a. Waldhof, Hopfern, Zelgli) sowie seit 2010 Untersteckholz. Langenthal ist mit Burgdorf Wirtschafts- und Verwaltungszentrum im Oberaargau und in der Region Emmental-Oberaargau. 861 Langatun, ab dem 15. Jahrhundert Langaten und Langental. 1764 1327 Einwohner; 1850 2738; 1888 3754; 1900 4799; 1950 8933; 1970 13'007; 2000 14'078; 2010 14'938.

Von der Urgeschichte bis zum Mittelalter

Verstreut auftretende mesolithische und neolithische Funde (Silizes, Beile) verweisen auf eine frühe Besiedlung mit mehreren Schwerpunkten, unter anderem Im Weier, Bohärdli, Brühl und Hardwald. Hallstättische Nekropole mit insgesamt zwölf Grabhügeln fanden sich im Unterhard. Römische Spuren konzentrieren sich auf den erhöhten Ostrand Langenthals, so ein Gutshofkomplex nordwestlich der Kirche und Siedlungsreste beim Waldhof. Im Hochmittelalter waren das Langetental und die Dorfmark (861 marcha in Langatun) in der Hand begüterter, durch Vergabungen an die Abtei St. Gallen namentlich bekannter freier Alemannen (Adalgoz). Unbekannt sind die Inhaber der hochmittelalterlichen, nicht mehr erhaltenen Wasserburg Schlosshubel.

Im 12. Jahrhundert gehörte Langenthal zur Herrschaft der Freiherren von Langenstein. Als Stifter der Abtei St. Urban statteten diese die Abtei unter anderem mit Gütern in Langenthal aus. Nach deren Aussterben 1212 erhielt St. Urban von den Erben, vor allem von den freiherrlichen Familien von Balm und von Grünenberg, weitere Schenkungen. Die Abtei litt aber unter Fehden und Prozessen (1226-1257) gegen die ebenfalls in Langenthal begüterten kyburgischen Ministerialen von Luternau. Diese bekämpften die wachsende Herrschaft der Abtei, verkauften ihr aber 1273-1276 ihren Besitz, so Twingrechte und ihr festes Haus (propugnaculum, vermutlich Reste der Fundamentmauern beim Bahnhof). 1279 war die Abtei gezwungen, Gericht und festes Haus den Freiherren von Grünenberg als Lehen zu überlassen. Später musste sie sich gegen deren Übergriffe auf das Klostergut wehren (Urteil von 1336). Ende des 14. Jahrhunderts übte St. Urban die volle Ortsherrschaft aus.

Die Hoch- und Blutgerichtsbarkeit lag ab 1313 bei den Grafen von Kyburg, den Landgrafen von Burgund. Als Bern 1406 die Nachfolge der Kyburger antrat, drängte es die Abtei 1413 zur vertraglichen Ausscheidung der beiderseitigen Gerichtsrechte, der zufolge dem zuständigen bernischen Vogt von Wangen ausser dem Hoch- und Blutgericht auch das Frevelgericht, St. Urban indes nur noch eine beschränkte Niedergerichtsbarkeit zukam. 1415 trat die Abtei in ein Burgrecht mit Bern. Im 16. Jahrhundert wurden die Gerichtskompetenzen der Abtei weiter beschnitten, bis diese im 18. Jahrhundert nurmehr das grundherrliche Flur- und das Zivilgericht (ab 1765 ohne Notariat) umfassten. Die Auswirkungen der Reformation waren gering: Auch nach 1528 präsidierte der einheimische Ammann im Namen des Abts das Niedergericht Langenthal, dem auch Schoren sowie Ober- und Untersteckhof angehörten. Landvogt und Abt bestellten gemeinsam die zwölf Gerichtssässen. Bei schweren Fällen sass der Landvogt oder sein einheimischer Stellvertreter dem Gericht vor.

Langenthal gehörte bis 1538 zwei verschiedenen Kirchspielen an: Eine freiherrliche Eigenkirche (1197 erwähnt, Patrone Maria und Erhard), deren Kirchensatz Eberhard von Grünenberg 1224 St. Urban geschenkt hatte, war für einen kleinen Teil der Bevölkerung am rechten Langetenufer zuständig. Der grössere Teil im «Dorf» war nach Thunstetten kirchgenössig. Nach der Reformation wurde Langenthal 1538 zusammen mit Schoren und Untersteckholz zur eigenständigen Kirchgemeinde und zum Sitz des Dekans. Das kleine Gotteshaus auf dem Geissberg diente nun der ganzen Bevölkerung und wurde 1675-1678 durch die heutige Kirche ersetzt. Trotz Glaubenswechsel übte St. Urban als Zehntbesitzer in Langenthal (ab 1396) das Patronatsrecht bis zum Verkauf an Bern 1808 aus.

Die Entwicklung zum Marktort und zum Leinwandzentrum

St. Urban verfügte wohl ab 1224 über Wasser- und Fischereirechte an der Langeten. Damals leiteten die Mönche ausgangs des Zelgdorfs die Langete zur Bewässerung der Wiesen ostwärts nach Roggwil ab (heutiger Lauf), legten ihren Fischteich Im Weier und die bekannten Wässermatten an. Die wirtschaftlich und persönlich vom klösterlichen Grundherrn abhängigen Lehenbauern traten ab den 1420er und 1430er Jahren als Bursami (Baursame) organisiert gegen die Abtei auf und forderten mehr Nutzungsrechte an Wäldern, Allmenden und an der Langeten (Wässerung, Fischfang). Schiedsgerichtliche Urteile bestätigten indes zwischen 1444 und 1485 die Vorrechte der Abtei. Die Beziehung zur Abtei verbesserte sich erst, als Abt Sebastian Seemann (1535-1551) auf Begehren und unter Mitwirkung der Gemeinde ein umfassendes Twing-, Hof- und Dorfrecht (Twingrodel) aufstellte. Dieses erschwerte die Niederlassung von Zuzügern durch einen geforderten Leumundsausweis, eine Niederlassungsgebühr und das Näherkaufsrecht der Einheimischen. Ausserdem bezeugte es die doppelte Gemeindeorganisation, nämlich die Gemeinde der Hofbauern und die sogenannte ganze Gemeinde aller Einwohner. Die Gemeindeversammlung, in der die Bauern trotz den durch Erbteilung immer kleiner werdenden Höfen noch die Oberhand hatten, war für die Dorf- und Flurordnung verantwortlich, die grundherrlichen Organe (Ammann, Bannwart, Vierer) mussten sie durchsetzen.

Marktgasse um 1840. Kolorierte Lithografie von G. Weber (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern).
Marktgasse um 1840. Kolorierte Lithografie von G. Weber (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern). […]

Im Laufe des 16. Jahrhunderts nahm die nichtbäuerliche Bevölkerung der Tauner und Handwerker stark zu. Auf örtliche Versorgung und gewerbliche Einkommen angewiesen, stand sie wohl hinter dem Gesuch um zwei Jahrmärkte, die Bern der Gemeinde 1571 bewilligte. Das 1613 konzessionierte Korn- und Kaufhaus mit Tuchlaube (1808 Neubau, 1894-1992 Gemeindehaus, heute Kunsthaus) und Wochenmarkt leitete eine neue Ära ein. Es diente gemäss Hausordnung von 1616 der Getreideversorgung und dem Handel.

Als in den alten bäuerlichen Siedlungskernen Aufhaben, Geissberg und Greppen kein Raum mehr war, besiedelten Tauner und Handwerker ungeachtet der Widerstände von Seiten der Hofbauern und der Abtei (Prozesse 1642, 1659, 1686) die Innere Allmend längs der Langeten. Hier entstand das Kaufhaus und die von festen Kramläden gesäumte Marktgasse. Als die Bauern den Zelgbau bereits teilweise zugunsten der Wechselwirtschaft aufgegeben hatten, beschloss die Gemeinde 1766, die Allmenden Bettenhölzli und Längmoos als Pflanzland für Bürger einzuschlagen (Nutzungsreglement von 1770).

Mit dem Aufkommen der Gewerberegion Emmental-Oberaargau ab 1640 wurde Langenthal neben Langnau zum Zentrum des Leinwandhandels und der Leinwandveredelung durch Bleichen, Färben und Walken. Langenthal entwickelte sich zum Hauptstapelplatz für die zum Export vor allem nach Frankreich, Italien, Spanien und Portugal bestimmten Garne und Tuche der Verlags- und Heimindustrie des Oberaargaus und unteren Emmentals. Daher wurde Langenthal 1704 Sitz der oberaargauischen Krämerzunft, in der sich die einheimischen Handelsleute, Krämer und Gewerbetreibenden zum Schutz ihrer Interessen verbunden hatten. Der Rückgang der Ostschweizer Leinenindustrie im 18. Jahrhundert gab Langenthal weiter Auftrieb, was Bern dazu bewog, die Aufsicht zu verschärfen. Ab 1758 galten in der Tuchlaube die Qualitätsbestimmungen des bernischen Kommerzienrats und die neue sogenannte Langenthal-Elle. Vereidigte Tuchmesser kontrollierten die Tuche und führten darüber Buch.

Der Erfolg des Leinwandhandels verhalf Langenthal zu städtischen Handelsprivilegien (1786, 1793) mit freiem Wareneinkauf ohne Behinderung durch hauptstädtische Handelsleute und zu Handel ohne Patentzwang. Obschon die Landstrasse von Bern in den Aargau ab 1756 ausserhalb Langenthals verlief, entwickelte sich der Marktort mit seinen 189 Häusern, drei Tavernen, der 1785 eröffneten Brauerei und den Staatsbauten (obrigkeitlichen Zoll- und Lagerhaus, 1748) weiterhin positiv. Im neuen Dorfzentrum wurde 1730 die Marktgasse gepflästert und die Langeten zum Teil von Häusern und steinernen Brücken überbaut. Im 19. Jahrhundert betonte die städtische Reihenbauweise zusätzlich den urbanen Charakter Langenthals. Die vom Handel geprägte Oberschicht war politisch und kulturell interessiert. Ihre Vertreter trafen sich in der Lesegesellschaft Langenthal und ergriffen neue Berufe wie Arzt, Apotheker und Optiker. Handelsleute, Gewerbetreibende (u.a. Bleicher, Wirte) und Ärzte zählten zu den grössten Landbesitzern. Wie der Marktort Langnau im Emmental hatte Langenthal im Bauernkrieg 1653 auf Seiten der Rebellen gestanden und begrüsste 1798 die neue Ordnung.

Verkehr, Industrie, Dienstleistungen und Zentrumsfunktionen im 19. und 20. Jahrhundert

Glasieren in der Porzellanfabrik. Fotografie aus einer Dokumentation über die Produktionsabläufe, um 1920 (Fotoarchiv Porzellanfabrik Langenthal).
Glasieren in der Porzellanfabrik. Fotografie aus einer Dokumentation über die Produktionsabläufe, um 1920 (Fotoarchiv Porzellanfabrik Langenthal).

Noch um 1800 arbeitete fast ein Drittel der Erwerbstätigen im Textilsektor (Handel, Veredelung usw.). Der nach 1815 einsetzende Niedergang des Leinwandgewerbes traf Langenthal hart und nachhaltig. Der Anschluss an die Eisenbahnlinie Olten-Bern (1857) und an die Zweigbahnen nach Huttwil (1889), Niederbipp (1907) und Melchnau (1917) setzte endlich die Industrialisierung in Gang: Von 1862 bis zum Ersten Weltkrieg entstanden über ein Dutzend Firmen, darunter mechanische Webereien, Maschinen-, Teppich- und Porzellanfabriken, Ziegeleien, Grafik- und Bauunternehmen. Die bekanntesten der damals entstandenen Betriebe sind die Textilfabrik Gugelmann (1862), die Maschinenfabrik Ammann (1864) und die Porzellanfabrik Langenthal (1906). Auch die Gründung von Banken (1823-1996 Amtsersparniskasse, 1864 Kantonalbank, 1867-1995 Bank in Langenthal) und Handelsfirmen (Wein, Käse, Eisenwaren) fällt in diese Zeit.

Im 20. Jahrhundert behauptete sich Langenthal trotz tiefgreifenden sozio-ökonomischen Wandels als Zentrum. Grosszügige Gewerbezonen (Hard, Dennli, Steinachermatten) und Einkaufszentren sowie die Nähe zur Autobahn stimulierten die Entwicklung bis in die 1970er Jahre. 1975 bestanden in Langenthal 26 Industrie- und 353 Gewerbeunternehmen. Dann begann das Arbeitsplatzangebot im gewerblich-industriellen Sektor zu sinken, während der Dienstleistungssektor zum Teil wuchs. Neu eröffnete Filialen von Grossbanken konkurrenzierten die beiden Lokalbanken, die 1995-1996 übernommen wurden.

Als die helvetische Distrikts- die bernische Landvogteiverwaltung 1798 ablöste, wurde Langenthal Hauptort des gleichnamigen Distrikts. 1803 wurde es dem Oberamt Aarwangen und 1831-2009 dem Amtsbezirk Aarwangen zugeteilt. Bald lief das wichtigere Langenthal dem Hauptort Aarwangen in mehreren Belangen den Rang ab: Ab 1823 war es Sitz regionaler Banken sowie ab 1844 des Regierungsstatthalters. Bei der jüngsten bernischen Verwaltungsreform erhielt Langenthal 1997 das Betreibungs- und Konkursamt für die Region Emmental-Oberaargau zugesprochen.

Der 1831 begrüsste Sturz der patrizischen Regierung ebnete der aktiven Unternehmerschicht, die lange Langenthals Ruf als «Hochburg des Liberalismus» geprägt hatte, den Weg in die Politik. Die Gemeindeordnung von 1919 schaffte die alte Gemeindeversammlung zugunsten eines Grossen Gemeinderats (Stadtrats) mit 40 Mitgliedern ab. Seit 1935 steht dem ehemals neunköpfigen, seit 1997 siebenköpfigen Gemeinderat ein hauptamtlicher Gemeindepräsident vor.

Seit 1992 verfügt die Gemeinde über ein neues Verwaltungszentrum. Das starke Bevölkerungswachstum nach 1950 machte den Ausbau des kirchlichen Angebots nötig: 1954 wurde die katholische Kirche, 1980 das reformierte Kirchenzentrum Zwinglihaus gebaut; Freikirchen sind mit Kapellen vertreten. Als regionales Zentrum für Schul- und Weiterbildung verfügt Langenthal über verschiedene Schultypen, nämlich eine Sekundarschule (1833), ein Lehrerseminar (1962-1998), ein Gymnasium (1963), Gewerbe- und kaufmännische Fortbildungsschulen und das Land- und hauswirtschaftliche Bildungszentrum Waldhof (1923, ab 1998 Inforama Waldhof). Die Stadt ist in den Bereichen Kultur (Stadttheater, Museum, Regionalbibliothek, Kunsthaus), Sport (Sportzentrum Hard) und medizinische Betreuung (Regionalspital, Klinik) regionales Zentrum. Mit der Überbauung der Inneren Allmend begannen Hochwasser der Langeten den Ortskern zu bedrohen, sodass man die Marktgasse und die Bahnhofstrasse als Notablässe mit hohen Gehsteigen anlegte, die zu Langenthals «Markenzeichen» wurden. Immer höher steigende Hochwasser drängten den 1980 gegründeten Hochwasserschutzverband unteres Langetental zum Bau eines Entlastungsstollens in die Aare (1992).

Quellen und Literatur

  • Die Rechtsquellen des Kantons Bern, II/10, 2001
  • K. Geiser, Langenthal unter der Twingherrschaft des Klosters St. Urban, 1920
  • Langenthaler Heimatblatt, 1935-
  • J.R. Meyer, Kleine Geschichte Langenthals, 1961
  • V. Binggeli et al., Langenthal, 1981
  • B. Gugger, Streifzug durch die Geschichte Langenthals, 1987
  • A. Kuert, Ein Dorf übt sich in Demokratie, 1997
  • A.-M. Dubler, «Die Region Oberaargau», in Jahrbuch des Oberaargaus 44, 2001, 74-114
  • A.-M. Dubler, «Handwerk und Gewerbe, Heimindustrie und Manufaktur», in Berns goldene Zeit. Das 18. Jahrhundert neu entdeckt, 2008, 106-111
Kurzinformationen
Ersterwähnung(en)
861: Langatun
Variante(n)
Langaten
Langental

Zitiervorschlag

Anne-Marie Dubler: "Langenthal", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 15.09.2016. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/000192/2016-09-15/, konsultiert am 28.03.2024.