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Sigriswil

Politische Gemeinde des Kantons Bern, Verwaltungskreis Thun. Die 55 km2 grosse Berg- und Seegemeinde am rechten Ufer des Thunersees umfasst elf Dörfer, nämlich Gunten und Merligen am See, Aeschlen, Sigriswil, Endorf und Wiler auf der ersten darüberliegenden Terrasse, Ringoldswil, Tschingel und Schwanden auf der zweiten Terrasse sowie Meiersmaad und Reust jenseits der Wasserscheide zur Zulg. Das Justistal, flankiert von Sigriswilgrat (Rothorn 2051 m) und Güggisgrat, ist Alpgebiet. 1222/1223 Sigriswile. 1764 1706 Einwohner; 1850 3056; 1900 3093; 1950 3920; 1970 3540; 2000 44962010 4441; 2020 4755.

Sigriswil: Situationskarte 2024 (Geodaten: Bundesamt für Statistik, Swisstopo, OpenStreetMap) © 2024 HLS.
Sigriswil: Situationskarte 2024 (Geodaten: Bundesamt für Statistik, Swisstopo, OpenStreetMap) © 2024 HLS.

Aus dem Neolithikum stammen zahlreiche Einzelfunde (Gunten, Guntenschlucht und Schwanden), aus der Bronzezeit ein Depotfund (Ringoldswil) und Skelettgräber (Egglen, Merligen), aus der Latènezeit Skelettgräber (Schönörtli-Örtliboden), aus der Römerzeit eine Münze sowie aus dem Frühmittelalter weitere Körperbestattungen (Endorf; Nekropolen). Das Gebiet war Teil des kyburgischen, ab 1384 des bernischen Äussern Amts der Grafschaft Thun, gehörte damit zum Landgericht Steffisburg und war mit Steffisburg auch in einem Niedergericht vereint, dem sogenannten Freigericht an der Lauenen. 1471 wurde das Freigericht an der Lauenen in zwei Gerichtsbezirke geteilt. Fortan bildete Sigriswil mit Ringoldswil ein selbstständiges Freigericht im Amt Thun; das Gericht tagte unter dem Vorsitz des Untervogts im Wirtshaus von Sigriswil (Gerichtswesen). Die Mannschaft von Sigriswil gehörte ab 1476 zum Banner der Stadt Thun.

Die 1222/1223 erwähnte Galluskirche von Sigriswil ist eine der zwölf in der Strättliger Chronik angeführten Thunerseekirchen. Die heutige Kirche wurde 1678-1679 errichtet; ihre zwei Vorgängerinnen sind in die Zeit vom 10. bis ins 12. Jahrhundert und um 1467 zu datieren. Der Kirchensatz, im 12. Jahrhundert Besitz der Herren von Bremgarten, vererbte sich an Thuner Bürger, die ihn 1223 bzw. 1232 dem Kloster Interlaken vergabten; mit der Reformation fiel er 1528 an Bern. Das an Oberhofen am Thunersee grenzende Ringoldswil zählte bis 1870 zur Kirchgemeinde Hilterfingen (Kirchgemeinde). 1937 wurde die Filialkirche Merligen erstellt.

Der Kirchgang. Öl auf Leinwand im Stil von Albert Anker, von Rudolf Tschan, um 1895 (Einwohnergemeinde Sigriswil; Fotografie Georg Englert, Thun).
Der Kirchgang. Öl auf Leinwand im Stil von Albert Anker, von Rudolf Tschan, um 1895 (Einwohnergemeinde Sigriswil; Fotografie Georg Englert, Thun). […]

Das bewaldete Berggebiet – zu Beginn des 21. Jahrhunderts knapp die Hälfte des Gemeindebanns – erfuhr im 14. Jahrhundert wilde Rodungen durch die lüt und gemeind von Sigriswil; 1347 erwarben diese vom geldbedürftigen Grafenhaus Kyburg alles Land zwischen Sigriswilgrat und dem Blumen. Die elf Bäuerten (heutige Dörfer) waren Genossenschaften zur Nutzung ihrer Allmenden und Alpen, wobei die Auftriebsrechte an die einzelnen Höfe gebunden waren. Im Streit zwischen den Reichen von Sigriswil und den Armen von Merligen setzte die Nutzungsordnung (Sey) von 1650 den Umfang eines Auftriebsrechts fest. 1253 verkauften Berchtold und Walter III. von Eschenbach, Freiherren von Oberhofen, das Justistal an das Kloster Interlaken, dessen Grundbesitz ab 1528 in der gleichnamigen bernischen Landvogtei zusammengefasst war; die Alpen wurden an Bauern verliehen und genossenschaftlich genutzt. Der dort hergestellte Käse wird noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts Ende des Alpsommers im Justistaler Chästeilet unter den Genossenschaftern verteilt. Die Bergdörfer trieben Viehwirtschaft, die Dörfer am See Obst- und Weinbau – von letzterem zeugt auch das spätmittelalterliche Rebhaus des Klosters Interlaken (heute Schloss Ralligen) – sowie Fischerei, doch überall galt Selbstversorgung mit Getreide. Die Krise im Rebbau führte bis 1914 zu dessen Aufgabe. Nach 1800 steigerten die Dörfer den Holzexport (Holzwirtschaft), weshalb die Gemeinde zum Schutz der Wälder 1838 und 1857 Reglemente erliess (Forstgesetze).

1798 kam Sigriswil zum Kanton Oberland, 1803 zum Oberamt bzw. Amtsbezirk Thun, 2010 zum Verwaltungskreis Thun; 1834 schlossen sich die elf Bäuerten in der Einwohnergemeinde Sigriswil zusammen. Anstelle einer Güterausscheidung zwischen Einwohner- und Burgergemeinde entschied sich Sigriswil 1868, das Burgergut der Einwohnergemeinde zu übergeben. Dies führte zu Strukturänderungen: Waren um 1800 noch 881 Auftriebsrechte auf 499 Genossenschafts- und 382 Gemeindealpen verteilt gewesen, so befanden sich 2009 je 20 Alpen in Privat- und Genossenschafts- und zwei Alpen in Gemeindebesitz. 1858 warb Sigriswil erstmals für Molkenkuren mit Unterkunft im Wirts- oder Pfarrhaus. Die neuen Verkehrsmittel brachten den Aufschwung des Fremdenverkehrs, so ab 1867 die Dampfschifffahrt mit den Stationen Gunten, Merligen und Beatenbucht (ebenfalls im Sigriswiler Gebiet gelegen) sowie ab 1913 auch das Postauto und die am rechten Seeufer verkehrende Trambahn Steffisburg-Interlaken (seit 1958 Buskurs). Das Gemeindestrassennetz wurde ab 1873 ausgebaut, die Seestrasse 1884 angelegt. Hotellerie und Gewerbe entwickelten sich am See und auf der ersten Terrasse (Gastgewerbe). Ab 1960 setzte ein vor allem durch den Aufschwung der Parahotellerie bedingter Bauboom ein. Während am See die Erstklasshotellerie dominiert, sind es in Sigriswil die Apartmenthäuser; der Anteil an Alterssitzen ist hoch. Im Touristikangebot sind Wasser- (Segeln, Surfen, Bäder), Ski- (Lifte, Loipen) und Wandersport. Auf den oberen Terrassen beidseits der Wasserscheide überwiegen Wald- und Landwirtschaft. Das unwegsame Gelände zwang schon im 18. Jahrhundert die Bäuerten zum Unterhalt mehrerer Schulen. Von den einst zehn Primarschulen wurden 2009 noch sieben geführt, nämlich diejenigen in Aeschlen, Endorf, Merligen, Ringoldswil, Tschingel, Schwanden (mit Realschule) und Sigriswil (mit Realschule und der 1913 gegründeten Sekundarschule).

Quellen und Literatur

  • Schaer-Ris, Adolf: Sigriswil. Eine Heimatkunde für die Ortschaften Aeschlen, Endorf, Gunten, Meiersmad, Merligen, Reust, Ringoldswil, Schwanden, Sigriswil, Tschingel, Wiler, 1929.
  • Schaer-Ris, Adolf: Sigriswil, 1955 (19792).
  • Lindt, Thomas: Kirche Sigriswil, [1984].
  • Bannwart, Peter; Walker, Robert: Bauinventar der Gemeinde Sigriswil. Nur Teilbereich gemäss Perimeter, 2002.
Weblinks
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Kurzinformationen
Ersterwähnung(en)
1222/1223: Sigriswile

Zitiervorschlag

Anne-Marie Dubler: "Sigriswil", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 17.06.2024. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/000537/2024-06-17/, konsultiert am 28.03.2025.