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Riehen

Politische Gemeinde des Kantons Basel-Stadt, rechtsrheinischer Grenzort zwischen Wiese und dem Chrischonahügel. 1157 Rieheim. 1670 727 Einwohner; 1774 1078; 1850 1575; 1900 2576; 1941 7415; 1950 12'402; 1970 21'026; 2000 20'370.

Urgeschichte

Ältestes Artefakt in Riehen ist der 1999 in einer Baugrube entdeckte altpaläolithische Chopper (einseitig behauenes Geröll). Er dürfte weit über 100'000 Jahre alt sein. Aus der Jungsteinzeit stammen zahlreiche Lesefunde von Silexgeräten wie Pfeilspitzen, Bohrer und Klingen sowie mehrere Steinbeile aus Felsgestein. Anhand von Fundkonzentrationen lassen sich unter anderem auf der Bischoffshöhe, am Chrischonaweg, an der Morystrasse sowie auf dem Wenkenköpfli jungsteinzeitliche Siedlungsstellen nachweisen. Bis jetzt sind drei Bestattungen bekannt. Im Britzigerwald wurde 1969 ein Steinkistengrab zur Zeit der Schnurkeramik ausgegraben. Zwei weitere Gräber (Hockerbestattungen) kamen 1938 im Bereich des Friedhofs am Hörnli zum Vorschein. Die Grabbeigaben, eine Armschutzplatte sowie zwei Keramikgefässe, erlauben eine Datierung in die Glockenbecherzeit (2300 v.Chr.).

Zwei Tumuli der Nekropole im Britzigerwald wurden 1969 bzw. 1971 ausgegraben. Neben einem Körpergrab fanden sich zwei Brandbestattungen. Die Funde, darunter mehrere Bronzeobjekte, ein kleiner Golddraht sowie Keramikscherben, weisen in die mittlere und jüngere Bronzezeit. Ein rituell verbogenes Bronzeschwert sowie eine Lanzenspitze, wohl Weihegaben, wurden 1907 bei der Burgstrasse entdeckt. Funde aus der Eisenzeit fehlen bis jetzt vollständig. Hingegen liegen aus römischer Zeit einige Fundstellen vor, so Reste von villae rusticae beim Hinterengeli und im Landauer (Friedhof am Hörnli) sowie gallorömische Heiligtümer im Pfaffenloh und auf dem Maienbühl.

Gemeinde

In karolingischer Zeit besass das Kloster St. Gallen Güter (751 Vahcinchova, Wenkenhof) in Riehen. Nach 1065 wuchs der Einfluss des Klosters St. Blasien (Schwarzwald), das in Riehen über einen Dinghof, ein eigenes Gericht und eine Twing- und Bannmühle verfügte und sich mit den Herren von Üsenberg in den Kirchensatz teilte. 1238 erwarb das Kloster Wettingen den Anteil der Üsenberger, 1248 durch Abtausch den Anteil des Klosters St. Blasien; doch schon 1270 kamen Twing und Bann sowie die Gerichtsbarkeit an den Bischof von Basel, der Riehen öfters verpfändete und 1522 an die Stadt Basel veräusserte. Bis 1798 gehörte Riehen zum Basler Amt Riehen, in das 1627 Bettingen integriert wurde. Die in Basel wohnhaften Landvögte, unter anderen der spätere Basler Bürgermeister Johann Rudolf Wettstein, residierten für ihre Geschäfte in der 1535 errichteten, 1772 umgebauten Landvogtei, die zudem als städtisches Zehntenhaus diente.

Der Ursprung der 1157 erwähnten Kirche St. Martin liegt im Dunkeln. Die befestigte Kirche gehörte zum Dekanat Wiesenthal im Bistum Konstanz; sie erhielt 1488 eine eigene Frühmesskaplanei. 1528 entschied sich Riehen für die Reformation. 1540 erwarb Basel vom Kloster Wettingen den Kirchensatz, 1693-1694 wurde die Kirche aus- und umgebaut. Die von einem Graben umgebene Kirchenburg beinhaltete neben dem Sakral- einen Profanbereich mit dem Meierhof (Mitte 12. Jh.), den Speichern (wahrscheinlich 12. Jh. und 17. Jh.; um 1840 abgebrochen) und den später in den Ring eingefügten Bauten (Klösterli, Altes Gemeindehaus).

Versammlung der Bürgergemeinde Riehen, 30. September 1958. Fotografie von Candid Lang (Ringier Bildarchiv, RBA1-1-6424, Nr. 1) © Staatsarchiv Aargau / Ringier Bildarchiv.
Versammlung der Bürgergemeinde Riehen, 30. September 1958. Fotografie von Candid Lang (Ringier Bildarchiv, RBA1-1-6424, Nr. 1) © Staatsarchiv Aargau / Ringier Bildarchiv. […]

Bis Mitte des 19. Jahrhunderts war Riehen ein Bauern- und Winzerdorf. Im 18. Jahrhundert schlossen sich einzelne Handwerke in Zünften zusammen. Zur gleichen Zeit bot der Kleinbasler Indienne-Druck Zusatzverdienst an. Ab dem 16. Jahrhundert entstanden Landgüter (u.a. Bäumlihof, Wenkenhof, Berowergut) reicher Basler Bürger, die in Riehen zahlreiche Privilegien (z.B. Befreiung von Steuern und Fronlasten) genossen. Während der Helvetik zählte das Dorf zum Distrikt Basel, 1803-1815 zum Distrikt Liestal und 1815-1833 zum Unteren Bezirk. Obwohl 1831 in Riehen ein Freiheitsbaum aufgestellt wurde, entschied sich die Bevölkerung für den Verbleib bei der Stadt Basel, was einerseits auf die wirtschaftliche Abhängigkeit, andererseits auf den Einfluss des Basler Pietismus zurückzuführen ist. 1833-1875 gehörte Riehen mit Bettingen und Kleinhüningen zum neu gegründeten Landbezirk des Kantons Basel-Stadt mit dem Statthalter in Basel und dem Bezirksamtssitz im Gemeindehaus, der nach Plänen Melchior Berris 1834-1837 erbauten sogenannten Alten Kanzlei. Erst mit der Kantonsverfassung von 1875 und dem Gemeindegesetz von 1876 erhielt Riehen die Selbstverwaltung, 1885 wurde der Bezirksamtssitz aufgehoben, 1924 die Gemeindeversammlung von einem Gemeindeparlament abgelöst. Die Bürgergemeinde Riehen führte am 26. Juni 1958 als erste in der Schweiz das Frauenstimmrecht ein. Noch im selben Jahr wurde mit Gertrud Späth in Riehen die erste Bürgerrätin der Schweiz gewählt. Bestrebungen zur Eingemeindung Riehens in die Stadt Basel führten im Unterschied zu Kleinhüningen nicht zur Aufgabe der kommunalen Autonomie, hatten aber zur Folge, dass Basel zahlreiche Aufgaben der damals armen Gemeinde übernahm, unter anderem die Schule. Ende des 20. Jahrhunderts und Anfang des 21. Jahrhunderts kamen im Rahmen der Neuordnung des Verhältnisses Kanton/Einwohnergemeinden einige dieser Geschäfte an die Gemeinde Riehen zurück, so 2007 bzw. 2009 die Primarschule.

Einen grossen Einfluss übte der Pietismus, in neuerer Zeit der Evangelikanismus in Riehen aus. Die zahlreichen karitativen Institutionen in Riehen gehen zum Teil auf Initiativen führender Mitglieder der Basler Christentumsgesellschaft und der Basler Mission zurück, so die von Christian Friedrich Spittler 1838 gegründete Taubstummenanstalt (heute Gehörlosen- und Sprachheilschule) und das 1852 gegründete Diakonissenhaus (Diakonissenspital 1852-1973). Seit 1974 existiert die anfänglich pietistisch, später evangelikal geprägte Freie evangelisch-theologische Akademie (heute Staatsunabhängige theologische Hochschule). In der Politik zeigt sich dieser Einfluss auch in der starken Stellung der evangelischen Volkspartei.

Die 1862 eröffnete Wiesentalbahn Basel-Schopfheim (heute Regio-S-Bahn) führte, trotz einiger Ansätze (1896 Öl- und Fettwarenfabrik, 1907 Bodenwichse-Fabrik Tripet, 1913 Isolierungswerk Löliger), kaum zur Ansiedlung von Industrie; das Dorf behielt auch im 20. Jahrhundert einen kleingewerblichen Charakter (1951 Interessengemeinschaft Riehen, 1976 Handels- und Gewerbeverein Riehen, 1979 Vereinigung Riehener Dorfgeschäfte). Auf Gemeindegebiet liegen wichtige Teile der Stadtbasler Infrastruktur, namentlich der Zentralfriedhof am Hörnli (Eröffnung 1932) und die Trinkwassergewinnung in den Langen Erlen (ab 1882). In der Nachfolge der Basler Herren liessen ab 1895 zunehmend Basler Industrielle an der Burg-, Wenken- und Bettingerstrasse sowie an den Rebhängen ihre Villen erbauen. Die 1908 erstellte Tramverbindung nach Basel und das wirtschaftliche Wachstum der nahen Stadt führten zu einem weiteren Bevölkerungszuwachs und ab 1920 zur Entstehung von Genossenschaftssiedlungen und Einfamilienhausquartieren im Niederholz, Kornfeld, Landauer und Pfaffenloh. Riehen entwickelte sich dadurch zur Schlafgemeinde mit einem hohen Anteil an Wegpendlern. Das von der Reblaus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schon stark in Mitleidenschaft gezogene Rebbaugebiet dezimierte sich durch diese Überbauungen weiter (1877 62 ha; 1927 8; 1960 0,9; 1972 0,35). Zur Wiederbelebung legte die Gemeinde 1979 einen eigenen Rebberg am Schlipf an. Die Dorfkerngestaltung von 1942 führte zum Abriss vieler alter Gebäude und zur Schaffung einer modernen Dienstleistungsinfrastruktur im Ortszentrum; mit dem Richtplan von 1974 sollte der dörfliche Charakter des Orts bewahrt werden. Eine Reihe von Museums- und Kunstinitiativen schuf die Basis für ein reges Kulturleben im Sog Basels, so das 1972 gegründete und 1992 erweiterte Spielzeug-, Dorf- und Rebbaumuseum im Wettsteinhaus und der 1998 ins Leben gerufene Kunst Raum Riehen im Ökonomiegebäude des Berowerguts. 1980 machte eine Kunstausstellung im Wenkenpark Riehen in der internationalen Kunstwelt bekannt. Theater- und Opernaufführungen sowie Konzerte im Rahmen des Stimmen-Festivals Lörrach im selben Park, vor allem aber die Eröffnung der Fondation Beyeler 1997 verhalfen Riehen zu internationalem Ruf. Im Gefolge der verschiedenen Kunstinitiativen liess sich auch eine ganze Reihe von Galerien in Riehen nieder. Ab 2006 wurde die auf einem Staatsvertrag der Schweiz mit dem Grossherzogtum Baden von 1852 beruhende Zollfreistrasse zwischen Weil und Lörrach, welche das Naturschutzgebiet beim Schlipf durchschneidet, trotz Protesten aus der Region gebaut.

Quellen und Literatur

  • z'Rieche. Ein heimatl. Jb., 1961-
  • Riehen, Gesch. eines Dorfes, 1972
  • M. Raith, Gemeindekunde Riehen, 1980 (21988)
  • D. Holstein, Die bronzezeitl. Funde aus dem Kt. Basel-Stadt, 1991
  • P. Thommen, Die Kirchenburg von Riehen, 1993
  • U. Leuzinger, «Inventar der steinzeitl. Fundstellen im Kt. Basel-Stadt», in Mille fiori, 1998, 285-289
  • Unter uns: Archäologie in Basel, Ausstellungskat. 2008, 65-83
  • A. Schnyder et al., Riehen – ein Portrait, 2010
Weblinks
Normdateien
GND

Zitiervorschlag

Urs Leuzinger; Brigitta Strub: "Riehen", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 04.01.2012. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/001188/2012-01-04/, konsultiert am 19.03.2024.