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Wangen an der Aare

Politische Gemeinde des Kantons Bern, Hauptort des Amtsbezirks Wangen, Verwaltungskreis Oberaargau, sowie ehemaliges Benediktinerpriorat und ehemalige Landvogtei. Die Gemeinde am rechten Aarelauf umfasst das Städtchen Wangen an der Aare, den Weiler Hohfuren und Aussenhöfe. 1257 Wangen. 1764 387 Einwohner; 1850 968; 1900 1440; 1950 1652; 1960 1936; 2000 1889.

Ansicht des Aarestädtchens Wangen von Nordosten. Aquarell von Albrecht Kauw, um 1664 (Bernisches Historisches Museum).
Ansicht des Aarestädtchens Wangen von Nordosten. Aquarell von Albrecht Kauw, um 1664 (Bernisches Historisches Museum). […]

Neolithische Silices kamen am Unterberg, spätbronzezeitliche Brandgräber am Galgenrain, Einzelfunde aus der Latènezeit in Hohfuren, Holzleitungen und Eichenpfähle in der Beunden, Mauern mit eisernen Fussangeln und beinerne Brettsteine im Raum Ölhübeli-Walke sowie römische Münzen im Pfarrhaus und bei Bifang zum Vorschein. Im Galgenhubel lag eventuell eine römische Villa.

Im Mittelalter war das Gebiet rheinfeldisch-zähringisches Hausgut, das an die Grafen von Kyburg überging. Diese gründeten nach 1218 das Städtchen auf dem Boden der Propstei gegenüber dem frohburgischen Wiedlisbach. Die rechteckige Stadtanlage bezog die wohl ältere Burg – ein Brückenkopf am Aareufer – mit ein und bestand aus einer Hauptstrasse und zwei parallelen Nebengassen. 1267 wird ein Schultheiss genannt; später unterstanden die 1332 erstmals erwähnten burgenses jedoch kyburgischen Vögten. Das Vogteiamt bekleideten bis 1383 die Ministerialen von Deitingen, Leheninhaber des sogenannten Stocks, eines Annexbaus der Burg, und danach andere regionale Herren. Im 14. Jahrhundert wurde Wangen Opfer der Schuldenwirtschaft der Grafen von Kyburg: 1313 traten diese Burg und Stadt Wangen an Habsburg ab und nahmen sie als österreichisches Lehen zurück, 1356 verpfändeten sie das Amt Wangen den Grafen von Neuenburg-Nidau, erhielten es aber 1375 aus der Erbschaft des letzten Nidauers zurück. Als Folge des Burgdorferkriegs und des Verlusts von Burgdorf wurde Wangen 1384 zur Residenz und Münzstätte der Kyburger, das Amt Wangen aber fiel 1385 pfandweise an die Herren von Grünenberg. Nach Auseinandersetzungen in der kyburgischen Familie kam Wangen 1406 zusammen mit der Landgrafschaft Burgund an Bern und erhielt als bernisches Landstädtchen 1501 ein Stadtrecht mit Selbstwahl des Burgermeisters und der städtischen Amtleute. 1499 zählte Wangen nur 24 Feuerstätten, verfügte jedoch über eine städtische Infrastruktur mit Rat-, Schul- und Kaufhaus an der Hauptgasse.

Wangen spielte als Anlegestelle für Aareschiffe mit Lagerräumen für Wein, Korn und Salz in staatlichen Korn- und Salzhäusern und dem Ländtehaus als obligatorisches Lager für Transitware sowie als Umschlagplatz für Holzflösse eine bedeutende Rolle, bis der Bau der Eisenbahn der Güterschifffahrt ein Ende setzte. Gewerbe wie Färbereien und eine Haarsiederei-Pferdehaarspinnerei, aus der die Bettwarenfabrik Roviva hervorging, siedelten sich in der Vorstadt an. Bis ins 18. Jahrhundert lebten die Stadtbewohner von Wangen aber vor allem vom Ackerbau. Die 1367 erstmals erwähnte Brücke, einer der Aareübergänge im Nord-Süd-Verkehr durch die Klus bei Balsthal, war ein Staatsbauwerk. Bis ins 19. Jahrhundert zehrte Wangen an der Aare von seiner Position als Sitz der Landvogtei bzw. der Amtsverwaltung, so etwa mit der Gründung der Ersparniskasse des Amtsbezirks 1824. Nach dem Versiegen einstiger Verdienstquellen in der Aareschifffahrt und nach der Aufhebung der staatlichen Salzfaktorei 1859 bildeten die alten Lagerhäuser die Basis für die Anlage des Waffenplatzes (ab 1877 Korpssammelplatz der 4. Division, bis 1897 Waffenplatz für Genietruppen, ab 1923 für Infanterie-Mitrailleure und ab 1957 für Train-Rekrutenschulen). Zeughaus und Kaserne kamen im Salzhaus unter; neue Zeughausbauten erstellte die Burgergemeinde 1906-1907, die Einwohnergemeinde 1914-1915 und die Eidgenossenschaft 1937. Die Umgestaltung zum Luftschutzwaffenplatz 1973 erforderte den Bau neuer Anlagen zwischen Aare und Aarekanal.

Die durch die Bahnlinie Olten-Solothurn (1876) und Autobuskurse nach Herzogenbuchsee und Wiedlisbach (1916) verbesserte Verkehrssituation führte zu wirtschaftlichem Aufschwung. Neue Unternehmen siedelten sich an, darunter ein Konfektionsbetrieb, der weitherum Heimarbeit vergab, ferner eine Gamaschen-, Holzwaren- und Bürstenfabrik. Arbeitsplätze bot auch das 1895-1905 erbaute Elektrizitätswerk am Aarekanal, das 1970 durch das Kraftwerk Neu-Bannwil ersetzt wurde. Die 1967 eröffnete Autobahn belebte dagegen wegen einer verfehlten Bodenpolitik der Gemeinde die lokale Wirtschaft kaum. Neben Bundesbetrieben (Waffenplatz) spielt das Regierungsstatthalteramt Oberaargau als Arbeitgeber weiterhin eine wichtige Rolle. Aus privater Initiative gingen 1830 die Näh- und Lismerschule zur Bekämpfung der Armut, 1832 die Privaterziehungsanstalt Rauscher für höhere Bildung und 1878 die Sekundarschule der reformierten Kirchgemeinde Wangen an der Aare hervor. 1978 kam mit den Gemeinden Walliswil bei Niederbipp, Walliswil bei Wangen sowie Wangenried eine Schulkoordination zustande (Schulstandort Wangen an der Aare).

Die von der Abtei Trub abhängige Benediktinerpropstei bestand schon vor der Stadtgründung. Der 1296 erstmals erwähnte Konvent lag östlich ausserhalb der späteren Stadt. Die um 1200 erbaute Priorats- und Pfarrkirche mit Marien- und Kreuzpatrozinium entsprach mit ihrem kreuzförmigen Chor und Rechtecksaal in der Anlage jener der Mutterabtei Trub, war aber grösser. Nach einer Brandkatastrophe 1375 oder 1383/1384 wurde die Kirche verkleinert und das Priorat, das nur mehr aus dem Verwaltungshof für den Truber Besitz bestand, in die Stadt transferiert und im Eckturm an der Stadtmauer eingerichtet; der Bau, der einst auch Freistätte war, dient heute als Pfarrhaus. Kastvögte waren wie in Trub die Kyburger, ab 1406 Bern. Der Vorsteher (Propst), ein Truber Konventuale, verwaltete den Besitz und versah die Seelsorge in der Kirchgemeinde, die bis heute Wangen an der Aare, Wangenried und Walliswil bei Wangen umfasst. Die Propstei besass auch die Niedergerichte in der Kirchgemeinde Wangen (ohne Stadt und Burgernziel) und zur Hälfte auch in Deitingen (bis 1501); sie verfügte über Grundeigentum (Stadthäuser, Gewerbebetriebe, Landwirtschaft, Hochwälder) in Wangen an der Aare und den Nachbarorten sowie Streubesitz bis ins Emmental. Für Gotteshausgut war das Kellergericht des Propstes zuständig. Die 1500 von Bern erlassene Propsteiordnung regelte Nieder- und Kellergericht, grundherrliche Ämter sowie die Wald- und Feldnutzung. Der Verlust des klösterlichen Charakters liess Donationen selten werden; Besitz und Einkommen verminderten sich und erzwangen den teilweisen Verkauf von Rechten und Gütern. Mit der Säkularisation der Propstei 1528 fiel aller Besitz an Bern. Die Kirche wurde 1528 und erneut 1825 baulich völlig umgestaltet. Die katholische Pfarrkirche St. Christophorus datiert von 1962.

Nach dem Übergang an Bern 1406 wurde Wangen an der Aare Zentrum der Landvogtei Wangen, in der Bern seine neuen Oberaargauer Herrschaftsrechte konzentrierte. Als Nachfolgerin der alten Landgrafschaft Burgund – innerhalb dieser hatte Wangen zum Landgericht Murgeten gehört – wurde für die Landvogtei die Bezeichnung Grafschaft üblich. Dem Landvogt, Berns erstem Repräsentanten im Oberaargau, wurde ferner das kyburgische Hofgericht Herzogenbuchsee, dem Wangen bis dahin in Blutgerichtsfällen unterstanden hatte, und in Landgerichtsfällen auch die spätere Landvogtei Aarwangen unterstellt. Sitz des Vogts war die Stadtburg der Kyburger, die in Etappen zum Landvogteischloss ausgebaut wurde. Der grosse Verwaltungskreis umfasste 13 Gerichtsbezirke mit 48 Gemeinwesen auf dem rechten Aareufer. Von diesen waren die Niedergerichte Grasswil, Niederönz, Lotzwil, Thörigen und Inkwil Twingherrschaften der Stadt Burgdorf, um die es zwischen Burgdorf und dem Landvogt in Wangen im 17. und 18. Jahrhundert zu ständigem Kompetenzstreit kam; Koppigen und Ersigen gehörten nur militärisch und in Kriminalfällen dazu. Die Richtstätte mit Galgen befand sich in Wangen am Galgenrain. Nach der Auflösung der Landvogteiverwaltung 1798 wurde Wangen zunächst Sitz des helvetischen Distrikts Wangen, 1803 dann des gleichnamigen Oberamts und 1831 schliesslich des Amtsbezirks. Der kantonale Verwaltungs- und Gerichtsbezirk umfasste neu auch die jenseits der Aare gelegenen Gemeinden der ehemaligen Landvogtei Bipp, während Langenthal, Lotzwil, Rohrbach und Ursenbach zum Amt Aarwangen, Koppigen und Ersigen zum Amt Burgdorf sowie Walterswil zum Amt Trachselwald kamen. Das Schloss ist seit 2010 Sitz des Regierungsstatthalteramts Oberaargau.

Quellen und Literatur

  • K.H. Flatt, Errichtung der bern. Landeshoheit über den Oberaargau, 1969
  • HS III/1, 1631-1639
  • P. Eggenberger et al., Wangen an der Aare, 1991
  • S. Steger, Bauinventar der Gem. Wangen an der Aare, 2002
  • A.-M. Dubler, «Berns Herrschaft über den Oberaargau», in AHVB 90, 2013, 132-157
Von der Redaktion ergänzt
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Zitiervorschlag

Anne-Marie Dubler: "Wangen an der Aare", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 27.12.2014. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/000578/2014-12-27/, konsultiert am 28.03.2024.