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Gais

Politische Gemeinde des Kantons Appenzell Ausserrhoden, ehemaliger Bezirk Mittelland. Die Gemeinde umfasst das Dorf sowie mehrere Weiler und Einzelhöfe. 1272 de Geis. 1667 1870 Einwohner; 1850 2480; 1900 2854; 1950 2422; 2000 2770.

Unter der Abtei St. Gallen bildete Gais ein Sonderamt mit eigenem Ammann und Gericht. Bereits im 14. Jahrhundert bestand eine gewisse kommunale Eigenständigkeit; unter dem Siegel von Konrad Geppensteiner, dem Ammann ze Geiss, traten die Gaiser 1377 dem Schwäbischen Städtebund und 1401 dem sogenannten Volksbund der Gotteshausleute bei. Die Schlacht am Stoss 1405, ein bedeutendes Ereignis der Appenzeller Kriege (1401-1429), fand auf dem Gebiet von Gais statt.

Im neuen Land Appenzell kam Gais zur Rhode Rinkenbach-Wies. Für den weiteren Werdegang wurden die kirchlichen Verhältnisse bestimmend. Das erste Gotteshaus für die zuvor nach St. Laurenzen in St. Gallen und nach Appenzell kirchgenössige Gaiser Bevölkerung wurde zwischen 1275 und 1333 (eventuell 1315) errichtet und vor 1370 zur Pfarrkirche (Marienpatrozinium) erhoben. Ihm schlossen sich mit der Zeit auch die nach Marbach und Altstätten kirchgenössigen Leute der zu Trogen gehörenden Teilrhode Rotenwies und des dem Meieramt Altstätten zugeordneten Hofes Rietli an. Trotz unterschiedlicher Verwaltungstradition – Rhodenstruktur für Rotenwies, rheintalische Hofverfassung für Rietli und Sonderamtstatus für Gais – und der genossenschaftlichen Strukturen, über die jede dieser Gegenden spätestens ab dem 15. Jahrhundert für die Nutzung ihrer Gemeinwerke (vorab Wälder) verfügte, bildete sich aufgrund der gemeinsamen Trägerschaft der Gaiser Kirche allmählich die heutige Gemeinde heraus. Der um 1460 erfolgte Kirchenneubau und das Bekenntnis zur reformierten Glaubenslehre 1525 förderten diesen Prozess und liessen die Kirchhöri Gais fortan als politische Einheit in Erscheinung treten. 1527-1597 besuchten auch die im Hauptort Appenzell ansässigen Reformierten hier den Gottesdienst. Die Landteilung von 1597 brachte den Anschluss an Appenzell Ausserrhoden. Gaiser Anteilsrechte an Alpen und Gemeinwerk Mendle in Innerrhoden bestanden aber bis 1674 bzw. 1815 fort. Die Genosssamen der alten Gemeinwerke auf Gaiser Boden blieben als selbstständige Korporationen (Hackbüel, Rotenwies und Rietli-Schachen) bis heute bestehen und mehrten besonders im 19. Jahrhundert ihren Grundbesitz.

Die 1467 als ville Gais erwähnte Siedlung, die sich bei der Kirche entwickelte, wurde planmässig um einen grossen Dorfplatz angelegt. Der Wiederaufbau nach dem Dorfbrand von 1780 folgte dem alten Grundriss; der neue Stil der Häuser veränderte zwar den Ortscharakter, verlieh dem Platz aber zugleich ein einheitliches Gepräge (die Bemühungen zum Erhalt des Ortsbilds von nationaler Bedeutung trugen der Gemeinde 1977 den Wakkerpreis ein). Im 19. Jahrhundert vergrösserte sich der Ort allmählich zum Haufendorf. Nach 1960 setzten mehrere Neubauquartiere markante Akzente.

Lebensgrundlage bildeten traditionell Milch- und Viehwirtschaft sowie seit dem 16. Jahrhundert Solddienst und Textilgewerbe. Im 19. Jahrhundert wurden, vorab am Rotbach, mehrere Textilfabriken erstellt (Spinnerei, Druckerei und Appretur im Strahlholz 1802-1929; Bleicherei, Färberei und Appretur im Strahlholz ab 1805; verschiedene Stickfabriken und Textilhandelshäuser ab 1872; sechs Zwirnereien ab 1875). Die Ziegelei war 1846-1917 in Betrieb. Die Wirtschaftskrise der Zwischenkriegszeit traf vor allem die Heimindustrie, während die Fabriken grösstenteils überlebten. Weltberühmt war Gais zwischen 1749 und 1860 als Molkenkurort. Der Wandel zum modernen Luftkurort gelang aber nicht, so dass der Fremdenverkehr in Gais nach 1860 trotz der Eröffnung mehrerer Pensionen massiv zurückging.

Werbeplakat für die St. Gallen-Gais-Appenzell-Bahn, 1937 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).
Werbeplakat für die St. Gallen-Gais-Appenzell-Bahn, 1937 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).

Die Strassen nach Altstätten und Bühler wurden ab 1836 ausgebaut, die Eisenbahnstrecken von Gais nach St. Gallen, Appenzell und Altstätten 1889, 1904 und 1911 eröffnet. Das kantonale Lehrerseminar in der Rieseren bestand 1833-1866. Die 1884 gegründete katholische Kirchgemeinde errichtete 1885 eine Kapelle. Das Gemeindekrankenhaus von 1904 wurde 1982 in ein Krankenheim umgewandelt. 1958 wurde die erste medizinische Rehabilitationsklinik der Schweiz in Gais eröffnet. 1980 befanden sich unter den insgesamt 731 Wohngebäuden 120 Ferienhäuser und rund 50 Ferienwohnungen in sonstigen Gebäuden. Landwirtschaft, Textilindustrie sowie Handwerk und Gewerbe bilden seit dem Zweiten Weltkrieg die Haupterwerbszweige. Seit 1980 entwickelt sich Gais zunehmend zur Wohngemeinde. Nach 1960 stieg der Wegpendleranteil beträchtlich an und lag 2000 bei knapp der Hälfte.

Quellen und Literatur

  • Kdm AR 2, 1980, 288-359
  • H. Werder, Zur Aktualdynamik der Kulturlandschaft des Appenzeller Mittellandes, 1984
  • K. Rechsteiner, A. Weishaupt, Gesch. der Gem. Gais, 2002
Weblinks
Normdateien
GND

Zitiervorschlag

Thomas Fuchs: "Gais", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 20.11.2006. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/001301/2006-11-20/, konsultiert am 26.03.2023.