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ChurGemeinde

Stadtansicht aus der Vogelperspektive, um 1640 (Rätisches Museum, Chur).
Stadtansicht aus der Vogelperspektive, um 1640 (Rätisches Museum, Chur). […]

Politische Gemeinde des Kantons Graubünden, Region Plessur. Chur liegt auf dem Schwemmfächer der Plessur und an der Mündung des Schanfiggs in das Tal des Rheins. Die urgeschichtliche und die römische Siedlung liegen wie die Altstadt in der Nische zwischen Pizokel und Mittenberg. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts breitete sich Chur bis zum Rhein und bis zum sonnigen Hang des Lürlibads aus. Erstmals erwähnt wird es als Curia im 3. Jahrhundert n.Chr. im Itinerarium Antonini. Französisch Coire, italienisch Coira, romanisch Cuira. Eingemeindet wurden der bischöfliche Hof Chur auf dem Felssporn über der Stadt 1852, die Siedlung Sassal 1939 und Maladers 2020. Die bäuerlichen Aussensiedlungen Masans und Araschgen gehören seit jeher zu Chur. Die Gebirgsrandstadt mit wenig Industrie ist Verkehrsknotenpunkt von Strasse und Bahn, Bischofssitz, Schul-, Spital- und Verwaltungszentrum sowie eidgenössischer Waffenplatz. Als Hauptstadt des Kantons Graubünden ist Chur seit 1803 Sitz der Regierung und seit 1820 ständiger Tagungsort des Parlaments des dreisprachigen Kantons. Chur ist Mittelpunkt der Agglomeration Churer Rheintal und beschäftigt Zupendler aus ganz Nordbünden. Da es in einem beträchtlichen Umkreis die einzige Stadt ist, erfüllt Chur für seine Grösse besonders viele zentralörtliche Funktionen.

Chur (Gemeinde): Situationskarte 2020 (Geodaten: Bundesamt für Statistik, Swisstopo, OpenStreetMap) © 2020 HLS.
Chur (Gemeinde): Situationskarte 2020 (Geodaten: Bundesamt für Statistik, Swisstopo, OpenStreetMap) © 2020 HLS.

Bevölkerungsstruktur der Gemeinde Chur

Jahr13. Jh.Ende 15. Jh.1780
Einwohner1 000-1 500ca. 1 5002 331
    
Jahr 18601880a18881900191019301950197019902000
Einwohner 6 9908 7539 25911 53214 63915 57419 38231 19332 86832 989
SpracheDeutsch 7 5787 7999 28811 62812 92616 11823 58525 71926 715
 Italienisch 2832506771 1658221 0153 0332 0401 692
 Romanisch 9891 1581 4661 6971 6811 9813 3182 2691 765
 Andere 39521011491452681 2572 8402 817
Religion, KonfessionProtestantisch4 2536 4406 5187 5619 2009 77711 70015 33114 02112 710
 Katholischb2 7332 4312 7293 9625 3885 7177 46615 46215 94414 713
 Andere41812951802164002 9035 566
 davon ohne Zugehörigkeitc        1 0731 998
NationalitätSchweizer6 3737 8668 0949 68712 04213 68517 85226 33227 25927 061
 Ausländer6171 0231 1651 8452 5971 8891 5304 8615 6095 928

a Einwohner: Wohnbevölkerung; Sprache, Religion, Nationalität: ortsanwesende Bevölkerung

b 1880-1930 einschliesslich der Christkatholiken; ab 1950 römisch-katholisch

c zu keiner Konfession oder religiösen Gruppe gehörig

Bevölkerungsstruktur der Gemeinde Chur -  Bundesamt für Statistik; Autor

Ur- und Frühgeschichte

Vorrömische Zeit

Eine frühe Begehung ist rechts der Plessur in Chur-Marsöl anhand der archäologischen, ins Spätpäläolithikum (ca. 11'000-10'000 v.Chr.) datierten Artefakte aus Bergkristall und Silex nachgewiesen. Wichtige urgeschichtliche Siedlungen befanden sich im Areal Sennhof/Karlihof im Bereich der Altstadt rechts der Plessur und im Welschdörfli auf dem linken Plessurufer. Auch im Bereich der bischöflichen Residenz Hof Chur kamen urgeschichtliche, nur zu einem kleinen Teil freigelegte Siedlungsreste zum Vorschein.

Im Welschdörfli, am Fuss des Rosenhügels/Pizokels, wurden 1967-1990 urgeschichtliche Siedlungsreste ausgegraben. Im Areal Ackermann stiess man in ca. 5 m Tiefe auf eine jungsteinzeitliche Siedlung, von welcher vor allem die nachgewiesenen Spuren des Pflugackerbaus von grosser Bedeutung sind. Auch unter dem benachbarten Markthallenplatz fanden sich Siedlungsreste der jungsteinzeitlichen Lutzengüetle-Kultur und Pfyner Kultur. Im Areal Sennhof/Karlihof kamen in den 1980er Jahren Strukturen einer grösseren spätbronzezeitlichen Siedlung mit Funden der Urnenfelder- und Laugen-Melaun-Kultur zum Vorschein (ca. 1300-800 v.Chr.). Über dieser Siedlung lagen Siedlungsreste aus der älteren Eisenzeit mit sogenannter Taminserkeramik des 6./5. Jahrhunderts v.Chr., aber auch römische und hochmittelalterliche Funde und Befunde. Auch in den Arealen Markthallenplatz und Ackermann wurden bemerkenswerte Siedlungsstrukturen der Eisenzeit untersucht. Es finden sich dort Hausgrundrisse und Funde der sogenannten Alpenrheintalgruppe, wobei sowohl ältere Taminserkeramik als auch jüngere, sogenannte Schnellerkeramik des 5.-3. Jahrhunderts v.Chr. gut vertreten sind. Die Funde scheinen eher einem keltischen als einem rätischen Kulturkreis nahezustehen.

Römische Epoche

Nach seiner Eroberung im römischen Alpenfeldzug von 16-15 v.Chr. gehörte Chur zuerst zum Verwaltungsgebiet der Alpes Graiae et Poeninae, ab 40-50 n.Chr. zur neu gegründeten Provinz Raetia. Die staatsrechtliche Stellung Churs ist unbekannt, vielleicht besass der Ort die Position einer Civitas peregrina bzw. stipendiaria. Die wenigen Ausrüstungsgegenstände römischer Soldaten können keine längerfristige militärische Präsenz belegen. Hingegen befand sich in Chur möglicherweise eine Strassenstation am strategisch wichtigen Ausgangspunkt der Bündner Alpenpässe. Die These, wonach Chur nach der Neugliederung der römischen Provinzen im 4. Jahrhundert Hauptstadt der Provinz Raetia prima geworden wäre, ist zur Zeit nicht zu beweisen.

Innenansicht des Schutzbaus für die römischen Ruinen auf dem Ausgrabungsareal im Welschdörfli, realisiert 1985-1986 durch den Architekten Peter Zumthor © Fotografie Fortunat Anhorn, Malans.
Innenansicht des Schutzbaus für die römischen Ruinen auf dem Ausgrabungsareal im Welschdörfli, realisiert 1985-1986 durch den Architekten Peter Zumthor © Fotografie Fortunat Anhorn, Malans.

Die Hauptsiedlung befand sich im heutigen Welschdörfli. Seit 1902 ist eine Fläche von ca. 80 x 300 m archäologisch untersucht worden. Die ursprüngliche Ausdehnung des römerzeitlichen Orts ist noch unbekannt. Obwohl einzelne Funde aus dem späten 1. Jahrhundert v.Chr. stammen, begann die Blütezeit Churs erst um etwa 40 n.Chr. Zu dieser Zeit wichen die Fachwerkhäuser den in römischer Tradition errichteten Steinbauten. Der unregelmässige Siedlungsplan umfasst einige öffentliche Gebäude, so Thermen und vermutlich Markt- und Unterkunftsgebäude, vor allem aber Wohnhäuser, die zum Teil auch der Landwirtschaft und verschiedenen Gewerben dienten. Die Verarbeitung von Eisenerz, Bronze und Knochen ist nachgewiesen. Belegt sind weiter Töpfer- und Textilhandwerk.

Die umfangreichen Importfunde (Geschirr, Lebensmittelbehälter, Lampen, Schmuck, Statuetten), vorwiegend aus dem Süden, aber auch aus dem Süd- und Nordwesten des Römischen Reichs, widerspiegeln nicht nur Churs Bedeutung an einer Fernhandelsroute, sondern auch die Romanisierung und den Wohlstand der Bevölkerung.

Ein rascher Niedergang der Siedlung ist im Welschdörfli ab dem mittleren 3. Jahrhundert zu verzeichnen. Zerstörungshorizonte, die mit den Alemanneneinfällen des 3. und 4. Jahrhunderts in Verbindung zu bringen wären, fehlen jedoch bis jetzt. Siedlungszeugnisse datieren bis ins späte 4. Jahrhundert, vereinzelt bis ins 5. Jahrhundert. Bescheidene Siedlungsspuren fanden sich auch in der Altstadt und auf dem Hof Chur, dem Standort des spätrömischen Kastells.

Vom Frühmittelalter bis zur Helvetik

450 bis ca. 1450

Urkunde aus dem Jahr 952, in der König Otto I. dem Bischof von Chur das Zollregal übertrug (Rätisches Museum, Chur).
Urkunde aus dem Jahr 952, in der König Otto I. dem Bischof von Chur das Zollregal übertrug (Rätisches Museum, Chur).

Vom 5. Jahrhundert an wies Chur in topografischer und verfassungsrechtlicher Hinsicht den klassischen Dualismus von Bischofsresidenz (Hof Chur) und vorgelagerter Marktsiedlung auf. Der Siedlungsschwerpunkt hatte sich vom römischen Vicus im Welschdörfli über die Plessur unmittelbar unter den Bistumssitz verlagert. Östlich des Hofs und am Nordwestrand eines frühmittelalterlichen Friedhofs stand die im 5. Jahrhundert oder kurz nach 500 errichtete Grabkirche St. Stephan (Zerfall infolge eines vor 1538/1539 erfolgten Brands). Vermutlich im 8. Jahrhundert entstand unmittelbar daneben ein erster Bau von St. Luzi. An der Ausfallstrasse nach Norden lag St. Regula (erster Bau aus dem 9. Jh.). Nach der Einäscherung Churs durch Sarazenen um 940 schufen die umfangreichen Privilegien (Zoll-, Münz- und Marktregal, Immunitätsprivilegien) der Ottonen in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts die Grundlagen zur Ausbildung der bischöflichen Stadtherrschaft (Fürstbistum Chur). Im ausgehenden Hochmittelalter bestand Chur siedlungsmässig aus dem Hof mit der Kathedrale, deren älteste Anlage aus der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts datiert, dem sogenannten Oberen Burgus mit der Kirche St. Martin, deren erster Bau aus der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts stammt, aus den Quartieren Salas und Clawuz beim späteren Untertor, dem im 13. Jahrhundert gebildeten Stadtteil um das Dominikanerkloster St. Nicolai und dem Welschdörfli jenseits der Plessur. Die Errichtung der Stadtmauer in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts trug zum Zusammenwachsen der einzelnen Quartiere bei und förderte die Bildung einer Stadtgemeinde.

Die Bevölkerung von Chur dürfte im 13. Jahrhundert 1000-1500 Einwohner umfasst haben und setzte sich grossenteils aus Ackerbürgern, Handwerkern und Gewerbetreibenden zusammen. Diese profitierten von einer regen Bautätigkeit – neben der Stadtmauer entstand vor allem der Neubau der 1272 geweihten Kathedrale – und der günstigen Verkehrslage Churs.

Wappen des ausgehenden 15. Jahrhunderts auf dem ersten Blatt des Churer Stadtrechts 1461-1730 (Stadtarchiv Chur).
Wappen des ausgehenden 15. Jahrhunderts auf dem ersten Blatt des Churer Stadtrechts 1461-1730 (Stadtarchiv Chur).

Erste Spuren einer selbstständigen Stadtgemeinde lassen sich bis ins Jahr 1227 zurückverfolgen, doch scheint die Bildung einer dauerhaften Körperschaft erst gegen Ende des 13. Jahrhunderts gelungen zu sein. 1282 sind Ansätze einer Ratsverfassung auszumachen, auch wenn dem Bischof als Stadtherrn, der weiterhin die städtischen Ämter besetzte, ein entscheidender Einfluss blieb. Träger der Bemühungen um städtische Freiheiten waren hauptsächlich Handwerkerkreise und Angehörige der bischöflichen Ministerialität. 1367 schlossen das Domkapitel, die bischöfliche Talgemeinde und die Stadt Chur gegen den Bischof ein Bündnis ab, das als Anfang des Gotteshausbunds gewertet werden kann. Eine Stadtordnung von 1368/1376 ist fragmentarisch erhalten geblieben. 1396 wurde die Churer Bürgerschaft durch König Wenzel von der Zuständigkeit fremder Gerichte befreit. 1413 erhielt sie das Recht zum Bau eines Kaufhauses und das Sustrecht für Tuch, Korn, Salz und weitere Handelswaren. Im selben Jahr ist auch erstmals ein Bürgermeister von Chur urkundlich überliefert. 1422 stürmten die Churer Bürger den bischöflichen Hof und zwangen den häufig landesabwesenden Bischof Johannes Naso zu weitreichenden Zugeständnissen an die Stadt.

Vom Spätmittelalter bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts

Ein Säumer treibt um 1500 seine schwer beladenen Maultiere durch ein Churer Stadttor. Illustration aus der Luzerner Chronik von Diebold Schilling (Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern, Sondersammlung, Eigentum Korporation Luzern).
Ein Säumer treibt um 1500 seine schwer beladenen Maultiere durch ein Churer Stadttor. Illustration aus der Luzerner Chronik von Diebold Schilling (Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern, Sondersammlung, Eigentum Korporation Luzern). […]

Ein schwerer Stadtbrand zerstörte 1464 den grössten Teil der Stadt Chur, darunter auch das Rathaus und die darin aufbewahrten Freiheitsbriefe. Die Churer entsandten darauf ihren Stadtschreiber Johannes Gsell nach Wien zu Kaiser Friedrich III., der die kaiserlichen Freiheiten bestätigte und die Erlaubnis zur Einführung von Zünften gab. Eine auf Gewohnheitsrechten und Bruderschaften basierende Organisation hatten die Handwerker und Gewerbetreibenden schon zuvor besessen. 1464 gab sich die Bürgerschaft neu eine Zunftordnung, die nebst den berufsspezifischen Bereichen auch den Wahlmodus für die Zunftvorstände, den Bürgermeister, den Grossen und Kleinen Rat regelte. Nach der Reformation wurde diese Verfassung um den Wahlmodus für die übrigen Stadtämter ergänzt. Sämtliche Berufe waren in die fünf Zünfte der Rebleute, Schuhmacher, Schneider, Schmiede und Pfister (Bäcker) eingegliedert. In der stark von der Landwirtschaft geprägten Stadt hatten die Grundbesitzer der Rebleutezunft sowie die am Handelsverkehr beteiligten Säumer und Fuhrleute der Schmiedezunft ein starkes Gewicht. Nach dem Stadtbrand und der neuen Zunftordnung zogen vermehrt Spezialhandwerker aus dem deutschsprachigen Raum nach Chur, bürgerten sich hier ein und trugen so wesentlich zur Germanisierung der Stadt bei.

Die neue Zunftordnung bedeutete eine erhebliche Emanzipation von der bischöflichen Bevormundung. Schrittweise gelangte die Stadt auch in den Besitz des Steuerrechts und des Wachtgeldes. Die Auslösung des Hochgerichts, der sogenannten Reichsvogtei, die im Pfandbesitz des Bischofs lag, wurde ebenfalls 1464 durch den Kaiser genehmigt und 1480 bestätigt. Sie konnte aber erst 1489 durchgesetzt werden. Dem Bischof verblieben weiterhin die Besetzung der zivilen Ämter und die meisten Regalien wie Zoll, Münzrecht, Jagd, Mass und Gewicht. Diese bischöflichen Privilegien konnten erst im Zusammenhang mit der Reformation und den Ilanzer Artikeln von 1524 und 1526 abgeschafft werden. Die Versuche Churs ab 1495, freie Reichsstadt zu werden, scheiterten 1498 definitiv.

Chur war 1367 wichtigstes Mitglied des neu gegründeten Gotteshausbunds geworden und wurde später im Turnus mit Ilanz und Davos Tagungsort der Drei Bünde. Die Versammlungen in Chur fanden in der Grossen Ratsstube des nach dem Stadtbrand neu erbauten Rathauses statt. Von 1419 datiert ein Burgrecht Churs mit Zürich, das 1470 und 1496 erneuert wurde. Es sah die gegenseitige Hilfe in bedrängten Lagen vor und verschaffte Zürich eine starke Stellung im Raum der strategisch wichtigen Festung Gräpplang bei Flums über der Strasse entlang des Walensees. 1440 verbündeten sich Chur und die Vier Dörfer (Fünf Dörfer) mit dem Grauen Bund. An der ersten bündnerischen Eroberung des Veltlins 1486/1487 (Wormserzüge) beteiligten sich die Churer mit dem Hauptbanner des Gotteshausbunds unter Führung ihres alt Bürgermeisters Johannes Loher. Im Schwabenkrieg kämpfte die Churer Mannschaft unter ihrem Hauptmann und bischöflichen Vogt Heinrich Ammann im Unterengadin, im Prättigau und bei Balzers. In weiteren Kriegen ausserhalb des Landes standen Churer Truppen wiederum unter der Führung ihrer Bürgermeister, so unter Luzius Gugelberg von Moos bei der Eroberung des Veltlins 1512, unter Hans Brun und Ulrich Gerster im Zweiten Müsserkrieg 1530-1531. Im Rahmen der bündnerischen Soldverträge mit dem Ausland beteiligten sich die Churer Söldner vor allem am Kriegsgeschehen in Oberitalien. In der Bürgerschaft, vorab in den Zünften, erhob sich aber wiederholt Widerstand gegen die schädlichen Einflüsse des Söldnerwesens, so in Aufrufen und Eingaben von 1535 an den Gotteshausbund und von 1543 an den Kleinen und Grossen Rat.

Die Reformation wurde in Chur 1525-1526 eingeführt. Massgebend für ihre Durchführung war von 1523 an das Wirken des Stadtschullehrers Jakob Salzmann (zuvor Lehrer an der Klosterschule St. Luzi) und des Stadtpfarrers zu St. Martin, Johannes Comander. Comander predigte zu Ostern 1525 bereits vor einer grossen Menge den neuen Glauben. Nebst dem Widerstand der Altgläubigen machte jedoch auch die eifrige Betriebsamkeit der Täufer sowie ein Bauernansturm auf die Stadt 1525 den Reformatoren und Behörden zu schaffen. Im Anschluss an die Disputation von Ilanz 1526 dekretierten die Drei Bünde die Freiheit für jede Einzelperson, zum alten Glauben zu stehen oder den neuen anzunehmen. Die reformatorische Entwicklung wurde durch die Ilanzer Artikel von 1524 und 1526 erheblich gefördert, die zum Beispiel die Herabsetzung oder Ablösung der Zehnten und das freie Pfarrwahlrecht der Gemeinden einräumten. In Chur war – mit Ausnahme des bischöflichen Hofs – die Reformation mit der Entfernung der Bilder aus den Kirchen, der Abschaffung der Messe und der Einführung des Abendmahls im Frühjahr 1527 im Wesentlichen abgeschlossen.

Hochaltar der Kathedrale, errichtet zwischen 1486 und 1492 von Jakob Russ und seiner schwäbischen Werkstatt (Bibliothèque de Genève, Archives A. & G. Zimmermann).
Hochaltar der Kathedrale, errichtet zwischen 1486 und 1492 von Jakob Russ und seiner schwäbischen Werkstatt (Bibliothèque de Genève, Archives A. & G. Zimmermann). […]

An der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit und von der Gotik zur Renaissance entfaltete sich in Chur eine rege architektonische und künstlerische Tätigkeit. An öffentlichen Werken entstanden zwischen 1467 und 1543 das neue Rat- und Kaufhaus, 1470-1492 die Martinskirche und 1494-1500 die Regulakirche in ihren heute bestehenden Formen. 1492 schuf Jakob Russ den berühmten gotischen Hochaltar in der Kathedrale, und von 1543 stammen die sogenannten Todesbilder nach dem Vorbild Hans Holbeins des Jüngeren im bischöflichen Schloss. Die meisten Zunfthäuser wurden neu gebaut und 1538 die Stadtmauern und -tore renoviert und verstärkt. Das Theaterleben erhielt durch Aufführungen des Jüngsten Gerichts (1517) und des Spiels vom Reichen Mann und dem armen Lazarus (1541) durch Laienspieler starke Impulse. Die Bürger genossen das Renaissanceleben an politischen Festanlässen und teils mehrtägigen Hochzeitsfeiern.

In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts erfuhr das städtische Zusammenleben und Wirken eine dichte Reglementierung. Viele Verordnungen zeugen davon, vor allem solche zum Transportgewerbe und Warenhandel. Die Stadt trug auch grosse Sorge zu ihrer Land- und Alpwirtschaft. Sie erwarb vom 15. Jahrhundert an schrittweise Weideland im hinteren Schanfigg und rundete ihren Besitz 1573 mit dem Kauf der Sattelalpen von Einwohnern Arosas zu einem ausgedehnten Alpareal ab. Bereits 1636 hatten die Churer Alpen 450 Kuhrechte gezählt.

Einen schweren Schlag versetzte der Stadt der Brand von 1574. Rund 300 der insgesamt 400 Häuser fielen ihm zum Opfer. Spenden und Darlehen aus der ganzen Eidgenossenschaft ermöglichten jedoch einen raschen Wiederaufbau. Diverse Stiftungen, zum Beispiel für hausarme Leute, wurden zusätzlich geäufnet. Neue Bau- und Feuerordnungen sollten ähnlichen Katastrophen in Zukunft vorbeugen.

Zu Beginn des 17. Jahrhunderts war Chur als spanisch gesinnte Gemeinde des öftern Schauplatz von Unruhen, Aufruhr und Volksaufläufen im Zusammenhang mit den Parteiungen und fremden Kriegsdiensten. Allein 1607 fanden drei Strafgerichte in Chur statt. Die Bündner Wirren zur Zeit des Dreissigjährigen Kriegs brachten 1622 eine längere Fremdbesetzung des Landes. Chur musste während rund zehn Jahren eine kaiserliche Besatzung erdulden. Die spanische Soldateska hielt sich nur sehr lose an die Bedingungen des Besatzungsvertrags, leistete sich Übergriffe und schleppte die Pest ein. Die Last des Kriegs, der Aus- und Feldzüge, der österreichisch-spanischen sowie der französischen Besatzung kostete die Stadt Chur 1622-1636 einen Betrag von 88'844 Gulden an öffentlichen Geldern. Der Dreibündestaat konnte ihr diese Summe durch Überlassung des Churer Landeszolls und anderer Einkünfte nur teilweise abgelten. Erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erholte sich die Stadt wirtschaftlich und überwand auch den kulturellen Stillstand der Kriegsjahre.

Von der Mitte des 17. Jahrhunderts bis zur Helvetik

Nach Beendigung des Dreissigjährigen Kriegs konnte die Bürgerschaft die erlittenen Verluste rasch wettmachen. So schloss sie 1665 das Bürgerrecht und öffnete es in der Folge nur für wenige begüterte Anwärter. Die Zahl der Bürger halbierte sich daher im Lauf des 18. Jahrhunderts, während der Anteil der Aristokraten und der Reichen in der Stadt stieg. Die Hintersassen stellten trotz verschiedenen Ausweisungsbegehren vom 17. Jahrhundert an konstant etwa die Hälfte der Einwohnerschaft. Nach der Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 kamen Hunderte protestantische Glaubensflüchtlinge aus dem Piemont, Savoyen und dem Süden Frankreichs dazu. Sie wurden tatkräftig unterstützt, dann aber meist weitergeschoben. Die Verbleibenden waren wie alle Hintersassen wirtschaftlich zurückgebunden, wurden aber von eigenen Seelsorgern betreut. Die Wirtschaftsform änderte sich im 17. und 18. Jahrhundert kaum. Weiterhin widmeten sich fast alle Bürger und viele Hintersassen der landwirtschaftlichen Selbstversorgung und den Bedürfnissen des Transitverkehrs. Der Rebbau blieb in seiner grossen Ausdehnung und geringen Produktivität praktisch unverändert. Die Arbeiten wurden von Hintersassen und saisonalen Taglöhnern ausgeführt. Der für Chur bestimmende Gütertransit sank bis 1670 auf einen absoluten Tiefpunkt und erreichte erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts wieder den Stand vor den Wirren. Zur Erholung trugen Verbesserungen im Strassenbau entscheidend bei. So setzte der Churer Spediteur Thomas Massner die Sicherung des Cardinells durch, eines Strassenabschnitts am Splügenpass, während der Ausbau der Reichsstrasse von der St. Luzisteig bis Chur 1782-1786 von den Drei Bünden und Chur getragen wurde. Im 18. Jahrhundert entstanden eigentliche Handelshäuser mit Geschäftspartnern in ganz Europa. Die Zunftordnung behauptete sich auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet. Der Rat behielt trotz Klagesonntagen die Kontrolle über die Zünfter. Diese wiederum verteidigten ihr Monopol gegen die Konkurrenz der Hintersassen und der Hofzunft, aber auch gegen ausserstädtische Rivalen. Sie vereitelten so manchen Versuch zur Errichtung von Manufakturen. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurden die Zentrumsfunktionen Churs als Vorort des Gotteshausbunds sowie als Sitz von Kongress, Archiv, Landeskasse und Kanzlei der Drei Bünde in Frage gestellt. Nur dank der Vermittlung Zürichs im Malanser Spruch von 1700 und im Vergleich von 1730 konnte Chur seine Vorrechte behaupten. Einvernehmlich war dagegen trotz aller Streitpunkte das Verhältnis zwischen der Stadt und dem Churer Bischof.

Die beiden Stadtbrände von 1674 und das Hochwasser der Plessur von 1762 richteten grössere Zerstörungen an, doch änderte sich am äusseren Erscheinungsbild der Stadt wenig. Die Bautätigkeit griff indes über die Stadtmauern hinaus, und der Barock kam in vier freistehenden Herrenhäusern mit formalen Gärten sowie im Innenausbau vieler Bürgerhäuser zum Ausdruck. Noch Ende des 17. Jahrhunderts entstanden eine Lateinschule und ein Collegium musicum. Im Übrigen sorgten durchziehende deutsche Theatertruppen, gelegentliche Opernaufführungen sowie die fremden Gesandten und der Fürstbischof für etwas Glanz in der rätischen Kapitale.

Von der Helvetik bis zur Gegenwart

Verfassung, politisches System, Verwaltung und Infrastruktur

Während der französischen Besetzungen (erstmals 1799) war jeder Zunftzwang aufgehoben, und Chur wurde von einer Munizipalitätsregierung geführt. Die Mediation von 1803 erstattete den Zünften unter anderem auch ihre politische Herrschaft zurück. Die zunehmende Kritik an der Abstimmung nach Zünften statt nach Bürgerstimmen, an der fehlenden Gewaltentrennung und an der trägen Verwaltung führte 1841 zur neuen Verfassung: Die politischen, polizeilichen, administrativen, kirchlichen und schulischen Angelegenheiten oblagen einem elfköpfigen Stadtrat. Die 1850 eingeführte Einwohnerversammlung konnte nur in Kantons- und Bundessachen mitbestimmen. Die Eingemeindung des bischöflichen Hofbezirks, der 1850 240 Einwohner zählte, erfolgte 1852. Ab 1862 wurde zwischen Grossem Stadtrat (gesetzgebender Verwaltungsbehörde, 21 Mitglieder) und Kleinem Stadtrat (vollziehendem Organ, sieben Mitglieder) unterschieden. 1875 löste die Einwohnergemeinde die Bürgergemeinde als Inhaberin der Souveränitätsrechte sowie der ökonomischen und politischen Rechte ab. Ab 1904 bestand der Kleine Stadtrat aus fünf Mitgliedern; Präsident und Bauvorsteher übten ihre Funktion im Vollamt aus. Für den Grossen Stadtrat galt nach 1916 das Proporzwahlrecht. Die Aufhebung der Gemeindeversammlung erfolgte 1921, und 1928 wurde der Grosse Stadtrat auf 15 Mitglieder verkleinert. Der fünfköpfige Ausschuss des Stadtrats hatte die Verwaltung nur zu überwachen; die Leitung aller Zweige oblag dem Stadtpräsidenten. Die Revision von 1964 schuf den Gemeinderat mit 21 Mitgliedern und den Stadtrat mit drei vollamtlichen Mitgliedern. 1988 wurde die Amtszeitbeschränkung auf drei Wahlperioden bzw. zwölf Jahre auch für den Stadtrat eingeführt.

Um 1800 war Chur politisch gespalten in die konservativen «Aristokraten» aus dem Clan der Salis und die von Johann Baptista von Tscharner begründeten republikanisch gesinnten «Patrioten». Mit der Abschaffung der Zünfte begann 1840 die liberale (freisinnige) Vorherrschaft. Eine Aufweichung erfuhr diese durch die Zuwanderung aus katholisch-konservativen Gebieten und die Abspaltung der Demokraten (1919, später Schweizerische Volkspartei). Alle drei Lager besassen ihre Tageszeitung: den Freien Rätier (bis 1974), das Bündner Tagblatt und die Bündner Zeitung. Die Sozialdemokratische Partei stellte 1882 erstmals einen Vertreter im Stadtrat.

Arbeiter und Bauleiter feiern das Ende der Aufschüttungsarbeiten für die neue Kanalisation in der Oberen Gasse, 1907 (Staatsarchiv Graubünden, Chur, Bestand Lienhard & Salzborn, FN IV 18/24 C 046).
Arbeiter und Bauleiter feiern das Ende der Aufschüttungsarbeiten für die neue Kanalisation in der Oberen Gasse, 1907 (Staatsarchiv Graubünden, Chur, Bestand Lienhard & Salzborn, FN IV 18/24 C 046).

Im Fürsorgebereich wurden über die üblichen Spenden und Stiftungen hinaus 1844 das Waisenhaus, 1845 das Erziehungsheim Plankis, 1847 das Bürgerheim, 1875 das Stadtspital und 1924 das erste Altersheim eröffnet. Das 1853 gegründete Kreuzspital zog 1912 an die Loëstrasse um. Die Strassenbeleuchtung mit Öllaternen von 1820 machte 1859 derjenigen mit Gas Platz. Die Erneuerung der Wasserversorgung setzte 1880 ein. Ab 1891 lieferte ein städtisches Elektrizitätswerk Strom, das 1906, 1914 und 1947 Erweiterungen erfuhr. 1895 kaufte Chur die Gasfabrik, die 1911 neu gebaut wurde. Die Umstellung auf Erdgas erfolgte 1990. Der Bau der Kanalisation begann 1905. Das erste öffentliche Schwimmbad datiert von 1871.

Chur war im Dreibündestaat nicht Hauptstadt, sondern nur Vorort des Gotteshausbunds gewesen. Dank seiner Verkehrslage, dem Bischofssitz und der Wirtschaftskraft war es dennoch das natürliche Zentrum Graubündens. 1803 wurde es zum Standort der neuen Kantonsregierung und 1820 zum ständigen Tagungsort des Parlaments. In Chur befinden sich das Kantons- und Verwaltungsgericht sowie die zentralen Behörden und Institutionen des kantonalen Strafvollzugs. Dazu kommen die kantonale Psychiatrische Klinik Waldhaus (1892), das kantonale Frauenspital Fontana (1917) sowie das Rätische Kantons- und Regionalspital (1941). Chur ist Sitz der meisten öffentlichen und privaten kulturellen Institutionen und Vereinigungen sowie der Medien im Kanton Graubünden. Der Bund ist im eidgenössischen Subzentrum Chur vor allem durch Post, Bahn, Zoll- und Militärverwaltung (eidgenössischer Waffenplatz seit 1887) vertreten. Für die bündnerische Identität wichtig war die Calvenfeier von 1899 (Schlacht an der Calven), für das schweizerische Selbstverständnis die Eidgenössischen Schützenfeste von 1842 und 1949, die Eidgenössischen Turn- und Sängerfeste ab 1845 bzw. 1862.

Siedlung und Bevölkerung

Bau der neuen Graubündner Kantonalbank am Postplatz, März 1911 (Stadtarchiv Chur, Sammlung Salzborn).
Bau der neuen Graubündner Kantonalbank am Postplatz, März 1911 (Stadtarchiv Chur, Sammlung Salzborn). […]

Ende des 18. Jahrhunderts beschränkte sich das bebaute Gebiet auf die heutige Altstadt, das Welschdörfli und einen Streifen längs der Plessur. Der Einsturz der Mauer zwischen Untertor und Hexenturm 1829 markierte den Beginn der Expansion in das Vorgelände. Der Abbruch des Schelmenturms 1834 schuf eine zweite Einfahrt von Norden her. Postplatz und -strasse konkurrierten nun Untertor (abgebrochen 1861) und Reichsgasse. Auf dem zugeschütteten Stadtgraben entstand die Grabenstrasse mit repräsentativen Bauten (Villa Brunnengarten 1848, Villa Planta 1876, Staatsgebäude 1878, Post 1904, Kantonalbank 1911). Nach der Anlage des Bahnhofs (1858) nördlich der Stadt wurde der Postplatz zum Zentrum der Innenstadt. Akzente setzten die Umwandlung des Friedhofs Scaletta zum Stadtpark (1862) und der Bau der Loëstrasse (1890-1892), die ein neues Wohnquartier erschloss. Ein erstes umfassendes Baugesetz trat 1896 in Kraft. Die Ringstrasse (beendet 1973) zieht durch das seit ca. 1900 rapide wachsende Rheinquartier mit den frühen Wohnblock- und Hochhausüberbauungen Solaria (1961-1962) und Lacuna (1964-1981). Die Innenstadt bleibt der Citybildung mit Abbrüchen und Auskernungen von Gebäuden für Geschäfts- und Büroräume ausgesetzt. Bedeutende öffentliche Einzelbauten sind neben den bereits genannten das Quaderschulhaus (1914), die Heiligkreuzkirche (1969) und die Schutzbauten über den römischen Funden im Welschdörfli (1986).

Die Öffnung der Stadt in rechtlicher, wirtschaftlicher und baulicher Hinsicht führte zur Verdreifachung der Einwohnerzahl zwischen 1780 und 1860 sowie zur nochmaligen Verdoppelung bis 1910. Einer Stagnation in der Zwischenkriegszeit folgte nach 1950 ein rasantes Wachstum mit einem vor allem im Rheinquartier unübersehbaren Bauboom. Nach 1976 führten der sinkende Geburtenüberschuss und die zum Teil negative Wanderungsbilanz zur Stagnation bei etwas über 30'000 Einwohnern.

Wirtschaft und Verkehr

Plakat für die Postkutschen, um 1880. Lithografie von Orell Füssli (Museum für Kommunikation, Bern).
Plakat für die Postkutschen, um 1880. Lithografie von Orell Füssli (Museum für Kommunikation, Bern).

Die traditionelle Leitindustrie Churs war der Transitverkehr zwischen Süddeutschland und Oberitalien. Bereits die 1788 als Chaussee fertiggestellte Deutsche Strasse von der St. Luzisteig nach Chur liess die Frequenzen ansteigen. 1818-1823 kam die Kunststrasse über den Splügenpass und San Bernardino unter Beteiligung der Churer Spediteure zustande, die fortan die Bündner Verkehrspolitik massgebend prägten. Es folgte 1820-1840 die Fahrstrasse über den Julierpass und den Malojapass. Die Vereinigten Schweizerbahnen (VSB) erreichten Chur 1858 von Rorschach und 1859 von Zürich her. Nach Eröffnung der Gotthardbahn 1882 stellte Chur vom Transit- auf den Fremdenverkehr um, blieb aber Umsteigestation zwischen Bahn und Pferdepost bzw. VSB (ab 1902 Schweizerische Bundesbahnen, SBB) und Rhätischer Bahn (RhB). Die RhB verkehrte ab 1896 bis Thusis, ab 1903 ins Engadin und nach Ilanz sowie ab 1914 nach Arosa. Chur setzte sich für die Öffnung der Bündner Strassen für das Auto ein, unterlag aber bis 1925 in den kantonalen Abstimmungen. Die Umfahrungsstrasse von 1965 kam als Teil der A13 zustande. Im Zusammenhang mit dem starken Wachstum der Agglomeration Chur und der steigenden Pendlerzahl standen zu Beginn des 21. Jahrhunderts Fragen des Binnen-, Ziel- und Quellverkehrs im Vordergrund.

Die Ansiedlung von Textilindustrie Ende des 18. Jahrhunderts blieb ohne Erfolg. Indes verbesserten der Bau der Fahrstrassen, die Abschaffung der Zünfte und die Ankunft der Eisenbahn die Lage des peripher gelegenen Chur und führten unter anderem zur Gründung der Gasfabrik (1859) und der Spinnerei Meiersboden (1861-1886 in Betrieb). Eine Industriestadt wurde Chur jedoch nie. Meist war die Reparaturwerkstätte der VSB/SBB mit maximal 300 Arbeitern der grösste Betrieb. Traditionsreiche Firmen waren etwa die Tuchfabrik Pedolin (1789-1982), die Teigwarenfabrik (1841), die Giesserei (1892), die Schokoladenfabrik (1893) oder die Rhätischen Aktienbrauereien (Fusion 1902). Kleine Erfolge erbrachte die städtische Industrieförderung Mitte der 1950er Jahre. Die Textil- und die Metallbranche kämpften in den 1970er und 1980er Jahren mit Schwierigkeiten. Dazu kam der Auszug von Unternehmen in die Agglomeration, so 1989 derjenige der 1919 gegründeten Waagenfabrik Busch. Die gewerblich geprägte Betriebsstruktur im Churer Sekundärsektor mit einem grossen Baubereich ergänzten in den 1990er Jahren einige Elektronikhersteller. Über die zentralen Dienste der Kantonshauptstadt hinaus blieb Chur dank seiner Distanz zu grösseren Städten ein allgemeines Dienstleistungszentrum mit Schwerpunkten in Verkehrswirtschaft, Detailhandel und Schulwesen.

Kultur und Bildung, Kirche und religiöses Leben

Um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert war Chur Schauplatz vieler Volksaufläufe und Strafgerichte, die Bevölkerung war in Anhänger der alten Ordnung und solche von Reform oder Revolution gespalten. Bestehen blieb der Gegensatz zwischen bischöflicher Hofgemeinde und reformierter Bürgerstadt. Die katholische Hofschule wurde erst 1966-1967 in die Stadtschule integriert. Die starke Zuwanderung aus den oft rätoromanischen und katholischen Landgebieten Graubündens (v.a. Oberland bzw. Surselva), dem St. Galler Oberland und Rheintal sowie von italienischen und deutschen Arbeitskräften verwischte das Bild des deutschsprachigen und reformierten Chur. Seit 1970 sind beide Konfessionen gleich stark vertreten. Die ansteigenden rätoromanischen und italienischen Sprachanteile führten zur Gründung entsprechender Sprach- und Kulturvereine (z.B. Chor Viril Alpina Cuera 1898). In Chur befinden sich die Zentralen der Sprachorganisationen Pro Grigioni Italiano (1918) und Lia Rumantscha (1919).

Vorderseite der Fahne der Churer Holzarbeiter-Gewerkschaft, gestaltet für den 1. Mai 1892 (Rätisches Museum, Chur).
Vorderseite der Fahne der Churer Holzarbeiter-Gewerkschaft, gestaltet für den 1. Mai 1892 (Rätisches Museum, Chur). […]
Rückseite der Fahne der Churer Holzarbeiter-Gewerkschaft, gestaltet für den 1. Mai 1892 (Rätisches Museum, Chur).
Rückseite der Fahne der Churer Holzarbeiter-Gewerkschaft, gestaltet für den 1. Mai 1892 (Rätisches Museum, Chur).

Das Stimm- und Wahlrecht für Niedergelassene von 1874 verschob die politischen Machtverhältnisse. Obwohl in Chur kein starkes Proletariat entstand, gewann die Arbeiterbewegung an Gewicht, nicht zuletzt unter dem Einfluss deutscher und italienischer Wanderarbeiter. 1900-1914 kam es zu zahlreichen Arbeitskämpfen. In der Krisenzeit der 1930er Jahre sperrte sich Chur mit allen Mitteln gegen die Zuwanderung bedürftiger Auswärtiger.

Die Stadtschule war 1779 von Grund auf reformiert worden. Die Gründung von Kantonsschulen (evangelisch 1804, katholisch 1807, Fusion 1850) führte zur Aufgabe der städtischen Lateinschule. 1853 nahm das Bündner Lehrerseminar den Lehrbetrieb auf, 1872 die Fortbildungsschule als Vorläuferin der Sekundarschule, 1895 die Bündner Frauenschule. 1964 wurde das Abendtechnikum (die spätere Ingenieurschule der Höheren Technischen Lehranstalten) gegründet, 1987 die Höhere Wirtschafts- und Verwaltungsschule. Das 1923 gegründete Stadttheater mit eigenem Ensemble und Eigenproduktionen wurde 1992 zugunsten eines Gastspielbetriebs aufgegeben. Dessen Trägerschaft übergab die Stadt 2010 der Stiftung Theater Chur. Seit den 1970er Jahren hat sich die Klibühni Schnidrzumft etabliert. Kantonale kulturelle Einrichtungen sind unter anderem das 1872 eröffnete Rätische Museum sowie – 1919 aus dessen kunst- bzw. naturhistorischen Sammlungen hervorgegangen – das Bündner Kunstmuseum und das Bündner Naturmuseum.

Die Villa Planta, heute Bündner Kunstmuseum. Fotografie, 1991 (Bündner Kunstmuseum, Chur).
Die Villa Planta, heute Bündner Kunstmuseum. Fotografie, 1991 (Bündner Kunstmuseum, Chur). […]

Quellen und Literatur

  • Bischöfliches Archiv Chur, Chur.
  • Rätisches Museum, Chur.
  • Staatsarchiv Graubünden, Chur.
  • Stadtarchiv Chur, Chur.
  • Inventar der neueren Schweizer Architektur, 1850-1920, Bd. 3, 1982, S. 219-315.
  • Jecklin, Ursula: Churer Stadtgeschichte, 2 Bde., 1993.
  • Bühler, Linus: Chur im Mittelalter. Von der karolingischen Zeit bis in die Anfänge des 14. Jahrhunderts, 1995.
  • Verein für Bündner Kulturforschung (Hg.): Handbuch der Bündner Geschichte, 4 Bde., 2000.
Von der Redaktion ergänzt
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GND
Kurzinformationen
Ersterwähnung(en)
3. Jh. n.Chr.: Curia
Endonyme/Exonyme
Chur (deutsch)
Coira (italienisch)
Coire (französisch)
Cuira (romanisch)

Zitiervorschlag

Jürg Simonett; Jürg Rageth; Anne Hochuli-Gysel; Linus Bühler; Martin Bundi; Max Hilfiker: "Chur (Gemeinde)", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 12.06.2020. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/001581/2020-06-12/, konsultiert am 19.03.2024.