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Wattwil

Politische Gemeinde des Kantons St. Gallen, Region Toggenburg. Die von der Thur durchflossene Zentrumsgemeinde liegt im Schnittpunkt der Verkehrsachsen St. Gallen-Luzern und Wil-Buchs und reicht vom Köbelisberg im Osten bis zum Tweralpspitz im Westen. Wattwil umfasst neben dem gleichnamigen Dorf und zahlreichen Weilern unter anderem einen Teil des Dorfs Ricken, dessen anderer Teil zur Gemeinde Gommiswald gehört, sowie seit 2013 auch Krinau. 897 Wattinwilare, 903 Wattewilare. 1827 4115 Einwohner; 1850 5006; 1900 4971; 1950 6336; 2000 8265.

Der 897 bei der Kirche erwähnte Hof des Watto wurde 903 erstmals als Meierhof genannt und war der Mittelpunkt der ausgedehnten Herrschaft des Klosters St. Gallen über die Gotteshausleute im mittleren Toggenburg. Nach 1230 erbaute der 1240 erstmals erwähnte Heinrich von Iberg, ein fürstäbtischer Ministeriale, die Burg Iberg. Die 1405 in den Appenzeller Kriegen zerstörte und 1408 wieder aufgebaute Burg diente den Landvögten des Fürstabts bis 1805 als Sitz. Die Fürstabtei St. Gallen kaufte 1468 die Grafschaft Toggenburg und vereinigte die Gotteshausleute des fürstäbtischen Gerichtsbezirks Wolfartschwil (unterhalb der Iberg) und des Meieramts Scheftenau 1469 im Hof- und Landrecht mit den Hofjüngern, den Hörigen des gräflichen Kelnhofs Bütschwil, im Ibergeramt und stellte sie in den Rechten gleich. Das Gericht Wattwil umfasste das mittlere Toggenburg rechts der Thur von Gieselbach (heute Gemeinde Ebnat-Kappel) bis Lichtensteig und links der Thur von Steinenbach (heute Gemeinde Ebnat-Kappel) bis Kengelbach (Bütschwil). 1436 wurde Wattwil ins Landrecht der Toggenburger mit Schwyz und Glarus einbezogen. Die Pfaffenwiese bei der Kirche in Wattwil diente von da an als Landsgemeindeplatz, auf dem ab 1468 die Fürstäbte die Huldigungen entgegennahmen und die Kriegsmannschaft zusammenkam.

In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurde der Ausbau der Rickenstrasse zur Karrenstrasse als Verbindung zwischen der Fürstabtei und der katholischen Innerschweiz geplant, um das reformierte Zürich zu umgehen. Wattwil verweigerte im Konflikt mit dem Fürstabt den Frondienst an diesem Ausbau, was die Toggenburger Wirren (1699-1712) auslöste, die ihrerseits zum Zweiten Villmergerkrieg führten. Die Strasse über den Rickenpass verwirklichte schliesslich erst 1786 Fürstabt Beda Angehrn. 1803 entstand die politische Gemeinde Wattwil, die bis 2002 im Bezirk Neutoggenburg lag.

Die ursprünglich Andreas, ab 1344 Felix und Regula geweihte Kirche wird 897 erstmals erwähnt. Sie war bis 1214 Mutterkirche für Hemberg, bis 1225 für Oberhelfenschwil, bis 1435 für Lichtensteig, bis 1437 für Krummenau, bis 1477 für Kappel (Toggenburg), bis 1762 für Ebnat und bis 1786 für Ricken. 1529 führte Pfarrer Mauriz Miles in Wattwil die Reformation ein, der katholische Gottesdienst wurde aber 1593 wieder aufgenommen und die Kirche paritätisch genutzt. Der Neubau der spätklassizistischen Kirche nach Plänen von Felix Wilhelm Kubly wurde 1848 vollendet. Mit dem Bau der katholischen Kirche endete das Simultanverhältnis 1967. Ende des 13. Jahrhunderts erbauten Waldbrüder am Pilgerweg auf der Pfanneregg eine Eremitenklause und im Hünersedel eine Klause von Waldschwestern, die Anfang des 15. Jahrhunderts ihre Niederlassungen tauschten; die Eremitenklause verschwand später. Ab 1591 war der Konvent, der vorher der franziskanischen Drittordensregel folgte, ein Kapuzinerinnenkloster. Nach dem Brand der Pfanneregg 1620 entstand 1621 im Schutz der Burg Iberg das heutige Kloster St. Maria der Engel, die besterhaltene Klausuranlage im Kanton St. Gallen.

Im 18. Jahrhundert eröffneten neben den konfessionellen Schulhäusern im Dorf in der Umgebung neun Schulbetriebe, die im 19. Jahrhundert Schulhausbauten erhielten. 1833 öffnete auf der Risi eine private Realschule ihre Tore, die ab 1861 als Genossenschaft organisiert war. 1971 wurden die konfessionellen Schulen vereinigt. 2005 schlossen sich Wattwil und Krinau zu einer Schulgemeinde zusammen. Nach 1750 verdrängten die rasch wachsenden Baumwollmanufakturen die Leinenweberei, um 1800 blühte die Mousselineweberei. Nach 1820 nahmen 15 Fabriken ihren Betrieb auf, die mit den neu erfundenen Jacquardstühlen ausgestattet waren und deren Buntwebereiprodukte zunächst in die Levante, später nach Indien, Lateinamerika, Indonesien, Japan und Afrika verkauft wurden. Die beiden Unternehmen von Johann Georg Anderegg und den Brüdern Abraham und Johann Rudolf Raschle, die 1851 an der Weltausstellung in London erste Preise holten, gehörten zu den bedeutendsten Toggenburger Baumwollfabriken. Neben kleineren Industriebetrieben wuchs die Textilfärberei und Textildruckerei Heberlein & Co. im 20. Jahrhundert dank neuer Erfindungen (u.a. Helanca-Kunstfaser) zu einem bedeutenden Schweizer Unternehmen, musste 2001 aber aufgrund der Textilkrise den Betrieb einstellen. Die Schweizerische Textilfachschule ging aus der 1881 in Wattwil gegründeten Toggenburger Webschule hervor. Diese macht aus Wattwil zusammen mit der Kantonsschule, dem regionalen didaktischen Zentum, dem Berufs- und Weiterbildungszentrum, der Heilpädagogischen Schule, dem Sprachförderzentrum und dem Sonderschulheim Hochsteig ein regionales Bildungszentrum. 1870 erfolgte die Eröffnung der Toggenburger Bahn Wil-Ebnat und 1910 nahm die Bodensee-Toggenburg-Bahn (heute Schweizerische Südostbahn) mit einem Tunnel durch den Ricken und die Wasserfluh ihren Betrieb auf. Der Ausbau der Bahnen führte zu einer Anbindung an Zürich und St. Gallen. Das 1890 eröffnete Gemeindespital ist Teil der kantonalen Spitalregion Fürstenland-Toggenburg. 1907-1913 wurde die Thur korrigiert. Obwohl Wattwil ein regionales Gewerbezentrum ist, weist es die grösste Zahl bäuerlicher Liegenschaften im Kanton St. Gallen auf; herausragend sind mehrere herrschaftliche Toggenburger Häuser in der Streusiedlung. Neben den Fabrikantenhäusern im Dorf und im Bunt entstand im Bendi bis 1941 eine Eigenheimsiedlung für Arbeiter.

Quellen und Literatur

  • Bilder aus der Gesch. von Wattwil, 4 Bde., 1960-80
  • H. Büchler, Das Dorf Ricken, [1991]
  • H. Büchler, Wattwil, 1997

Zitiervorschlag

Hans Büchler: "Wattwil", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 23.11.2016. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/001387/2016-11-23/, konsultiert am 14.09.2024.