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NyonGemeinde

Politische Gemeinde des Kantons Waadt, seit 1798 Hauptort des Bezirks Nyon, zwischen Jura und Genfersee gelegen. Der alte Kern von Nyon rechts der Asse teilt sich in die Oberstadt, die auf den Überresten der römischen Siedlung auf dem Hügel gebaut wurde, und die Unterstadt, die das Quartier Rive am Seeufer an der Strecke Lausanne-Genf umfasst. Entlang der Zufahrtsstrassen entstanden im Osten Wohnquartiere, im Westen Industriezonen. 367/407 civitas Equestrium id est Noiodunus (in der "Notitia Galliarum"), 1236 Neveduni, 1292 Nyons, deutsch früher Neuss. 1412 160 Feuerstätten; 1452 100; 1550 151; 1764 1734 Einwohner; 1850 2471; 1900 4882; 1950 6064; 2000 16'182.

Einige seltene neolithische Funde aus dem 19. Jahrhundert sowie Bronzeringe und eine Siedlung aus der Bronzezeit im Norden der Stadt sind die einzigen Zeugen der Urgeschichte Nyons. Aus der Zeit der Helvetier sind einzig einige vorrömische Münzen erhalten. Die römische Geschichte der Stadt beginnt zwischen 46 und 44 v.Chr. mit der Gründung der Colonia Iulia Equestris. Im 5. Jahrhundert liessen sich gemäss der "Vita Patrum Iurensium" ("Vie des Pères du Jura") die ersten Christen in Nyon nieder. Die dauerhafte Besiedlung ist durch die Gräber der Nekropole Nyon-Clémenty (5.-8. Jahrhundert) belegt.

Mittelalter

In karolingischer Zeit scheint das Gebiet von Nyon zur Grafschaft Genf gehört zu haben – gemäss einer Urkunde Rudolfs II. von Burgund von 926 herrschte hier ein comes de pago Equestrico –, bevor es unter dem Zweiten Königreich Burgund davon abgetrennt wurde. 1032 überliess Rudolf III. Nyon dem Erzbischof von Besançon, der ein Viztum errichtete und es dem Herrn von Prangins zum Lehen gab. Um 1130 hielt Humbert de Cossonay, Herr von Prangins, in Nyon Gericht. Ab 1211 ist ein Markt belegt, 1204 ein Mistral. 1272 liess sich Philipp I. von Savoyen vom Erzbischof von Besançon die Hoheitsrechte über Nyon bestätigen. Aymon de Prangins musste trotz seines Widerstands 1279 dem Grafen von Savoyen huldigen. 1293 eroberten Graf Amadeus V. und sein Bruder Ludwig I., der Herr der Waadt, die Stadt, nachdem sie diese vom Land her und vom See aus belagert hatten. Sie bestätigten Nyon das von Aymon de Prangins verliehene Stadtrecht und gewährten weitere Freiheiten, von denen bereits die Stadt Moudon profitierte. Dadurch wurde Nyon eine der vier bonnes villes des Waadtlands. Ludwig I. begann Nyon 1294 als Herrschaftszentrum auszubauen, nachdem ihm Amadeus V. seinen Anteil an den Eroberungen abgetreten hatte. Er schuf einen Rechnungshof und eine Münzstätte, in der 1286-1350 Münzen für die Herren der Waadt geprägt wurden. 1323 übertrug Ludwig II. der Stadt die sogenannten Berge von Nyon, d.h. Weiden und Wälder im Gebiet von Arzier und Saint-Cergue. Das noch 1337 erwähnte Viztum wurde durch eine Kastlanei ersetzt. Ab 1359 büsste Nyon an Wichtigkeit ein, nachdem Amadeus VI. seine Oberherrschaft (als Ältester der Dynastie) über die Waadt zurückerworben hatte; 1430 wurden aber immer noch Münzen geprägt. 1364 ersetzte das Stadtrecht von Morges dasjenige von Nyon, 1439 wurde es bestätigt. Damit erlangte die Stadt eine grössere Selbstständigkeit. Nach einem ersten Einmarsch der Eidgenossen 1530 kapitulierte Nyon 1536 kampflos vor den bernischen Truppen, die nach Divonne im Pays de Gex weiterzogen, um dort die Genfer zu unterstützen.

Das 1272 erwähnte Schloss geht wahrscheinlich auf die Herren von Prangins zurück und wurde von Ludwig I. von Savoyen wieder aufgebaut. Der viereckige Gebäudekomplex (verschiedene Stilrichtungen) erfuhr um 1463 wichtige bauliche Veränderungen. Der quadratische Turm, Césarturm oder Tour de Rive genannt (heute ein Wohnhaus), scheint einer der Wehrtürme der Stadt gewesen zu sein. Ab 1323 ist in Nyon ein Stadtrat für die kommunale Verwaltung erwähnt, der sich aus acht Prokuratoren (Vorstehern) und Bürgermeistern zusammensetzte. Wenig später wurde er durch eine Gemeindeversammlung und einen engeren Rat ersetzt, der aus zwei Bürgermeistern (Syndics) bestand. Das Rathaus ist seit 1508 erwähnt.

Wahrscheinlich in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts wurde in Nyon ein Benediktinerpriorat gegründet, das 1244 durch einen Tausch an die Augustiner gelangte. Der letzte Prior vor der Reformation 1535 war Aymon de Gingins, Abt von Bonmont und gewählter Bischof von Genf. 1295-1296 gründete Ludwig I. von Savoyen das Franziskanerkloster unter dem Patronat des heiligen Franziskus, in dem mehrere Mitglieder des Hauses Savoyen begraben wurden. 1530 plünderten die Berner und Freiburger das Kloster ein erstes Mal, die Berner zerstörten alle Heiligenbilder. 1536 wurde es von der sich zurückziehenden savoyischen Garnison nochmals gebrandschatzt.

1110 bestätigte der Bischof von Genf der Benediktinerabtei von Saint-Oyend (Saint-Claude) den Besitz der Kirche Notre-Dame, die mit Material aus der Römerzeit erbaut worden war und einen ersten christlichen Sakralbau ersetzte. Der romanische Chor datiert aus dem 12. Jahrhundert, das Kirchenschiff von 1448. Das Gewölbe und die Seitenkapellen wurden 1470-1481 erbaut. Die ausserhalb der Stadtmauern gelegene Kirche Saint-Jean-Baptiste, auch Corps-Saints genannt, ist 1346 erwähnt. Wie Notre-Dame wurde sie spätestens ab 1412 vom Augustinerpriorat verwaltet. Bis zur Reformation war sie ein viel besuchter Pilgerort, an dem Reliquien der Märtyrer der Thebäischen Legion verehrt wurden. 1537 liess die Berner Herrschaft die Kirche zerstören.

Das zwischen 1246 und 1560 belegte Siechenhaus von Colovray stand in der Nähe des Galgens an der Strasse nach Genf; ihm war die Kapelle Saint-Nicolas angegliedert. Ein Spital und Schulen sind ab dem 14. Jahrhundert belegt. Der Hafen von Rive ist 1437 erwähnt; in seiner Nähe wurde im 15. Jahrhundert eine Lagerhalle für Güter errichtet. An den Kanalanlagen der Asse lagen mehrere Gewerbebetriebe, insbesondere Mühlen (drei von ihnen, die sich zwischen Saint-Jean und Rive befanden, gehörten ab dem 14. Jahrhundert zum Kloster Les Cordeliers), und ein 1533 bezeugtes Hammerwerk.

Ancien Régime

1536-1798 war Nyon Sitz des bernischen Landvogts und behielt dank mehrerer obrigkeitlicher Entscheidungen zu seinen Gunsten einen grossen Teil seiner Rechte. So wurde das Vogteigericht in Nyon anstelle von Moudon Appellationsinstanz. Ab 1568 fand ein Jahrmarkt statt. Das 1574-1580 zum Vogteisitz umgebaute Schloss wurde bis ins 18. Jahrhundert mehrfach erneuert. 1558 ergänzte ein Rat der Fünfzig, 1578 ein Rat der Vierundzwanzig den engeren Rat, dessen Mitglieder die Gemeindeversammlung wählte. Sie setzte sich aus Adligen, Bürgern und Habitants zusammen. Später umfasste die Behörde von Nyon einen Rat der Zwölf und einen Rat der Vierundzwanzig, an dessen Spitze ein Bannerherr stand. Weiter gab es die üblichen Ämter wie den Schreiber, den Mistral und den Spitalvogt.

Theodor Beza leitete in Nyon 1570 – vor seiner Rückkehr nach Frankreich – die Regionalversammlung geflüchteter protestantischer Geistlicher. Nach der Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 kamen zahlreiche Hugenotten nach Nyon, die 1688 die Vorsorgestiftung Bourse française gründeten. Die Kirche Notre-Dame wurde 1661-1718 mehrmals umgebaut. 1786 erneuerte Hans-Ulrich Heldt das Collège, das sich in einem 1559 erworbenen Gebäude befunden hatte, im klassizistischen Stil. Das Spital hatte 1539 die konfiszierten geistlichen Güter erhalten und wurde wahrscheinlich ins Amt des Augustinerklosters verschoben. 1718 begann die Schleifung von Teilen der Stadtmauer und der mittelalterlichen Tore. Das Rathaus wurde 1773 umgebaut. 1720 liess Louis de Saint-Georges, Minister des englischen Königs, das Schloss Changins erbauen.

Nyon verband als Warenumschlagplatz und Achsenkreuz am rechten Genferseeufer Frankreich mit Italien. Aus dem Burgund und der Freigrafschaft gelangten die Waren (Getreide, Holz) vom Col de la Givrine und von Saint-Cergue über Nyon nach Genf. 1537-1576 wird der Zollposten von Nyon in den Abrechnungen des Seckelmeisters der welsch-bernischen Vogteien als der Einträglichste erwähnt; 1772-1773 bescherte er Höchsteinnahmen. Im 18. Jahrhundert wuchsen der Handel und das Gewerbe stark. Den regelmässigen Warenaustausch ermöglichten vier, ab 1738 fünf Jahrmärkte. Ein Kornhaus wurde im 18. Jahrhundert erbaut. Die Berner erneuerten die Kanalanlagen an der Asse, deren Wasserkraft die Gerbereien, Sägereien und Mühlen antrieb. Die 1769 gegründete Faïencerie Baylon (Steingutfabrik) und die 1781 entstandene Porzellanmanufaktur von Jacob Dortu und Ferdinand Müller trugen zum Ansehen von Nyon bei.

Die Stadt war eines der aktivsten Zentren der revolutionären Bewegung im Waadtland. Am 15. Juli 1791 nahmen mehrere Adlige aus Nyon an der Fête de l'arc, einem beliebten Bankett in Rolle, teil. Die Räte von Nyon bildeten einen Aufsichtsausschuss und verweigerten Bern am 10. Januar 1798 die Huldigung. Einige Tage später sicherte der französische General Philippe Romain Ménard die Unterstützung für die Unabhängigkeit des Waadtlands zu. Diese Proklamation, von Abgeordneten von Nyon nach Lausanne überbracht, führte schliesslich am 24. Januar 1798 zur Waadtländer Revolution.

Nach 1798

Nyon wurde zum Hauptort des gleichnamigen, 1798 gebildeten Bezirks. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts fuhr die Stadt mit dem Abbruch der Stadtbefestigung fort, liess jedoch Mauerreste bei der Promenade des Marronniers und beim Tor Notre-Dame stehen. Im Lauf des 19. Jahrhunderts wurde die reformierte Pfarrkirche mehrmals umgebaut, 1839 eine katholische Kapelle geweiht und 1872 eine Kapelle der Eglise libre errichtet. Mit dem Bau der Eisenbahnlinie Lausanne-Genf und des Bahnhofs 1858 entstand im Norden ein neuer Entwicklungsschwerpunkt. Die Eisenbahnverbindungen Nyon-Crassier-Divonne (1905) und Nyon-Saint-Cergue-Morez (1916, seit 1958 mit Halt in La Cure) verbanden Nyon mit seinem Hinterland. Um die Bedürfnisse der Wirtschaft, der Schifffahrt und des entstehenden Tourismus zu stillen, wurden 1838 ein Hafen und 1873 Quais errichtet. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war der Verkauf von Holz aus den Allmendwäldern Nyons hauptsächliche Einnahmequelle. Unter anderem wurden Gerbereien (bis 1925), Schreinereien, Sägereien (bis 1935), Mühlen (darunter diejenige, aus der die Firma André & Cie. hervorging), Küfereien sowie eine Seifenfabrik betrieben. Die Faïencerie Baylon gab ihre Tätigkeit 1828 auf. Die Porzellanmanufaktur Dortu et Müller stellte den Betrieb 1813 vorübergehend ein; die wieder aufgenommene Produktion von Keramiken im Jugendstil scheiterte 1878. Von da an wurde bis 1980 gewöhnliches Steingut fabriziert. In Nyon haben sich die Teigwarenfabrik Sangal SA (1860-1996), Zyma (1906, seit 1996 Novartis Consumer Health Swiss), Stellram (Hartmetallbehandlung, 1940-1999), Cherix et Filanosa SA (Druckerei und grafisches Gewerbe, 1932) sowie mehrere Werkzeugfabriken niedergelassen. Ab 1966 verzichteten die Betriebe auf die Wasserkraftnutzung; um 1974 waren die Schleusen und Leitungen an der Asse verschwunden.

Plakat für das Paléo Folk Festival 1983, gestaltet vom Atelier Bavaud (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).
Plakat für das Paléo Folk Festival 1983, gestaltet vom Atelier Bavaud (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste). […]

1858 erfolgte die Gründung der psychiatrischen Privatklinik La Métairie. Das 1877 reorganisierte Bezirkskrankenhaus wurde 1938 durch ein Regionalspital ersetzt (seit 1999 Groupement hospitalier de l'ouest lémanique SA). 1916 übernahm der Bund die 1886 gegründete kantonale Weinversuchsanstalt und wandelte sie in die Eidgenössische Forschungsanstalt für Pflanzenbau Changins um (seit 2006 Agroscope Changins-Wädenswil), eine Ingenieurschule für Önologie, Reb- und Obstbau. Mehrere Museen (1860 Musée historique et des porcelaines, 1950 Musée du Léman, 1979 Römisches Museum) und Festivals (seit 1969 internationales Filmfestival Visions du réel, seit 1999 internationales Festival archäologischer Filme, seit 1976 Paléo Festival) beleben das kulturelle Angebot. Seit 1995 ist Nyon auch Sitz der Union of European Football Associations (Uefa).

Der erste Zonenplan stammt von 1949. Seit den 1960er Jahren stieg die Einwohnerzahl Nyons überdurchschnittlich an. Die daraus folgende Stadtentwicklung fand hauptsächlich auf der nördlichen Seite der Bahngeleise der SBB statt, die Nyon in zwei Teile trennen. Seit 1980 gehört die Stadt zur Agglomeration Genf, seit 1997 zum Agglomerationsprogramm Frankreich-Waadtland-Genf. Sie besitzt ein grosses ökonomisches Entwicklungspotenzial. 2000 waren drei Fünftel der Werktätigen Pendler.

Quellen und Literatur

  • J.-R. Bory, Nyon a 2000 ans, 1958
  • E. Pelichet, Le château de Nyon, 21963
  • R. Joris et al., Nyon, hier, aujourd'hui, demain, 1982
  • G. Rochat, Le bief de l'Asse, 1984
  • C. Martin, «Les princes de Savoie et leur atelier monétaire de Nyon», in La Maison de Savoie et le Pays de Vaud, hg. von A. Paravicini Bagliani, J.-F. Poudret, 1989, 123-161
  • F. Flouck, «Nyon, Genève et le chemin de Bourgogne», in Paysages découverts 2, 1993, 91-111
  • HS III/1, 953-955; IV/2, 374-380; V/1, 404-406
  • H.-R. Weber, Nyon: du temps des révolutions au XXIe siècle, 2008
Weblinks
Normdateien
GND

Zitiervorschlag

Emmanuel Abetel: "Nyon (Gemeinde)", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 09.11.2011, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/002516/2011-11-09/, konsultiert am 19.03.2024.