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FrutigenGemeinde

Pfarrhaus und Kirche. Kolorierte Aquatinta von Samuel Weibel, um 1825 (Schweizerische Nationalbibliothek).
Pfarrhaus und Kirche. Kolorierte Aquatinta von Samuel Weibel, um 1825 (Schweizerische Nationalbibliothek).

Politische Gemeinde des Kantons Bern, Amtsbezirk Frutigen. Ausgedehnte Gemeinde im Kander- und Engstligental zwischen Niesenkette und Gehrihorn, umfasst die Bäuerten Dorf Frutigen, Kanderbrück, Hasli, Innerschwandi, Ladholz, Oberfeld-Prasten, Reinisch und Winklen mit Weilern und Einzelhöfen im Talgrund sowie an den Talhängen bis auf 1600 m. 1234 Frutingen. 1764 1935 Einwohner; 1850 3480; 1900 3996; 1950 5643; 2000 6661.

Bronzezeitliche (Zinsmaadegg) und unbestimmte (Helken, Ried), eventuell römische Einzelfunde (Rybrugg). Reste mittelalterlicher Burgen: Halten (nicht urkundlich belegt), Tellenburg und Wohnturm Bürg. Bereits 1260 traten die Talleute als Talgemeinde und Vertragspartner (tota universitas; universitas et communitas hominum vallis de Frutigen) auf. Dieser Landschaftsverband führte erstmals 1263 ein Landessiegel und schloss 1340 mit dem Obersimmental selbstständig Frieden. 1400 erlegte er beim Übergang der Herrschaft Frutigen an Bern die Kaufsumme, womit sich die Talleute von Herrschaftssteuern und -diensten befreiten (sogenannter Freiheitsbrief von 1445). Schon vorher hatte sich Frutigen zum Schutz vor der desperaten Politik seiner verschuldeten Herren an Bern angelehnt; 1367 zählte man in Frutigen über 200 bernische Ausburger. Die Talleute erwarben 1391 das Fronhofstattgericht (Niedergericht), dem der Landesvenner, höchster einheimischer Beamter und Statthalter des Kastlans (Landvogts), vorstand. Gerichtsort war das Landhaus (Freistatt, Taverne). Die Talgemeinde führte ein eigenes Banner; ihr im 15.-18. Jahrhundert wiederholt kodifiziertes Landrecht galt bis 1854. Die 1228 erstmals erwähnte Kirche (Quirinus-Patrozinium) ist eine der zwölf Thunerseekirchen der Strättliger Chronik; der älteste Bau entstand im 8.-9. Jahrhundert über Gräbern des 7.-8. Jahrhunderts. Ihm folgten Bauten des 11./12. Jahrhunderts und von 1421. Die heutige Kirche entstand 1727 nach einem Dorfbrand. Die Talherren hatten den Kirchensatz 1395 der Propstei Interlaken geschenkt (Inkorporation 1410). Wie das übrige Oberland widersetzte sich Frutigen 1528 der von Bern diktierten Reformation, nahm aber nach dem Zusammenbruch des Interlakner Aufstandes den neuen Glauben ebenfalls an. Von der grossen Kirchgemeinde spaltete sich 1439 Adelboden, 1840 bzw. 1860 Kandergrund mit Kandersteg ab. 1939 entstand die Bergkirche in Achseten. Zur Kirchgemeinde Frutigen gehören auch Schwandi und Wengi (beide Gemeinde Reichenbach).

In einem Steinbruch am Niesen zersägen zwei Arbeiter eine Schieferplatte, 1941 (Schweizerisches Nationalmuseum, Actualités suisses Lausanne).
In einem Steinbruch am Niesen zersägen zwei Arbeiter eine Schieferplatte, 1941 (Schweizerisches Nationalmuseum, Actualités suisses Lausanne).

Seit prähistorischer Zeit führten Wege über Gemmi- und Lötschenpass ins Wallis. In Kanderbrück ist die Sust erhalten, ein Bau des 16. Jahrhunderts mit mittelalterlichen Bauteilen. Im 16. Jahrhundert wich die mittelalterliche Selbstversorgung einer exportorientierten Viehwirtschaft im Tal-, Vorsass- und Alpbetrieb mit Kornimporten aus dem Unterland. Der 1367 erstmals bezeugte Frutigmarkt im Dorf Frutigen diente Vieheinkäufern aus dem Unterland und Wallis. Der zeitweise Abbau von Kupfer seit dem Spätmittelalter hinterliess Stollenreste im Sackgraben. Zusätzlichen Verdienst brachten der Abbau von Schiefer (Niesenkette), Gültstein (Gehrihorn) und Steinkohle (Horn), vor 1850 die Produktion des wollenen blauen Frutigtuches, danach Spitzenklöppelei und Uhrmacherei. 1850 entstand die erste von zahlreichen Zündholzfabriken, 1883 die Uhrenstein-, 1898 die Schiefertafelfabrik. Mit dem Ausbau der Verkehrswege (1814 Postwagen Frutigen-Thun, 1901 Spiez-Frutigen-Bahn, 1913 BLS mit Autoverlad, 1917 Postauto nach Adelboden) öffnete sich Frutigen dem Tourismus (heute v.a. Sommertourismus) und der Industralisierung. Heute bieten unter anderem Maschinen-, Elektroapparatebau, Baufirmen, Kies-, Schotterwerke und ein vielfältiges Kleingewerbe (Holzverarbeitung) Arbeit. Die Landwirte sind auf Viehzucht und Milchproduktion spezialisiert; daneben wird unter anderem Forstwirtschaft betrieben. Aufforstungen und Verbauungen schützen vor Lawinen und Wildwasser. Frutigen ist Sitz der Amtsbehörden, der Sekundarschule (1865), von Berufsschulen und des Bezirksspitals (1906). Seit 1959 steht in Frutigen eine katholische Kirche; ihre Pfarrei entspricht gebietsmässig dem mittelalterlichen Kirchspiel. Das Primarschulwesen der ehemals 14 selbstständigen Bäuertschulgemeinden ist seit 1947 zentralisiert.

Quellen und Literatur

  • K.J. Aellig, Die wirtschaftl. Verhältnisse im Frutigland unter besonderer Berücksichtigung des Fremdenverkehrs, 1957
  • W. Brügger et al., Das Frutigbuch, 1977
  • A.A. Häsler, Berner Oberland, 1986
  • P. Bierbrauer, Freiheit und Gem. im Berner Oberland 1300-1700, 1991
  • B. Müller, Bauinventar der Gem. Frutigen, 1997
Weblinks
Normdateien
GND

Zitiervorschlag

Anne-Marie Dubler: "Frutigen (Gemeinde)", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 14.11.2006. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/000321/2006-11-14/, konsultiert am 19.03.2024.