de fr it

Kaiserstuhl

Ehemalige politische Gemeinde des Kantons Aargau, Bezirk Zurzach, sowie einerseits ehemaliges Amt des Bistums Konstanz mit Rechten primär rechts des Rheins und andererseits ehemaliges Amt der gemeineidgenössischen Grafschaft Baden mit Rechten primär links des Rheins.

Gemeinde

Die ehemalige politische Gemeinde fusionierte 2022 mit Bad Zurzach, Baldingen, Böbikon, Rekingen, Rietheim, Rümikon und Wislikofen zur Gemeinde Zurzach und wurde dadurch zu einer Exklave der neuen Gemeinde. Kaiserstuhl liegt am linken Rheinufer an der Grenze zwischen den Kantonen Aargau und Zürich. Die Zwergstadt mit Rheinbrücke ins deutsche Hohentengen umfasst auf nur 32 ha Gemeindebann die steil zum Fluss abfallende, aber sehr gut erhaltene mittelalterliche Altstadt in Dreiecksform, die von Einzelbauten gebildete Vorstadt (Haus zur Linde 1764, Kapelle um 1530) sowie das neue Wohnquartier mit Bezirksschulhaus (1974) westlich der Umfahrungsstrasse. 1837 395 Einwohner; 1850 448; 1870 332; 1900 366; 1950 408; 2000 434; 2010 390; 2020 422; 2021 420.

Kaiserstuhl: Situationskarte 2021 (Geodaten: Bundesamt für Statistik, Swisstopo, OpenStreetMap) © 2022 HLS.
Kaiserstuhl: Situationskarte 2021 (Geodaten: Bundesamt für Statistik, Swisstopo, OpenStreetMap) © 2022 HLS.

Name und Wappen gehen auf die Freiherren von Kaiserstuhl zurück (1227-1234 domino Arnoldo de Keiserstul, 1236 de Kayserstule), deren Sitz wohl die den Flussübergang auf dem rechten Rheinufer bewachende Burg Kaiserstuhl war (ab 1359 auch Rötelen genannt). Der Verkauf entfernt liegender Güter beidseits des Rheins an das Kloster Wettingen durch Rudolf von Kaiserstuhl und seine Frau Adelheid von Tengen 1254/1255 ermöglichte den Ausbau der linksrheinischen Siedlung, an der auch Lütold VII. von Regensberg beteiligt war. Stadtmauer und oberer Turm (nach einem Brand 1360 auf die heutige Höhe aufgestockt) sind archäologisch um 1260 datiert. Kaiserstuhl wird 1279 als Stadt im Besitz Lütolds IX. von Regensberg erwähnt. 1294 verkaufte dessen Sohn es mit Brücke, Burg und weiteren Rechten in den umliegenden Dörfern an Bischof Heinrich II. von Konstanz. Bis 1798 wurde Kaiserstuhl von fürstbischöflich-konstanzischen Vögten auf Schloss Rötelen verwaltet, dessen niederes Gericht die Stadt bis zum gescheiterten Abfall 1402-1406 an sich zu ziehen suchte. Der eigenständige Rechtsbereich umfasste aber nur das Gebiet innerhalb der Stadtmauern und vor dem oberen Tor sowie die Flurgerichtsbarkeit im sogenannten Ehefaden beidseits des Rheins, in dem sich auf dem linken Rheinufer die Äcker und Gärten, auf dem rechten auf fünfmal grösserer Fläche Reben und Wiesen der Bürger konzentrierten. Die Bürgerschaft (eigenes Siegel 1310) wählte den Schultheissen (1287 bezeugt), den achtköpfigen Rat und das gleich grosse Gericht aus ihrer Mitte im Beisein des bischöflichen Vogtes, der fast immer ein Fremder war. Weitergehende städtische Rechtsansprüche wurden in den Verträgen von 1526, 1535, 1578 und 1687 zurückgewiesen. 1365-1366 und 1384-1385 diente Kaiserstuhl dem aus Konstanz vertriebenen Bischof als Zufluchtsort. Die Stadt war vor 1324 und 1371-1386 an Fremde verpfändet, die Burg 1359-1403 an Einheimische. Eine Privilegiengewährung erfolgte nach Einzug einer Kriegssteuer 1374. Die bischöfliche Herrschaft wurde durch den Übergang der Landeshoheit von den Habsburgern an die Grafschaft Baden (Gemeine Herrschaften) 1415 entscheidend geschwächt. Infolge seiner Lage an der konfessionellen Grenze stellte Kaiserstuhl einen wichtigen Brückenkopf für die katholischen Orte dar; in den Villmergerkriegen (Erster Villmergerkrieg 1655-1656, Zweiter Villmergerkrieg 1712) wurde der Ort von Zürich besetzt. Die gezielte Verlagerung des rheinquerenden Landverkehrs auf benachbartes zürcherisches Gebiet führte zum Rückgang der Zolleinnahmen (Zölle); von der Schifffahrt auf dem Rhein profitierte Kaiserstuhl kaum, da es kein Stapelrecht besass (Marktregulierung). Der durch Weinbau und Viehzucht, durch das Kreditwesen sowie in bischöflichen Ämtern und fremden Diensten dennoch erzielte Wohlstand zeigt sich in stattlichen Häusern (Gasthaus Zur Krone um 1550, Amtshaus des Klosters St. Blasien 1563 und 1612, Marschallhaus 1764). Die regionale Zentrumsfunktion ging 1798 durch die Abtrennung der rechtsrheinischen Gebiete beim Übergang an den Kanton Baden verloren. Nach der Zerstörung der Brücke durch die Franzosen 1799 (Franzoseneinfall) blieb der Grenzverkehr fast zwei Jahrzehnte aus.

Luftaufnahme von Kaiserstuhl von Nordosten, um 1940 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern).
Luftaufnahme von Kaiserstuhl von Nordosten, um 1940 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern). […]
Stadtansicht von Nordosten. Holzschnitt aus der Cosmographia von Sebastian Münster, verlegt von Heinrich Petri in Basel, 1540 (Staatsarchiv Aargau, Aarau).
Stadtansicht von Nordosten. Holzschnitt aus der Cosmographia von Sebastian Münster, verlegt von Heinrich Petri in Basel, 1540 (Staatsarchiv Aargau, Aarau). […]

Die Pastoration erfolgte im 15. Jahrhundert durch zwei Kapläne an der Stadtkirche St. Katharina (1366 als Kapelle erwähnt), durch den Leutpriester (1255 erwähnt) und zwei Kapläne an der Pfarrkirche in Hohentengen sowie bis 1467 durch die Dominikaner, die ein Terminhaus in Kaiserstuhl besassen. Der Armen- und Krankenpflege dienten das 1471 bezeugte Siechenhaus auf Fisibacher Boden und das von Stadt und Spitalbruderschaft getragene Spital (1484, Neubau 1778, heute Altersheim). 1530 bestand vorübergehend eine reformierte Mehrheit. 1700 wurde die Dreifaltigkeitspfründe gestiftet. Ab 1818 amtierte ein Pfarrverweser in Kaiserstuhl; 1824 wurde die Stadt mit Fisibach von Hohentengen faktisch, 1842 auch rechtlich abgetrennt. Zu der neuen römisch-katholischen Pfarrei gehören auch die Katholiken des zürcherischen Weiach.

Hochwasser beschädigten 1817 und 1876 die Rheinbrücke (Neubauten in Stahl 1890 und Beton 1985). Die Einrichtung des Postbüros 1816 und der Pferdepostlinie nach Baden stärkten noch einmal das städtische Selbstbewusstsein, das in der Gründung der Bezirksschule (1836, mit Unterbrüchen bis 2009) und der Sparkasse (1837-1916) gipfelte. Nach 1850 ging der Wohlstand zurück; die zehn beim Stadtbrand von 1861 vernichteten Häuser in der Rheingasse wurden nicht mehr aufgebaut. Die 1876 eröffnete Station Weiach-Kaiserstuhl an der Bahnlinie zwischen Koblenz und Winterthur wurde 1995 durch einen neuen Bahnhof in Kaiserstuhl ersetzt. 1870-1911 erfolgte der Aufbau einer modernen technischen Infrastruktur (Telegraf, Telefon, Strom vom Kraftwerk Beznau). Industrie siedelte sich kaum an (vorwiegend Textilindustrie, 1913 Stickerei mit 33 Beschäftigten). Die Arbeits- und Einkaufsmöglichkeiten nahmen ab den 1970er Jahren ab, ebenso zwischenzeitlich die Bevölkerungszahlen. Vor der Gemeindefusion 2022 wurde die Verwaltung 2000-2021 im Verband mit Baldingen, Böbikon, Mellikon, Rekingen, Rümikon und Wislikofen geführt. Obwohl die Gemeinde Zurzach über eine breite schulische Infrastruktur verfügt, besuchen die Schülerinnen und Schüler von Kaiserstuhl die näher gelegene Sekundarschule in Stadel im Kanton Zürich.

Ämter

Das ältere bischöflich-konstanzische Amt Kaiserstuhl, auch als Obervogtei oder Vogtei Rötelen bezeichnet, umfasste die ab 1294 vom Schloss aus verwalteten Ortschaften und niederen Gerichte in Kaiserstuhl, Hohentengen, Herdern und Lienheim (Letzteres hälftig bis 1540 mit der Burg Weisswasserstelz Lehen des Klosters Reichenau) sowie in Weiach (1295). Die Orte waren auf drei Hochgerichte aufgeteilt, nämlich ab dem 15. Jahrhundert auf die eidgenössische Grafschaft Baden, auf den Klettgau der Grafen von Sulz und auf das zürcherische Neuamt. 1798 wurde das Amt aufgehoben.

Das jüngere Amt Kaiserstuhl gehörte zur Grafschaft Baden. Zu ihm zählten die 1415 nicht eroberten bischöflich-konstanzischen Gerichtsherrschaften Kaiserstuhl ohne Weiach und Schwarzwasserstelz (Fisibach). Abgeleitet aus dem bis dahin habsburgischen hohen Gericht setzten die Eidgenossen in den Verträgen von 1450, 1520 und 1578 gegen den Willen des Bischofs linksrheinisch alle landesherrlichen Rechte durch, hinzu kam in den rechtsrheinischen, zur Neutralitätszone erklärten Dörfern das Mannschaftsrecht.

Quellen und Literatur

Weblinks
Normdateien
GND
VIAF
Kurzinformationen
Ersterwähnung(en)
1227: domino Arnoldo de Keiserstul
1236: de Kayserstule
Variante(n)
Rötelen (Vogtei)

Zitiervorschlag

Franziska Wenzinger Plüss: "Kaiserstuhl", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 29.11.2022. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/001836/2022-11-29/, konsultiert am 08.11.2024.