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Rorschach

Politische Gemeinde des Kantons St. Gallen, Region Rorschach. Die Stadt liegt am Bodensee und grenzt an die Gemeinden Rorschacherberg und Goldach. 850 Rorscachun. 1468 ca. 875 Einwohner (mit Rorschacherberg); 1850 1751; 1900 9140; 1950 11'325; 2000 8647; 2010 8883.

Am See, östlich des Hafens, fand sich eine vermutlich prähistorische Siedlung. Die Römerstrasse Arbon-Bregenz führte durch Rorschach. Im Frühmittelalter siedelten sich Alemannen in der Gegend der heutigen Kolumbanskirche an. Bis ins 10. Jahrhundert wurde das Kloster St. Gallen ein wichtiger Grundbesitzer in der Gegend. Dank Schifffahrt und Fischfang erlangte der Ort bald eine gewisse Bedeutung. König Otto I. verlieh Abt Craloh von St. Gallen 947 für Rorschach das Markt-, Münz- und Zollrecht. Der Ort entwickelte sich aber in den folgenden Jahrhunderten nicht zu einer Stadt, sondern blieb ein Marktflecken. Städtischen Charakter erhielt er erst vom 19. Jahrhundert an. Mächtig in der Gegend waren im Hochmittelalter die Herren von Rorschach, ein Ministerialengeschlecht der Abtei St. Gallen. Einen Wachstumsschub erfuhr Rorschach unter Fürstabt Ulrich Rösch (1463-1491), der 1466 die bisher an Adlige verliehene Reichsvogtei Rorschach ans Kloster St. Gallen brachte. 1469 vereinbarte er mit Rorschach eine Offnung. 1484 baute er die Schifflände zum Einfuhrhafen für Getreide aus, 1485 liess er das fast vergessene Marktrecht der Abtei erneuern. 1497 führte sein Nachfolger den Kornmarkt ein. Rorschach war im St. Galler Klosterstaat Hauptort des Rorschacheramts. Der dauernden Auseinandersetzungen mit der Stadt St. Gallen überdrüssig und von der idealen Lage Rorschachs überzeugt, entschloss sich Abt Ulrich, das St. Galler Kloster nach Rorschach zu verlegen. 1486-1489 liess er dazu über dem Flecken den festungsartigen Klosterbau Mariaberg errichten. Die Stadt St. Gallen wehrte sich gegen die Klosterverlegung. Mit dem Rorschacher Klosterbruch erreichte sie ihr Ziel. Mariaberg wurde danach als regionaler Verwaltungssitz der Abtei wieder aufgebaut. Im 16. und 17. Jahrhundert scheiterten Bestrebungen, auf Mariaberg eine Hochschule für die katholische Schweiz zu schaffen.

Der Hafen von Rorschach. Kolorierte Radierung von Matthias Pfenninger, um 1790 (Museum im Kornhaus, Rorschach).
Der Hafen von Rorschach. Kolorierte Radierung von Matthias Pfenninger, um 1790 (Museum im Kornhaus, Rorschach). […]

Kirchlich gehörte Rorschach ursprünglich zu Goldach. Ein Kirchlein dürfte bereits im 8. Jahrhundert im Ort gestanden haben, doch erst im 13. Jahrhundert ist Rorschach als sankt-gallische Patronatspfarrei erwähnt. Der heutige Bau der Kolumbanskirche geht auf das Jahr 1438 zurück. 1461 folgte die Inkorporation ins Kloster St. Gallen. 1616 wurde das Franziskanerinnenkloster St. Scholastika eingerichtet und 1905 ins ruhigere Tübach verlegt. Rorschach führte als erste der fürstenländischen Pfarreien die Reformation ein, die sich aber nur kurz halten konnte. Rorschacherberg gehört kirchlich bis heute zu Rorschach. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war noch keine einzige reformierte Familie in Rorschach wohnhaft, doch bereits 1854 kam es zur Gründung einer eigenen reformierten Kirchgemeinde.

Vom Ende des 15. Jahrhunderts an entwickelte sich der Hafen Rorschach zum wichtigsten Umschlagplatz für die Korneinfuhr aus Süddeutschland in die Ostschweiz. Ausdruck der Blüte des Rorschacher Kornhandels ist das unter Fürstabt Cölestin Gugger 1746-1749 von Johann Caspar Bagnato erbaute Kornhaus. Der traditionelle Donnerstagsmarkt bestand bis 1907. Fürstabt Beda Angehrn baute die Hafenanlage in den 1790er Jahren aus. Auf ihn geht auch die 1773-1778 erbaute Strasse Rorschach-Wil (SG) zurück. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein blieben Hafenbetrieb und Kornhandel der Mittelpunkt des lokalen Wirtschaftslebens und die wichtigsten Arbeitgeber. Fürstabt Bernhard Müller führte 1610 in Rorschach das Leinwandgewerbe ein, das nach dem Dreissigjährigen Krieg einen grossen Aufschwung erlebte. Das erste der weltweit tätigen Handelshäuser war dasjenige der Familie Hoffmann, es folgten die von Bayer, die Pillier und die aus Italien eingewanderten von Albertis, Salvini, Martignoni, Zardetti und Gorini. Im 18. Jahrhundert erreichte der Rorschacher Leinwandhandel seinen Höhepunkt, mit dem Aufkommen der Baumwollindustrie kam im 19. Jahrhundert der Niedergang. Ein wichtiger Exportartikel war zudem bis ins 20. Jahrhundert der Sandstein aus den lokalen Steinbrüchen. Im 1803 gebildeten Kanton St. Gallen wurde Rorschacherberg von Rorschach getrennt und Rorschach Kreis- und Bezirkshauptort (1803-2002). Im 19. Jahrhundert profitierte Rorschach von der Entwicklung des Verkehrs. 1824 fuhr das erste Dampfschiff von Friedrichshafen nach Rorschach und noch im gleichen Jahr nahm ein täglicher Schiffskurs zwischen den beiden Orten den Betrieb auf. 1856 wurde die Bahnstrecke nach St. Gallen eröffnet, 1857-1858 die Strecke nach Chur, 1869 die Strecke nach Romanshorn. Es folgte 1874-1875 die Zahnradbahn Rorschach-Heiden. Als Verkehrsknotenpunkt überflügelte indessen das – in Bezug auf die gesamte Schweiz – günstiger gelegene Romanshorn Rorschach. Die Eisenbahn durchschnitt den Ort zweifach und veränderte die Siedlung einschneidend; das moderne Ortsbild geht auf diese Veränderungen zurück.

Der Bahnhof Rorschach auf der Zehn-Rappen-Bundesfeiermarke von 1947. Nach einem Entwurf von Willi Koch (Museum für Kommunikation, Bern) © Die Schweizerische Post.
Der Bahnhof Rorschach auf der Zehn-Rappen-Bundesfeiermarke von 1947. Nach einem Entwurf von Willi Koch (Museum für Kommunikation, Bern) © Die Schweizerische Post. […]

Um 1840 begann Rorschachs Entwicklung zum Tourismusort, insbesondere für Bäder und Molkenkuren. Mit der Erschliessung Heidens durch die Bahn verlor es jedoch in den 1880er Jahren seine Bedeutung als Kurort. Schon vor der Reformation gab es im Ort eine Schule und 1666 wurde hier die erste öffentliche Sekundarschule im sankt-gallischen Gebiet eröffnet. Fürstabt Beda Angehrn führte in Rorschach mit Erfolg den ersten Versuch einer sogenannten Normalschule durch, einer Form der Volksschule; auch erfolgreiche Privatschulen entstanden. 1864 wurde in der ehemaligen klösterlichen Statthalterei Mariaberg das kantonale Lehrerseminar (seit 2003 pädagogische Fachhochschule) eingerichtet. 1597 erschien in Rorschach der Annus Christi, wahrscheinlich die erste bekannte, regelmässig erscheinende Zeitung der Welt. 1922-2000 gab das Druck- und Verlagshaus Löpfe-Benz den Nebelspalter heraus. In der zweiten Hälfte des 19. und im 20. Jahrhundert entwickelte sich Rorschach zur Industriestadt. Die Stickerei Feldmühle errang vor dem Ersten Weltkrieg eine marktbeherrschende Stellung, um 1910 zählte die Firma rund 2700 Mitarbeiter. Sie begann ab den 1920er Jahren mit der Herstellung von Kunstseide (Viskose), produzierte später auch Klebebänder (Cellux) und Nylonfasern (2016 Schliessung des Standorts). 1905 kam es in der Giesserei und Maschinenfabrik, die später um eine Schraubenproduktion erweitert wurde, zu Arbeiterunruhen, dem sogenannten Rorschacher Krawall. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind die Firmen Stürm AG (Metallverarbeitung), Nestlé (ehemals Konservenfabrik Roco, später Frisco Findus), Triopan Dähler AG (Produkte für Organisation und Sicherheit des Strassenverkehrs), Alcan Packaging Rorschach AG (ehemals Aluminiumwerke AG Rorschach) und die Brauerei Löwengarten AG (gegründet 1871, 2006 von der Schützengarten AG überommen) zu nennen. Ab den 1970er Jahren machte Rorschach einen wirtschaftlichen Schrumpfungsprozess durch. Das Stellenangebot im Industriesektor – mit Ausnahme der Metallindustrie und Elektrotechnik – ging zurück und konnte auch nicht durch den Dienstleistungssektor kompensiert werden. Der Bedeutungsverlust des Orts spiegelt sich unter anderem in der Aufgabe des Stadtparlaments Ende 2004 und im Scheitern des Projekts Swiss Marina 2002, das ein Kongress- und Tourismuszentrum mit 13'000 Arbeitsplätzen vorgesehen hatte. 2005 stellte die Industrie 25% der Arbeitsplätze in der Gemeinde, der Dienstleistungssektor 74%.

Quellen und Literatur

  • Rorschacher Neujahrsblatt, 1911-2000
  • F. Willi, Geschichte der Stadt Rorschach und des Rorschacher Amtes bis zur Gründung des Kantons St. Gallen, 1947
  • L. SpeckerRorschach im 19. Jahrhundert, 1999
  • R. Lehner, Feldmühle: Geschichten von Arbeitern, einem Patron, von Mädchen und einer Stadt, 2007
Weblinks
Normdateien
GND
Kurzinformationen
Ersterwähnung(en)
850: Rorscachun

Zitiervorschlag

Lorenz Hollenstein: "Rorschach", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 07.05.2020. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/001327/2020-05-07/, konsultiert am 14.10.2024.