Politische Gemeinde des Kantons Tessin, Bezirk Locarno. Die Gemeinde ist Teil der Agglomeration der Stadt Locarno, liegt am Ufer des Langensees entlang der Kantonsstrasse und wird durch die Bäche Ramogna und Rabissale begrenzt. Früher umfasste sie die drei Weiler Muralto, San Vittore und Burbaglio. 1881 trennte sich Muralto von Orselina. 1235 Muralto. 1850 (einschliesslich Orselina) 782 Einwohner; 1888 1019; 1900 1502; 1910 1950; 1950 2673; 1970 3090; 2000 2676; 2010 2672; 2020 2537.
Römerzeit

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden römische Siedlungsspuren entdeckt. Die Funde dieser ersten Grabungen sind verloren oder sie werden in den Museen von Locarno, Bern und Zürich aufbewahrt. 1936-1937 und 1947 wurden gründlichere Grabungen durchgeführt, die eine grosse Nekropole zu Tage förderten. Dokumentierte Rettungsgrabungen an verschiedenen Stellen folgten dann 1977 und 1989. Gemäss den Grabungsbefunden lag in dem vorher wahrscheinlich unbesiedelten, von mehreren Bächen durchflossenen Gebiet ein römischer vicus, der sich am Seeufer und in den darüberliegenden Geländestufen entfaltete. Auf der obersten Terrasse erstreckte sich ein riesiges Gräberfeld, in dem bis heute 300 Gräber entdeckt wurden. Diese enthielten reiche Beigaben, darunter Münzen, Terrakottastatuetten und Glasgegenstände aus dem 1.-2. Jahrhundert n.Chr. Bemerkenswert ist der heiss dekorierte Vogelbecher (20-50 n.Chr.). Die Fundstelle gilt als noch nicht erschöpft. Unterhalb der Nekropole lag das Gewerbeviertel, das Läden und eine Werkhalle aus dem 1. Jahrhundert umfasste. Dieser im 3. Jahrhundert umgebaute Gebäudekomplex bestand aus einer Werk- und Markthalle mit Thermen, Schmiede, Glasschmelzofen, Getreidespeicher und Lagerräumen für Quarz und Lavez. Auf der untersten Terrasse befanden sich Wohnbauten, daneben sind ein provisorisches Truppenlager aus dem 1. Jahrhundert v.Chr. und römische villae aus dem 1. Jahrhundert n.Chr. nachgewiesen. Überreste von Mauerwerk und Kanälen zeugen davon, dass der Ort geschützt und die Wasserversorgung sichergestellt werden musste. Die Grösse des vicus lässt vermuten, dass damals intensive Handelsbeziehungen zwischen den Alpentälern und der Poebene bestanden, die auf dem Wasserweg über den Langensee und die Flüsse Tessin und Po direkt miteinander verbunden waren.
Vom Mittelalter bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts
Der ehemalige Handelsplatz wurde Anfang des 5. Jahrhunderts verlassen, während das Gelände um die Kirche San Vittore bis heute besiedelt geblieben ist. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit bildeten Muralto und Orselina zusammen die Nachbarschaft Consiglio Mezzano, eine der grössten in der Landschaft Locarno. Die Nachbarschaft umfasste ursprünglich die Fraktion am Berghang (die Squadra di Sopra, das heutige Orselina) und die Fraktionen am Seeufer (die Squadra di Sotto sowie die Squadra di Basso, bestehend aus den Siedlungen Consiglio Mezzano, Muralto und Burbaglio). 1803 wurde Muralto eine Fraktion der Gemeinde Orselina. 1881 führten Meinungsverschiedenheiten zwischen dem oberen und dem unteren Teil der Gemeinde zur Abspaltung von Muralto, das fortan eine eigene Gemeinde bildete. 1903 bzw. 1908 verselbstständigten sich auch die beiden Ortsbürgergemeinden.
Der erste Bau der Kirche, die von Anfang an San Vittore geweiht war, wurde im 5.-6. Jahrhundert auf den Ruinen einer römischen villa des 1. Jahrhunderts errichtet. Als Mutterkirche der Pieve Locarno und Zentrum der christlichen Verkündigung dehnte die Kirche San Vittore ihre Gerichtsbarkeit auf die ganze Pieve Locarno aus, zu der bis Anfang 15. Jahrhundert auch das Maggiatal gehörte. Die heutige Kirche San Vittore von Locarno, die zwischen 1090 und 1100 erbaut wurde, diente bis 1816 als Stiftskirche, danach beanspruchte die Kirche Sant'Antonio in Locarno die Privilegien für sich, indem sie die Güter und Rechte erwarb. 1816 wurde San Vittore die Kirche der Gemeinde Orselina. Kirchlich trennte sich Muralto 1926 von Locarno und wurde eine selbstständige Pfarrei. Das Chorherrenstift plebis S. Victoris de Locarno, dem vom 13. bis 15. Jahrhundert neben dem Erzpriester acht Chorherren angehörten, wurde 1152 erstmals erwähnt. Wahrscheinlich existierte das Stift aber bereits im Frühmittelalter; die ältesten bekannten Statuten des Kapitels datieren von 1487. Um die Mitte des 12. Jahrhunderts erhielt die dreischiffige Kirche mit Krypta einen bedeutenden romanischen Freskenzyklus. Er kam bei der Restaurierung 1965-1984, die praktisch alle Eingriffe des 19. Jahrhunderts rückgängig machte, wieder zum Vorschein. Im 14. und 15. Jahrhundert traten Fresken im gotischen Stil hinzu. Der Glockenturm – mit einem aus dem Visconti-Schloss in Locarno stammenden Basrelief des heiligen Viktor zu Pferd (1460-1462) – entstand 1524-1527 und wurde 1932 aufgestockt. 1745 wurde die Totenkapelle (Beinhaus) mit einer kleinen Vorhalle angebaut. 1857 malten Giacomo Antonio Pedrazzi und Giovanni Antonio Vanoni die Kirche aus. Daneben stand bis 1905 die 1264 erstmals erwähnte Kirche Santo Stefano, die wahrscheinlich auf das Frühmittelalter zurückgeht. Sie wurde abgerissen, um Platz für einen Hotelpark zu schaffen. In Muralto ist ausserdem eine frühmittelalterliche Burg bezeugt, die der Bischof von Como um 1190 Beltramo und Gaffo de Muralto zu Lehen gab. Die Familie Muralto wurde mit dem Titel Capitanei belehnt und gehörte fortan der Adelskorporation von Locarno an. Die Burg wurde um 1380 zerstört; die wenigen Überreste, die Ende des 19. Jahrhunderts noch freigelegt werden konnten, stammen wahrscheinlich von Befestigungsanlagen, die die Muralto im 15. Jahrhundert errichten liessen.
Im Mittelalter und in der Neuzeit besass die Nachbarschaft Consiglio Mezzano Güter in der Magadinoebene bis Contone. In den am Berghang gelegenen Fraktionen herrschten Ackerbau und Weidewirtschaft vor, während die Siedlungen am Seeufer vor allem von der Fischerei und dem Schiffsverkehr lebten. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts etablierte sich Locarno als regionales Zentrum, zum Nachteil vor allem von Orselina: Der Hafen von Muralto verlor infolge der Konkurrenz durch den 1825-1826 neu erbauten Hafen in Locarno seine Bedeutung. Ebenso wurde die Salzraffinerie, die am Wildbach Ramogna lag, durch das 1829 erbaute Locarneser Salzlager verdrängt. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden im Zuge des Anschlusses an die Eisenbahn 1874 im unteren Teil der Gemeinde gewerbliche und touristische Unternehmungen, während in den höher gelegenen Gebieten weiterhin traditionelle Landwirtschaft betrieben wurde. Muralto erlebte einen eigentlichen industriellen Aufschwung und wurde zu einem führenden Zentrum der Gegend; so siedelten sich in der Gemeinde Industrieunternehmen wie 1874 die Birreria Nazionale, 1886-1895 die Spinnerei Bacilieri, sowie einige Uhrenfabriken an, die vor allem zwischen dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Mitte des 20. Jahrhunderts tätig waren. Auch die ersten modernen touristischen Einrichtungen der Region entstanden in Muralto: 1874-1876 das Grand Hôtel und 1886 das Hotel Reber, die beide 2006 geschlossen wurden, sowie 1894 das Park Hôtel, auf dessen Gelände 1986 ein Altersheim errichtet wurde. 1893 führte Muralto als erste Gemeinde der Region die elektrische Beleuchtung ein. 1902 wurde das Kino Esperia eröffnet. Das starke Bevölkerungswachstum zwischen 1888 und 1910 geht auch auf den Zuzug aus der Deutschschweiz zurück. 1891 wurde daher eine Deutschschweizerschule (bis 1994) und 1901 eine reformierte Kirche errichtet. 1925 erreichte die reformierte Kirchgemeinde ihre Selbstständigkeit und erhielt einen eigenen Pfarrer. Ab Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelte sich Muralto zum Tourismusort und zur Wohngemeinde mit einem Mehrzweck-Kongresszentrum von regionaler Bedeutung. Die bauliche Entwicklung zwischen 1950-1970 hat die aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert stammende und von zahlreichen Villen und Parks geprägte Siedlungsstruktur am Fusse des Bergs völlig verändert. 2000 war ein Fünftel der Bevölkerung deutschsprachig. Fast drei Viertel aller Beschäftigten kamen von auswärts. 2005 entfielen rund 95% der Arbeitsplätze in der Gemeinde auf den Dienstleistungssektor.