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Diessenhofen

Politische Gemeinde des Kantons Thurgau, seit 1798 Hauptort des gleichnamigen Bezirks. Die seit 2000 bestehende politische Gemeinde umfasst die ehemalige Munizipalgemeinde Diessenhofen mit deren ehemaligen Ortsgemeinden Diessenhofen und Willisdorf. Das Gemeindegebiet mit dem Brücken- und Grenzstädtchen Diessenhofen erstreckt sich über rund 5 km am südlichen Ufer des Hochrheins zwischen Schaffhausen und Stein am Rhein. 757 Deozincova. Politische Gemeinde: 2000 3227 Einwohner. Ehemalige Munizipalgemeinde Diessenhofen: 1527 ca. 1000 Einwohner; 1850 1616; 1900 1876; 1950 2608; 1990 3292. Ehemalige Ortsgemeinde Diessenhofen: 1870 1444 Einwohner; 1900 1401; 1950 2080; 1990 2949.

Das Lager der Eidgenossen vor den Toren der Stadt im Jahr 1460. Illustration aus der Zürcher Chronik, begonnen 1485 von Gerold Edlibach (Zentralbibliothek Zürich, Ms. A 75, S. 228).
Das Lager der Eidgenossen vor den Toren der Stadt im Jahr 1460. Illustration aus der Zürcher Chronik, begonnen 1485 von Gerold Edlibach (Zentralbibliothek Zürich, Ms. A 75, S. 228).

Stein- und bronzezeitliche Einzelfunde in den flachen Senken des Bezirks und an den Rheinufern; Münzschatz aus römischer Zeit (251-270); Überreste dreier Wachttürme des Donau-Iller-Rhein-Limes (4. Jh.). Der in einer Schenkungsurkunde des Klosters St. Gallen 757 bezeugte Ortsname verweist auf ein alemannisches Dorf, das sich wahrscheinlich auf dem Plateau südlich der ebenfalls erwähnten Kirche befand. 1178 erhob Graf Hartmann III. von Kyburg sein Dorf zur Stadt und setzte vermutlich schon damals seine Ministerialen, die Truchsessen von Diessenhofen, zur Verwaltung ein, welche spätestens 1245 mit Burg und Vogtei belehnt wurden. Im Vergleich zu Schaffhausen und Stein am Rhein blieb Diessenhofen ein bescheidener Marktort. Hartmann hielt die städtische Freiheit und Selbstverwaltung gering und nutzte den mit Burg, Bering und Brückenkopf bewehrten Ort vor allem zur Sicherung seiner Besitzungen beidseits des Rheins. Nach dem Übergang der Herrschaft an die Habsburger 1264 entwickelte sich die Stadt zu einem ihrer Eckpfeiler in den Vorlanden, wobei die Truchsessen, die auf der Burg Unterhof sassen, zeitweilig Vogtei und Schultheissenamt in einer Hand vereinigten. Ab 1320 wählte die Bürgerschaft einen Kleinen Rat von 8-12 Mitgliedern, im Verlauf des 15. Jahrhunderts dann einen 24-28-köpfigen Grossen Rat. Nachdem die Herzöge von Österreich 1349 die Vogtei aus der Pfandschaft der Truchsessen gelöst und an andere Ministerialengeschlechter vergabt hatten, gewann die Bürgerschaft zunehmend an Bedeutung. Der Einflussverlust der Habsburger und der Niedergang der Truchsessen liessen die Stadt 1415-1442 reichsfrei werden. 1460 wurde Diessenhofen im Zuge der Eroberung des Thurgaus von den Eidgenossen nach zehntägiger Belagerung eingenommen; es behielt jedoch wie Frauenfeld gewisse Privilegien in der gemeinen Herrschaft Thurgau. Diese umfassten die Hoch- und Niedergerichtsbarkeit und die kurz zuvor erworbenen Zoll-, Steuer- und Vogteirechte (mit Schloss), ab 1574 zudem die Herrschaft über die linksrheinischen Besitzungen des Klosters Paradies sowie vom 16. Jahrhundert an die meisten Niedergerichte im Gebiet des heutigen Bezirks. Gerichtsurteile wurden nicht an den Landvogt in Frauenfeld, sondern direkt an die eidgenössischen Instanzen der neun Orte (im Gegensatz zum übrigen Thurgau mit Bern und Schaffhausen) weitergezogen; die Stadt hatte lediglich alle zwei Jahre dem thurgauischen Landvogt zu huldigen, wenn dieser bei Amtsantritt die Lehen feierlich erneuerte.

Die Stadt und ihre Umgebung um 1643. Radierung, die 1654 in der Topographia Helvetiae, Rhaetiae et Valesiae von Matthaeus Merian erschien (Universitätsbibliothek Bern, Sammlung Ryhiner).
Die Stadt und ihre Umgebung um 1643. Radierung, die 1654 in der Topographia Helvetiae, Rhaetiae et Valesiae von Matthaeus Merian erschien (Universitätsbibliothek Bern, Sammlung Ryhiner).

Das Patrozinium der Kirche St. Dionysius ist 1468 erwähnt; das Patronatsrecht war im 12. Jahrhundert samt Hof im Besitz des Thurgaugrafen, kam spätestens 1230 an die Kyburger, 1264 mit der Stadtherrschaft an die Habsburger und wurde ab 1383 faktisch von der Bürgerschaft ausgeübt (1415 bestätigt). 1524 traten zahlreiche Bürger zur Reformation über. 1529 wurde die Messe abgeschafft, ein reformierter Pfarrer bestellt und die Kirchengüter eingezogen. Die Stadt Diessenhofen unterstützte Zürich im Zweiten Kappelerkrieg 1531; nach der Niederlage der Reformierten stellten die katholischen regierenden Orte 1532 die Messe wieder her. Das seither bestehende Simultanverhältnis endete erst mit dem Bau der katholischen Kirche 1966-1967. 1349 wurde die jüdische Gemeinde von Diessenhofen ausgelöscht. Der 1401 gegen einen Juden durchgeführte Ritualmordprozess zog weitere Verfolgungen in Winterthur und Schaffhausen nach sich. Zwischen Diessenhofen und Schaffhausen liegen die im 13. Jahrhundert gegründeten Klosteranlagen St. Katharinental und Paradies, die bis zu ihrer Aufhebung im 19. Jahrhundert von Frauenkonventen besetzt waren.

Seit dem Frühmittelalter prägte der Ackerbau die Landwirtschaft des Bezirks (Kornkammer des Thurgaus). Bereits im 9. Jahrhundert wird der im Hochrheingebiet weit verbreitete Weinbau erwähnt. Bis ins 19. Jahrhundert war die Stadt vor allem von Ackerbürgern bewohnt, versorgte sich weitgehend selbst und fungierte als Ort des Austauschs zwischen der Landschaft und den umliegenden Städten (v.a. Schaffhausen und Zürcher Gebiet). Im 12. Jahrhundert sind ein Wochenmarkt, ab 1387 deren zwei und bis ins 19. Jahrhundert acht Jahrmärkte belegt. Das Gewerbe deckte die einfachsten Bedürfnisse der Stadt und ihres beschränkten Marktgebiets und war zur Bildung von gewerblich orientierten Zünften zu schwach. In Diessenhofen dominierte nie ein einzelner Wirtschaftszweig oder ein Spezialhandwerk. Auch hatte der Ort am Leinenhandel, der im ganzen Bodenseegebiet zur internationalen Exportindustrie emporgewachsen war, keinen merklichen Anteil genommen. Die Lage am Rhein begünstigte die Fischerei. Ausserdem profitierte Diessenhofen vom Salzhandel; Brücken- und Durchgangszölle stellten bis zur Abschaffung der Binnenzölle 1848 die wichtigste Einnahmequelle der Stadt dar. Um 1830 setzte die Industrialisierung mit den ersten Stofffärbereien und Stoffdruckereien ein, die ihren Höhepunkt nach 1900 in der Ansiedlung zahlreicher Textilbetriebe erreichte; ab dem 17. Jahrhundert existierten Gerbereien und Bleichereien. Seit dem frühen 19. Jahrhundert sind Mühlen und Sägereien bezeugt. Das Holzgewerbe (Zimmerei, Schreinerei und Möbelbau) spielt noch heute eine wichtige Rolle in Diessenhofen. Die Ziegeleien bei Schupfen und Paradies, die seit dem Spätmittelalter die reichen Tonerde-Vorkommen ausbeuteten, entwickelten sich um die Wende zum 20. Jahrhundert zu grösseren Industrieunternehmen. Diejenige in Paradies war noch im Jahr 2000 in Betrieb. Daneben existieren zwei industrielle Grossbetriebe (Werkzeug- und Formenbau, Kerzenfabrikation), mehrheitlich jedoch mittlere und kleinere Werkstätten. Den grössten Beschäftigungsanteil nahm 2000 der 3. Sektor mit ca. der Hälfte der Beschäftigen ein. 50% der Erwerbstätigen waren Wegpendler (v.a. nach Schaffhausen). Die 1894 eröffnete Eisenbahnlinie Etzwilen-Schaffhausen und der Aufbau eines kantonalen Strassennetzes im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts verdrängten zunehmend die – seit 1825 mit Dampf betriebenen – Transportschiffe, sodass die Rheinschifffahrt heute fast ausschliesslich dem Tourismus dient. Seit 1983 wird Diessenhofen durch eine Umfahrungsstrasse längs des Rheins vom Durchgangsverkehr entlastet.

Als Grenzort war das Städtchen Diessenhofen wiederholt von Kampfhandlungen betroffen, insbesondere während des Zweiten Koalitionskriegs (1799-1801) und des Zweiten Weltkriegs, als jeweils die 1292 erstmals erwähnte Holzbrücke über den Rhein schwer beschädigt wurde. Nach 1900 entwickelte sich die kleinstädtische Siedlung unter Wahrung der mittelalterlichen Bausubstanz entlang neuer Strassenachsen weiter, vor allem gegen Süden zum 1894 eröffneten Bahnhof. Diessenhofen bildet heute als grösster Ort des Bezirks (über 50% Bevölkerungsanteil), als Sitz von Bezirksamt, Bezirksgericht und Oberstufenschule sowie als Zentrum der regionalen Konsumgüterversorgung dessen Schwerpunkt und ist seinerseits verkehrsgeografisch und wirtschaftlich auf das nahe gelegene Schaffhausen ausgerichtet.

Der Bezirk Diessenhofen wurde 1798 als Verwaltungsdistrikt dem Kanton Schaffhausen, 1800 definitiv dem Kanton Thurgau zugeordnet. In der Helvetik entstanden im Bezirk Diessenhofen fünf Munizipalgemeinden, die in etwa die alten, weiterhin bestehenden Bürgergemeinden Diessenhofen, Basadingen, Unterschlatt, Oberschlatt und Schlattingen umfassten. 1803 wurden sämtliche Munizipalitäten zu einer einzigen zusammengefasst, die dann 1816 wiederum in die zwei Munizipalgemeinden Diessenhofen (mit Willisdorf) und Basadingen (mit Ober- und Unterschlatt und Schlattingen) aufgeteilt wurde. Nach 1869 fielen die wichtigsten öffentlichen Aufgaben fortan den sechs Orts(einwohner)gemeinden des Bezirks (Diessenhofen, Basadingen, Unterschlatt, Mett-Oberschlatt, Schlattingen und Willisdorf) sowie den zwei Munizipalgemeinden zu. Im Zuge der Thurgauer Gemeindereorganisation wurden die Orts- und Munizipalgemeinden 1999 bzw. 2000 aufgehoben und in politische Gemeinden umgewandelt. 2000 zählte der Bezirk Diessenhofen 6239 Einwohner, 52% gehörten der reformierten Konfession an.

Quellen und Literatur

  • A. Raimann, Diessenhofen, 1985
  • Kdm TG 5, 1992
  • E.C. Lutz, Das Diessenhofener Liederblatt, 1994
  • A. Baeriswyl, M. Junkes, Der Unterhof in Diessenhofen, 1995
  • S. Netzle, «Diessenhofen als Schaffhauser Bez. der Helvetik», in SchBeitr. 74, 1997, 45-82
  • V. Baumer-Müller, Diessenhofen in der Barockzeit: 17. und 18. Jh., 2003
Weblinks
Normdateien
GND

Zitiervorschlag

Simon Netzle: "Diessenhofen", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 13.04.2005. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/001891/2005-04-13/, konsultiert am 28.03.2025.