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Gerzensee

Politische Gemeinde des Kantons Bern, Amtsbezirk Seftigen. Die Gemeinde umfasst den südöstlichen Belpberg bis hinunter an die Aare mit dem Dorf Gerzensee auf einer Terrasse über dem gleichnamigen, unverbauten See, Streusiedlungen (Sädel, Vorder- und Hinterchlapf) auf dem Bergrücken und das Thalgut an der Aare. 1228 Gercentse. Kirchgemeinde 1764 434 Einwohner; politische Gemeinde 1850 762; 1900 790; 1950 802; 1970 767; 2000 911.

Neolithische Einzelfunde wurden beim Restaurant Bären, im Fridberg sowie im Längmoos, latènezeitliche im Sädel und römische im Schlossareal gemacht. Auf dem Hügel Festi lag die ehemalige Burg der Freiherren von Kramburg. Die zugehörige Niedergerichtsherrschaft Gerzensee, Teil des Landgerichts Seftigen, war um 1300 wie zeitweise auch später in mehreren Händen und wechselte bis 1798 öfters den Besitzer durch Vererbung oder Verkauf. Jeweils Alleinbesitzer waren im 15. Jahrhundert die bernischen Burgerfamilien von Schwarzenburg, 1517-1606 von Wattenwyl, 1606-1651 von Graffenried sowie ferner die Familie Ambühl und Imhof. Ende 17. Jahrhundert wurde die Herrschaft zweigeteilt; zu den Besitzern zählten die Familien Hackbrett, Tillier, Tribolet, Morlot, Sinner und von Graffenried. Um 1700 erbaute Samuel Morlot in seinem Herrschaftsdrittel das sogenannte Neue Schloss (mehrere Bauetappen bis ins 20. Jh.). Erst 1755 vereinte Franz Emanuel Anton von Graffenried die Herrschaft mit See (Fischenz) und Jagdrecht wieder in einer Hand, nun mit Sitz im Neuen Schloss. 1798 verloren die von Graffenried die Gerichtsrechte; 1813 verkauften sie das Neue Schloss mit See und Domäne an die Familie von Erlach, auf die ab 1918 die Familien Lindemann und Losinger als Besitzer folgten. Seit 1980 ist das Neue Schloss Studienzentrum der Schweizerischen Nationalbank. Das sogenannte Alte Schloss am Fuss des Festi-Hügels liess Jakob von Wattenwyl nach dem Grossbrand 1518 im spätgotischen Stil errichten; der Innenausbau erfolgte unter Balthasar Ambühl. Spätere Besitzer waren die Familien Augsburger (1757-1785), Wyss (1785-1923), von May (1923-1947) und Stuker (ab 1947).

Die 1228 erwähnte Marienkirche, deren erste Vorgängerin vermutlich auf das Hochmittelalter zurückgeht, wurde im dritten Viertel des 15. Jahrhunderts auf romanischen Resten neu erbaut sowie im 16. und 17. Jahrhundert umgestaltet. 1479 stifteten die Dorfbewohner an einem heute unbekannten Standort eine Kaplanei mit Kapelle, die in der Reformation abgetragen wurde. Der Kirchensatz gehörte im 15. Jahrhundert den Herren von Bubenberg; 1427 kam er ans Kloster Interlaken und 1528 an Bern. Die unterschiedliche Wirtschaftsweise auf dem Berg (Hofwirtschaft) und im Dorf am See (Zelgbau) führte zur Bildung von zwei «Nutzungsgemeinden», Gerzensee und Sädel (oder Sädelfingen), die vom 16. Jahrhundert an um Anteile an Allmend und Wald stritten und 1675 Letzteren unter sich aufteilten. Sädel teilte 1684 weiter auf die Höfe auf, Gerzensee schied 1691/1695 Lose (Nutzungsanrechte) aus. Das Gericht Gerzensee, dem ein Ammann, ein Weibel und zehn Gerichtssässen angehörten, tagte unter dem Vorsitz des Herrschaftsinhabers (bei zweien turnusmässig). Es regelte zugleich das Wirtschaftsleben der Bevölkerung; Twingrechte datieren von 1591 und 1714. Das milde Klima und die Südlage des Hangs zogen vom 17. bis ins 19. Jahrhundert patrizische Familien aus Bern (Lerber, Graffenried, Luternau, Freudenreich, Büren usw.) an, die sich Landsitze in der bäuerlichen Gemeinde anlegten (um 1670 Rosengarten, auch Mittleres Schloss genannt; um 1805 Freudheim und 1857 Fridberg). Mit den im 20. Jahrhundert – vor allem 1973-1978 – erstellten Einfamilienhäusern änderte sich die Erwerbsstruktur; zu Landwirtschaft und Kleingewerbe trat neu das Pendeln vor allem nach Bern von mehr als der Hälfte der Erwerbstätigen. Das viel besuchte Mineralbad mit Wirtsrecht im Thalgut wird 1491 erstmals erwähnt. Der 1633 erstellte Bau wurde 1906 erheblich umgestaltet. Das Gasthaus profitierte von seiner Lage an der ehemaligen Anlegestelle für die Aareschifffahrt und die Fähre nach Oberwichtrach, die 1834 durch eine Brücke ersetzt wurde. Der Badebetrieb wurde Ende des 19. Jahrhunderts aufgegeben.

Quellen und Literatur

  • F. Vollenweider, Gerzensee, 1972
  • J. Stuker, 750 Jahre Gerzensee, 1978
  • E. Schneeberger, Bauinventar der Gem. Gerzensee, 1992
  • R. Tschannen, Gerzensee, 2000
Weblinks
Normdateien
GND

Zitiervorschlag

Anne-Marie Dubler: "Gerzensee", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 07.11.2005. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/000489/2005-11-07/, konsultiert am 09.09.2024.